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Klaus Billand

Spritziger Rossini

Las Palmas de Gran Canaria / Ópera Las Palmas (April 2021)
„La Cenerentola“ in fantasievoll-farbigem Gewand

Las Palmas de Gran Canaria / Ópera Las Palmas (April 2021)
„La Cenerentola“ in fantasievoll-farbigem Gewand

Nach klassischen Inszenierungen von Verdis „Il trovatore“ und Cileas „Adriana Lecouvreur” setzen die Amigos Canarios de la Ópera ihre 54. Saison mit Eigenproduktionen der italienischen Oper erfolgreich fort. Diesmal ist es Gioachino Rossini, der mit seiner „Cenerentola“ im wunderschönen, altehrwürdigen Opernhaus von Las Palmas zu Ehren kommt, dem Teatro Pérez Galdós. Das Haus wurde zunächst als Teatro Tirso de Molina 1890 eröffnet, brannte aber 1918 fast vollständig ab. Zehn Jahre später wurde es mit „Aida“ wiederöffnet. Nach Erweiterungs- und Verschönerungsarbeiten von 2004 bis 2007 erstrahlt es heute als das theatrale Kleinod der Kanaren. Die Akustik ist exzellent.

Dazu passt auf nahezu perfekte Weise eine Neuinszenierung der „Cenerentola“ durch Raúl Vázquez, dem einzigen Nicht-„Canarino“ im Regieteam, in den relativ einfachen, aber Stimmung schaffenden Bühnenbildern von Carlos Santos und der Beleuchtung von Iban Negrín sowie mit den Kostümen von Claudio Martín. Die ersten Szenen finden in der Hausbibliothek von Don Magnifico statt. Mit den Büchern haben die beiden Schwestern Tisbe und Clorinda zwar wenig im Sinn, aber sowohl Cristina del Barrio mit ihrem Rollendebüt als Tisbe wie auch Sofía Esparza als Clorinda lassen klangvolle und äußerst wortdeutliche Stimmen erklingen. Ihre Halbschwester Angelina (Cenerentola), Victoria Yarovaya, natürlich mit dem Abstauben der Regale befasst, steht ihnen mit einem ausdrucksvollen und geschmeidigen Mezzo nicht nach, mit dem sie später auch noch gute Koloraturen hören lässt.

Vázquez steuert eine exzellente Personenregie bei, gestaltet die Figuren sehr lebhaft und damit im Einklang mit den Noten Rossinis. Dazu agieren sie immer mit der passenden Mimik. Das trifft auch auf den vor Energie sprühenden Don Magnifico zu, aus dem Misha Kiria mit viel Komödiantik und einem gut geführten Bariton eine Charakterstudie macht.

Im zweiten Akt schlägt die Stunde des wahrlich erstklassigen Tenors Xabier Anduaga, der wie Yarovaya, Kiria und Fernando Campero (Dandini mit gutem Bass) von den Kanarischen Inseln stammt. Hier singen also offenbar nicht nur die Vögel gut. Es ist schon beachtlich, welches Sängerpotenzial die Inselgruppe hat. Anduaga singt Don Ramiro mit tenoraler Brillanz bei einem dunklen Unterton, was den stimmlichen Ausdruck verstärkt. Hinzukommen blendende Höhen, die an einen Juan Diego Flórez erinnern, ja vielleicht noch etwas dramatischer sind. Er spielt auch sehr nobel. Isaac Galán rundet als guter Alidoro das exzellente Ensemble ab. Im modernen Kabinett von Ramiro hat Bühnenbildner Santos einen langen Steg nach hinten installiert, sodass die Bühne tief genutzt wird. Auf schrägen Seitenwänden erscheinen situationsbezogen fantasievolle Lichtbilder. Der Farbenreichtum der Bilder und Kostüme passt zur Lebhaftigkeit der Inszenierung.

Der Coro de Amigos Canarios de la Ópera liegt in den kompetenten Händen von Olga Santana. Der junge Lorenzo Passerini gibt dem Ganzen mit dem Orquesta Filarmónica de Gran Canaria die stimmige Rossinianische Note.

Klaus Billand

„La Cenerentola ossia La bontà in trionfo“ (1817) // Dramma giocoso von Gioachino Rossini

Große Opernemotion in nostalgischer Ästhetik

Las Palmas de Gran Canaria / Ópera Las Palmas (März 2021)
Wacklige Personenregie in Cileas „Adriana Lecouvreur“

Las Palmas de Gran Canaria / Ópera Las Palmas (März 2021)
Wacklige Personenregie in Cileas „Adriana Lecouvreur“

Nach der klassischen Interpretation von Verdis „Il trovatore“ im Februar setzten die Amigos Canarios de la Ópera nun ihre 54. Opernsaison mit Francesco Cileas „Adriana Lecouvreur“ fort. Das Publikum war wieder mit Begeisterung bei der Sache und wusste offenbar zu schätzen, dass in Spanien die Häuser eine normale Temporada mit entsprechenden Hygienekonzepten spielen, während man nördlich der Pyrenäen weiterhin auf völlige Abschottung setzt. Und es gab mal eine Zeit im vergangenen Jahrhundert, wo man bisweilen hören musste, dass Europa erst an eben diesen Pyrenäen begänne …

Regisseur Giulio Ciabatti wählte mit seinem Bühnenbildner Carlos Santos und dem Kostümbildner Claudio Martín ein nostalgisch-klassisches Regiekonzept. Er siedelte das ganze pausenlos in knapp zwei Stunden gespielte Stück in der Garderobe der Starsängerin der Comédie-Française an, deren berühmteste Sängerin die Lecouvreur ja einst war. Bei nur wenigen einfachen Requisiten setzte der Regisseur im Wesentlichen auf das audiovisuell-technische Design von Iban Negrín. Dieser schuf ihm szenenbezogene und teilweise durchaus eindrucksvolle Bühnenhintergründe, die Einblicke in ein Opernhaus oder auf farbintensive Bühnenvorhänge insinuierten.

Während die kaum alternierenden Bühnenbilder auch die Tatsache widerspiegelten, dass das Auditorio Alfredo Kraus ein Konzertsaal und kein Opernhaus ist, so hätte eine etwas intensivere Personenregie der Dramatik des Geschehens gutgetan, die ja in diesem Klassiker Cileas durchaus beachtlich ist. Allzu oft schienen die Sänger sich selbst überlassen, standen reglos an der Rampe. Sie machten aber immer wieder das Beste aus der jeweiligen Situation, allen voran María José Siri in der Titelrolle der Adriana. Sie war in der Tat nicht nur in ihrer Rolle als Primadonna, sondern auch im Auditorio der Star des Abends – mit einem klangschönen, fülligen und ausdrucksvollen Sopran sowie der gekonnten Gestik der Primadonna, bis diese schließlich einer ebenso überzeugenden ihres nahenden Endes wich. Schon die berühmte Auftrittsarie „Ecco: respiro appena …“ war ein absoluter Höhepunkt mit lang gehaltenem Finalton und beeindruckenden Piani wie Höhen. Das Publikum jubelte mit vielfachem Brava! Sergio Escobar konnte als Maurizio zwar mit einem kraftvollen und stabilen Tenor bei guten Höhen mithalten, darstellerisch blieb er aber zu steif und uncharismatisch. Silvia Tro Santafé gab die Principessa di Boullion mit einem farbigen Mezzo und guter Mimik, jedoch nicht ganz der emotionalen Durchschlagskraft ihrer Kontrahentin entsprechend. Eine sehr gute stimmliche Leistung bot Youngjun Park als Michonnet. Ferner sind noch In Sung Sim als Principe di Boullion und Francisco Corujo als Abbé de Chazeuil zu nennen.

Francesco Ivan Ciampa dirigierte das Orquesta Filarmónica de Gran Canaria und auch den Coro de Amigos Canarios de la Ópera mit einem hohen Maß an Detailverliebtheit, die jedoch den Spannungsfaden den ganzen Abend über gespannt hielt. Vor allem musikalisch ein Erlebnis!

Klaus Billand

„Adriana Lecouvreur“ (1902) // Oper von Francesco Cilea

Buffo-Oper in US-amerikanischem Musical-Kleid

Santa Cruz de Tenerife / Ópera de Tenerife (März 2021)
Cimarosas „Il matrimonio segreto“ überquert den Atlantik

Santa Cruz de Tenerife / Ópera de Tenerife (März 2021)
Cimarosas „Il matrimonio segreto“ überquert den Atlantik

Auf die Idee muss man erst mal kommen: eine Oper, die immerhin 54. (!) des italienischen Komponisten und Buffo-Spezialisten Domenico Cimarosa, die an der Hofoper Wien 1792 unter Beisein von Kaiser Leopold II. ihre Uraufführung erlebte, in den Kontext des US-amerikanischen und äußerst erfolgreichen Musicalfilms „Singin’ in the Rain“ von 1952 zu stellen. Das Dramma giocoso kommt im mondänen Auditorio Adán Martín von Santa Cruz auf unorthodoxe und unterhaltsame Weise daher. Roberto Catalano verlegt die Handlung kurzerhand in die Qualitäts-Konditorei Geronimo & Co. ins Manhattan der 1950er Jahre. Im Bühnenbild von Emanuele Sinisi sind Miniaturen des Empire State und des Chrysler Buildings zu erkennen. Die rosa gestylten Kostüme des Personals schuf Ilaria Ariemme. Hier produziert der Napolitaner Geronimo edle Spezialitäten aus seiner Heimat und hat es schon zu etwas gebracht. Allein, das reicht ihm nicht, er möchte über die Verheiratung seiner Tochter Elisetta mit einem Grafen auf der Gesellschaftspyramide noch etwas höher steigen. Da der tatsächlich eintreffende Graf sich aber sofort in die andere Tochter Carolina verliebt, kommt es zu grotesk-komischen Verwicklungen, die bisweilen an Mozarts „Le nozze di Figaro“ erinnern. Denn Carolina hat heimlich den Laufburschen Paolino geheiratet und träumt mit ihm bereits von Auftritten am Broadway …

Es beginnt mit Gene Kelly, Regisseur des Filmmusicals 1952, der als einer der Hauptdarsteller alias Don Lockwood den weltberühmten Tanz zum Schlager von 1929, „Singin’ in the Rain“, im Film vollführte. Er sitzt zu Beginn der Cimarosa-Oper auf der Bühne, mutiert dann zu einer alten Frau, die die ganze Zeit unerkannt mit ihrem Hündchen herumwandelt, bis er am Ende, als alle ein wahres Happy End feiern, den berühmten Sprung mit Regenschirm auf die Laterne macht.

Mit einer feinen Personenregie bei ausgefeilter Mimik aller sowie Fiammetta Baldiserris stets stimmungsbetonender Lichtregie wirken junge Sänger aus Italien, Frankreich, der Türkei und Chile. Das Opernstudio von Teneriffa unter Leitung von Giulio Zappa wählte sie aus 195 Bewerbern aus. Giulia Mazzola überzeugt als Carolina mit einem klangvoll-leuchtenden Sopran und starkem Ausdruck am meisten. Francesco Leone ist ein ebenso souveräner Geronimo mit prägnantem Bass. Ramiro Maturana kann mit seinem Bariton stimmlich auf hohem Niveau mithalten, welches für alle drei bereits den Weg zu Mozart weist. Eleonora Nota ist als Elisetta stimmlich etwas leichter, was jedoch ihrer exzentrischen Rolle entgegenkommt. Claire Gascoin lässt einen guten Mezzo hören und Bekir Serbest fügt sich tenoral bestens in dieses gute Ensemble ein. Davide Levi dirigiert das musikalisch dichte und immer wieder an Mozart erinnernde Werk, das allen Solisten interessante Arien gewährt, mit viel Verve und ausgezeichneter Sängerführung. Das Symphonische Orchester von Teneriffa spielt engagiert mit. Die Produktion geht nun mit zwei Besetzungen an das Teatro Regio di Parma und an das Teatro Massimo di Palermo.

Klaus Billand

„Il matrimonio segreto“ („Die heimliche Ehe“) (1792) // Dramma giocoso von Domenico Cimarosa

Dramatische Opernromantik

Madrid / Teatro Real (März 2021)
Bellinis „Norma“ in dualer Deutung

Madrid / Teatro Real (März 2021)
Bellinis „Norma“ in dualer Deutung

In Spanien begegnet man der Corona-Krise mit Ruhe, Phantasie und einem gut ausgearbeiteten Hygienekonzept – und füllt so das Teatro Real mit 65 Prozent der Gesamtkapazität. Das Madrider Publikum weiß die Kulturpolitik der Regierung unter schwierigen Bedingungen zu schätzen und dankt mit einer ausverkauften Premiere von Vincenzo Bellinis „Norma“. Ein Blick von Berlin, Paris und Wien könnte sich lohnen …

Der australische Regisseur Justin Way sieht eine interessante Parallele zwischen dem Stoff der „Norma“ und dem politischen Geschehen in Norditalien zur Zeit ihrer Uraufführung an der Mailänder Scala 1831. Nach der Niederlage Napoleons war Norditalien unter habsburgische Herrschaft gekommen, was dort die ersten nationalistischen Bewegungen provozierte. So lässt Way das Stück in einem alten italienischen Theater spielen, in dem die Kompagnie gerade „Norma“ probt. Dem Publikum zweigt sich auf diese Weise eine Dualität Primadonna/Norma, Habsburger/Römer und Chor/italienische Patrioten. Dabei hält Way auch eine romantische Ästhetik für geeignet, ein derzeit wichtiges Thema anzusprechen: Soll sich ein Volk gegen seine Besatzer auflehnen oder nicht? Charles Edwards kreiert dazu ein Theater im Theater, mit einem mehrrangigen Zuschauerblock an einer Seite, aus dem die Habsburger dem Treiben der urwüchsigen Gallier bisweilen zusehen, und einer altmodisch-romantischen Ausstattung aus der Theaterpraxis jener Zeit sowie den entsprechenden Kostümen von Sue Willmington. Nicolás Fischtel beleuchtet das Ganze mit dem warmen unfokussierten Licht jener Zeit. In diesem Spannungsfeld findet mit guter Personenregie der für beide unlösbare heimliche Konflikt zwischen Norma als Druidenpriesterin und Pollione als habsburgischem Besatzer statt. Am Schluss gehen sie gemeinsam in das in Flammen aufgehende Theater – ein Finale wie in Wagners „Götterdämmerung“. Auf der anderen Seite versteht es Way aber auch, die dem traditionellen Frauenverständnis zu jener Zeit weit vorauseilende Persönlichkeit Normas glaubhaft darzustellen. Sie ist nicht nur bedeutende Druidenpriesterin und Sprecherin der Götter, sondern auch Liebhaberin, Mutter, verlassende Gattin, Freundin, Richterin, aber auch Ausführende sowie Opfer zeremonieller Praxis. Damit war Norma zu ihrer Zeit schon eine moderne Frau, stark und ebenso wagemutig wie aktiv im Treffen von Entscheidungen.

Das bildet sich auch im Gesang der meisten Protagonisten ab, der nicht unbedingt mit den Prinzipien des Belcanto zu vereinbaren ist, der gerade mit der „Norma“ große Blüte erreichte. Yolanda Auyanet betont mit einem kräftigen und charaktervollen Sopran die Intensität der Emotionen der Titelpartie, bisweilen bis an ihre stimmlichen Grenzen stoßend. Clémentine Margaine als Adalgisa überzeugt mit einem klangvollen und variationsreichen Mezzo, allerdings nicht immer verständlich. Michael Spyres wirkt als Pollione etwas steif, kann aber mit seinem kräftigen, wenn auch nicht glänzenden Tenor gut mithalten. Roberto Tagliavinis Bass fehlt der für Belcanto wünschenswerte Balsam. Marco Armiliato am Pult des Orquesta Titular del Teatro Real sorgt nicht immer für die Feinheiten und die Dynamik der Musik Bellinis und betont immer wieder auch die dramatischen Momente. Der von Andrés Maspero geleitete Chor des Teatro Real singt mit Maske ausgezeichnet und wird von Jo Meredith auch effektvoll choreografiert.

Klaus Billand

„Norma“ (1831) // Tragedia lirica von Vincenzo Bellini

Kompendium der neu(er)en Musik

Oswald Panagl: „Im Zeichen der Moderne. Musiktheater zwischen Fin de Siècle und Avantgarde“

Oswald Panagl: „Im Zeichen der Moderne. Musiktheater zwischen Fin de Siècle und Avantgarde“

Der Österreicher Oswald Panagl, Jahrgang 1939, großer Opernfreund mit abgeschlossener Gesangsausbildung und Linguist, ist seit Jahrzehnten eine sichere Adresse für ultimative Kenntnis und profunde Einsichten zum Thema Musiktheater. Als emeritierter Professor für allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität Salzburg ist er auch Essayist und Präsident der Internationalen Richard-Strauss-Gesellschaft. Er blickt auf einen umfangreichen Schatz von Monografien und Essays zurück.

Diejenigen, die sich mit der jüngeren Geschichte des Musiktheaters befassen, hat er zu einem hochinteressanten Kompendium zusammengestellt und in ebenso relevante wie aufhellende musikgeschichtliche Zusammenhänge gebracht. Er wollte sich mit einer „Epoche der neu(er)en Musik mit ihren Strömungen, nationalen Varietäten und wichtigen Repräsentanten der einzelnen Sektoren und Stilrichtungen“ befassen und geht dabei von einer „langen“ ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus, die von einem großzügig definierten Fin de Siècle bis zur Avantgarde der frühen 1950er Jahre reicht.

Zunächst geht Panagl auf die Definitionsproblematik dessen ein, was man unter „Moderne“ verstehen kann. Von einfachen Termini und Begriffen mit neuer Referenz und „moderner“ Konnotation stößt er schließlich auf die Erkenntnis, dass letzte Klarheit unmöglich ist. So möge man sich mit einem bekannten Spruch von Jürgen Habermas begnügen: „Die Moderne – ein unvollendetes Projekt.“

Zum Thema „Traum in der Oper“ stellt er mit Werken von Debussy, Korngold und Martinů ein kunstkritisches Szenario der Jahrhundertwende vor, das sich den Themen Symbolismus, Dekadenz, Nervenkunst, Traum und Wirklichkeit widmet – eine für jene Zeit bedeutsame Tendenz im „modernen“ Musiktheater. Auf der Suche nach einer griffigen Formel für diese disparaten Momente kommt er auf einen Dramentitel aus dem 19. Jahrhundert: „Der Traum ein Leben“. Genau mit diesem Titel hat Walter Braunfels 1937 eine Oper komponiert.

Vor dem zentralen Block mit Werken deutsch(sprachig)er Tondichter beginnt Panagl mit Giacomo Puccini wegen des innovativen Moments seiner Opern. „La bohème“ ist mittlerweile vom „Leitfossil des Nachmittagsabonnements“ zu einer Herausforderung für Regisseure geworden. „Tosca“ liegt im Spannungsfeld musikdramatischer Gattungen, und in „Turandot“ sieht er ein neues Verhältnis der zwei Säulen der „conditio humana“: Der emotionale Weg von erlittenem Tod führt zu neu erwachter Liebe! Für den ohnehin von Natur aus Getriebenen und Avantgardisten Ferruccio Busoni war das realistische Theater ein ästhetisches Ärgernis. Er gab in seinem „Doktor Faust“ entsprechende Antworten.

Natürlich ist bei Oswald Panagl der Richard-Strauss-Teil der größte. Das Geheimnis der Liebe und des Todes in „Salome“ ist ein weiteres Beispiel der „Décadence“ um die Jahrhundertwende. Die „Modernität“ der Musiksprache der „Elektra“ zeichnet sich durch „psychische Polyphonie“ aus. In „Ariadne auf Naxos“ erscheinen die so gegensätzlichen Ariadne und Zerbinetta als in Wahrheit unterschiedliche Facetten des weiblichen Wesens („Zerbiadne“ bzw. „Arietta“), damit in eine neue Wahrnehmungsrichtung weisend. Diese ungewöhnliche Oper ergibt auch quasi ein neues Genre! Bei der „Ägyptischen Helena“ fragt er, ob es sich um ein unterschätztes Meisterwerk oder ein missratenes Sorgenkind handelt. Im „Rosenkavalier“ stehen Beziehungsmuster und Sprachspiele im Gesamtkunstwerk im Vordergrund. Zu „Intermezzo“, bei dem die Liebe zur Autobiographie überwiegt, stellt Panagl die Frage, ob das Werk ein Nachfahre bürgerlicher Musikkultur oder Vorhut der Avantgarde sei. Bei „Arabella“ steht im Raum, ob es ein „Sklerosenkavalier“ oder szenische Realutopie ist …

In Hans Pfitzner sieht der Autor einen spätromantischen Grübler, einen Unzeitgemäßen an der Epochenschwelle, was auch in der Rolle des Palestrina zum Ausdruck kommt. Auch bei Pfitzner ist der Traum ein zentrales Element seines Œuvres. In einem großen „erratischen Block“ aus Mähren zu Leoš Janáček sieht der Autor besonders auf „Menschliches, Allzumenschliches“ und die großen Frauenrollen, die das Schaffen dieses Komponisten kennzeichnen, sowie auf den für ihn so typischen Sprachmelos.

Es folgt Interessantes zum modernen Musiktheater aus „Ost-Europa“ und zum literarischen Symbolismus sowie der impressionistischen Tonsprache von Claude Debussy. Kurt Weill und Benjamin Britten folgen mit einer Analyse zum „Lied der Straße und den Farben des Meeres“ als imaginäre Orte und zeitkritische Chiffre.

Das Buch ist ein kaum enden wollender Fundus an oft unbekannten und interessanten Fakten und Einsichten. Gleichzeitig ist es ein umfassendes Nachschlagewerk zu einer bis in die Praxis des heutigen Musiktheaters wirkenden Epoche.

Klaus Billand

INFOS ZUM BUCH

Oswald Panagl: „Im Zeichen der Moderne. Musiktheater zwischen Fin de Siècle und Avantgarde“
422 Seiten, Hollitzer

Musikalische Blumensträuße

Melody Louledjian (Sopran) und Antoine Palloc (Piano): „Fleurs“

Melody Louledjian (Sopran) und Antoine Palloc (Piano): „Fleurs“

Mit gleich zwei Rezensionen zur Neuerscheinung „Fleurs“ sehnen wir uns den Frühling im wahrsten Sinne des Wortes „doppelt“ herbei …

Bis die ersten Blumen wachsen, kann es noch ein bisschen dauern. Doch es gibt Vorboten, die man sich ins Haus holen kann: beispielsweise das musikalische Bouquet aus Blüten und Pflanzen, das die Sopranistin Melody Louledjian und der Pianist Antoine Palloc auf ihrer gerade erschienenen CD „Fleurs“ zusammengestellt haben. Im Zentrum steht der Zyklus „Les Chantefleurs“ von Jean Wiener (1896-1982), einem der bekanntesten französischen Filmkomponisten mit Ausflügen ins klassische Fach. „Les Chantefleurs“ umfasst 50 Miniaturen, die alle nur etwa eine Minute lang dauern. Doch welchen Charme und vielfältigen Duft versprühen diese Petitessen! Da ist der jazzige Klatschmohn oder die in eine sanfte Melodie gehüllte Rose; die Pfingstrose hat den Blues, die Butterblume kommt direkt aus dem Cabaret, der Jasmin aus Spanien und die Tulpe präsentiert sich pfiffig als Operetten-Couplet. Als Ergänzung gibt es Darius Milhauds siebenteilige Blumenbeschreibungen „Catalogue de fleurs“ und einige Einzellieder mit dem populären Chanson „L’Âme des roses“ zum Abschluss. Melody Louledjian singt alle Nummern ganz exquisit, mit quellklarer Stimme, feinsten Abstufungen und einer gewissen Nonchalance. Die Klavierbegleitung quer durch den Garten der Formen und Stile steuert Antoine Palloc kongenial bei. Wie liebevoll das Album gestaltet ist, zeigt sich auch am Booklet, das zahlreiche farbige Pflanzenzeichnungen schmücken. Insofern ist „Fleurs“ ein vokal-visueller Genuss, der die Wartezeit auf den Frühling wohltuend überbrückt.

Karin Coper


Melody – gibt es einen schöneren Namen für eine Sängerin? Er bewirkt mit seiner Assoziation zur Musik und der sich aus ihr entwickelnden emotionalen Harmonie unmittelbar positive Gefühle. Passend dazu scheint der Titel ihrer CD gewählt, die sie – einfühlsam begleitet von Antoine Palloc – im vergangenen Jahr veröffentlichte.

Der Rezensent erlebte Melody erstmals bei ihren Auftritten als Charlotte in Kreneks „Der Diktator“ und in Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“, die im Dezember 2019 im Auditorio Adán Martín von Santa Cruz de Tenerife aufgeführt wurden. Schon damals beeindruckte die junge Künstlerin mit einem feinen Sopran bei hervorragender Diktion, technisch perfekt geführt und vielfältig in seiner emotionalen Facettierung. Rollen wie die Violetta in „La traviata“ und die Titelpartie in „Lucia di Lammermoor“ verkörperte sie ebenfalls bereits erfolgreich.

Louledjian beweist auf „Fleurs“ ihre stimmliche Vielseitigkeit mit lyrischer Leichtigkeit und Verspieltheit. Zunächst hören wir ein wahres Bouquet von allen möglichen Blumen – über 50 an der Zahl der Komposition von Jean Wiener mit dem Titel „Les Chantefleurs“. Es geht von der Begonie über die Geranie, Rose, Iris, Hyazinthe, Hortensie, den Lavendel und viele mehr bis zum Ruf des Kuckucks, dem Melody mit betörenden Tönen eine menschliche Stimme verleiht. Manchmal meint man die Zartheit oder Farbenpracht der jeweiligen Blume stimmlich zu vernehmen. Mit offenbarer Freude an vokaler Nuancierung setzt Melody – nomen est omen – mit perfektem Tonansatz, beeindruckender Intonation und Klangschönheit, bisweilen auch Sinnlichkeit diesen großen Blumenstrauß mit all seinen Facetten in lebendige Tonsprache um.

Es folgen diesem Hauptblock noch sieben Nummern aus dem „Catalogue de Fleurs“ von Darius Milhaud, der Titel „Les Fleurs“ von Erik Satie, die „Nature morte“ von Arthur Honegger sowie „Deux Ancolies“ von Lili Boulanger und „L’Âme des roses“ von René de Buxeuil. Auch hier zeigt Melody bei etwas anderen musikalischen Ansprüchen ihre stimmliche Charakterisierungskunst. Eine CD wie für den Frühling aufgenommen!

Klaus Billand

INFOS ZUR CD

Melody Louledjian (Sopran) und Antoine Palloc (Piano): „Fleurs“
1 CD, Aparté

Klassischer Verdi auf den Kanaren

Las Palmas de Gran Canaria / Ópera Las Palmas (Februar 2021)
„Il trovatore“ bei den Amigos Canarios de la Ópera

Las Palmas de Gran Canaria / Ópera Las Palmas (Februar 2021)
„Il trovatore“ bei den Amigos Canarios de la Ópera

Trotz eines angesichts sinkender Inzidenzen mittlerweile gelockerten mediterran-sanften Lockdowns gönnen sich die Amigos Canarios de la Ópera von Februar bis Juni ein ansehnliches Programm ihrer 54. Opernsaison von Gran Canaria mit Eigenproduktionen von Verdis „Il trovatore“, Cileas „Adriana Lecouvreur“, Rossinis „La Cenerentola“, Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und Verdis „Macbeth“. In höchster Disziplin stellt sich das Publikum mit seinen infektionsfrei elektronisch gekauften Karten in Reih’ und Glied vor dem mondänen Auditorio Alfredo Kraus am Strand von Las Palmas an und lässt mit stoischer Ruhe die Temperatur-Messung über sich ergehen. Vor dem Haus „wacht“ eine Riesenstatue aus Bronze von Alfredo Kraus mit Blick aufs weite rauschende Meer über das Geschehen. Obwohl es auf der Insel ein wunderschönes Opernhaus gibt, das Teatro Pérez Galdós, wählte man das Auditorio, um mehr Zuschauer in der Corona-Krise unterbringen zu können – insgesamt etwa 650. Ähnlich wie im Teatro Real in Madrid hat man das Orchester auseinandergezogen, mit Nebenpodesten links und rechts für Harfe, Schlagwerk und einige andere Instrumente. Die Akustik im Saal war gleichwohl gut.

Carlo Antonio de Lucia inszenierte diesen „Trovatore“ in klassisch traditioneller Ästhetik mit ebensolchen Kostümen von Claudio Martín. Carlos Santos schuf ein einfaches, den Gegebenheiten des Auditoriums entsprechendes statisches Bühnenbild aus dreifach abfallenden Mauern zu beiden Seiten der Szene. Der eigentliche inszenatorische und damit gestalterische Effekt ergab sich durch das fantasievolle und stets zur jeweiligen Szene und Stimmung passende Videodesign von Graffmapping auf diesen Mauern und dem Szenenhintergrund, sowie aus der bestens abgestimmten Beleuchtung von Iban Negrín. Die stehenden Videos waren in der Tat oft sehr eindrucksvoll und wurden in zentralen Momenten auch bewegt, um die Intensität der Szene zu erhöhen – so bei den lodernden Flammen zu Manricos Stretta. Eine Personenregie gab es jedoch kaum, allenfalls eine stereotype. Die Sänger traten zu ihren jeweiligen Nummern noch nummernartiger auf und ab als sonst, und allzu oft kam es auch noch zu eigentlich unnötigem Rampensingen.

Arturo Chacón-Cruz, weithin bekannter mexikanischer Tenor, sang den Troubadour zunächst noch mit leichten Aufwärmschwierigkeiten, lief im weiteren Verlauf aber sowohl stimmlich wie darstellerisch zu starker und souveräner Form bei hoher Musikalität auf. So forderte das generell sehr beurteilungssichere Publikum eine Wiederholung der Stretta – er sang sie mit starkem und lang angehaltenem C – und bekam sie auch! Seit ihrem Auftritt als Odabella in „Attila“ bei der Saisoneröffnung der Mailänder Scala 2018 ist Saioa Hernández kein unbeschriebenes Blatt mehr. Mit einem leuchtenden, kraftvoll vorgetragenen Sopran meisterte sie fast alle Klippen der Leonora, abgesehen von einem Spitzenton in der ersten Arie „Tacea la notte placida“. Am schönsten und emotionalsten gelang ihr die Arie „D’amor sull’ali rosee“ zu Beginn des vierten Akts. Der italienische Bariton Massimo Cavalletti sang den Grafen Luna mit warm timbriertem Ausdruck und guter szenischer Präsenz. Erstklassig war aber die stimmliche Leistung der Mezzosopranistin Nancy Fabiola Herrera, die alle nur denkbaren vokalen und darstellerischen Dimensionen der Azucena eindrucksvoll ausleuchtete. Eine Weltklasse-Leistung, die auch mit dem größten Applaus bedacht wurde. Die weiteren Rollen waren ebenso gut besetzt, wie der von Olga Santana einstudierte Chor sang. Jordi Bernàcer dirigierte das Orquesta Filarmónica de Gran Canaria mit sicherer Verdi-Hand.

Klaus Billand

„Il trovatore“ („Der Troubadour“) (1853) // Dramma lirico von Giuseppe Verdi

Zarzuela-Begeisterung im weichen Lockdown von Madrid

Madrid / Teatro de la Zarzuela (Februar 2021)
Beste Unterhaltung mit „Luisa Fernanda“

Madrid / Teatro de la Zarzuela (Februar 2021)
Beste Unterhaltung mit „Luisa Fernanda“

„Luisa Fernanda“, eine lyrische Komödie in drei Akten von Federico Moreno Torroba mit einem Libretto von Federico Romero und Guillermo Fernández-Shaw, erlebte im März 1932 ihre Uraufführung am Teatro Calderón de Madrid. Sie gehört zu den populärsten Stücken dieses ursprünglich rein spanischen Genres, welches sich auch in Lateinamerika, insbesondere in Mexiko und Kuba, ausbreitete. Die Zarzuela, die man bis zu einem gewissen Grad als spanische Operette bezeichnen könnte, verbindet auf unterhaltsame Weise folkloristische Elemente mit klassischer, oft durchaus opernhafter Musik sowie Tanz und Dialog.

„Luisa Fernanda“, die bisher über zehntausendmal aufgeführt worden sein soll, bringt all das aufs Schönste heraus. Das Stück artikuliert zudem die Gegensätze zwischen der feinen Gesellschaft in Madrid und dem Landleben zur Zeit der spanischen Revolution im September 1868, im Spanischen auch „La Gloriosa“ genannt. Sie führte zu Abdankung und Asyl von Königin Isabella II. infolge des Sieges des republikanischen Aufstands. Darum spannt sich eine Liebesgeschichte um die junge Madrilenin Luisa Fernanda, die zwischen einem reichen Großgrundbesitzer aus dem Süden, Vidal Hernando, und dem bereits lange mit ihr verlobten jungen Militär Javier Moreno steht. Im Kampf um die Angebetete wechselt Hernando sogar die Fronten und wird zum Republikaner, nur weil Javier sich aus vorübergehender Sympathie zu Carolina, einer Dame des Hofes in Madrid, den Monarchisten anschließt. Auch wenn Luisa Vidal die Ehe versprochen hat, kommt es schließlich nicht dazu, da er erkennt, dass ihre Liebe zu Javier, der schon für gefallen galt, aber unerwartet zurückkehrt, größer ist. So entlässt er sie mit einer schönen Überzeugung aus ihrem Versprechen: „Un corazón que perdona no es una carga que pesa.“ – „Ein Herz, das verzeiht, ist keine schwere Last.“

Regisseur Davide Livermore schuf dazu ein einfallsreiches Bühnenbild im Stile eines Theaters im Theater. Im Teatro Doré laufen ständig Schwarz-Weiß-Filme aus alten Zeiten und bilden so den historischen Hintergrund und Kontrast – mit dem seinem Ende entgegen gehenden bourgeoisen Leben in der Hauptstadt – zum lebhaften und meist bunten Geschehen des Heute auf der Bühne. Die Kampfszenen und Explosionen der Revolution werden allerdings allzu folkloristisch nur auf den Bühenparavents angedeutet, wo sich das doch im Teatro Doré etwas dramatischer empfohlen hätte. Umso mehr Gewicht legen Livermore und seine Bühnenbildner der Designers Artists Architects Giò Forma, die Kostümbildnerin Mariana Fracasso, der Beleuchter Antonio Castro sowie Nuria Castejón mit einer exzellenten Choreographie auf die eigentliche Handlung mit all ihren Emotionen, einer entsprechend intensiven Personenregie, schmissigen Tanzszenen und stets guten Chorensembles (Leitung Antonio Fauró). Bestens abgestimmtes audiovisuelles Design kam von Pedro Chamizo.

Yolanda Auyanet war mit ihrem klangvollen Sopran eine brillante Luisa Fernanda. Moreno Torroba sah für die Titelrolle allerdings einen Mezzosopran vor. César San Martín gab mit seinem geschmeidigen Bariton einen ausdrucksstarken Vidal Hernando und Jorge de León mit prägnantem Tenor einen Javier Moreno auf Augenhöhe. Roció Ignacio sang die Carolina mit einem facettenreichen Sopran. Die zahlreichen Nebenrollen waren durchwegs gut besetzt. Das Publikum ging mit großer Emotion mit und spendete nach allen offenbar sehr populären Arien und Duetten begeisterten Applaus. Karel Mark Chichon leitete das Orquesta de la Comunidad de Madrid engagiert mit guter Kenntnis der besonderen Herausforderungen einer Zarzuela.

Klaus Billand

„Luisa Fernanda“ (1932) // Comedia lírica von Federico Moreno Torroba