Zur Eröffnung der neuen Saison präsentiert die Komische Oper Berlin den dreiteiligen Abend „Pierrot Lunaire“ mit Dagmar Manzel als alleiniger Protagonistin. Man könnte meinen, dass diese Produktion als Antwort auf Corona in den Spielplan aufgenommen wurde, doch Hausherr und Regisseur Barrie Kosky betont in seiner Premierenansprache, dass sie bereits vor vier Jahren konzipiert wurde, als an das Virus noch nicht zu denken war. Nun passt das Programm in seiner Reduziertheit und Konzentration auf eine Person haargenau in ein Theater der Abstände und hygienebedingten Einschränkungen. Die Solo-Performance, die 75 pausenlose Minuten dauert, kombiniert die beiden Monodramen „Nicht Ich“ und „Rockaby“ von Samuel Beckett mit Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“. Minimalistisch beschränkt sich die Ausstattung von Valentin Mattka auf ein paar Möbelstücke, sparsam sind Koskys Regieanweisungen. Denn es braucht kein Beiwerk angesichts der raumfüllenden Präsenz und Ausdruckskraft von Dagmar Manzel.

Den Auftakt bildet „Nicht Ich“. Aus dem schwarzen Vorhang sticht allein ihr grell angeleuchteter Mund hervor. Satzfetzen und scheinbar zusammenhanglose Worte quellen aus ihm hervor. Was sie bedeuten, ist nur zu erahnen, doch spricht Verzweiflung und Panik aus ihnen. Es ist meisterhaft, wie die Schauspielerin den Redefluss kristallklar artikuliert, strukturiert und Kontraste zwischen Schrei und Stille schafft. Es folgt „Rockaby“, der Monolog einer sterbenden Frau. Jetzt sitzt Dagmar Manzel, gekleidet in ein langes schwarzes Gewand, in einem Schaukelstuhl und wippt fast ununterbrochen, während aus dem Off ihre Stimme eingespielt wird. Ruhig, fast monoton trägt sie die letzten Gedanken vor, die sich in ihrem steten eintönigen Fluss radikal vom nervösen Gestammel von „Nicht Ich“ abheben.

In dem von Arnold Schönberg vertonten Gedichtszyklus „Pierrot Lunaire“, der um rätselhafte Erlebnisse und schwebende Gemütszustände des traurigen Clowns kreist, lässt Kosky die alte Dame zum Kind werden. Im Matrosenanzug, einen Teddybären im Arm, schiebt Dagmar Manzel ein Bett auf die Vorderbühne, das mal als Hort der Sicherheit, mal als Ort des Schreckens dient. Die Stimmvirtuosin reizt alle Schattierungen des Sprechgesangs für diese symbolistische Gefühlswelt aus, findet für jede Strophe eigene Facetten und kann sich dabei auf die behutsame Begleitung durch die fünf Instrumentalisten unter der Leitung von Christoph Breidler stützen.

Am Ende, wenn das Licht allmählich erlischt, wird der Mund aus „Nicht Ich“ noch einmal sichtbar. Doch diesmal bleibt er stumm, man sieht nur noch Lippenbewegungen. Ein Kreislauf hat sich geschlossen. Dann brandet ehrfürchtiger Applaus für eine anbetungswürdige Singdarstellerin auf, deren Parforce-Tour man gebannt und fasziniert verfolgt hat. Leichtgewichtiger soll es weitergehen, so Barrie Kosky anschließend, und er kündigt zur Aufmunterung Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ an.

Karin Coper

„Pierrot Lunaire – Drei Monodramen“ // Melodram op. 21 (1912) von Arnold Schönberg sowie „Nicht Ich“ (1972) und „Rockaby“ (1981) von Samuel Beckett