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]]>Lustig sind vor allem die holzschnittartig überzeichneten Figuren und deren oft slapstickhafte Aufeinandertreffen – ein Humor, der gefallen will. Wilhelm Zentner schrieb über Nicolais Oper, sie sei zu ihrem Verständnis an keinerlei Voraussetzungen gebunden; dieses Prinzip wird hier im positivsten Sinne eingelöst.
Insbesondere musikalisch überzeugt die Aufführung: Unter GMD Domonkos Héja entfalten die Augsburger Philharmoniker ein rundes, farbenreiches Klangbild, das Nicolais Partitur fein ausleuchtet. Dass in den Rezitativen die jeweilige Muttersprache der Darstellerinnen und Darsteller erklingt, bleibt überraschend verständlich, nicht zuletzt dank starker Bühnenpräsenz. Sängerisch zeigt der Premierenabend Licht und Schatten: Sally du Randt singt technisch versiert, ohne jedoch die kecke Leichtigkeit ihrer Frau Fluth ganz zu erreichen, während Kate Allen Frau Reich ausdrucksstark gestaltet. Claudio Zazzaros Fenton klingt leider gepresst, während seine Mitstreiter Markus Hauser (Dr. Cajus) und Oliver Huttel (Junker Spärlich) komödiantische Akzente setzen. Avtandil Kaspeli zeichnet seinen Falstaff mit routinierter Bassbuffo-Energie, obgleich sich Textfehler bemerkbar machen.
Trotz allem geht das Konzept der Inszenierung, die bürgerliche Welt Windsors zu überwinden, nicht so recht auf: Gezeigt wird nicht die Auflösung oder Überwindung der bürgerlichen Normen, sondern deren Fortführung in neuer ästhetischer Form. Die schrille, überbordende Singularität Falstaffs wird von allen Bürgern in ihrem Sommernachtstraum einfach kopiert – seine Andersartigkeit wird selbst zur Norm. Scheinbare Neuerungen wie ein kurzer Kuss zwischen Frauen oder die Heirat von Dr. Cajus und Spärlich bleiben Gesten ohne Sprengkraft. Gleichzeitig bleibt das Biedermeier-Bühnenbild während der gesamten Aufführung unverrückt, sodass die Inszenierung eigentlich selbst entlarvt, dass die alte Ordnung formal intakt bleibt.
Mit Andreas Reckwitz gesagt: Falstaffs Singularität wird kopiert, die Bürger erleben scheinbare Freiheit, folgen aber in Wahrheit einer neuen impliziten Norm – Transformation ersetzt Überwindung. So wird die Inszenierung zum unfreiwilligen Spiegel jener Gesellschaft, die sie überwinden will: prächtig unterhaltend und strukturell unverändert.
Hendrik Ruhe
„Die lustigen Weiber von Windsor“ (1849) // Komisch-fantastische Oper von Otto Nicolai
Infos und Termine auf der Website des Staatstheaters Augsburg
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]]>Der Beitrag Heiligabend mit Teufelsballett erschien zuerst auf Orpheus Magazin.
]]>Der teils ukrainisch-stämmige Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski tritt seit Jahren nachdrücklich für die Kulturen seiner russisch-ukrainischen Herkunft ein – jetzt also mit der „Nacht vor Weihnachten“. Dabei ist der Vierakter kein unproblematisches Stück, weil er mehr episodenhaft als in einem geschlossenen Bogen eine provinzhaft-nette Posse umreißt: Wie der Schmied Wakula gegen Teufelsmacht letztlich doch bei der selbstverliebten Oksana landet, indem er ihr Pantöffelchen der Zarin höchstselbst als Geschenk überreicht.
Wenn sich nun final Wakula und Oksana ganz in Weiß in die Arme fallen, dann blitzt nach einem bunten Abend der Gedanke nicht nur an Scherz, Satire, Ironie auf, sondern auch an Persiflage. Barrie Kosky ist als Regisseur einmal mehr an der Staatsoper zugange, diesmal routiniert das abspulend, was mutmaßlich beim Publikumsdurchschnitt Effekt macht, insbesondere bei einer Art „Familienabend“: Komik, Clownerie, auch Klamauk. Sein Rahmen für die Inszenierung: Ein Dorfvölkchen bringt – unter der Spielleitung eines boshaften Springteufels – sich selbst auf die Bühne. Erprobt wirbelig das Ganze, und auch ein zwölfköpfiges Teufelsballett sowie ein schwer feminin wirkendes Diversitätsballett sind – ausufernd – mit von der Partie. Mal wird Can Can getanzt, mal Kasatschok. Na ja. Im abstrahierenden Schneeflocken-Bühnenbild von Klaus Grünberg ist Hauptprotagonistin gleichsam Frau Holle. Viele, viele Papierschnipsel und einige Gänsefedern schaffen winterlich-weiße Gefühle.
Rimski-Korsakows Musik tönt dazu unter der liebevollen Leitung Jurowskis blühend spätromantisch, lautmalerisch, volkstümlich, chorisch kraftvoll bis hin zur hymnischen Weihnachtsfeier. Gleichzeitig singen Elena Tsallagova als Oksana und Sergey Skorokhodov als Wakula vortrefflich; sie mit einem so substanzreichen wie beweglichen Sopran, er mit tenoralem Metall ohne Kanten und Härte. Ekaterina Semenchuk spielt Wakulas Mutter Solocha als Schlachtross, und einmal mehr beweisen Violeta Urmana (Zarin) und Sergei Leiferkus (Dorfvorsteher) langjährige Bühnenpräsenz.
Rüdiger Heinze
„Ночь перед Рождеством“ („Die Nacht vor Weihnachten“) (1895) // Ein wahres Weihnachtslied. Oper von Nikolai Rimski-Korsakow
Infos und Termine auf der Website der Bayerischen Staatsoper
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]]>Der Beitrag „mit scharf Bruda“ erschien zuerst auf Orpheus Magazin.
]]>Stattdessen gibt es (Programm-)Einführungen zu (Mozarts) „kulturellen Aneignungen“ und zum „Plot“, werden reichlich Zwiebeln geschnitten und schlichte örtliche Anbiederungen geprobt. „Ganz Neustrelitz ist in meiner Hand!“ tönt Pelim (abgezockt: Patrick Khatami), dessen Imbiss von einer Horde feiernder Fußballfans der örtlichen TSG-Kicker geentert wird – vermutlich auch eine kulturelle Aneignung, allerdings eher der platten Art. Denn über diese vermeintlich zeitgenössischen Situationsübertragungen hinaus gelingt dem Regie-Debütanten Brüggemann keinerlei stimmige Personenführung und Fortentwicklung der Handlung. Mit der Folge von Rampengestehe und unlogischen Details: Ein gesprengter Tresor lässt sich nun einmal nicht wieder verschließen …
Schade um diese verpatzte Eröffnungspremiere der Jubiläumssaison des zweitältesten Theaters der Republik: Hatte doch hier dereinst Herzog Adolf Friedrich IV. für Aufsehen gesorgt, als der Regent in der Saison 1775/76 aus der Truppe des Wanderprinzipals Peter Florenz Ilgener sein Strelitzer Hoftheater formte, das fortan ein wöchentlich wechselndes Programm von Shakespeares „Hamlet“ bis Schillers „Räuber“ präsentierte – und damit den Grundstein legte für eine bildungsbürgerliche Residenzstadt, deren Geist bis heute in dem 20.000-Einwohner-Ort fortwirkt.
Wenigstens musikalisch kann sich die Produktion durchaus hören lassen: Generalmusikdirektor Daniel Geiss hat die Neubrandenburger Philharmonie im Griff, wenn diesem Mozart auch ein wenig mehr Feinarbeit in der Artikulation und federnde rhythmische Präzision zu wünschen gewesen wäre. Die fünf Darstellerinnen und Darsteller schlagen sich trotz ihrer Rollendebüts sängerisch ordentlich (Lars Tapperts Belmonte allerdings mit mancher Ungenauigkeit in der Tongebung) bis eindrucksvoll (Yeonjoo Katharina Jang beweist als Konstanze nicht nur technische Souveränität). Zumindest ein kleiner Trost angesichts der misslungenen Döner-Regie.
Christoph Forsthoff
„Die Entführung aus dem Serail“ (1782) // Singspiel von Wolfgang Amadeus Mozart mit Dialogtexten von Axel Brüggemann
Infos und Termine auf der Website von Theater und Orchester Neubrandenburg/Neustrelitz
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]]>Der Beitrag „Aida“ auf der AIDA erschien zuerst auf Orpheus Magazin.
]]>Der modulare Theaterbau – komplett rückbaubar zur Wiederverwendung an anderen Orten – bietet mit einem Bühnenraum von 25 mal 50 Metern und einer Höhe von 18 Metern Platz für bis zu 850 Gäste. Der Holzboden erstreckt sich über die gesamte Fläche, die Obermaschinerie mit 28 Zügen über die komplette Raumlänge. Im Boden eingelassen sind ein variabler Orchestergraben und eine Schwerlast-Drehscheibe. Eine umlaufende Gerüstgalerie dient als Spielfläche und Zuschauerraum. Die flexiblen Sitztribünen bieten unterschiedliche Varianten: Guckkasten, Raumbühne und immersive Arena. Bei „Aida“ steht die Tribüne auf der Drehscheibe, die die Zuschauer um 180 Grad zu einer Spielfläche im Hintergrund bewegt.
Verdis Oper spielt auf dem gleichnamigen Kreuzfahrtschiff. Chor und Statisten bevölkern auf Liegestühlen das Sonnendeck im Bühnenraum von Sebastian Hannak. Darunter sind auch einige Zuschauerinnen und Zuschauer – man kann „Adventure-Sitze“ an der Bar und im Restaurant buchen, geführte Ortswechsel durch „Crewmitglieder“ inbegriffen.
Statt ägyptischen Pyramiden gibt es Politik an Bord (Kostüme: Mechthild Feuerstein). Heerführer Radamès (Gabriele Mangione) wird zu Wolodymyr Selenskyj, Priester Ramfis (Sebastian Pilgrim) ist Donald Trump. Als Priesterin (Daniela Vega) erleben wir Ursula von der Leyen, der ägyptische König (Ian Sidden) ist Frank-Walter Steinmeier. Aidas Vater Amonasro (Filippo Bettoschi) erinnert an Putin – inklusive filmischem Pferderitt. Aidas Rivalin Amneris, hinreißend dargestellt von Emanuela Pascu, kommt mit einem Porsche auf die Bühne gerollt. Aida arbeitet als Servicekraft auf dem Luxusschiff. Sie wird von Ilaria Alida Quilico grandios in ihrer Zerrissenheit zwischen Liebe und Loyalität dargestellt. Leinwände und Bildschirme (Videos: Konrad Kästner) untermalen jede Sekunde mit großflächigen Projektionen: Nachrichtenschnipsel, Livebilder und KI-generierte Sequenzen.
Das Staatsorchester Kassel unter Leitung von Ainārs Rubiķis überzeugt schon bei den ersten leisen Tönen und füllt den Raum auch in den kraftvollen Momenten. Gerade die Abstimmung zwischen Orchester und den überall im Raum befindlichen Solisten gelingt und schafft – je nach Sitzplatz – ungewöhnliche Gänsehautmomente. Es ist schon etwas Besonderes, wenn der sich gerade noch neben einem an der „Schiffsbar“ befindliche Mensch nicht als Zuschauer, sondern als Chorsänger entpuppt (hervorragend einstudiert von Marco Zeiser Celesti und Anne-Louise Bourbion). Fast möchte man mitsingen und mitspielen.
Der Start ist gelungen – es gibt freundlichen Applaus, einige Buhs für die Inszenierung und Jubel für die musikalische Seite des Abends.
Marcus Leitschuh
„Aida“ (1871) // Oper von Giuseppe Verdi
Infos und Termine auf der Website des Staatstheaters Kassel
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]]>Mehr Bühnenbild ist nicht, weil Regisseur Bastian Kraft das szenische Auf und Ab des Werks auf seinen psychologischen Kern abstrahiert. Allein durch Gesang und schauspielerische Aktionen entfaltet das komplett in Weiß gekleidete Ensemble auf leerer Bühne die seelischen Konstellationen dieses erotischen Beziehungsdesasters. Nur ein Eimer, gefüllt mit schwarzer Farbe, spielt eine ekelig symbolische Rolle. Wenn es emotional brenzlig wird, tauchen die Akteure ihre Hände auch mal in die dunkle Masse und eine Umarmung oder ein gewaltsamer Zugriff hinterlässt Spuren auf der weißen Kleidung. Am Schluss der Oper sind alle beschmutzt und nichts ist übrig vom anfänglich unschuldigen Weiß.
So eine fast surrealistische Reduzierung der Handlung funktioniert natürlich nur, wenn das Ensemble mit vokaler rund schauspielerischer Qualität dem theatralischen Anspruch der Mozart-Partitur entsprechen kann. Das gelingt in Hannover überzeugend. Mario Hartmuth, 1. Kapellmeister des Hauses, zaubert mit seiner inspirierenden Leitung einen Mozart hervor, der mit vielen Klangdetails überrascht. Auf der Basis einer historisch orientierten Aufführungspraxis entstehen dramaturgisch gelenkte Klangwechsel zwischen Esprit und Empfindsamkeit.
Niemand muss dabei auf der Bühne stimmlich forcieren. Matteo Guerzè gibt der Titelfigur eine aufregende Mischung aus Kaltschnäuzigkeit, spöttischer Ironie und zärtlich klingendem Liebestheater. Zugleich aber lässt er die seelische Tragik seiner Liebesunfähigkeit durchscheinen, die Mozart so tiefgründig in die Musik einwebt. Serhii Moskalchuk spielt und singt den Diener des Frauenhelden derart präsent, dass man diese Inszenierung ohne Not auch „Die Abenteuer des Leporello“ nennen könnte. Herrlich quirlig, dämlich und naiv kommen mit stimmlicher Klasse Ketevan Chuntishvili als Zerlina und Yannick Spanier als Masetto daher. Olga Jelínková als Donna Anna und Cassandra Doyle als Donna Elvira sind virtuos singende Damen, bestimmt von Rachsucht, Bereitschaft zum Verzeihen und schließlich tödlicher Wut auf den ewigen Betrüger Don Giovanni. Ihnen gesellt sich mit herrlichem Tenor SeungJick Kim als Don Ottavio zur Seite.
Zum Schluss fährt Matteo Guerzè nochmal zu dramatischer Hochform auf, wenn er sich der Reueforderung des steinernen Komturs (sonor: Daniel Eggert) widersetzt. Währenddessen klappt die weiße Wand unentrinnbar zu Boden und macht im wahrsten Sinne des Wortes Don Giovanni platt. Ob alle am Schluss eine Antwort auf die Menetekel an der Wand gefunden haben, bleibt verborgen. Der Jubel aber ist gewaltig und langanhaltend.
Claus-Ulrich Heinke
„Il dissoluto punito ossia Il Don Giovanni“ ( 1787) / Dramma giocoso von Wolfgang Amadeus Mozart
Infos und Termine auf der Website der Staatsoper Hannover
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]]>Komödiendichter und Komponisten komischer Opern setzen auf das Prinzip Lachen: ein menschliches Bedürfnis und zumeist Ausdruck von Freude – worüber man lacht, das ist komisch. Allerdings besitzen Menschen sehr unterschiedlichen Humor. Die Abweichung von einer Norm wirkt komisch, ebenso die Diskrepanz zwischen dem Anspruch eines Menschen und dem nicht vorhandenen Vermögen, diesem zu entsprechen. Lachen grenzt auch aus: Die Lachenden bilden eine Gruppe, zu der sie oder er, über die gelacht wird, nicht gehört. So gesehen ist Lachen ein (a)sozialer Vorgang. Ändern sich Normen, ändert sich das Lachen. Werden Erwartungen nicht erfüllt, kann auf eine Situation nicht adäquat reagiert werden – auch das reizt zum Lachen oder sogar zu bösartigem Spott. Das Lachen kann provoziert, aber nicht immer gelenkt werden, denn es ist irrational, willkürlich und anarchisch. Das ist ein Problem für die Theaterkunst: Sie kann mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Komik anstreben, aber ob diese entsteht und angenommen wird, ist keinesfalls sicher.
In komischen Opern basiert die Wirkung auf dem Libretto und dessen musikalischer Umsetzung und Ausdeutung sowie auf dem Spiel der Akteure und ihrem Timing; hinzu kommen Regieeinfälle. Komische Opern sind aber mehr als nur die Abfolge heiterer Szenen und das Auftreten lustiger Personen. Es gibt Momente auch der Besinnung, der lyrischen Reflexion oder sogar der Trauer, bis sich alles positiv löst, jedenfalls für die meisten Beteiligten. Einige Verlierer bleiben immer zurück, die gute Miene zum für sie bösen Spiel machen müssen.
Charaktermasken und Singspiele
Die Geschichte des heiteren Musiktheaters begann im frühen 17. Jahrhundert in Rom und Venedig als Opera buffa. Ihre Komponisten nutzten die Typen und Charaktermasken der Commedia dell’arte und adaptierten die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten der Opera seria, die sie auch persiflierten. Einer der wichtigsten und heute noch bekannten Vertreter war Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736) mit seiner Oper „La serva padrona“. In Frankreich entwickelte sich als Pendant zur Opera buffa die Opéra comique, allerdings mit dem Unterschied, dass in gesprochenen Dialogen die Handlung vorangetrieben wurde und nicht wie in der Buffa in Rezitativen. Beide Formen inspirierten deutsche Komponisten wie Johann Adam Hiller mit z.B. „Der Teufel ist los oder Die verwandelten Weiber“ (1766) oder Georg Benda mit „Der Jahrmarkt oder Lukas und Bärbchen“ (1775), eigene Singspiele zu schaffen. Viele dieser Singspiele waren jedoch textlich und musikalisch simpler als ihre Vorbilder aus Italien und Frankreich, weshalb kein Geringerer als Johann Wolfgang Goethe das Niveau heben wollte.
Dann kam Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“, uraufgeführt am 16. Juli 1782 in Wien – und setzte damit Standards, die fortan galten, an denen die Nachfolger sich messen mussten und gemessen wurden. Das Singspiel hatte sich in seiner einfachen Form überlebt, die weitere Entwicklung vollzog sich in Richtung der komischen oder auch phantastischen Oper wie bei Louis Spohr mit „Faust“ (1816) oder Carl Maria von Webers „Freischütz“ (1821).
Drei Karrieren, eine Generation
Mit Albert Lortzing (1801-1851), Otto Nicolai (1810-1849) und Friedrich von Flotow (1812-1883) traten drei Komponisten aus einer Generation hervor, die bis heute als Hauptvertreter der komischen Oper in Deutschland gelten. Ihre Werke wurden jahrzehntelang viel gespielt, waren Kassenmagneten, unterhielten Generationen von Zuschauerinnen und Zuschauern, bereiteten ihnen Hörgenuss und brachten sie zum Lachen. Jahrzehnte später kam noch der Deutsch-Italiener Ermanno Wolf-Ferrari (1876-1948) hinzu (u.a. mit „Die neugierigen Frauen“). Natürlich gab es weitere Komponisten heiterer Bühnenwerke wie Hermann Goetz mit „Der Widerspenstigen Zähmung“ (1874) oder Hugo Wolf mit dem „Corregidor“ (1896), doch die drei zuerst Genannten prägten das Genre.

Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und verschiedenen Lebensläufen schufen sie Opern mit etlichen Gemeinsamkeiten, die hier nur grob skizziert werden können. Alle drei orientierten sich an Mozart, an der Opera buffa und Opéra comique. Die Gesangsmelodik ist bei Lortzing entsprechend dem sozialen Stand der Figuren lied- oder arienhaft, hat in den kunstvollen Ensembles Konversationscharakter. Bei Nicolai, der einige Jahre in Italien lebte und wirkte, sind die Gesänge dem Belcanto, der Opera buffa und der Opera seria verpflichtet und sehr virtuos. Flotow verband liedhaften mit ariosem Ausdruck, versah die Abschlüsse mit Spitzentönen, Trillern und Koloraturen, vergleichbar mit Nicolai, der als deutscher Donizetti galt.
Die Mehrzahl der Opern von Lortzing, Nicolai und Flotow – es gibt allerdings Ausnahmen wie Lortzings „Regina“ oder Nicolais „Il templario“ – sind Liebesgeschichten, mit Nebenhandlungen verknüpft. Sie bilden eine Mischung aus interessanten Bühnenfiguren, die oft mehr als Typen sind, effektvollen Situationen und viel Gefühl bis hin zur Sentimentalität. Es gibt auch Momente der Besinnung, des Erschreckens und der Verunsicherung.
Gemeinsam ist den Opern der drei Komponisten das Prinzip der Nummerndramaturgie. Aber während Lortzing und Nicolai Arien, Duette, Ensembles und Chorszenen mit Ballett mit gesprochenen Dialogen wie in der Opéra comique und im Singspiel verbanden, in ihnen die Handlung entwickelten, nutzte Flotow Rezitative wie in der Opera buffa. Er teilte nicht die Meinung von Lortzing und Nicolai, dass die deutsche Sprache nicht flexibel genug für Rezitative sei.
Die Auswahl der zu vertonenden Geschichten nahmen Lortzing, Nicolai und Flotow jeweils anders vor. Für Lortzing erschienen Schauspiele, die ihre Bühnentauglichkeit bewiesen hatten, aber vom Publikum wieder vergessen worden waren, am geeignetsten, vor allem wenn sie Rollen hatten, die „selbst von geringen Theatersubjekten nicht totzumachen“ wären. Viele dieser Stücke hatte er als Darsteller kennengelernt und erprobt. Nicolai besaß einen ausgezeichneten literarischen Geschmack, seinen „Lustigen Weibern“ lag die gleichnamige Komödie von William Shakespeare zugrunde, seiner Seria „Il templario“ der Roman „Ivanhoe“ von Walter Scott. Flotow verwendete am Anfang seiner Karriere Libretti, die bereits andere Komponisten vertont und damit ihre Tauglichkeit bewiesen hatten wie „Pierre et Cathrine“, zuvor von Adolphe Adam musikalisiert. Später bevorzugte er Originallibretti wie zu „Alessandro Stradella“ und „Martha“, die Friedrich Wilhelm Riese verfasst hatte.
In der Orchesterarbeit orientierten sich Lortzing, Nicolai und Flotow an Mozart, aber auch an Joseph Haydn. Lortzing und Flotow nahmen dazu Anregungen aus der Opéra comique auf. Nicolai weilte, wie bereits angemerkt, mehrere Jahre in Italien und galt dort neben Giuseppe Verdi als aufgehender Stern am Opernhimmel. Er verfügte über eine instrumentale Kunst, die ihn von den meisten anderen Opernkomponisten abhob.
Assoziationen zum Heute
So viel zu den artifiziellen Merkmalen und Vorzügen der komischen Opern aus Deutschland. Aber was können sie Interpreten und Publikum heute noch bieten? Diese Frage beantwortet sich vielleicht am besten, wenn einige konzeptionelle Ansätze für Inszenierungen zumindest angedeutet werden.
In Otto Nicolais „Lustigen Weibern von Windsor“ versucht der Schmarotzer Falstaff, Frau Fluth und Frau Reich sexuell und finanziell auszubeuten. Doch die Frauen wissen sich zu wehren, schlagen zurück und das mit List und Humor: eine Emanzipation von patriarchalischen Machtstrukturen, von denen sich auch Anna und Fenton befreien.

Lortzings „Waffenschmied“ inszenierte einst Peter Konwitschny in Leipzig als Gleichnis auf den Machtkompromiss zwischen Adel und Großbürgertum in Deutschland nach 1871. In „Zar und Zimmermann“ wird der Machtanspruch von Politikern mit dem Bürgermeister van Bett kritisiert und parodiert. Zar Peter spioniert, sein Namensvetter Peter Iwanow flüchtete vor dem Militärdienst in Russland. Da drängen sich Assoziationen zum Heute geradezu auf. Im „Wildschütz“ muss das junge Gretchen den älteren Schulmeister Baculus heiraten, um ihren Lebensunterhalt abzusichern. Baculus selbst ist arm, wildert deshalb und wird als Lehrer gekündigt. Es ist auch die Geschichte zweier Menschen in einer prekären Situation im Kontrast zu den Liebes-Wehwehchen von Adligen.
In Flotows „Alessandro Stradella“ wird die Titelfigur, ein historisch verbürgter Musiker und Komponist, von zwei Mördern verfolgt, die von ihrem Tötungsauftrag absehen, weil Stradellas Musik und Gesang sie berührt und umstimmt. Ist das nicht eine schöne Utopie über die Stärke von Kunst? In „Martha“ scheint für Lady Harriet nur harte Landarbeit noch ein Nervenkitzel zu sein, um die Langeweile aus einem privilegierten Leben zu vertreiben: ein Spiel mit Herkunft und gesellschaftlichen Rollen.
Und das musikalische Lustspiel „Die vier Grobiane“ von Ermanno Wolf-Ferrari? Die Geschichte handelt von vier armseligen Männern mit überholten Ansichten über Moral und Familie, die am Ende die Überlegenheit ihrer Frauen anerkennen müssen. Überhaupt sind es in vielen komischen Opern die Frauen, die klüger als ihre Männer sind, die die Fäden in den Händen halten und darauf hinarbeiten, dass vernünftige Lösungen gefunden werden für Konflikte, die keinesfalls nur aus Eitelkeiten, Missverständnissen und privaten Unglücken entstehen. Auch soziale Unterschiede liegen ihnen zugrunde, die kritisch behandelt werden.
Damit sind nur einige mögliche Ansätze für Interpretationen skizziert. Aktualisiert werden könnten die gesprochenen Dialoge, ebenso die Optik und die Ausdrucksformen des Spiels. Und noch ein Aspekt spricht für komische Opern: Sie verlangen die hohe Kunst des Zusammenspiels und Zusammensingens, das Eingehen auf die Bühnenpartnerinnen und -partner. Das kann erlernt und verfeinert werden.
Verkannt oder vergessen?
Die bei Regisseurinnen und Regisseuren so bevorzugten Darstellungen des Lebens als nur desaströs oder als düstere Dystopie sind mit den Opern von Lortzing, Nicolai, Flotow, Wolf-Ferrari und Co. wohl nicht ohne weiteres möglich. Liegt es vielleicht daran, dass die Bühnenwerke der Genannten nur noch selten – wenn überhaupt – zu sehen und zu hören sind? Unterschätzt man sie als biedermeierlich und daher belanglos? Hat man vergessen, dass Humor oft subversiv und doppelbödig ist? Oder ist das Vorurteil, Komik sei nur Unterhaltung, immer noch präsent? Es kann aber auch viel simpler sein, ist zu befürchten: Regisseure, Dirigenten und Dramaturgen kennen diese komischen Opern vielleicht auch einfach schlicht nicht mehr.

Der Blick in die Spielpläne der Theater zeigt, dass die einst viel gespielten Opern fast völlig fehlen. In der Saison 2023/24 z.B. wurde Nicolais Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ immerhin in Dresden (Staatsoperette), München, Wien und Wuppertal aufgeführt. Flotows „Martha“ konnte man in Frankfurt am Main erleben, Lortzings „Wildschütz“ und „Hans Sachs“ in Gera und in Leipzig. In der aktuellen Spielzeit, in die drei Jubiläen fallen – Lortzings 225. Geburtstag und 175. Todestag sowie Wolf-Ferraris 150. Geburtstag – gibt es noch weniger Inszenierungen. In Dresden und Augsburg sind Nicolais „Weiber“ angesetzt. Einzig die Oper und die Musikalische Komödie Leipzig gedenken mit einer Festwoche Lortzing, der hier einst seine wohl besten Lebensjahre verbrachte. Mit dem „Waffenschmied“, „Zar und Zimmermann“ und den selten gespielten Opern „Undine“ und „Regina“ werden im Frühjahr 2026 exemplarische Beispiele aus seinem Opernschaffen zu sehen sein.
Die Programm-Verantwortlichen sollten sich besinnen auf die Opern der Altmeister des Komischen, die nur scheinbar Patina angesetzt haben, die mit Humor, Ironie, Hintersinn, kritischem Blick und einprägsam-mitreißender Musik überzeugen. Sie halten den Menschen auch heute noch einen Spiegel vor, denn so sehr änderten sich diese nicht. Und wenn der Blick nicht erfreut, dann sei an Gotthold Ephraim Lessing erinnert, der darauf verwies, dass das Lachen wie ein Dragee wirke, welches die bittere Medizin der Selbsterkenntnis süß umhüllt.
Lortzing 26
Festival der Oper Leipzig
24. April bis 3. Mai 2026
u.a. mit Premieren von „Der Waffenschmied“ und „Regina“, Wiederaufnahmen von „Undine“ und „Zar und Zimmermann“ sowie dem Symposium „Das Verhältnis von Heiterkeit und Ernst in der Oper des 19. Jahrhunderts“
lortzing.oper-leipzig.de
Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe November/Dezember 2025
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]]>Verschmiertes Blut, klirrende Ketten und ein gezücktes Messer gibt es zwar auch diesmal – aber gut dosiert und als Metaphern für eine eher psychologische Innenschau jenes Königs, der dem Gott Neptun in schwerer See leichtfertig ein Menschenopfer verspricht, wenn er gerettet würde. Dass der dafür ausersehene erste Mensch, dem er begegnet, sein eigener Sohn Idamante ist, verleiht dieser Oper des 25-jährigen Mozarts ihre tragische Dimension. Es ist selbst da zwar schon seine zwölfte Oper, aber die erste von den im engeren Sinne großen. Schon wegen des musikalischen Drives, der weit über die Seria-Enge hinausweist.
Für ihre Bühne hat Anna-Sofia Kirsch bewegliche transparente Mauerwinkel gebaut. Mit diesen lassen sich auf offener Szene leicht verschiedene Raumsituationen simulieren, ohne dabei die eher psychologisierende Konstellation zu verlassen, bei der vor allem Idomeneo mit sich in Dauerfehde liegt. Wenn die Protagonisten in der Klemme stecken, imaginieren diese Wände beklemmende Enge. Wenn dem Staat eine Katastrophe durch ein Ungeheuer droht, rasselt ein riesiges Netz voller Kanister mit Getöse vor den Füßen des angstverschreckten Volks hernieder. Beim zentralen Quartett beklagen sie nicht nur alle die Misere, in der sie stecken, sondern versuchen sich auf unterschiedliche Art umzubringen – was ihnen natürlich nicht gelingt.
Die Kostüme von Paula Klein behaupten ungefähre Gegenwart. Der Aktenkoffer, den Idomeneo nach seiner Rettung immer dabei hat, offenbart spät, auch für die Zuschauer, sein Geheimnis. Die Innenseite ist ein Spiegel – der Besitzer dieses Koffers ist vor allem mit der Selbsterforschung befasst. So erklingt die Deus-ex-machina-Stimme von Zdeněk Plech, die ihn am Ende in Pension schickt und Idamante und Ilia die Macht übergibt, aus dem Graben, aber Idomeneo bewegt die Lippen dazu, als käme sie aus ihm. Auch eine Möglichkeit, ohne die Götter auszukommen.
Konrad Junghänel setzt mit dem Orchester der Staatsoper lustvoll auf die vorwärtstreibende Dynamik dieser Musik, wobei ihm das Protagonisten-Ensemble willig dabei folgt. Mit seiner Erscheinung, vor allem aber mit dem kraftvoll markanten Timbre seiner Stimme rückt Evan LeRoy Johnson tatsächlich Idomeneo auch vokal ins Zentrum. Ohne sich optisch als Mann zu verkaufen, ist Rebecka Wallroth jener Idamante und Jekatěrina Krovatěva die von ihm geliebte Ilia. Petra Alvarez Šimková steigert sich imponierend klar und kraftvoll in die Verzweiflung der bei Idamante chancenlosen und hier recht isolierten Elettra hinein. Wenn die Produktion in Brüssel herauskommt, mag es andere musikalische Akzente geben. Die kluge Inszenierung bietet dafür Raum.
Dr. Joachim Lange
„Idomeneo“ (1781) // Dramma per musica von Wolfgang Amadeus Mozart
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]]>Düster ist es auf jeden Fall. In Doderers von einem dunklen, vollen Orchesterklang geprägter Komposition schwebt von Anfang an eine Melancholie und Hoffnungslosigkeit mit, die anderen Figaro-Opern fehlt, wobei die Musik trotz Eduardo Brownes gekonntem Dirigat bisweilen in den Hintergrund rutscht. Turrinis Libretto ist härter, direkter als seine Vorlage, die zahlreichen sexuellen Anspielungen sind deutlich näher an der Oberfläche, ohne unangenehm zu werden.
Das war’s dann aber schon mit Innovation. „Der tollste Tag“ ist schlicht eine Nacherzählung von Beaumarchais’ Komödie, bis Figaro den Grafen tötet, als dieser Susanne vergewaltigen will. Danach könnte es noch richtig spannend werden, aber die Oper ist vorbei. Bazillus, der von Juan Carlos Falcón wunderbar schmierig gestaltete Hofintrigant, ruft noch müde die Revolution aus, die aber wohl auch keine Hoffnung hat, Figaro und Susanne fliehen. Mord ist also auch keine Lösung.
Susanne, noch bei Mozart mit die aktivste Figur, bleibt in „Der tollste Tag“ sehr auf die Opferrolle beschränkt. Bezeichnend, dass Regisseur Josef E. Köpplinger im Programmheft-Interview kaum ein Wort über sie verliert. Auch die Gräfin begehrt eher, als dass sie handelt. Das mag Absicht sein, Stichwort: Unterdrückung, überzeugt aber nicht – schade, sind die beiden Figuren mit Anna-Katharina Tonauer und Réka Kristóf doch exquisit besetzt! Handeln und Verhandeln darf vor allem Figaro, den Daniel Gutmann mit kernigem Bariton zum Leben erweckt. Den Grafen Almaviva singt Daniel Schliewa mit imposantem Heldentenor, Anna Agathonos ist souverän als Marcelline und Cherubin hier eine Sprechrolle. Paul Clementi gelingt es, die Figur jugendlich und gleichzeitig fast so unangenehm-übergriffig wie den Grafen zu spielen.
Intendant Köpplinger bringt die Hoffnungslosigkeit der Neuerzählung gemeinsam mit Ricarda Regina Ludigkeit gewohnt detailverliebt auf die Bühne. In den Fokus rückt er vor allem das körperliche Begehren der Figuren. Mehr als einmal befinden sich Darstellende in mindestens zweideutigen Positionen, im Mittelpunkt von Heiko Pfützners Bühnenbild steht ein schmutziges Bettgestell und der Graf absolviert seinen ersten Auftritt im ultraknappen Lederstring – anders als die Perücke des von Timos Sirlantzis überragend dargestellten Don Guzman di Stibizia mit eingebautem Safe kein Glanzstück der Kostümbildnerin Birte Wallbaum.
Die Frage, warum die Figaro-Geschichte unbedingt neu erzählt werden muss, bleibt unbeantwortet.
Adele Bernhard
„Der tollste Tag“ (2025) // Oper von Johanna Doderer (Musik) und Peter Turrini (Libretto)
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]]>Die Geschichte um den Schweizer Hotelierssohn Bumerli, der in serbischer Uniform zwischen die Fronten gerät, packt Regisseur und Bühnenbildner Marcus Ganser in zwei poppige Buchdeckel, dazwischen comichafte Schwarz-Weiß-Videoprojektionen: ein stimmiges Gesamtkonzept. Den Kontrapunkt bilden die stilisierten, auf keine Epoche festgelegten, knallbunten und leicht karikaturesk angelegten Kostüme (Anna-Sophie Lienbacher). Einem Seiltänzer gleich schlängelt sich Gansers Regie so durch ein Meisterwerk der Gattung und trifft den ironischen Grad zwischen romantischer Heldenverklärung und subversivem Humor fast immer genau. Hie und da schießt er einen Millimeter übers Ziel hinaus, etwa dann, wenn Nadina den „Held ihrer Träume“ vor einer projizierten, monumentalen Heldenstatue und rotem Hintergrund besingen muss.
Dabei erweist sich Ganser in den Dialogen als feinsinniger Könner, der es versteht, seinem bestens zusammengestellten Ensemble auch das letzte Körnchen Ironie zu entlocken – ganz unprätentiös. Dem Comic-Konzept konsequent folgend stehen echte, schnörkellose Typen auf der Bühne, die Straus’ Operette selbst zum Star machen. Während es am Premierenabend im ersten Akt noch etwas Anlauf braucht, schnurrt die Szene ab dem zweiten in perfektem Timing ab, verführt, reißt mit und verfängt vor allem mit jener leisen Komik, die zwischen den Zeilen steht.
Die erstklassige Solistenriege macht es möglich. Lena Stöckelles Nadina ist etwas zu sehr brave Tochter denn stolze Bulgarin, weiß aber nach der Pause vollauf zu überzeugen. Martin Mairinger als Bumerli weiß jene sympathisch-freche Unverschämtheit und Schlitzohrigkeit, die es für die Rolle braucht, köstlich auszuspielen. Und Lukas Johan macht aus seiner Partie ein Kabinettstück, indem er jenen Grad Ernsthaftigkeit trifft, der den aufschneiderischen Alexius schließlich komisch wirken lässt. Jasmin Bilek als Mascha gestaltet das für sie eingelegte Solo zu einer Musterstunde in Sachen Couplet-Gesang; da tritt auch die unnötige Ballett-Umrandung in Superheldinnen-Kostümen ganz in den Hintergrund. Georg Kusztrich erweist sich als großer Charakterkomiker allererster Güte, sein Popoff ist ein Ereignis: herzerfüllt, dann wieder militaristisch autoritär – bei ihm stimmt jeder Ton, jede noch so kleine Geste.
Das Kammerorchester Ybbsfeld, dynamisch nicht immer ganz sängerfreundlich, aber in der Lautstärke wohltuend zurückgenommen, musiziert einen sensiblen, transparenten, witzigen Oscar Straus. Da capo!
Daniel Hirschel
„Der Schokoladensoldat“ (Originaltitel: „Der tapfere Soldat“) (1908) // Operette von Oscar Straus
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]]>Als Kontrast zur heutigen Kleidung kommt der Chor im letzten Akt in bunter Karnevals-Maskerade (Kostüme: Lena Weikhard). Das Leben draußen, nach dem Tod, geht eben weiter. Drinnen wird alles bestimmt von der Krankheit Violettas. Gleich zu Anfang, während der Ouvertüre, ist sie in ihrem weißen Gitterbett zu sehen: als Hinweis auf ihre tödliche Krankheit, die Schwindsucht. Ihr Aufbegehren gegen ihr unentrinnbares Schicksal zieht sich durch die ganze Oper – so jung will sie nicht sterben.
Das fein aufspielende Philharmonische Orchester Würzburg beginnt luzid, lässt sich oft viel Zeit, breitet auch untergründig Düsteres aus neben aufmunternd spritzigen Momenten, steigert, wo nötig, mit Verve. Dass diese innerlich packende, melancholisch stimmende Tragödie so überzeugend und menschlich ergreifend über die Bühne geht, liegt auch an den Sängerinnen und Sängern, vor allem aber an der Darstellung der Violetta durch die Georgierin Sophie Gordeladze. Ihr klarer, reiner, unaufdringlich virtuoser Sopran verfügt über eine strahlende Höhe und eine schimmernde Kopfstimme, drückt alle Facetten von hinschmelzender Liebe bis zu innerer Verzweiflung wunderbar aus, gestaltet die Arien mit locker eingebundenen Koloraturen. Alfredo wird von Juraj Hollý bestens als impulsiver Liebhaber verkörpert; sein fülliger, wohlklingender Tenor steigert sich immer mehr bis zum schönen Schlussduett. Als Salonlöwin Flora gefällt Vero Miller mit glamouröser Ausstrahlung und kraftvoll glänzender Stimme. Barbara Schöller gibt sicher singend eine besorgte Annina, Leo Hyunho Kim als Vater Germont, ein bärtiger, würdevoller alter Mann, gestaltet mit seinem vollen Bariton den bürgerlichen Patron überzeugend. Der Chor, lebendig eingebunden ins Geschehen, singt wohltuend abgestuft mit rundem, weichem Klang.
Renate Freyeisen
„La traviata“ (1853) // Oper von Giuseppe Verdi
Infos und Termine auf der Website des Mainfranken Theaters Würzburg
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