„Wenn schon Krise, dann aber bitte mit Schmackes!“, galt schon 1921. Die Uraufführung von Eduard Künnekes Revue-Operette „Der Vetter aus Dingsda“ wurde zu Beginn der furchtbaren Inflation ein prompt mit „Dennoch!“ umjubelter Erfolg. Damit ist die derzeitige Covid-Krise noch nicht zu vergleichen. Aber das Staatstheater Nürnberg mag sich gesagt haben, gegen den anschwellenden Unmut „einfach mal unterhaltsame Albernheiten zu setzen“, und bietet eine pausenlose Kurzfassung als Stream an.

Weil das theatralisch Leichte bekanntermaßen das wirklich Schwere ist, muss ein Team ran, das Handwerk und Ziel vereinen kann. Die sich sonst mit Opern-Schwergewichten befassende Vera Nemirova wurde mit der Regie betraut. Und da sie seit Jahren symbiotisch stets mit ihrer Mutter Sonja inszeniert, wurde diese gleich mitengagiert. Das Produktionsteam kürzte den Dreiakter auf pausenlose 90 Minuten, straffte und modernisierte die kurzen Dialogteile zwischen den schlager-populär gewordenen Musiknummern vom „armen Wandergesell“, dem Lied an den „Strahlenden Mond“ bis hin zu den „Sieben Jahren in Batavia“. Was 1921 in der Kolonie-enteigneten Weimarer Republik noch zu dem Wortwitz taugte, dass dieser vor Jahren nach „Ba…Ba…Batta… äh, eben nach Dingsda“ ausgewanderte Roderich hoffentlich verschollen bleibe. Die reiche Erbin Julia liebt ihn aber noch immer (jetzt per täglicher SMS), leider nur ohne Antwort. Das lässt die geldgierigen Vormünder „Tante und Onkel“ Josse und Wimpel hoffen und vorläufig in sich hineinfressen, was nur geht. Julias gerade für volljährig erklärtes und sehnsüchtig glühendes Herz entflammt jedoch für den hereinschneienden Augustin. Es folgen allerlei Verwicklungen, in denen Gefühle und Identitäten durcheinanderwirbeln: Romeo und Julia grüßen mit Shakespeare-Zitaten, der echte Roderich taucht als längst anderweitig orientierter Weltenbummler auf und „wie im Märchen“ kriegen sich Julia und Augustin. Deren resolute Freundin Hannchen nimmt derweil Roderich – und wer nicht weiterweiß, soll „nach Batavia“ …

Mit ihrer vertrauten Ausstatterin Pavlina Eusterhus verlegt Regisseurin Nemirova die Handlung in ein zeitlos-heutiges Einheitsbühnenbild. Mit ein paar Garten- und Liegestühlen deutet sie wechselnde Schauplätze an. Bis hin zu Julias „Wolkenkuckucksheim“: ein halbhoch gelegenes Gewächshaus, wo neben Grünzeug eben auch ihre „Liebe“ blühen kann und der Mond gleich nebenan als Lampion leuchtet. Dem Schmiss von Musik und Revue-Operette folgend, führt Nemirova eine temporeiche Personenregie.

Lutz de Veer dreht mit der auf Abstand sitzenden Staatsphilharmonie Nürnberg wiederholt sprudelnd auf. Das setzt ein engagiert mitgehendes Ensemble um, von Onkel und Tante (Taras Konoshchenko und Franziska Kern), dem resoluten Hannchen von Paula Meisinger und guten Nebenfiguren bis zu dem jugendlich lockeren Augustin-Tenor von Martin Platz sowie dem ihn süß überstrahlenden Julia-Sopran von Andromahi Raptis. Verwechslungsreiche Situationskomik, immer mal Wortwitz, augenzwinkernd als irre Realität servierte Unwahrscheinlichkeiten, frech entlarvtes, unausrottbar Allzumenschliches und all das in sofort eingängigen Melodien: Fern der „Kreisch-Brüll-Schenkelklopf“-Unterhaltung in den Massenmedien beweisen diese oft erst als Gebrauchsware produzierten, aber eben aufgrund ihrer Qualitäten zu „Klassikern“ gewordenen Werke theatralische Lebendigkeit. Erst recht in unlustigen Zeiten.

Wolf-Dieter Peter

„Der Vetter aus Dingsda“ (1921) // Operette von Eduard Künneke

Die Inszenierung wird am 7. Mai 2021 um 19.30 Uhr wieder als Stream über die Website des Theaters abrufbar sein; weitere Termine sollen folgen.