Eigentlich war für das Große Haus „Evita“ geplant. Corona-bedingt und Freiluftbühnen-kompatibel hat Chemnitz dann aber mit dem Broadway-Klassiker „Hair“ auf der Küchwaldbühne die Spielzeit eröffnet. Weil man bei der ursprünglich für „Evita“ gecasteten Musicalcrew farbige Darsteller „vergessen“ hatte, gab es einen Entrüstungssturm im Social-Media-Wasserglas. Es folgte eine Korrektur im Nachhinein und alles in allem ein respektabler Publikumserfolg zum Auftakt. „Hair“ ist längst ein Kassen-treffsicherer Klassiker. Es ist das rebellische „Make love, not war“ der 68er-Revolte in eine Folge von unverwüstlichen Hits übersetzt. Den Zeitgeist so auf den Punkt zu bringen wie hier bei Gerome Ragni, James Rado und Galt MacDermot, gelingt nicht oft. Heute hat das natürlich etwas Nostalgisches. Den ästhetisch und politisch revoluzzernden Hippielook von einst hat Sebastian Ellrich stilisiert nachempfunden. Elegantes Weiß zum knackigen Sixpack, viel Klunkern und Klimbim auch für die Männer. Bühnenbildner Sam Madwar hat für jeden Darsteller eine eigene Box auf der Bühne platziert – ein Setzkasten, den jeder von hinten kapern und der sich in der Mitte teilen kann. Das funktioniert fabelhaft für die Nummernrevue, die Regisseur Thomas Winter und sein Choreograph Jerome Knols mit leichter Hand pragmatisch auf die Bedingungen dieser Waldbühne zugeschnitten haben. Das Team modernisiert dezent stilisiert, verlässt sich aber vor allem auf die Überzeugungskraft der Songs und das Charisma der 14-köpfigen Crew.

Die im Hintergrund platzierte, vom Chemnitzer Kapellmeister Jakob Brenner geleitete sechsköpfige Band (Keyboard, Reed, Gitarren und Drums) liefert den Sound für die Songs, die es bei den wegen Corona auf 300 begrenzten Zuschauern natürlich nicht schwer haben. Und so schnurrt das Ganze in kurzweiligen 90 Minuten reibungslos ab. Ohne aufgesetzte Aktualisierung, aber doch mit dem Kriegstrauma im Zentrum. Einberufungsbefehle verbrennen war schon damals keine Lösung. So wenig wie blinde Wut gegen Polizeigewalt, Rassismus oder Trump.

Die Sehnsucht nach einer besseren Welt freilich ist noch heute ungebrochen. Und sei es im Zeichen des „aquarius“, des Wassermanns … „Hair“ erzählt von Menschen einer Generation, die gegen die Verhältnisse aufbegehren, die sie zu ersticken drohen. Die vom Militär in die Realität zurückgeholt werden, aber bei ihrer Botschaft von Liebe und Toleranz bleiben. Dieses Musical ist ihr Denkmal. In Chemnitz hat man bei allem Ernst vor allem seine Freude dran. An Tempo und Maß von Musik und Tanz. Und daran, wie jeder seine Chance bekommt, sich zu produzieren. Umständehalber ohne den ganz großen Ausstattungspomp. Dafür voll auf den Sound, die Hippies und ihr Sexappeal konzentriert. Im Moment ist das allerhand.

Joachim Lange

„Hair“ (1967) // Galt MacDermot