Das Belgische Label Musique en Wallonie wurde 1971 gegründet, um das musikalische Erbe der wallonischen Region zu pflegen. Im Fokus stehen daher Aufnahmen von Werken nationaler Komponisten, darunter viele unbekannte. Ein weiterer Schwerpunkt des Interesses sind Arienporträts historischer einheimischer Gesangspersönlichkeiten, Opernstars wie Lucienne Delvaux oder Pierre d’Assy. Die jüngste Veröffentlichung gilt der 1898 geborenen Mezzosopranistin Livine Mertens. Sie debütierte 1923 an der Brüsseler Oper, eroberte sich schnell große Rollen wie Carmen, Mignon, Octavian oder Charlotte, sang aber auch viel Zeitgenössisches und Operetten. Während der Besetzung Belgiens durch die Nationalsozialisten engagierte sie sich im Widerstand, wurde zweimal inhaftiert und zog sich deshalb aus Sicherheitsgründen weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Nach der Befreiung trat sie wieder in Brüssel auf, verkündete aber 1945 – vermutlich wegen interner Intrigen – ihren Rückzug.

Das mit schönen Fotos ausgestattete Album versammelt Aufnahmen vom Anfang der dreißiger Jahre wechselweise mit Orchester- oder Klavierbegleitung. Mertens besitzt eine schlanke, kultiviert geführte Stimme von heller Farbe und leichter Höhe. Sie bringt Stilbewusstsein für das französische Repertoire mit, überzeugt aber auch als freche Operetteninterpretin in Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ und Suppés „Boccaccio“. Besonderen Reiz erhält das Album durch einige Raritäten wie den Gesangswalzer von Louis Hillier, dazu kommen Ballett-Intermezzi, temperamentvoll dirigiert vom Ehemann der Mertens, Maurice Bastin.

Karin Coper

INFOS ZUR CD

„Livine Mertens, Mezzo-soprano. Airs et mélodies“
1 CD, Musique en Wallonie