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Braunschweig

Auf dem Weg zum großen Kino

Braunschweig / Staatstheater Braunschweig (Juni 2021)
Toshio Hosokawas Oper „Hanjo“ filmisch realisiert

Braunschweig / Staatstheater Braunschweig (Juni 2021)
Toshio Hosokawas Oper „Hanjo“ filmisch realisiert

Das Staatstheater Braunschweig wartet mit dem 2004 uraufgeführten Opern-Psychothriller „Hanjo“ des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa beinahe im Kintopp-Format auf. Der auf des Messers Schneide balancierende Dramentext Yukio Mishimas und das von Hosokawa ins Japanische übersetzte Musikidiom der europäischen Nachkriegsavantgarde bieten treffliche Voraussetzungen. Isabel Ostermanns Regie lässt offen, was im Dreipersonen-Einakter Realität, was Projektion, Traum oder gar Wahn ist. Gut möglich, dass sie unmerklich ineinander übergehen oder gar erhebliche Schnittmengen bilden. Die seit geraumer Zeit des Geliebten harrende Hanako jedenfalls erklärt auf all diesen Ebenen das Warten zum Seinszustand. Der sie darin bestärkenden Malerin Honda gelingt daher, die junge Frau in Abhängigkeit von sich zu halten. Selbst das Auftauchen des lang ersehnten Liebhabers ändert nichts daran. Ausstatter Stephan von Wedel siedelt das Geschehen in einem Mietshaus an, dessen Querschnitt in der Totale erst einmal wenig Filmisches, sondern ein portalfüllendes Bühnenbild präsentiert. Geht es dann aber in Malerin Hondas stylisches Appartement, von dem eine Wendeltreppe in Hanakos Kombination aus Kerker und Jungmädchenzimmer hinabführt, rückt Ismail Khudidas Kamera den Figuren beklemmend nahe auf den Leib und zu Gesicht. Kontrastiv dazu blickt Khudida den Figuren immer wieder über die Schulter und zeigt die Gesichter geradezu symbolisch im verlorenen Profil. Ebenso augen- wie ohrenfällig tritt die stückimmanente Verschiebung von Wirklichkeit und Wahrnehmung zutage, wenn Bild und Ton auseinanderdriften, indem Lippenbewegungen und Gesang die Synchronität entzogen wird.

Auch musikalisch überzeugt die Produktion. Bezwingend arbeitet Alexis Agrafiotis mit dem Staatsorchester Braunschweig die filmmusikalischen Qualitäten der Partitur so heraus, dass das Blut in den Adern zu gefrieren droht. Darstellerisch und vokal erfüllt Jelena Banković die Seele der Titelfigur randvoll mit zuweilen kantabel überbordendem Warten. Milda Tubelytė verleiht der im Inneren brodelnden Honda äußere Fassung und Kühle samt scharsinnig-intellektuellem Raffinement. Auf sanglich eleganter Linie bewegt Maximilian Krummen den chancenlosen Liebhaber Yoshio. So sehr für die Zukunft auf Produktionen vor dann wieder physisch anwesendem Publikum zu hoffen ist: Das Staatstheater Braunschweig hat mit „Hanjo“ einen Weg der Synthese von Musiktheater und Film gefunden. Nun herrscht Spannung auf künftige Rückkopplungseffekte für die Bühne.

Michael Kaminski

„Hanjo“ (2004) // Oper von Toshio Hosokawa

Die Inszenierung ist als Stream bis 4. Januar 2022 über die Website des Theaters verfügbar („pay as you wish“).

Grausam-poetisches Märchen

Braunschweig / Staatstheater Braunschweig (März 2021)
Dvořáks „Rusalka“ als Außenseiterin zweier Welten

Braunschweig / Staatstheater Braunschweig (März 2021)
Dvořáks „Rusalka“ als Außenseiterin zweier Welten

Keine Frage, Dvořáks vorletzte Oper eignet sich schon der tief existentiellen Einsamkeit der Titelfigur halber für die Produktion unter Covid-19-Bedingungen. Wie Regisseur Dirk Schmeding am Staatstheater Braunschweig mit der Sehnsucht der Nixe nach menschlicher Empfindung und Liebe umgeht, das beglaubigt gerade unter Einhaltung der Distanz das Unerfüllte und für das Wasserwesen auch Unerfüllbare solchen Wünschens. Schmeding bietet besonders für Rusalka selbst berückende Intensität auf. Etwa, wenn Ježibaba ihr den Fischschwanz chirurgisch auftrennt und wie eine Haut abzieht, gleichsam des Wasserwesens Beine befreit, dieses aber erst lernen muss, mit ihnen – ganz wörtlich verstanden – umzugehen. Der Prinz begegnet der Nixe, als sie ihm unter die Räder seines Autos gerät. Bevor er sich ihr zuwendet, prüft er im Seitenspiegel, ob seine Frisur sitzt. Die fremde Fürstin tritt aus einem wie an einem amerikanischen Highway aufgestellten Filmplakat mit ihrem Konterfei, die ganze Erscheinung eine Projektion des Prinzen und wohl auch Rusalkas. Alles dies überzeugt, weil Schmeding das Märchenhafte des Sujets nicht antastet. Er darf sich daher getrost dessen Entromantisierung leisten. Kaum, dass sie den Prinzen final geküsst hat, erstickt die ins Reich der Untoten exilierte Wasserfrau ihn unter einer Plastikfolie. Märchen sind halt oft weniger romantisch als grausam. Ralf Käselau baut dafür eine Bühne am Rande der menschlichen Zivilisation. Melancholie beherrscht die Szene. Der Nixenteich droht auszutrocknen, während Ježibaba munter die keineswegs wassersparende Waschmaschine bedient. Der hilflos um den Zusammenhalt seiner Welt besorgte Wassermann haust im Abflussrohr. Poetisch geheimnisvoll liegt die Uferlandschaft und schimmert die Wasseroberfläche in nächtlichem Schein, wenn die Titelfigur als Irrlicht umherschweift und den Prinzen zu Tode küsst. Julia Rösler streicht die Figuren kostümlich prägnant heraus. Rusalka in farblosem Weiß, ein Wesen, dem immer etwas fehlt, ob nun die menschliche Seele oder die Fähigkeit zu sprechen. Die fremde Fürstin als Hollywood-Diva im fünfziger Jahre Badedress. Den Prinzen als Edelhippie. Den Wassermann im zerschlissenen Honoratiorenfrack, der nicht einmal mehr für die Altkleidersammlung taugt.

Ebenso gewinnend wie die szenische ist die musikalische Seite dieser Produktion. Georg Menskes lässt den aus dem Off eingespielten Chor des Staatstheaters das Bühnengeschehen effektsicher untermalen. Srba Dinić bedient sich mit dem Braunschweiger Staatsorchester Marián Lejavas Fassung für einen reduzierten Klangkörper. Anfänglich wagnert es nach Kräften, bald aber erlangt Dvořáks slawisches Musikidiom die Oberhand. Trefflich wissen Dinić und sein Orchester die Substanz und Fülle der Partitur trotz Covid-bedingter Einschränkungen zu wahren. Julie Adams geht die Titelpartie eher jugendlich-dramatisch als lyrisch an, entfaltet dabei aber außerordentliche Leucht- und Strahlkraft. Den Prinzen lässt Kwonsoo Jeon machtvoll und in seinen besten Augenblicken auch voller Schmelz auftrumpfen. Es ist ihm ein wenig mehr sängerische Ökonomie zu wünschen. Edna Prochnik verleiht Ježibaba vokale Durchtriebenheit. Die Fremde Fürstin stattet Ekaterina Kudryavtseva mit sinnlichem Flair aus. Beherzt stellt sich Jisang Ryu den stimmlichen Anforderungen des Wassermanns. 

Michael Kaminski

„Rusalka“ (1901) // Lyrisches Märchen von Antonín Dvořák

Die Inszenierung ist als Stream bis zum 4. April 2021 über die Website des Theaters verfügbar.