von Lea Maria Unterseer

Einmal nachts durch die Staatsoper Stuttgart schleichen und die Geheimnisse der Notenbibliothek lüften? Oder doch lieber unter Zeitdruck alles für ein bevorstehendes Konzert in der Elbphilharmonie vorbereiten? Beides ist jetzt als Online Escape Game möglich. Wir wollen wissen: Kann die digitale Version mit der Realität mithalten?

Sonntagabend kurz vor Ostern an unserem Küchentisch: bereit, in diese neue Welt hinter den Kulissen einzutauchen. „Wir“ sind zwischen 17 und 26 Jahre alt, zu viert – darunter eine Opernsängerin und eine Dramaturgin – und gehören zu der Generation, die man „Digital Natives“ nennt: aufgewachsen mit den Neuen Medien und auch einigermaßen firm beim Online-Escape-Gaming.

„Nachts in der Oper“ – auf Entdeckungstour in der Staatsoper Stuttgart

Wir starten mit „Nachts in der Oper“, entwickelt vom Escape-Room-Anbieter LocQed.in in Kooperation mit der Staatsoper Stuttgart. Zu Beginn befinden wir uns samstagnachts am Ende einer Kneipentour vor der Oper und hören Musik. Die Tür zum Gebäude ist offen und so betreten wir den Eingangsbereich. Dort wartet auch schon das erste Rätsel: Wir müssen das Zahlenschloss des Kassenhäuschens öffnen und dafür in den verschiedenen Hinweisen den richtigen Zahlencode finden. Das ist im ersten Moment gar nicht so leicht: Welche Farbe hat welche Preiskategorie? Und wie viel kosten die Karten in der dunkelblauen Kategorie? Nach zwei falschen Versuchen sind wir drin. Übrigens stehen jederzeit Hinweise zur Verfügung. Im Zweifelsfall muss also niemand einfach aufgeben.

Die nächste Aufgabe beginnt auf der Bühne: Dort können wir mithilfe der Maus den ganzen Bühnen- und Zuschauerraum in einem 360-Grad-Bild erkunden. Und so führen uns die Aufgaben nach und nach einmal durch die Staatsoper: vom Orchestergraben bis zur Requi­site, vom Inspizientenpult bis hin zur Notenbibliothek. An jedem neuen Ort gibt es neue Rätsel, die Einblicke hinter die Kulissen freigeben. Charmant und authentisch erfährt man so von der Geburtstagsparty von Inspizient Jörg oder welche Lieblingsoper Cellist ­Andrej hat. Mit dem Zauber einer Theaterführung leiten die liebevoll gestalteten Aufgaben durch das Opernhaus, bis das Rätsel der geheimnisvollen Musik am Ende gelüftet wird. Das ganze Spiel ist auf 1,5 bis 2,5 Stunden angesetzt, wir schaffen es schon in knapp 50 Minuten.

Screenshots der Online Escape Games aus Hamburg (oben) und Stuttgart (unten) (Bilder Elbphilharmonie Hamburg & LocQed.in/Staatsoper Stuttgart)

„Rette das Konzert“ – ein musikalischer Lauf gegen die Zeit

Beflügelt von unserem ersten „Escape-­Erfolg“ starten wir sofort in das zweite Abenteuer: „Rette das Konzert“, das Escape Game der Elbphilharmonie, entstand in Zusammenarbeit mit der Hamburger Digitalagentur Pop Rocket Labs und ist auf 45 Minuten ausgelegt. Geiger Paganono soll heute Abend sein großes Konzert geben, doch sein Instrument ist beschädigt. Während Projektleiterin Nuria sich um die Reparatur der Geige kümmert, sind wir dafür verantwortlich, dass alle Konzertvorbereitungen getroffen werden. Doch die Probleme starten schon am Aufzug: Wir haben keine Schlüsselkarte! Glücklicherweise sind in den Schriftzügen im Aufzug Buchstaben versteckt, die uns den ­Sicherheitscode verraten.

Auch in diesem Escape Game führen uns die verschiedenen Aufgaben durch die Räume des Hauses. Die zu Beginn jeder Aufgabe eingebauten Videos zeigen die schönsten Ecken der Elbphilharmonie in fast schon Imagefilm-artigen Bildern. Zusammen mit Nurias Hilfe und Anleitung hängen wir Bilder in der Solistengarderobe auf, schalten die Beleuchtung für die Bühne ein und planen die Sitzordnung von Paganonos Ehrengästen. In sieben abwechslungsreichen Leveln retten wir den Abend und – so viel sei verraten – auch der Geiger selbst wird an diesem Abend noch rechtzeitig zu seinem Auftritt kommen.

Neben der guten Spieldramaturgie von „Rette das ­Konzert“ überzeugen vor allem die vielseitigen und abwechslungsreichen Aufgaben. Zu viert konnten wir die Rätsel ohne große Probleme lösen. Bei einer Herausforderung, in der man Bilder nach zugehörigem Musikstück und Veröffentlichungsdatum sortieren soll, hat unser Vorwissen die Lösung sehr erleichtert. Hier muss man ohne eine gewisse Musikkenntnis dann vielleicht doch Google und Co. um Hilfe bitten, was schon zu Beginn in der Spielanleitung angesprochen wird.

Familie Unterseer (Elisa, Lea Maria, Marie und Bastian) testet sich durch den kulturellen Gaming-Dschungel (Foto Lea Maria Unterseer)

Ein kleines Manko hat das kostenlose Angebot dann aber doch: Durch die hochauflösende Grafik, die verwendeten Videos der Elbphilharmonie und die Animationen von Bild und Text läuft die Anwendung nicht auf allen Geräten „ruckelfrei“. Auf unserem Laptop stocken so einige Male die zur Einstimmung dienenden Videos. Das stört nicht die tatsächliche Bearbeitung der Aufgaben, ist aber etwas schade.

Wer hat die Nase vorn?

Größter Vorzug von „Nachts in der Oper“ ist eindeutig die charmante und authentische Art, mit der die Spielenden durch das Opernhaus geführt werden. Hier wird man nicht wie bei „Rette das Konzert“ mit hochglänzender Stockfotografie konfrontiert, sondern bekommt sympathisch ehrliche Einblicke hinter die Kulissen. Während die Elbphilharmonie ihre schönsten Seiten inklusive Ausblick von der Plaza präsentiert, erhaschen wir in der Staatsoper Stuttgart beispielsweise einen Blick auf die mit Notizzetteln und Plänen übersäte Wand der Requisite. Zusätzlich werden hier Gewerke und Abteilungen ins Rampenlicht gerückt, die dem Publikum bei einer Vorstellung normalerweise verborgen bleiben, etwa die Inspizienz oder die Notenbibliothek. Im Vordergrund stehen eindeutig die Aufgaben und dieser besondere Einblick, die Handlung des Escape Games selbst stellt sich eher hinten an.

Natürlich kommt auch die Musik in beiden Spielen nicht zu kurz. So gibt es Aufgaben mit Hörbeispielen, die man den richtigen Komponisten oder Werken zuordnen muss. In Stuttgart wird man auch auf sein Repertoirewissen geprüft und darf die mit Emojis übersetzten Operntitel erraten. In Hamburg muss man die Orchesteraufstellung mithilfe von Tonaufnahmen überprüfen. Hier fällt positiv auf, dass auch das Thema Zugänglichkeit bei der Konzeption der Escape Games mitgedacht wurde: Eine Transkription der Hörbeispiele wird bei den entsprechenden Aufgaben jeweils mitgeliefert. Dadurch können diese Rätsel auch mit Hörbeeinträchtigung gelöst werden.

Sicherlich ist ein Escape Game nicht mit einem Konzert- oder Opernbesuch gleichzusetzen. Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine Erweiterung des Programms, ein digitales Angebot zusätzlich zum traditionellen Spielplan. Als Mischung zwischen Theaterführung und interaktiver Auseinandersetzung mit der Produktion von Konzerten und Vorstellungen bieten beide Spielvarianten aber einen unterhaltsamen Einblick hinter die Kulissen – und sind so auf jeden Fall empfehlenswert, finden wir. Ob man Opernfan oder Musiktheater-Neuling, Escape-­Game-Profi oder Rätsel-Enthusiast ist, ist nicht so wichtig – beim Unterhaltungswert kommen alle auf ihre Kosten.

AUF EINEN BLICK

„Nachts in der Oper“ Staatsoper Stuttgart

• 1 – 6 Spieler
• ca. 1,5 – 2,5 Stunden
• Sprache: Deutsch
• Preis: 15,99 €
• Schwierigkeitsgrad: 3,5 von 5
• Besonderheit: informativ, persönlich und ­authentisch
locqed.in


„Rette das Konzert“ – Elbphilharmonie Hamburg

• 1 – 4 Spieler
• ca. 45 Minuten
• Sprachen: Deutsch oder Englisch
• Preis: kostenlos
• Schwierigkeitsgrad: 3,5 von 5
• Besonderheit: spannende Handlung und tolle Grafik
escapegame.elbphilharmonie.de

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Mai/Juni 2023

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