Schon öfters hat sich Iván Fischer über das Regietheater beschwert, über die Willkür der Regisseure und ihre fehlende Musikalität. Deshalb führt der ungarische Dirigent seit einigen Jahren selbst Regie bei den Opern, die er dirigiert. Und möchte dabei die Inszenierung im Sinne eines Gesamtkunstwerks aus der Musik heraus entwickeln – wie bei seinem mit Perücken und historischen Kostümen ausgestatteten „Don Giovanni“, der nun nach Budapest und Vicenza auch bei den Winterfestspielen im Festspielhaus Baden-Baden zu sehen ist. Das Bühnenbild besteht einerseits aus zwei Sockeln und vielen mit Antikem beklebten Säulen (Bühne und Licht: Andrea Tocchio). Andererseits werden Straßenlaternen, eine Höhle, ein Grab, Don Giovannis Festtafel im zweiten Finale oder auch mal eine Kutsche durch weiß geschminkte und mit einer Art Toga gekleidete Mitglieder der Iván Fischer Opera Company dargestellt (Kostüme: Anna Biagiotti). Selbst die Hölle wird von einer Menschentraube gebildet, die anstelle des Komturs (stark: Krisztián Cser) Don Giovanni ergreifen und verschwinden lässt (Movement Director: Georg Asagaroff). Das sieht dann wie so manches an diesem Abend ein wenig bemüht aus – wie überhaupt dieses Figurentheater mit seinen unmotivierten Auf- und Abgängen immer wieder die Spannung unterbricht.

Musikalisch ist der Abend im voll besetzten Festspielhaus Baden-Baden erfreulicher. In der Ouvertüre findet das im Orchestergraben zur Hälfte hochgefahrene, auf modernen Instrumenten spielende Budapest Festival Orchestra zu einer guten Mischung zwischen Dramatik und Leichtigkeit. Iván Fischer setzt auf einen ganz verbindlichen Klang. Die Balance zwischen Graben und Bühne ist gut, die Holzbläsersoli werden ausgespielt, die Dialoge mit den Solistinnen und Solisten schön gestaltet. Was der Interpretation fehlt, sind Zuspitzungen und echte Spannungshöhepunkte. Bisweilen wird mit angezogener Handbremse musiziert wie in Don Giovannis „Champagner-Arie“, die eher nach alkoholfreiem Sekt schmeckt. Das Rauschhafte, das in der Partitur zu finden ist, bleibt verborgen.

Iván Fischer möchte Don Giovanni als Verführer zeigen, nicht als Vergewaltiger. Die dunklen Seiten sind nicht zu sehen, die letzte Szene mit den Überlebenden hat Fischer ganz gestrichen. Andrè Schuens Bariton besitzt die Kantabilität und auch Flexibilität, um das Eros der Figur zu unterstreichen. Mit Luca Pisaroni hat er einen souveränen Leporello an seiner Seite, der im Zusammenspiel mit ihm wie beim Rollentausch, dem Donna Elvira zum Opfer fällt, auch komische Seiten entwickeln kann. Bernard Richter singt als Don Ottavio schöne Legatolinien, verliert aber intonatorisch besonders im zweiten Akt die Orientierung. Auch Miah Persson als dramatische Donna Elvira zeigt nach der Pause vor allem in der Mittellage stimmliche Härten. Daniel Noyola stattet Masetto mit viel Resonanz aus, die glockenhelle Zerlina von Giulia Semenzato ist eine Entdeckung. Das vielschichtigste Rollenprofil gelingt Maria Bengtsson als Donna Anna. Sie zeigt auch die Fragilität diese im Innersten verletzten Frau.

Georg Rudiger

„Il dissoluto punito ossia Il Don Giovanni“ ( 1787) / Dramma giocoso von Wolfgang Amadeus Mozart