Registrieren
Kategorie

Rezensionen

3. August 2025

Ein Operetten-Traum

Langenlois / Operette Langenlois (Juli 2025)
Frisch, frech, frivol: Langenlois zeigt, wie Operette 2025 geht

Langenlois / Operette Langenlois (Juli 2025)
Frisch, frech, frivol: Langenlois zeigt, wie Operette 2025 geht

Dass Operette auch modern geht, beweist Langenlois mit Oscar Straus’ „Walzertraum“. Intendant Christoph Wagner-Trenkwitz und Regisseurin Isabella Gregor haben den Stoff mit einer eigenen Textfassung ordentlich in die heutige Zeit gebürstet und kluge Nebenhandlungen eingezogen – ein großer Gewinn.

Im deutschen Fürstentum Flausenthurn wurde der Wiener Leutnant Niki (Paul Schweinester mit traumhaftem Operetten-Tenor als einfach gestrickter Filou) mit Prinzessin Helene (Domenica Radlmaier mit herrlich klarem Sopran verschmitzt ihren Gatten vergötternd) verheiratet. Doch er hat Heimweh – ihm fehlt der Walzer. So versucht er durch eine vorgespielte Liebschaft mit seinem Kumpanen Montschi (kumpelhaft lässig: Erwin Belakowitsch) seinen ehelichen Pflichten zu entgehen – Operette kann auch queer! Als Walzerklänge aus dem Garten erklingen, veguckt Niki sich in die Dirigentin der Damenkapelle, Franzi (stimmlich eine Wucht, mit zarten Höhen und dennoch frivol: Nicole Lubinger). Fürst Joachim (mit brillant übertriebener Mimik, milde und hinreißend unbeholfen à la Louis de Funès: Jens Claßen) und Oberkammerfrau Friederike (lieblich pikiert: Cornelia Horak) versuchen, den Hofstaat zusammenzuhalten, während Graf Lothar, der Vetter des Fürsten, der selbst gerne Helene und das Fürstentum hätte (witzig intrigant: André Bauer), die Tschinellenfifi (großartig derb und stimmgewaltig: Kerstin Grotrian) und Lakai Sigismund (ein spielerisches Feuerwerk mit klassischer Musical-Stimme: Julian Weninger) den Laden gehörig aufmischen. Obwohl Niki kurz von beiden Frauen stehengelassen wird („Who run the world – Girls!“), gibt es ein Operetten-Happy-End: Helene gibt Niki noch eine Chance und Franzi macht Karriere als Dirigentin.

„Idiotismus“ als Versprecher statt „Patriotismus“, „Oberammergau“ statt „Oberkammerfrau“, „bi oder nicht bi“, die Kärntner Gastarbeiterin oder „Faust“-Zitate sind pointierte politische Seitenhiebe, kulturelle Referenzen oder Anspielungen zum Weiterdenken, ohne überladen zu wirken.

Bemerkenswert ist die Spielfreude beim gesamten Ensemble, auch tänzerisch. Lisa-Marie Rettenbacher greift die Walzerliebe in beschwingten Choreografien auf – ständig wird sich liebevoll augenzwinkernd gedreht: „Alles Walzer“. Auf den Punkt: Einer im Hofstaat wird angestupst und alle fallen um.

Mit ironisch historischen Kostümen (Anna-Sophie Lienbacher) und treffend überzeichneter Maske (Zarah Bugnar) wird das dekadente Fürstentum in Szene gesetzt. Bühnenbildner Roland Tscherne lässt das reizende Schloss Hainburg für sich wirken, ergänzt um einen Multifunktions-Kammerspielraum, der Schlafzimmer und gleichzeitig Thron ist.

Musikalisch ist der gesamte Abend ein Traum – mit Harmonien zum Dahinschmelzen, besonders im berühmten Duett „Leise, ganz leise klingt’s durch den Raum“ zwischen Schweinester und Belakowitsch. Nicht ohne Grund nennt Wagner-Trenkwitz den musikalischen Leiter Lorenz C. Aichner liebevoll „Ben Affleck der Operette“: Er und das Strauss-Festival-Orchester Wien sind in ihrer operettentypischen Vielseitigkeit und Präzision absolut oscarverdächtig.

Fazit: unaufdringlich modern, witzig, musikalisch ein Genuss – so geht Operette 2025!

Christoph Oscar Hofbauer

„Ein Walzertraum“ (1907) // Operette von Oscar Straus

Infos und Termine auf der Website der Operette Langenlois

27. Juli 2025

Nichts als Beton

Salzburg / Salzburger Festspiele (Juli 2025)
Händels „Giulio Cesare in Egitto“ im Bunker

Salzburg / Salzburger Festspiele (Juli 2025)
Händels „Giulio Cesare in Egitto“ im Bunker

Im Haus für Mozart heulen die Sirenen: „offizieller Evakuierungsbefehl“. Schutt fällt von der Decke, das Licht flackert, es bleiben nur Matratzen, Konservendosen, kalter Beton – Händel im Bunker. Dessen „Giulio Cesare in Egitto“ eröffnet das diesjährige Opernprogramm der Salzburger Festspiele. Regie und Bühnenbild liegen in den Händen von Dmitri Tcherniakov. Seine erste Barockoper überhaupt inszeniert er als psychologisch tiefschürfendes Kammerspiel: acht Figuren, acht zerstörte Seelen, die nach der Gleichung „Solisten = Statisten“ fast dauerpräsent sind, ausweglos zurückgeworfen auf die eigenen Traumata – und die der anderen, denen sie schutzlos ausgeliefert sind. Ein Lazarett der Selbstzerstörung im tristen Einheitsgrau.

Dass Tcherniakovs Deutung bei über drei Stunden reiner Spielzeit und einem derart statisch-farblosen Setting nicht der Monotonie verfällt, ist das Verdienst erstklassiger Sängerdarsteller. Nicht alle gestalten ihre Partien nach dem, was man ein reines „Stimmenfest“ nennen würde. Aber – an diesem Abend viel wichtiger – ausnahmslos alle beleben ihre Rollen mit bis in die kleinste Faser dreidimensional angelegten Portraits voller Ecken und Kanten: Narben der fortwährenden Gefahrenlage, die mit Bombeneinschlägen und Warnungen im Black im Hintergrund lauert.

Die etwas spröde Stimmfärbung von Christoph Dumaux’ Countertenor macht seinen Cesare zur Geschmacksache, gerade die lyrischen Facetten der Partie geraten aber zum Triumph – umso mehr im Duett mit Olga Kulchynska, deren Cleopatra mit schillernder Bravour ohnehin durch die Bank glänzt und die sich seelisch bis auf den zum Tode bereiten Kern entblättert. Mit innig flimmerndem Alt, maskuliner Tiefe und fast schon einem Tick zu viel stimmlicher Präsenz durchschreitet Lucile Richardot das Tränental der Cornelia. Sopranist Federico Fiorio als ihr Bühnensohn Sesto verfügt über engelsgleiche, gleichsam schwebende Spitzentöne, die sich in unkontrollierten körperlichen Ausbrüchen – Wahnsinnstänze im Schatten der Katastrophe gleich einem verwundeten Tier – Bahn brechen. Auslöser: Countertenor Yuriy Mynenko als Tolomeo, ein überzogener Irrer mit unberechenbaren Untiefen und zwei Zungen, die im phasenweise sekündlichen Wechsel von Kopf- und Brusttönen technisch bravourös und beinahe schizophren fesseln. Der Bariton von Andrey Zhilikhovsky (Achilla) sorgt für eine erfrischende stimmliche Erdung, Jake Ingbar (Nireno) und Robert Raso (Curio) runden das Ensemble ab.

Kraftzentrum des Ganzen: Emmanuelle Haïm, die ihr Ensemble „Le Concert d’Astrée“ im Orchestergraben zu einem perlenden, energetischen Klang anspornt – ein organisch atmendes und zugleich elegantes Dirigat, das begeistert. Vermisst man die lustvollen Händel’schen Farben, die hier zusätzlich aufblitzen, denen Tcherniakov ein szenisches Äquivalent aber verweigert? Buhs für das Regieteam bleiben am Premierenabend ebenso wenig aus wie das ein oder andere Logikloch in einem Bühnenraum, in dem alle zwangsweise „aufeinander hocken“, was politische wie private Verschwörungen naturgemäß sehr erschwert. Und doch lauert unter dem gedämpften, misstrauischen „Lieto fine“ die Frage: Wenn schon so viel Hass im Inneren des Bunkers herrscht – wer ist dann erst der Feind von außen?

Florian Maier

„Giulio Cesare in Egitto“ (1724) // Opera seria von Georg Friedrich Händel

Infos und Termine auf der Website der Salzburger Festspiele

21. Juli 2025

Überbordende Bilderflut

Heidenheim an der Brenz / Opernfestspiele Heidenheim (Juli 2025)
Verdis selten gespieltes Historiengemälde „Attila“

Heidenheim an der Brenz / Opernfestspiele Heidenheim (Juli 2025)
Verdis selten gespieltes Historiengemälde „Attila“

Wie verdienstvoll, dass sich die Opernfestspiele Heidenheim konsequent auch des frühen Verdis annehmen und mit Festspielleiter Marcus Bosch über einen Dirigenten mit untrüglichem Gespür für die genauso leidenschaftliche wie effektsichere Tonsprache dieser Werke verfügen.

Historische Wahrheiten werden im „Attila“ freilich nur ansatzweise verhandelt. Es ist ein in Musik gesetztes Historiengemälde, bei dem ein geschichtliches Szenario als Folie dient für Liebe und Leidenschaft, Rache und Totschlag, Kirchengläubigkeit und Patriotismus. Wobei es durchaus dramatische Konstellationen gibt, wie wir sie noch immer aus der Realpolitik kennen. Beispielsweise einen Potentaten wie Attila, von Papst Leo I. als „Geißel Gottes gegen die Menschheit“ gebrandmarkt. Höhnisch lehnt er den vom römischen Heerführer Aetius (bei Verdi Ezio) angebotenen Waffenstillstand ab. Lässt Aquileia plündern und niederbrennen, nachdem er dessen Herrscher erschlagen hat. Und löst so eine Flüchtlingswelle der einstigen Bewohner auf Booten aus.

Sodann nimmt er sich Odabella, die Tochter des ermordeten Stadtoberhaupts, triumphierend zur Frau. Die jedoch sinnt auf Rache. Gemeinsam mit ihrem Verlobten Foresto, Ezio und dem römischen Heer gelingt ihr die auch. Bis es allerdings soweit kommt, gehen konfliktreiche Verwicklungen und Missverständnisse einher. Für das Verständnis der Handlung sind die zwar wenig hilfreich, doch für den jungen Verdi waren sie die Gelegenheit, virtuos mit allen Ingredienzien der damaligen italienischen Oper zu jonglieren.

Statt einem hollywoodfilmartigen Szenario nutzt Regisseur Matthias Piro eher eine Shakespeare-Bühne als Spielfläche, um die herum Chor und Solisten gruppiert sind. Alsbald treten sie in spannend entwickelte Interaktionen ein. Insbesondere die Führung des Terzetts im dritten Akt zeugt von gutem Regie-Handwerk, wie es Piro nicht zuletzt als Assistent von Lydia Steier mit auf den Weg bekommen hat. Schade nur, dass er sich im Laufe der Vorstellung im eigenen Assoziationsgeflecht verheddert und die schon im Opernlibretto nicht sonderlich schlüssig aufgebauten Erzählebenen durch überbordende Bild- und Videoprojektionen von Michelangelo bis Trump oder Weidel noch mehr durcheinanderbringt. Natürlich dürfen faschistoide Tendenzen und Gewaltherrschaft einst und jetzt in einer Theaterinszenierung kritisch reflektiert werden, aber dann bitte stringent entwickelt und nicht wild assoziativ.

Den Hunnenkönig singt Robert Pomakov mit großem Ambitus und dramatischer Wucht. Dessen Gegenspieler Ezio verleiht der weit ausladende Bariton Marian Pop affektangemessen Furor wie noble Größe. Mit hinreißender Strahlkraft startet Adam Sánchez seinen Foresto schon im Prolog, über den Abend hin zeigt er Steh- und Differenzierungsvermögen. Die kleineren Partien sind mit Musa Nkuna (Uldino) und Jared Ice (Leo I) gut besetzt. Und als einzige Dame in diesem Männer-Ensemble brilliert Leah Gordon als dominante Odabella mit dramatisch funkelnden Koloraturen.

Marcus Bosch führt den von Joel Hána präzise einstudierten Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn und sein Festspiel-Orchester „Cappella Aquileia“ zu hohen Leistungen, festigt dabei sein Renommee als Verdi-Experte, verbindet Prägnanz mit Eleganz, dosiert klug die zackig-martialen Krieger-Gesänge und überzeugt mit seinem punktgenauen, elastisch federnden, dabei temperamentvoll gehaltenen Dirigat, welches zugleich den filigranen Passagen genügend Transparenz lässt.

Dr. Jörg Riedlbauer

„Attila“ (1846) // Dramma lirico von Giuseppe Verdi

21. Juli 2025

Puccini at his best

Torre del Lago – Viareggio / Festival Puccini (Juli 2025)
Eine mitreißende „Tosca“ aus einem Guss

Torre del Lago – Viareggio / Festival Puccini (Juli 2025)
Eine mitreißende „Tosca“ aus einem Guss

Das 71. Festival Puccini in Torre del Lago (Gemeinde Viareggio) beweist mit der „Tosca“ einmal mehr, dass die Fondazione Festival Pucciniano auch nach so langer Zeit noch Referenzcharakter auf höchstem Niveau für die Rezeption des Werkes des genialen Italieners beanspruchen kann. Bei der Premiere ist das Who’s who der Puccini-Interpreten auf dem romantischen Set am Lago di Massaciùccoli versammelt, wo der Komponist leidenschaftlich zur Jagd ging. Seine Villa gleich nebenan beherbergt ein detailreiches Museum sowie eine kleine Kapelle mit dem Grab des Meisters. Man sollte es unbedingt gesehen haben, um die Aura dieses legendären Ortes der italienischen Opernkunst zu verstehen und zu verinnerlichen.

In Torre del Lago steht man voll und ganz zum Verismo der Werke Puccinis. Regie und Kostüme von Alfonso Signorini befinden sich bei guter Personenregie vollkommen im Einklang mit der Szene von Juan Guillermo Nova, wie sie um 1800 in Rom gewesen sein könnte. In diesem optischen Rahmen entfalten sich die ja immer wieder nur als unglaublich zu bezeichnenden Emotionen der Musik Puccinis und seiner Sänger auf das Vortrefflichste. Es bedarf keiner Aktualisierung oder gar „Modernisierung“ – es ist eben einfach Verismo à la Italia, zu dem man auch stehen kann und sollte, gerade in Puccinis Torre del Lago und das bei offenbar voller Akzeptanz des Publikums. Und ist das am Ende nicht das Wichtigste?

Im zum Verismo-Reißer „Tosca“ bestens passenden Bühnenbild agieren aber auch hervorragende Sängerdarsteller. Wie vor Kurzem in Wien interpretieren Roberto Alagna und Aleksandra Kurzak Cavaradossi und Floria Tosca mit ebenso klang- wie ausdrucksvollen Stimmen und ihrem intensiven Schauspieltalent. Alagna geht die Rolle eher von der lyrischen Seite an, was seine Darstellung des scheiternden Malers und Revolutionärs wegen der damit verbundenen höheren Emotion in der vokalen Interpretation noch glaubhafter macht. Dabei ist sein Spinto-Tenor weiterhin völlig höhensicher. Kurzak singt die Tosca mit ihrem leuchtenden Sopran, den sie ebenfalls mit einem hohen Maß an Emphase und dabei stets auf Gesangslinie vorträgt. Darstellerisch lotet sie alle Facetten der Rolle aus. Luca Salsi gibt einen boshaften und großen Respekt einflößenden römischen Polizeichef Scarpia, gnadenlos in der Verfolgung seiner Begierde. Das kann er auch mit seinem kraftvollen und ausdrucksstarken Bariton vermitteln. Alle Nebenrollen sind ebenfalls festspielreif besetzt.

Giorgio Croci dirigiert das Orchester und den sehr guten, von Marco Faelli und Viviana Apicella geleiteten Chor und Kinderchor des Puccini-Festivals mit viel Verve und Dramatik. Ein „Tosca“ aus einem Guss, die das Publikum zu lang anhaltendem, begeistertem Applaus motiviert. An diesem Abend ist Giacomo Puccini selbst vor Ort in seinem Theater am Lago di Massaciùccoli.

Dr. Klaus Billand

„Tosca“ (1900) // Melodramma von Giacomo Puccini

17. Juli 2025

Make Olymp Great Again!

Bad Ischl / Lehár Festival Bad Ischl (Juli 2025)
Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ als verulkte Reise in den Hades

Bad Ischl / Lehár Festival Bad Ischl (Juli 2025)
Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ als verulkte Reise in den Hades

Schon bei der Begrüßung des Publikums vor Beginn der Aufführung wird Intendant Thomas Enzinger von einem jungen Girlie mit langen Fingernägeln und in grellpinken Jeans unterbrochen. Es trägt ständig sein pinkes Handy am Selfie-Stick, filmt alle Geschehnisse und streamt sie auf Instagram. Eva Schöler ist eine heutige Influencerin. Im Stück verkörpert sie die Öffentliche Meinung und überrascht mit ihrem schönen Mezzosopran.

Der selbst inszenierende Intendant verpasst Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ einen gewaltigen Modernisierungsschub. Auch Offenbach und seine Librettisten karikierten seinerzeit aktuelle Vorgänge. In der Inszenierung aber wird manchmal übertrieben, und der Witz in den bunten, gemalten Kulissen (Stefan Wiel) und den überzogenen historisierten Kostümen (Sven Bindseil) gerät zu sehr zum Ulk. So sitzen die Götter im Olymp völlig gelangweilt in der Sauna. Jupiter versucht, das Image mit einem Jupi-Mobil, eigenen Merchandise-Artikeln sowie dem Slogan „Make Olymp Great Again“ aufzupolieren. Sogar eine gegen ihn abgehaltene Demonstration mit Sprüchen wie „Wir hassen Ambrosia“ findet statt. In der für Bad Ischl eigens erstellten Mischfassung (Spielfassung von Jenny W. Gregor und Thomas Enzinger) gibt es auch jede Menge neuer, aktualisierter, teils bemüht wirkender Dialoge, die beim Publikum jedoch viele Lacher provozieren.

Mit ansteckender Spielfreude agiert auch das Ensemble rund um den Orchestergraben, aus dem das Brüderpaar Jupiter und Pluto besonders hervorsticht. Martin Achrainer ist ein stimmlich und szenisch sehr präsenter Chefgott, der ständig von seiner Gattin Juno (mit kleiner Stimme: Eva Schneidereit) gemaßregelt wird. Jupiter kann aber auch als verkleidete Fliege, mit der er Eurydike verführen will, und viel Komik reüssieren. Peter Bording ist ein dämonischer und kraftvoller Gott der Unterwelt. Robert Bartneck singt den Titelhelden solide, Eurydike wird von Jeanette Wernecke koloraturenrein gesungen und mit großer Komödiantik gespielt. Lukas Karzel als Merkur muss zu seinem guten Gesang auch einen Rap hinlegen. Philip Guirola Paganini ist ein quirliger Cupido. Ohne Tadel und spielfreudig zeigt sich der Chor des Festivals.

Unterfüttert wird das alles von der quirligen Choreografie (Lukas Ruziczka) des beeindruckenden sechsköpfigen, mitreißend tanzenden Balletts, insbesondere beim berühmten Can-Can, bei dem zum Finale nochmals alle mittanzen. Mit Spritzigkeit und Delikatesse ist das Franz Lehár Orchester unter der Leitung von Laszlo Gyüker zu vernehmen. Großer Jubel im Publikum, das sich bestens amüsiert.

Helmut Christian Mayer

„Orphée aux enfers“ („Orpheus in der Unterwelt“) (1858) // Opéra bouffe von Jacques Offenbach in einer Spielfassung von Jenny W. Gregor und Thomas Enzinger

15. Juli 2025

Musikalischer Psychothriller

Erl / Tiroler Festspiele Erl (Juli 2025)
Der Doppelabend „Herzog Blaubarts Burg / La voix humaine“ ist ein „Must-see“ dieses Sommers

Erl / Tiroler Festspiele Erl (Juli 2025)
Der Doppelabend „Herzog Blaubarts Burg / La voix humaine“ ist ein „Must-see“ dieses Sommers

Wer heuer die sommerliche Festival-Landschaft bereist, sollte unbedingt in Erl vorbeischauen. Auf den ersten Blick ist „Herzog Blaubarts Burg / La voix humaine“ zwar eigentlich nicht das, was man einen Gassenhauer nennen würde, und die Stückkombination (Entstehungsjahre 1911 und 1956) gab es auch schon an anderer Stelle. Demnach ist die Premiere trotz umfangreicher Werbemaßnahmen auch nicht ausverkauft. Selbst schuld, möchte man den Daheimgebliebenen zurufen, denn dieser Doppelabend in herausragender Solistenbesetzung ist sicher mit das Beste, was das Erler Festspielhaus seit seiner Inbetriebnahme 2012 gesehen hat.

Regisseur Claus Guth setzt auf makabres Psychodrama und inszeniert mit sicherem Wirkungs-Gespür und eindringlicher Personenführung ein cineastisches Beziehungsdrama in zwei Akten, in dessen Mittelpunkt jeweils das (makabre) Spiel männlicher Dominanz über „die Frau“ als Objekt steht. Dabei greifen in Béla Bartóks „Blaubart“ die Erzählmechanismen innerer und äußerer Handlung nahtlos ineinander, Guth kokettiert mit über-realistischer Erzählweise à la Hitchcock – ähnliche Wirkung inklusive. Die sieben Türen werden zu sieben imaginären Räumen und der gutaussehende (!) Womanizer-Protagonist ist ein verzweifelt liebender, zwanghafter Frauenmörder, dem nicht nur Florian Boeschs warme, runde Baritonstimme sehr menschliche, fast schon weiche Züge verleiht (passgenaues Kostümbild: Anna Sofie Tuma). Christel Loetzsch präsentiert sich als in jeder Form adäquate Judith, singt und entwickelt sich warm in ihrer Rolle der naiven jungen Braut bis hin zur mutig Liebenden in erschütternder Selbstaufgabe. Wenn sie dann fast bockig auch den letzten seelischen Abgrund des Gatten ergründen will und sich schließlich in ihr Schicksal fügt, macht Loetzschs außerordentliche stimmliche Bandbreite sie zu einer Idealbesetzung für diese Partie voll emotionaler Extreme.

Im zweiten Teil, Francis Poulencs Monooper „La voix humaine“, setzt Barbara Hannigan mit ihrer „One-Woman-Show“ über 45 Minuten fast noch eins drauf. Als verzweifelt-verlassene Geliebte am Telefon liefert sie einen phänomenalen, bis zur Schmerzgrenze intensiven Monolog aus Körper- und Stimmeinsatz. Auch hier überzeugt Claus Guths psychedelisches Regiekonzept. Er setzt über große Strecken auf Schlüsselloch-Optik, ein Verfolger-Spot auf sonst dunkler Bühne (Licht: Michael Bauer) fokussiert sich auf die Protagonistin, die am vorderen Bühnenrand vor geschlossenem Vorhang auf- und abgeht und mit imaginären Telefonhörern interagiert. Im Verlauf der Handlung überlagern sich dann die beiden Stücke des Abends im Bühnenbild des ersten Teiles. Man erfährt, dass die Namenlose gerne Blaubarts fünfte Frau geworden wäre – und erkennt die Parallelen der gepeinigten Protagonistinnen.

Unbedingt hervorgehoben werden muss auch die gelungene musikalische Balance des Orchesters der Tiroler Festspiele Erl und die spürbar wohlwollende und sensible Unterstützung der drei Solisten „aus dem Graben“. Der erst 29-jährige Martin Rajna am Pult wird mit dieser Leistung seinem Ruf als „Shootingstar“ der internationalen Dirigierszene mehr als gerecht. Vielleicht ist aber auch die ungewöhnlich intime Erler Probenatmosphäre „schuld“ an solchen Ensemble-Leistungen. Gerne mehr davon!

Iris Steiner

„A kékszakállú herceg vára“ („Herzog Blaubarts Burg“) (entstanden 1911, uraufgeführt 1918) // Oper von Béla Bartók
„La voix humaine“ („Die menschliche Stimme“) (1959) // Monooper von Francis Poulenc

Infos und Termine auf der Website der Tiroler Festspiele Erl

14. Juli 2025

Selbstsuche in dunklen Zeiten

Gdańsk / Baltic Opera Festival (Juli 2025)
Komponist Alek Nowak bringt die Lebensgeschichte von Salomon Perel auf die Bühne

Gdańsk / Baltic Opera Festival (Juli 2025)
Komponist Alek Nowak bringt die Lebensgeschichte von Salomon Perel auf die Bühne

Bekannt ist das 2023 neu gestartete Baltic Opera Festival wohl vor allem für die spektakuläre Naturkulisse der Waldoper von Sopot, die sich nach ihrer Eröffnung 1909 rasch als „Bayreuth des Nordens“ etablierte. Und obwohl die Werke Richard Wagners auch in der aktuellen Inkarnation eine nicht ganz unwichtige Rolle spielen, ist der künstlerische Leiter Tomasz Konieczny stetig um eine Erweiterung des Repertoires bemüht. Neben den großen Produktionen auf der Waldbühne sticht in diesem Sommer vor allem ein neues Werk des polnischen Komponisten Alek Nowak heraus, das begleitend in der Opera Bałtycka im benachbarten Gdańsk gezeigt wird und den mit Strauss’ „Salome“ begonnen roten Faden klug weiterführt.

„Głos Potwora“ („Die Stimme des Monsters“) basiert auf der Autobiografie von Salomon „Salli“ Perel, die 1990 von Regisseurin Agnieszka Holland unter dem Titel „Hitlerjunge Salomon“ verfilmt wurde. Die Geschichte eines jüdischen Jungen, der sich nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen als Deutscher ausgibt, als vermeintlicher Held später sogar in die Eliteschule der Hitler-Jugend aufgenommen wird und den Holocaust so wie durch ein Wunder überlebt. Ein Stoff wie geschaffen für eine Oper. Aber ganz so einfach machen es Alek Nowak und sein Librettist Robert Bolesto dem Publikum dann doch auch wieder nicht. Denn sie verweben Perels Leben in ihrem Bühnenwerk mit Motiven aus der griechischen Mythologie – im Bestreben, der Geschichte so eine universelle Gültigkeit über das reine Zeitdokument hinaus zu geben.

Die bewusst nüchtern gehaltene Inszenierung von Agnieszka Smoczyńska beginnt in einem Museum, das eine Ausstellung über die Vernichtung der Medusa vorbereitet. Protagonist ist ein namenloser Kurator, der sich mit Fortschreiten der Oper immer tiefer in den antiken Mythos hineinfantasiert: zunächst als mutiger Perseus, bald aber als Medusa selbst, die nach ihrer Vergewaltigung durch Poseidon in die Verbannung gejagt wird. Ein Opfer, das anstelle des Täters büßen muss und für sein Verbrechen sogar in ein Monster verwandelt wird.

Ob sich die Parallelen zu Perel auch ohne vorherige Kenntnis des Films oder von Perels Buch erschließen, ist schwer zu beurteilen. Doch mit dem nötigen Wissen im Hinterkopf liegt klar auf der Hand, wer sich hinter dem blutrünstigen Höllenfürsten Hades verbirgt oder wer in der Schule der rachsüchtigen Erinnyen zum Hass erzogen wird. Und immerhin verlässt auch Smoczyńska die stilisierte Ebene, um auf der Zielgeraden zu drastischeren Motiven zu greifen, wenn auf einer Video-Leinwand Projektionen von Kindern in Uniform auftauchen, ehe es abgeschlagene Medusa-Köpfe aus dem Bühnenhimmel regnet.

Alek Nowak bleibt in dieser Partitur stets seiner eigenen scharfkantigen Musiksprache treu, lässt an markanter Stelle aber ebenso jiddische Kantoren-Gesänge oder militärische Marschrhythmen durchscheinen, die Dirigent Yaroslav Shemet kontrastreich herausarbeitet. Shemet hält Graben und Bühne auch bei den großen Chorszenen gut in Balance und erweist sich als sichere Stütze für Protagonist Jan Jakub Monowid. Denn der Countertenor hat die knapp 80-minütige Oper beinahe im Alleingang zu tragen und absolviert diese Tour de force mit absoluter Bravour. Während sich alle übrigen Charaktere – einer Hydra gleich – stets als mehrstimmiger Chor Gehör verschaffen, bleibt er die einsame Identifikationsfigur fürs Publikum und macht seine innere Zerrissenheit beklemmend spürbar. Ob nun als Kurator, Perseus, Medusa oder Salli, ist dabei zweitrangig. Sie alle verschmelzen in Monowids packender Interpretation zu einer einzigen Person, die in dunklen Zeiten auf der Suche nach sich selbst ist. Eine emotionale Achterbahnfahrt zwischen Trauer, Hoffnung und erster Liebe, die keinen im Saal kalt lässt und nach kurzem respektvollem Schweigen beim Schlussapplaus umso heftiger bejubelt wird.

Tobias Hell

„Głos Potwora“ („Die Stimme des Monsters“) (2025) // Oper von Alek Nowak

9. Juli 2025

Verwirrung der Gefühle

Aix-en-Provence / Festival d’Aix-en-Provence (Juli 2025)
Cavallis „La Calisto“ unter dem provenzalischen Sternenhimmel

Aix-en-Provence / Festival d’Aix-en-Provence (Juli 2025)
Cavallis „La Calisto“ unter dem provenzalischen Sternenhimmel

Während das diesjährige Festivalprogramm in Aix-en-Provence mit Gustave Charpentiers „Louise“ vor allem dem französischen Publikum entgegenkommt, zielt man im Théâtre de l’Archevêché mit „La Calisto“ aus dem Jahr 1651 auf die Barockmusikliebhaber. Zugleich gewinnt man die Freunde einer spielerischen Opulenz auf der Bühne, die sich dem Stück und dem Publikum gleichermaßen verpflichtet fühlt. Francesco Cavalli (1602-1676) ist ein Erbe Claudio Monteverdis und ein Meister des venezianischen Barocks eigenen Rechts. Der melodiensatte, beredte Charme der Musik entfaltet bei Sébastien Daucé und seinem Ensemble Correspondence unter dem provenzalischen Sternenhimmel seinen eigenen Charme. Selbst, wenn man sich hier und da mehr prägnante Zuspitzung vorstellen könnte.

Für das verblüffend gut in heutige Gender-Diskurse passende Stück treffen Jetske Mijnssen (Regie), Julia Katharina Berndt (Bühne), Hannah Clark (Kostüme) und Dustin Klein (Choreografie) den ästhetischen Ton. Die Verwirrung der Gefühle bzw. die Übergriffe der Mächtigen, die Librettist Giovanni Faustini aus Ovids „Metamorphosen“ für Cavallis Oper in die Götterwelt um Jupiter herum verlegt hat, wird in die Realität der Entstehungszeit projiziert. Nicht diverse Götter und Nymphen zelebrieren sexuelle Begehrlichkeiten und Irritationen samt daraus resultierender handfester Machtkämpfe, sondern diejenigen, die man sich unter barockem Hochadel vorstellt. Hier wohnt kein Gott in den Sälen eines Palastes, hier tanzt ein König. In einer Einlage ist Alex Rosen dabei so witzig und ver-rückt, dass die Höflinge es auch versuchen. Meistens ist dieser König, der eigentlich Jupiter ist, aber als Frau (Diana) auf der Pirsch nach der schönen Hofdame Calisto (fabelhaft: Lauranne Oliva). Er küsst sie als Diana so, dass sie tief irritiert ist. Als mit Kopfstimme singende Diana erkennen sie alle, den Göttervater auf Abwegen allerdings nicht.

Die Königin (Anna Bonitatibus als Queen Juno) macht kurzen Prozess mit der vermeintlichen Konkurrentin, serviert sie ab und lässt ihr von diensteifrigen Höflingen die Haare entwürdigend stutzen. Neben der atmosphärischen Inspirationsquelle „Gefährliche Liebschaften“ kommt einem auch Peter Greenaways „Der Kontrakt des Zeichners“ in den Sinn. Die Entlarvung der Doppelmoral der Adeligen in ihren opulenten historischen Kostümen besorgen sie selbst. Am Ende erlaubt sich Mijnssen doch eine Pointe. Die von Jupiter gerade noch gerettete und wie eine Himmelskönigin herausgeputzte Calisto ersticht ihn. Was bei einem König schwer, bei einem Chefgott gar nicht vorstellbar ist. Immerhin hatte er vorher seinen Spaß. Auch alle anderen Protagonisten fühlen sich sichtbar wohl in dieser Kulisse und in ihrer Aufmachung. Im Stück bekommt Calisto von Jupiter am Firmament einen Platz als Sternbild. In Aix-en-Provence wird daraus ein Funksignal in die ferne Zukunft selbstbestimmter Frauen.

Dr. Joachim Lange

„La Calisto“ (1651) // Dramma per musica von Francesco Cavalli

24. Juni 2025

Das große Krabbeln

Wiesbaden / Staatstheater Wiesbaden (Juni 2025)
Haydns „Schöpfung“ wird kompostiert

Wiesbaden / Staatstheater Wiesbaden (Juni 2025)
Haydns „Schöpfung“ wird kompostiert

Während das Orchester sich noch mit der „Vorstellung des Chaos“ beschäftigt, ist die eigentlich noch bevorstehende Schöpfung auf der Bühne bereits vollendet: Eine Projektion zeigt den Erdglobus in den Weiten des Alls. Eine imaginäre Kamera zoomt sich heran, Landmassen werden sichtbar, Wiesbaden, das Staatstheater und schließlich: ein Komposthaufen vor dem Theatergebäude. Die Kamerafahrt geht weiter in den Haufen hinein, wechselt von der Makro- zur Mikroebene. Nun baut sich das Bühnenbild (Mirjam Stängl) auf als stark vergrößertes Inneres des Komposthaufens mit tiefengestaffelten Pflanzenresten. Darin wuseln stumme Schauspieler in Insektenkostümen herum. Dem Programmheft sind dazu einige dadaistische Sprachspiele eingefallen, wie „Komponieren und Kompostieren“ oder „Humunismus“ statt „Humanismus“.

Die Musik ficht das nicht an, denn ihr Aufführungsort ist von der Bühne in den Saal hinein verlagert worden. Die drei Solisten treten wechselnd in den beiden Proszeniums- und der Kaiserloge auf, der Chor hat sich in den beiden Seiten des zweiten Ranges eingefunden. Die Koordination dieser Gruppen gelingt Leo McFall im Orchestergraben problemlos. Er animiert dazu sein blendend aufgelegtes Orchester zu einem farbigen und kraftvollen Sound mit vibratoarm intonierenden Streichern und blühenden Bläsersoli. Die Tempi nimmt er zügig und setzt die Aufführung dadurch unter Strom. Die aus dem Bachchor Wiesbaden, der Kinder- und Jugendkantorei der Evangelischen Singakademie sowie dem Extrachor des Staatstheaters zusammengesetzte Sängergemeinschaft folgt ihm mit frischem, homogenem Klang und vorbildlicher Artikulation. Haydns Lob- und Preis-Chöre entfalten so eine mitreißende Wucht.

Fabelhaft sind auch die Solisten: Hovhannes Karapetyan besitzt mit seinem volltönenden und gut fokussierten Bassbariton die unerschütterliche Autorität des Erzengels Raphael, Galina Benevich bejubelt als Erzengel Gabriel mit klarem Sopran die Schöpfung, der strahlende lyrische Tenor von Katleho Mokhoabane als Erzengel Uriel ist dazu eine ideale Ergänzung. Den Zusammenhang mit dem Bühnengeschehen stiften die Kostüme von Sabrina Bosshard durch bunte Stoffe, die an die farbigen Strukturen von Schmetterlingsflügeln angelehnt sind.

Zum Schlussbild mit Adam und Eva im Paradies wird die Bühne freigeräumt. Der Chor, nunmehr in Alltagskleidung, wird von unten heraufgefahren. Die Sänger halten Äpfel in der Hand, welche sie schließlich verzehren – eine Anspielung auf den von Haydn nicht vertonten Sündenfall. Nach der Aufführung geht es zum Komposthaufen vor dem Theater, wo die Apfelreste abgelegt werden. Dort erklingt dazu die Auftragskomposition „for you are soil“ von Arne Gieshoff, eine Klangskulptur unter Verwendung des „Chaos-Akkords“ aus der Einleitung zu Haydns Oratorium. So stellt das Produktionsteam um Franziska Angerer immer wieder Zusammenhänge zwischen Musik und dramaturgischem Überbau her und entgeht durch eine leicht ironische Grundierung der Gefahr eines Umkippens in öko-esoterischen Kitsch.

Dr. Michael Demel

„Die Schöpfung“ (1798/99) // Oratorium von Joseph Haydn, mit der anschließenden Neukomposition „for you are soil“ von Arne Gieshoff

Infos und Termine auf der Website des Staatstheaters Wiesbaden

23. Juni 2025

Ambition und Illusion

Graz Styriarte (Juni 2025)
Allegorische Wirkmacht, Tanz und Puppen für Draghis „Das verwunschene Glück“

Graz Styriarte (Juni 2025)
Allegorische Wirkmacht, Tanz und Puppen für Draghis „Das verwunschene Glück“

Weltgeschichte trifft auf Doppeljubiläum! Im Jahr 1625 begann Hans Ulrich, der erste Fürst von Eggenberg, mit dem Bau seiner Residenz in der Steiermark und sendete damit auch eine Botschaft an die Welt, die heute von Relevanz ist. Schloss Eggenberg sollte ein Gegenentwurf zum äußeren Chaos des Dreißigjährigen Kriegs sein, architektonisch raffiniert errichtet als Abbild der kosmischen Zahlen-Harmonik: 365 Fenster und 24 Prunkräume sind dort ringförmig um vier Außenflügel angeordnet.

Die 400-jährige Aura dieses Ortes, Draghis „Hochzeits-Oper“ und die sehenswerte, weil überaus kreativ gestaltete Ausstellung „Ambition & Illusion“ fügen sich in Eggenberg zum sinnlichen Gesamtpaket. Bis Anfang November nimmt die Schau in einer inspirierenden Verbindung von kostbaren Kunstwerken und fürstlichen Räumen mit neuen Medien und alter Musik die Besucher für sich ein. Als ambitioniertes Musiktheater-Projekt schmiegt sich die kunterbunte Wiederbelebung von Antonio Draghis „Gl’incantesimi disciolti“ als Auftakt in das bemerkenswert vielseitige Programm der diesjährigen Styriarte, die seit 40 Jahren in und um Graz ansprechende Kulturformate präsentiert.

Mit der Hochzeit von Kaiser Leopold I. mit Claudia Felicitas von Tirol, der man das Schloss Eggenberg als Aufenthaltsort zugefügt hatte, fand in Graz de facto Weltgeschichte statt. Draghi und Librettist Nicolò Minato (ver)packten die zuvor stattgefundenen Intrigen, die sich um die alles – nämlich den Fortbestand des Habsburger Hauses – entscheidende Brautwahl entsponnen hatten, in ihr höfisches Allegorien-Spiel. Auf breite Zustimmung dürften auch heute Verse wie diese treffen: „Monster, verschwindet, verschwindet. Gegen das Gute könnt ihr nicht siegen, wie man verkündet.“

Der mit „Aufgelöste Zaubereyen“ übersetzbare Titel der Barockoper wurde in „Das verwunschene Glück“ umgedichtet. Dazu hat Styriarte-Dramaturg Thomas Höft ein neues und deutsch gesungenes Libretto erstellt. Die musikalisch eher kontrastarme Oper ist lediglich als Particell erhalten. Daher ergänzte man die Partitur geschickt mit Werken von u.a. Biber, Rittler und Giovanni Valentini sowie einem von Michael Hell kenntnisreich komplettierten Orchestersatz. Seine Expertise für historische Aufführungspraxis macht er vom Cembalo aus samt Highlight-Flötensoli als charismatischer Leiter des Ensembles „Ārt House 17“ transparent. Elegant und klanglich differenziert begleitet das Orchester das szenische Geschehen, das sich auf einer eng bemessenen Bühnenfläche entsprechend reduziert bis zum erwartbaren Happy End entfaltet. Endlich kann sich die „Zuneigung“ mit dem „Glück“ vermählen, sind Selbstsucht, Lügen und Neid in die Schranken verwiesen.

Als Mini-Kollektiv überaus präsent und raumeinnehmend agieren die vier Tänzerinnen Mareike Franz (Choreografie), Anca Huma, Klara Beyeler und Anne-Marie Warburton. Sie kommentieren und übersetzen all die in Arien und Rezitativen verbalisierten Emotionen, Intentionen und Motivationen der allegorischen Figuren in eine leicht verständliche Körpersprache, führen schrill ausstaffierte Puppen, interagieren oder „konkurrieren“ mit den sechs Sängerinnen und Sängern um die besten Podestplätze. Angenehm im Ohr bleiben neben Tenor Julian Habermann (Die Zuneigung) insbesondere die Sopranistinnen Sophie Daneman (Die Lüge) und Johanna Rosa Falkinger als „Glück“ sowie Anna Manske mit ihrem wandlungsfähigem Mezzo, der kalten „Neid“ ebenso wie die zur finalen Ordnung rufende „Vernunft“ ausmodelliert.

Anders als bei ihrer Uraufführung im Jahr 1673 findet die Barockoper nicht als Open Air im Park, sondern im sommerlich aufgeheizten, prunkvollen Ambiente des „Planetensaals“ statt. Hier wäre vielleicht das berühmte Weniger doch Mehr gewesen, um eine unnötige visuelle Überfrachtung zu vermeiden.

Renate Baumiller-Guggenberger

„Gl’incantesimi disciolti“ („Das verwunschene Glück“) (1673) // Oper von Antonio Draghi, ergänzt mit Werken von A. Bertali, H. I. F. Biber, P. J. Rittler, J. H. Schmelzler und G. Valentini; im Orchestersatz komplettiert von Michael Hell; deutsche Fassung von Thomas Höft