Oper Halle • Die Csárdásfürstin Theater-Endzeitstimmung für Kálmáns „Csárdásfürstin“
In den letzten Jahren sind der Renovierungsbedarf von Opernhäusern und das Crescendo der Probleme bei den entsprechenden Bauvorhaben zu zwei Seiten ein und derselben Medaille geworden. In Halle landet diese problematische Beziehung jetzt direkt auf der Bühne: als Überbau der szenischen Überschreibung eines 110 Jahre alten Operettenjuwels. Wobei Emmerich Kálmáns „Csárdásfürstin“ ja schon mit einem Skandal ins 21. Jahrhundert gestartet war, als Regie-Altmeister Peter Konwitschny den Krieg des Uraufführungsjahres in die Liebeshändel zwischen Diva Sylva Varescu und Fürstenspross Edwin einfließen ließ. Und das, obwohl das Dresdner Publikum bei diesem Genre-Schmuckstück damals darauf eingestellt war, sich wie im Uraufführungsjahr mit musikalischem Schwung aus der Malaise der Verhältnisse ihrer Gegenwart heraus (ver-)führen zu lassen.
Bei Ben Baur (Regie und Bühne) steht das Theater von Intendant Boni vor dem Aus, weil die Immobilie an einen Betonfürsten (der bei Ex-Theaterintendant und Schauspieler Matthias Brenner gut aufgehoben ist) verkauft wurde. Der will sofort mit dem großen Umbau beginnen, womit der Geschichte und allen Akteuren eine Atmosphäre von lähmender Melancholie eines überstürzten Abschieds verordnet wird. Die Parole „MAKE OPERA GREAT AGAIN“ auf einem Riesenbanner – gleich neben einem Bild der Oper Halle mit dahinter kopiertem, goldschimmerndem Hochhausriesen – schließt die Scheinwelt der Operette mit der heute herrschenden Fake-News-Großmäuligkeit kurz. Zur Theater-Endzeitstimmung kommt so ein tristes Baustellen-Ambiente mit gewollt witzigen Einlagen, die der von Frank Flade und Bartholomew Berzonsky einstudierte Chor, die Showgirls und Protagonisten allerdings souverän bewältigen. Zu einem Happy End der beiden Paare (und für das Theater!) kommt man hier nur mit der Behauptungs-Brechstange.
Dass Anke Berndt als versierte Sylva Varescu dafür einen Besuch der reichen Dame geben muss und sich der Immobilien-Deal-Maker so danebenbenimmt, dass er das Ganze der Diva schenkt und die es an ein halbes Dutzend ihrer Kolleginnen weiterreicht, muss man nicht wirklich verstehen oder triftig erdacht finden. Immerhin kann sie so mit ihrem Edwin (routiniert kraftvoll: Daniel Szeili) ebenso ins Happy-End-Nirvana entschwinden wie Boni (Robert Sellier) und seine Baulöwen-Tochter Anastasia (Vanessa Waldhart). Was immer mit diesem Theater werden mag, Inspizient Feri (Gerd Vogel) bleibt ihm erhalten.
Musikalisch hat wenigstens Andreas Wolf, Erster Kapellmeister der Staatskapelle Halle, den Fuß auf dem Gaspedal, während die Regie mit Rücksicht auf „ihre“ Geschichte nicht von der Bremse lassen kann. Timing und Esprit bekommt diese Kollision der Ansätze nicht. Immer, wenn der berühmte Operettenfunke musikalisch zünden könnte, löscht ihn die Szene vorm Überspringen im Handumdrehen mit dem nächsten ambitionierten Kurzmonolog wieder aus.
Roberto Becker
„Die Csárdásfürstin“ (1915) // Operette von Emmerich Kálmán
