München / Bayerische Staatsoper (November 2025) Rimski-Korsakows „Nacht vor Weihnachten“ nicht mehr als routiniert
Das Pendant – Tschaikowskis Oper „Pantöffelchen“ – wird ab und zu gegeben, doch Rimski-Korsakows Gogol-Vertonung desselben Stoffes bleibt im Prinzip eine Leerstelle im Repertoire deutschsprachiger Länder. Sie heißt „Die Nacht vor Weihnachten“ und folgte 1895 Rimski-Korsakows Vertonung der „Mainacht“ (ebenfalls nach Gogol). Beide Werke ähneln sich nicht nur im Schauplatz – ein ukrainisches Dorf –, sondern auch in der Märchenhaftigkeit, der Lüsternheit eines Honoratioren plus allgemeiner Trinkfreude bis hin zu einer Hochzeit vor großem Feiertag. In der Mainacht ist es Pfingsten, in der „Nacht vor Weihnachten“ das Christfest. Doch wird dieses bei Gogol/Korsakow überlagert von den heidnischen Feiern der winterlichen Sonnenwende: Von nun an werden die Tage wieder länger; Licht, Leben und Wachstum erwachen neu. Der Volksglaube erhält dabei Auftritt mit Hexe, Teufel, Zauberer – und vielen festlichen „Koljada“-Gesängen.
Der teils ukrainisch-stämmige Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski tritt seit Jahren nachdrücklich für die Kulturen seiner russisch-ukrainischen Herkunft ein – jetzt also mit der „Nacht vor Weihnachten“. Dabei ist der Vierakter kein unproblematisches Stück, weil er mehr episodenhaft als in einem geschlossenen Bogen eine provinzhaft-nette Posse umreißt: Wie der Schmied Wakula gegen Teufelsmacht letztlich doch bei der selbstverliebten Oksana landet, indem er ihr Pantöffelchen der Zarin höchstselbst als Geschenk überreicht.
Wenn sich nun final Wakula und Oksana ganz in Weiß in die Arme fallen, dann blitzt nach einem bunten Abend der Gedanke nicht nur an Scherz, Satire, Ironie auf, sondern auch an Persiflage. Barrie Kosky ist als Regisseur einmal mehr an der Staatsoper zugange, diesmal routiniert das abspulend, was mutmaßlich beim Publikumsdurchschnitt Effekt macht, insbesondere bei einer Art „Familienabend“: Komik, Clownerie, auch Klamauk. Sein Rahmen für die Inszenierung: Ein Dorfvölkchen bringt – unter der Spielleitung eines boshaften Springteufels – sich selbst auf die Bühne. Erprobt wirbelig das Ganze, und auch ein zwölfköpfiges Teufelsballett sowie ein schwer feminin wirkendes Diversitätsballett sind – ausufernd – mit von der Partie. Mal wird Can Can getanzt, mal Kasatschok. Na ja. Im abstrahierenden Schneeflocken-Bühnenbild von Klaus Grünberg ist Hauptprotagonistin gleichsam Frau Holle. Viele, viele Papierschnipsel und einige Gänsefedern schaffen winterlich-weiße Gefühle.
Rimski-Korsakows Musik tönt dazu unter der liebevollen Leitung Jurowskis blühend spätromantisch, lautmalerisch, volkstümlich, chorisch kraftvoll bis hin zur hymnischen Weihnachtsfeier. Gleichzeitig singen Elena Tsallagova als Oksana und Sergey Skorokhodov als Wakula vortrefflich; sie mit einem so substanzreichen wie beweglichen Sopran, er mit tenoralem Metall ohne Kanten und Härte. Ekaterina Semenchuk spielt Wakulas Mutter Solocha als Schlachtross, und einmal mehr beweisen Violeta Urmana (Zarin) und Sergei Leiferkus (Dorfvorsteher) langjährige Bühnenpräsenz.
Rüdiger Heinze
„Ночь перед Рождеством“ („Die Nacht vor Weihnachten“) (1895) // Ein wahres Weihnachtslied. Oper von Nikolai Rimski-Korsakow
Infos und Termine auf der Website der Bayerischen Staatsoper
