Ein neues Projekt von UFA Fiction und BMG wirft in Berlin seine Schatten voraus, die Produktionsfirma Stage Entertainment stellt das Theater des Westens zur Verfügung – geplante Premiere ist im November.

von Claus-Ulrich Heinke

„Ich habe noch nie in meinem Leben so schnell Ja gesagt. Ich kann das richtig schnell, wenn’s drauf ankommt“, lacht ­Peter Plate. Das „Ja“ war seine Antwort auf die Anfrage, ob er zufällig Lust habe, für ein neues Musical mit dem Titel „Ku’damm 56“ die Musik zu schreiben. Gemeinsam mit seinem Freund Ulf Leo Sommer verpasste er keine Folge der gleichnamigen ZDF-Serie. „Ulf und ich waren Riesenfans und haben die wirklich ‚gesuchtet‘, wie die jungen Leute heutzutage sagen.“

Seit 2016 lockten drei Staffeln rund um eine Berliner Familiengeschichte zwischen 1956 und 1963 Millionen Menschen vor den Bildschirm. Im Mittelpunkt des Geschehens steht die Tanzschule ­Schöllack am Ku’damm, in der Mutter Caterina ein strenges, immer nach Perfektion strebendes Regiment führt. Auch ihre drei Töchter Eva, Helga und Monika versucht sie zu lenken – möglichst in den Hafen der Ehe. Das gelingt nur bedingt, denn alle drei arbeiten sich mit viel Psychodynamik heraus aus der mütterlichen Dominanz und dem Muff der fünfziger Jahre. Bei Monika, fast widerwillig verheiratet mit dem schwerst-neurotischen Fabrikantensohn Joachim Franck, spielt dabei die Begegnung mit dem KZ-Überlebenden Freddy Donath die entscheidende Rolle. Der ist Musiker und bricht mit Rock ’n’ Roll-Musik aus den engen Schranken des damaligen Lebens und den Traumata seiner Seele aus. Die zweite Tochter Helga muss erkennen, dass ihr Mann, der Staatsanwalt ­Wolfgang von Boost, schwul ist. Sie befreit sich auch durch eine Affäre mit Tangolehrer Amando Cortez aus dieser Ehe. Eva, ähnlich pragmatisch wie ihre Mutter, erreicht ihr Ziel eigener Unabhängigkeit durch die kühl kalkulierte Verbindung mit dem sehr viel älteren Chefarzt Prof. Dr. Jürgen Fassbender. Innerhalb dieses Geflechts familiärer Auseinandersetzungen gelingt es der Serie vor dem Hintergrund damaliger gesellschaftspolitischer Entwicklungen, reale Zeitgeschichte mit einer spannenden Familiengeschichte zu durchleuchten.

Der Erfolg des Sujets hat mehrere Gründe. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer erkennen die eigene Geschichte wieder, die von guten Schauspielerinnen und Schauspielern in den unterschiedlichen Charakteren überzeugend vermittelt und durch eine gekonnte Regie auf Basis des überzeugenden Drehbuchs von ­Annette Hess glaubhaft erzählt wird. Es gehört zu den herausragenden Fähigkeiten dieser preisgekrönten Autorin, authentische Geschichten mit glaubhaften Menschen zu erzählen. „Bei der Hauptfigur Monika wurden Erzählungen meiner Mutter über die Tochter einer Freundin lebendig. Und das Wesen der Tanzschul-Chefin ­Caterina Schöllack, der strengen Mutter von ­Monika, Helga und Eva, spiegelt Erinnerungen an meine Oma wider, deren Persönlichkeit vom Krieg und der Zeit danach hart geformt wurde.“

»Das Eindampfen hat mir Spaß gemacht

Was im Film funktionierte, soll nun auch als „Ku’damm 56 – Das Musical“ auf der Bühne Erfolg haben. Auch hier stammt das Buch von Annette Hess. „Der Vorschlag der UFA gefiel mir sehr. Denn schon beim Schreiben des Drehbuches dachte ich, dass sich die Geschichte auch für ein Musical eignen könnte“, meint sie. Obwohl sie Musicals eigentlich gar nicht mag, wie sie lachend gesteht.

Dieser Bann wird zum Glück gebrochen, als sie zur Vorbereitung mit den beiden Musikern Peter Plate und Ulf Leo Sommer die Musicalszene im Londoner Westend durchstreift. „Besonders das Stück ‚Every­body’s Talking About Jamie‘ machte mir klar: Man kann auch im Musical Geschichten differenziert und mit Tiefgang erzählen und gleichzeitig unterhaltsam sein.“ (Zur Orientierung: Das Erfolgsmusical erzählt vom Coming-out eines 16-Jährigen als Dragqueen.) Wie aber macht man aus 300 Seiten Drehbuch ein Musical-Libretto von 80 Seiten? „Das Eindampfen hat mir Spaß gemacht. Das kenne ich auch aus der Filmarbeit. Schwieriger war es, so zu schreiben, dass Leute auch ohne Kenntnis der TV-Serie das Stück verstehen.“ Vollkommen neu ist für sie, wie unmittelbar ein Text beim Schreiben für die Bühne auf der Probe umgesetzt, ausprobiert und eventuell rasch verändert werden kann. „Dieses ‚working in progress‘ mit den Darstellern ist eine spannende Erfahrung, die ich schätze“, berichtet die Autorin von der frühen Phase, als der Entwurf für das Musical entstand und noch vor dem ersten Lockdown Ende 2019 vor ca. 150 Menschen erstmals ausprobiert wurde.

Ulf Leo Sommer und Peter Plate (Foto Olaf Blecker)

Die in ihrer Vielschichtigkeit authentischen Persönlichkeiten der TV-Geschichte bleiben auch in der musikalischen Fassung erhalten. So wird man das schmerzvolle Coming-out des schwulen Juristen erleben, teilhaben am Vater-Sohn-Konflikt des Fabrikantensohnes und mitbekommen, wie explosiv es sein kann, damals als Rock ’n’ Roll-Musiker zu leben.

Das alles gefällt auch Regisseur Christoph Drewitz. Er wurde für dieses Projekt verpflichtet und hat bereits Musicals wie „Fack ju Göthe“, „Rocky“, „Ghost“ oder auch „The Last Five Years“ seine erfolgreiche Handschrift verliehen. Mit seiner Arbeit an „Ku’damm 56“ möchte er einen Bezug zur Gegenwart herstellen: „Wo sind heute die Brüche zwischen den Generationen und was treibt heute junge Leute um?“ Vor allem die Songs sollen diese Verbindung schaffen, für die Peter Plate die Texte schreibt und sie gemeinsam mit Ulf Leo Sommer vertont. „Peter Plate ist ein begnadeter Texter“, lobt Annette Hess. „Er nimmt den Fluss meines verfassten Dialogs sensibel auf und lässt sich davon für die Songs inspirieren.“ „Es ist im Prinzip unsere Interpretation der Fünfziger“, ergänzt Teampartner Ulf Leo Sommer. „Man wird immer unsere Handschrift hören.“

In die Arbeit am neuen Musical werden auch Erfahrungen einfließen, die der Künstler und Produzent Peter Plate gemeinsam mit Sängerin AnNa R. als Deutschpop-Duo „Rosenstolz“ sammelte. Die Zusammenarbeit mit Max Raabe, DJ Ötzi, Michelle und Sarah ­Connor ist ebenfalls ein wertvoller Hintergrund für die neue Herausforderung, die beide Musiker auch als kreative Chance empfinden: „Das Schöne an einem Musical: Wir sind nicht in das Zweieinhalb-Minuten-Format eingezwängt, sondern können uns austoben. Bei ‚Ku’damm 56‘ trifft auch Rumba auf Rock ’n’ Roll
– ­alles unter dem Obertitel Popmusik. Wir fühlen uns freier, wenn wir so eine Musik machen dürfen.“ Begeistert erzählt ­Plate, dass dieses Musical der Stoff ist, auf den Sommer und er gewartet haben – ihn reizen die Themen der Geschichte. „Was ist passiert mit der Generation nach dem Zweiten Weltkrieg? Warum sagte meine Mutter – Jahrgang 1946 – sie könne mit den Großeltern nicht reden? Mich interessieren aber auch die Generationskonflikte, die es immer geben wird.“

David Jakobs und Sandra Leitner als Freddy und Monika (Foto Jordana Schramm)

Von Rock ’n’ Roll bis Hip-Hop – nach den Sternen greifen!

In den fünfziger Jahren spielte dabei der Rock ’n’ Roll eine entscheidende Rolle. Später ist es dann Hip-Hop oder Techno-Musik, wobei jetzt im Vorfeld noch nicht verraten wird, ob diese Musik auch im Musical eine Rolle spielen wird. Lediglich einen Song hat man quasi als „Appetithäppchen“ vorab veröffentlicht – er soll die Titelmelodie des neuen Musicals werden und trägt deutlich erkennbar die Handschrift von Plate und Sommer: „Berlin, Berlin, du meine Braut …“. Die verraten dann aber doch noch ein wenig mehr: „Wir haben versucht, dass dieser Generationenkonflikt, der ja eigentlich die ‚hook‘ ist vom Stück, auch in der Musik rüberkommt. Die ältere Generation ist ein bisschen konservativer in den Fünfzigern verankert und operettenmäßig. Die Mutter zum Beispiel hat meine Lieblingsnummer im Stück, sie heißt ‚Früher‘ und ist eine große Opernnummer. Dagegen dann Monika, Joachim, Wolfgang und die Schwestern – die sind eher poppiger von der Stimme.“ Und dann kommt Plate ins Schwärmen: „Meine Lieblingsfigur ist Mutter Caterina. Ein ziemliches Biest, aber da ist so viel Leid und auch so viel Humor in der Rolle. Immer, wenn Caterina auf der Szene ist, geht mein Herz auf – das war schon in der Serie so.“

Das Kreativteam versichert, dass auch große getanzte Rock ’n’ Roll-Nummern zum Musical gehören werden. Hier ist der Produktion ein hochkarätiger Coup gelungen: Der zuletzt mit den Elton-John-Musical „Rocketman“ erfolgreiche Londoner Choreograf Adam Murray kommt an die Spree, um den „Ku’damm 56“-Cast in Bewegung zu bringen. Nicht ohne Stolz meint Ulf Leo ­Sommer: „Wir haben ‚Rocketman‘ gesehen und hatten dann den großen Wunsch, Adam Murray zu kontaktieren und zu fragen, ob er nicht vielleicht auch für uns die Choreografien macht. Wir schrieben ihm eine E-Mail und dachten, da kommt bestimmt nicht mal eine Antwort. Zwei Tage später war sie dann tatsächlich schon da: ‚Ich habe Lust dazu. Ich würde Euch gern mal treffen.‘ Da haben wir gelernt: Man muss einfach manchmal nach den Sternen greifen, dann passiert das Unmög­liche. Und jetzt ist Adam dabei.“

Bleibt noch zu erwähnen, dass für die Hauptrolle der Monika Schöllack mit Sandra Leitner eine bereits erfolgreiche Newcomerin gewonnen werden konnte – und Musicalstar David Jakobs ihren Partner Freddy spielen wird. Die Premiere ist für 28. November 2021 geplant. Danach soll „Ku’damm 56 – Das Musical“ bis 24. April 2022 im Theater des Westens zu sehen sein.

Weitere Infos und Tickets auf der Website von Stage Entertainment

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Juli/August 2021

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