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Bayerisches Staatsorchester

Wie realistisch ist real?

München / Bayerische Staatsoper (Oktober 2021)
Kirill Serebrennikov inszeniert Schostakowitschs Frühwerk „Die Nase“

München / Bayerische Staatsoper (Oktober 2021)
Kirill Serebrennikov inszeniert Schostakowitschs Frühwerk „Die Nase“

Sekt und Häppchen sucht man in Serge Dornys Einstandspremiere mangels Pause vergebens. Den „großen Brocken“ gibt es trotzdem – direkt von der Bühne, mit fulminanter Wucht und beklemmender Intensität, musikalisch auf höchstem Niveau. Dmitri Schostakowitschs Oper „Die Nase“ – das Werk eines 22-Jährigen – wurde bereits kurz nach der Uraufführung 1930 in Leningrad Opfer politischen Drucks. Dass für die Erstaufführung an der Bayerischen Staatsoper – in Koproduktion mit der Novaya Opera Moskau – Regisseur Kirill Serebrennikov aus dem politischen Hausarrest per Videoschalte agiert, verleiht dieser Inszenierung ganz besondere Brisanz. Die absurde Novelle Nikolai Gogols (1836) erzählt von einer Welt, in der Realität und Fiktion in Traumlogik koexistieren. Serebrennikovs beklemmende Szenerie des kalten Petersburger Winters, immer höher werdender Schneeberge, von Räumfahrzeugen mit grellen Scheinwerfern, Schlagstöcken und Absperrgittern zeigt deutliche Bezüge zu Putins Russland – grellbunte Neon-Folklore auf grau-trister Bühne inklusive. Einer, der es wissen muss, setzt auf düstere Bilder und macht die Nase zum sozialen Status: Je mehr Nasen eine Person im Gesicht trägt, desto angesehener ist sie. Die per se dadaistischen Absurditäten der Oper in Form, Sprache und Intention sowie eine Umkehr der Wirkungsweisen von Text und Musik macht sich Serebrennikovs Regie zu eigen. Er teilt die Welt in Täter und Opfer und zeichnet das groteske Bild einer spießigen und korrupten Gesellschaft in Polizeiuniform, in der sich der kleine Beamte Platon Kusmič Kovaljov nicht mehr zurechtfindet, weil ihm seine Nase abhandenkam und nun als Staatsrat ein Eigenleben führt. Die Angst vor dem Anderssein, die Angst vor Strafe und die Vermischung von Absurdität und Realismus bis hin zum grenzenlosen Denken sind die geistigen Pfeiler der Inszenierung. Wenn am Ende die Nase zwar zurückkehrt ins Gesicht des Besitzers, dieser sich trotzdem in trostloser Plattenbau-Umgebung dem Alkohol hingibt und selbst das letzte Zeichen der Hoffnung – ein roter Luftballon in der Hand eines Kindes – mit lautem Knall zerplatzt, ist das vielleicht auch ein Statement des inhaftierten Regisseurs zur Zukunft Russlands.

Dem Bayerischen Staatsorchester in quasi Kammermusikbesetzung steht ein monumentaler Gesangs-Solistenapparat von 58 Rollen gegenüber. Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski – mit dem Repertoire bestens vertraut – erweckt Schostakowitschs Komposition in allen Facetten zum Leben. Die Zwanglosigkeit im Umgang mit Logik, aber auch eine gewisse Trostlosigkeit wird in der Musik spürbar. Grandios besetzt: die vielen Solistenpartien, allen voran Boris Pinkhasovich als Kovaljov und Doris Soffel als alte Dame. Serge Dorny hätte einen entspannteren Einstieg in seine Intendanz wählen können – aber im Jahr 2021 kaum einen passenderen. München setzt also auf Musik-Theater. Man darf gespannt sein.

Iris Steiner

„Nos“ („Die Nase“) (1930) // Oper von Dmitri D. Schostakowitsch

Infos und Termine auf der Website des Theaters

Mediales Allerlei um Nichts

München / Bayerische Staatsoper (April 2021)
Wolf-Ferraris „Il segreto di Susanna“ kehrt an seinen Uraufführungsort zurück

München / Bayerische Staatsoper (April 2021)
Wolf-Ferraris „Il segreto di Susanna“ kehrt an seinen Uraufführungsort zurück

Zehn Jahre nach der Uraufführung am 4. Dezember 1909 im damaligen Noch-Hof-, dem heutigen Nationaltheater war es letztlich inhaltlich, weil gesellschaftlich vorbei: Der neue Frauen-Typ des „Flappers“ durchtanzte die „Roaring Twenties“ – und rauchte natürlich, privat wie öffentlich. Dennoch war das fast in eine Ehekatastrophe mündende „Geheimnis“, das heimliche Rauchen Susannas, erfolgreiche Opernnostalgie noch bis in die siebziger Jahre.

Grundsätzlich ist es erfreulich, wenn die Bayerische Staatsoper ihre Geschichte reflektiert. Denn über die Uraufführung hinaus pflegte Ermanno Wolf-Ferrari enge Beziehungen zu München und Bayern – und außerdem passt der 45-minütige Einakter für zwei Sänger und einen stummen Diener perfekt in den Pandemie-Spielplan der „Montagsstücke“ als Lebenszeichen: Wir produzieren und spielen dennoch für unser Publikum!

Ebenso „dennoch“ wird Regisseur Axel Ranisch klar gewesen sein, dass das Werk inhaltlich „total out“ ist. Also hat er es multimedial aufgeblasen. Der Diener Sante führt die Zuschauerkamera zum offenen Spielpodest mit etlichen Möbeln auf der großen Bühne des Nationaltheaters (Ausstattung: Katarina Ravlic und Christian Blank). Dort ist auch das relativ große Bayerische Staatsorchester postiert: mit dem Rücken zum schwach erleuchteten leeren Zuschauerraum. Sante beginnt das nur noch albern wirkende Spiel zu inszenieren: Misstrauen von Graf Gil; Gräfin Susannas Verschleierung ihrer Tabak-Einkaufsgänge; Nebenbuhler-Eifersucht und Rauch-Schnuppern des neurotischen Hausherrn; Rauchen Susannas mit Sante; Ertapptwerden; Versöhnung und Bekehrung des Grafen zum Rauchen; das alles in heutigen Kostümen … Da hilft nur „Aufwand“: Regisseur Ranisch „doubelt“ die Handlung durch visuelle Film-Verlegung in eine Edelvilla in München-Nymphenburg, wo die Sänger stumm agieren mussten, während Gesang und Orchester von der Live-Aufführung im Theater kommen. Szenenwechsel hin und her und dann auch noch Überblendungen. Doch für überzeugendes Stumm-Film-Agieren in Nahaufnahme hätte Ranisch über ein paar Probenwochen und die Sensibilität eines Christof Loy für Personenregie verfügen müssen. Das war beides nicht gegeben, also: Aufwand und Aktionismus.

Dem Nachlesen nach hat 1958 Peter Ebert in Glyndebourne die stumme Dienerrolle zu einem umjubelten Kabinettstück geformt. Ranisch macht aus dem beleibten Heiko Pinkowski nicht nur einen wenig überzeugenden Regisseur, sondern auch noch den wenig „gustiösen“ Lover von Graf wie Gräfin mit einem Ende als „Ménage à trois“ – ach, wie zeitgemäß chic! Oder: ein nettes Nichts verschlimmbessert!

Ein wenig Trost aus der Musik: Dirigent Yoel Gamzou macht etliches der kleinen Preziosen und Raffinessen von Wolff-Ferraris Partitur hörbar, anderes geht in der Bilderflut einfach als Soundtrack unter. Selene Zanetti und Michael Nagy singen sehr gut, trotz Produktion dauernder E-Zigaretten-Rauchwolken. Insgesamt passt Shakespeares „Much Ado … um Nichts“.

Wolf-Dieter Peter

„Il segreto di Susanna“ („Susannens Geheimnis“) (1909) // Intermezzo von Ermanno Wolf-Ferrari

Die Inszenierung ist als Video-on-Demand ab 28. April 2021, 19 Uhr für 30 Tage auf Staatsoper.TV abrufbar, ein 24-Stunden-Ticket kostet 9,90 Euro.

Ein sonderbar Ding …

München / Bayerische Staatsoper (März 2021)
Barrie Kosky inszeniert den „Rosenkavalier“

München / Bayerische Staatsoper (März 2021)
Barrie Kosky inszeniert den „Rosenkavalier“

Um in München eine uralte „Rosenkavalier“-Inszenierung mit Kultstatus von Otto Schenk zu ersetzen, braucht es nicht nur Mut, sondern auch einen ambitionierten und perfektionistischen Regie-Könner wie Barrie Kosky. Dazu das Bayerische Staatsorchester, das auch in pandemiebedingt auf 43 Köpfe reduzierter Stärke in der Instrumentierung von Eberhard Kloke und unter der Leitung des designierten Generalmusikdirektors Vladimir Jurowski einen kammermusikalisch transparenten Klang beisteuert. Vor allem aber braucht es eine vokale Deluxe-Besetzung, die das Schmuckstück von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal 110 Jahre nach der Dresdner Uraufführung so zum Leuchten bringt, dass einem selbst vor dem Bildschirm noch der Atem wegbleibt. Allesamt nutzen diesen speziellen Strauss-Klang durchweg für ein Fest der Stimmen.

Das gilt zuerst für die drei Damen an der Spitze des Ensembles, allen voran die durchweg intelligent gefühlvolle und hochsouveräne Marlis Petersen mit ihrem Marschallinen-Debüt. Samantha Hankey hebt sich mit ihrem androgynen Octavian vokal dagegen ab und Katharina Konradi vervollständigt mit betörend jugendlicher Klarheit dieses berühmte Damen-Terzett. Wenn sich diese drei zusammenfinden, ist das eine vokale Sternstunde. Passend dazu ist Christof Fischesser ein Ochs von vitaler Prägnanz und Johannes Martin Kränzle der souveräne Faninal. Weil auch die übrigen Rollen durch die Bank vorzüglich besetzt sind, ist ein musikalisches Glanzstück zu vermelden.

Für seine Inszenierung spielt Kosky metaphorisch mit der Zeit, „dem sonderbar Ding“, und überblendet damit einen Perspektivenwechsel. Im ersten Akt nimmt er die der Marschallin ein, im zweiten die von Sophie. Der dritte Akt wird zu einer Inszenierung von Octavian. Im düsteren Schlafzimmer der Marschallin ist nur der Auftritt des Sängers ein Barockglanzlicht. In der übervollen Gemäldegalerie bei Faninals wird das Auftauchen der silbernen Prunkkutsche samt Octavian und Silberrose zum Coup. Den dritten Aufzug verlegt Kosky vom Vorstadtbeisl in ein Vorstadttheater. Hier inszeniert Octavian den Ochs aus dem Stück, um dann gemeinsam mit Sophie wortwörtlich gen Himmel zu entschweben. Als optischer Running Gag geistert ein halbnackter gealterter Cupido durchs Stück und bricht am Ende den Zeiger aus der großen Standuhr, auf deren Pendel sich auch die Marschallin einmal sinnig schaukelt. Kosky setzt in seiner Inszenierung auf die Nahaufnahmen seiner Protagonisten – und hat dabei die richtigen Verbündeten. Dieses ganz besondere, zauberhafte Als-ob-Wien aus der Zeit Maria Theresias als Ganzes bleibt da beinahe auf der Strecke und so vor allem eine klingende Erinnerung.

Roberto Becker

„Der Rosenkavalier“ (1911) // Komödie für Musik von Richard Strauss in einer Bearbeitung von Eberhard Kloke

Die Inszenierung ist als Video-on-Demand bis 19. April 2021 kostenfrei über die Website des Theaters verfügbar.