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Orpheus Magazin

„Die rechte Braut“ am Lied erkannt

Salzburg / Salzburger Landestheater (Mai 2021)
Alma Deutschers „Cinderella“ als Augen- und Ohrenschmaus

Salzburg / Salzburger Landestheater (Mai 2021)
Alma Deutschers „Cinderella“ als Augen- und Ohrenschmaus

Talent verpflichtet – gerade in Sachen Musik ist Teilen Ehrensache. Das spürte die Britin Alma Deutscher (*2005) bereits im Kindesalter. Inspiriert vom Grimm’schen Märchen, komponierte sie als Achtjährige ihre erste abendfüllende Märchenoper „Cinderella“ und avancierte bei der Uraufführung 2016 (Orchesterversion) in Wien ad hoc zum Shootingstar. „Töne schweben um mich herum. Sie zaubern ein Lied für mich!“, schwärmt Deutschers Cinderella im ersten Akt. Sie selbst fing die Töne ein, schuf aus ihrem inneren Klangzauber ein vieraktiges Werk in der Tradition der komischen Oper. Nach entbehrungsvoller Corona-Stille feierte „Cinderella“ in der Inszenierung von Carl Philip von Maldeghem und unter musikalischer Leitung von Gabriel Venzago nun eine rauschende Premiere.

Dass der Abend im besten Wortsinn etwas Märchenhaftes hat, liegt gewiss nicht am harten Kulturentzug. Die wohltuend belebende, zauberhaft berührende und mit feingeschliffener Situationskomik gewürzte „Cinderella“ wurde am Ende verdient mit Standing Ovations geehrt. Deutscher verlegt die Handlung in die Welt der Musik: In einem Opernhaus, ehemals von Cinderellas Vater geführt, herrscht die intrigante Stiefmutter (Anne-Fleur Werner). Cinderella, eine begabte Komponistin, trägt wunderschöne Melodien in sich, für die sie, statt Anerkennung und Förderung, Spott und Missgunst erntet. Die beiden Stiefschwestern (Laura Nicorescu und Olivia Cosío) sind Meisterinnen im Nerven und Mobben, talentfrei, hübsch, aber auf lächerliche Art divenhaft. Weil der gesundheitlich angeschlagene König des Regierens müde ist, soll der Prinz auf Brautschau gehen. Doch der lässige Thronfolger im Holzfällerhemd will nicht unbedingt eine Standesgemäße. Seine große Liebe, „die rechte Braut“ also, soll musisch veranlagt sein – er selbst ist ein begabter Dichter. Nicht am passenden Schuh, sondern an der zu seinem Gedicht passenden Melodie will er sie beim schrill-schrägen Maskenball mit Gesangswettbewerb „erkennen“. Eine gute Fee (Maria Polańska) macht’s möglich, dass auch Cinderella ihre Chance bekommt. So nimmt, wenn auch auf Umwegen, das (Liebes-)Glück seinen Lauf.

Mehr als glücklich auch der „Lauf“ der Operninszenierung: Charakter- und stimmungsvolle musikalische Ideen mit eingängigen Melodien in den Gesangspartien entfalten in Topbesetzung volle Wirkung, das Mozarteumorchester Salzburg überzeugt bei höchster Virtuosität und präzisem Zusammenspiel, das Libretto ist voller Witz, hat aber trotzdem Tiefgang. Ein stylisches, auf der Drehbühne in zwei Räume (Königsgemächer und Opernhaus) geteiltes Bühnenbild (Stefanie Seitz) macht den modernen Märchenplot zum Augenschmaus. Laura Incko gibt eine selbstbewusste Cinderella, überzeugt mühelos in allen Tonlagen und sprühender Präsenz. Der Prinz (Luke Sinclair), locker-lässig und grundsympathisch, aalt sich mit geschmeidigem Tenor in seiner Rolle. Dass er mit dem königlichen Vater (George Humphreys) und dessen Minister (Alexander Hüttner) seine liebe Not hat, wie auch das Gebaren der beiden Stiefschwestern als Möchtegern-Operndiven, die sich in trillernd-schillernden Duetten duellieren, ergänzt das Märchenhafte um weitere komische Momente.

Kirsten Benekam

„Cinderella“ // Märchenoper von Alma Deutscher; Erstaufführung der erweiterten und überarbeiteten Salzburger Fassung

Infos und Termine zur Produktion auf der Website des Theaters

Lass doch die Dornen …

Salzburg / Salzburger Festspiele Pfingsten (Mai 2021)
„Il trionfo del Tempo e del Disinganno“ – und des Musiktheaters!

Salzburg / Salzburger Festspiele Pfingsten (Mai 2021)
„Il trionfo del Tempo e del Disinganno“ – und des Musiktheaters!

Als müsste man das entwöhnte Publikum erst wieder zurückholen aus der heimischen TV-Bilderflut: Regisseur Robert Carsen versetzt das erste Oratorium des 22-jährigen Georg Friedrich Händel in die temporeiche Scheinwelt eines Topmodel-Castings. Dass die Idee wunderbar aufgeht, verblüfft nicht nur aus musikalischer Sicht. Während die Musik sogar DJ-affin zeitlos „ba-rockt“ – manchmal in halsbrecherischen Tempi der Les Musiciens du Prince-Monaco unter Gianluca Capuano – verblasst durch die Erkenntnis von Bellezza, der am Ende geläuterten Schönheitskönigin in Gestalt von Mélissa Petit, die bunte Glitzerwelt im Außen hin zur folgerichtig leeren Bühne. Wenn sie nach dem letzten Ton ihrer Schlussarie das Tor der Hinterbühne auf die noch hellen Salzburger Gassen hinaus verlässt – barfuß, im schlichten weißen Hemdchen – ist der „Triumph der Zeit und der Erkenntnis“ vollzogen. Ein Blick in den Spiegel der Wahrheit hat den schönen Schein vertrieben und Carsen lässt gleich das ganze Publikum durch Riesenspiegelung des Zuschauerraumes daran teilhaben. Ein Bezug auf die aktuelle Gefühlslage des Auf-sich-Selbst-zurückgeworfen-Seins? Während Bellezza im schmerzhaften Prozess der Selbsterkenntnis den Verfall ihrer Schönheit akzeptiert und das Libretto des römischen Kardinals Benedetto Pamphilj arg moralisierend die Hinwendung zum „göttlichen Willen“ feiert, hat Carsens dankbar unprätentiöse, zeitlose Darstellung der vier allegorischen Protagonisten in diesem Lehrstück über die Vergänglichkeit erstaunlich entlarvende Züge.

Wahrscheinlich verhalf auch die pandemisch-vorteilhafte Abwesenheit von Chor und großem Ensemble diesem Werk auf die Salzburger Festspielbühne. Das spannende Solistenquartett um Cecilia Bartoli lässt voluminöse Massenszenen aber zu keiner Zeit vermissen. So singt und vor allem spielt die vielversprechende junge Sopranistin Mélissa Petit die Schönheit Bellezza als Siegerin des Topmodel-Castings auf dem Weg zur Erkenntnis mit großer Eindringlichkeit. Ab und an fehlende stimmliche Klarheit und Klang-Fokussierung sind wohl den Anstrengungen dieser Riesenpartie geschuldet, vor allem in Piano-Passagen gelingt ihr immer wieder Großartiges. Tenor Charles Workman gestaltet die „Zeit“ tongewaltig und auch körperlich auffallend präsent, sein Talar-Kostüm verstärkt die einschüchternde Wirkung. Ein geschickter Schachzug von Bühnen- und Kostümbildner Gideon Davey, dem damit ein starker Kontrast zur intellektuell-modern angelegten Figur der „Erkenntnis“ in Anzug und Designerbrille gelingt. Countertenor Lawrence Zazzo betört durchgehend mit dem warmen Klang seiner voluminösen Stimme. Dass sie es „immer noch kann“ (und wie!), beweist Cecilia Bartoli als Piacere auch im zehnten Jahre ihrer Festivalleitung. „Lascia la spina, cogli la rosa“: Dass Bellezza dieser betörenden Aufforderung widerstehen kann, ist geradezu ein Wunder. Ein Gänsehautmoment – überhaupt ist der „Triumph“ neben der Zeit und der Erkenntnis auch einer dieser Produktion!

Iris Steiner

„Il trionfo del Tempo e del Disinganno“ (1707) // Oratorium von Georg Friedrich Händel

Die Inszenierung wird bei den Sommerfestspielen wiederaufgenommen, Infos und Termine finden Sie hier.

Vokale Schwerelosigkeit

Wien / Wiener Staatsoper (Mai 2021)
Juan Diego Flórez brilliert in Gounods „Faust“

Wien / Wiener Staatsoper (Mai 2021)
Juan Diego Flórez brilliert in Gounods „Faust“

Spätestens bei der Kavatine des Faust „Salut! demeure chaste et pure“ wird klar, dass man Zeuge eines großen Belcanto-Opernabends ist – trotz fehlenden Publikums, andauernder Corona-Pandemie und einer teilweise provokanten Inszenierung durch Frank Castorf. Der neue Direktor Bogdan Roščić punktet schon allein durch seine exzellenten Besetzungen. Diesmal ist es der peruanische Tenor Juan Diego Flórez, der seinen ersten Bühnen-Faust gestaltet. In der Gounod-Oper (Uraufführung 1859) kann er beweisen, dass sein Singen an Dramatik zugenommen hat, er aber auch weiterhin über jene vokale Schwerelosigkeit verfügt, die seinen Faust an Nicolai Gedda oder Giuseppe di Stefano erinnern lässt. Die große Liebes-Szene ist ebenso wie das Final-Terzett von höchster Qualität – fabelhaft! Ein Glücksfall ist aber auch die Marguerite der australischen Sopranistin Nicole Car. Sie gehört seit ihrem Herbst-Einspringen als Tatjana in „Eugen Onegin“ zu den neuen Publikumslieblingen Wiens. Sie verfügt über eine dunkle Mittellage, hat keine Schwierigkeiten mit den Koloraturen der Juwelen-Arie und wird im Finale fast „hochdramatisch“. Dazu kommt ein Hochtalent aus Polen: Adam Palka, ein junger Méphistopélès mit rollenden Augen, einer „öligen“ Bass-Stimme und ausgeprägtem Spieltrieb. Exzellent auch der höhensichere Valentin des Franzosen Étienne Dupuis – und ebenfalls auf der Haben-Seite der Siébel von Kate Lindsey, die Marthe von Monika Bohinic und der Wagner von Martin Häßler. Am Pult steht der Wahl-Österreicher (RSO-Ära) Bertrand de Billy. Das Orchester der Wiener Staatsoper wie auch der Chor (Leitung Thomas Lang) wollen offenbar beweisen, dass man sich nicht durch den Lockdown in die Knie zwingen lässt.

Bleibt noch die Regie von „Altmeister“ Frank Castorf (Bühnenbild Aleksandar Denić). An ihr werden sich wohl wieder die Geister scheiden. Sie bietet zu viel gleichzeitig – Drehbühne, Live-TV-Elemente, Videozuspielungen (aktuelle Straßenszenen aus der U-Bahn) – und setzt eine mehrstündige Beschäftigung voraus. Wie soll man die vielen afrikanischen Kostüme (Adriana Braga Peretzki) einordnen, wenn man nicht aus dem Munde von Castorf hört, dass für ihn das Entstehungs-Jahr 1859 ein Synonym für den beginnenden Mega-Kolonialismus der Franzosen in Afrika ist? Den Rezensenten hat die Inszenierung dennoch voll überzeugt, nicht zuletzt, weil die musikalischen „Ohrwürmer“ zu dem Übermaß an Aktivismus positiv ausgeklammert bleiben. Und das musikalische Niveau ist tatsächlich außerordentlich. Opernfreunde werden sich daran gewöhnen müssen, zu überprüfen, ob es eine Erweiterung des Repertoires am Haus gibt. Elīna Garanča als neue Kundry und Juan Diego Flórez als idealer Faust innerhalb von 14 Tagen: Es kann so bleiben!

Peter Dusek

„Faust“ (1859) // Oper von Charles Gounod

Entfesseltes Welttheater

Mannheim / Nationaltheater Mannheim (Mai 2021)
Rameaus „Hippolyte et Aricie“ als opulentes Opernfest

Mannheim / Nationaltheater Mannheim (Mai 2021)
Rameaus „Hippolyte et Aricie“ als opulentes Opernfest

Für das Nationaltheater Mannheim ist die Erstaufführung einer Oper von Jean-Philippe Rameau (1683-1764) ein Ereignis. Mit 50 Jahren hatte Rameau 1733 seine erste Oper „Hippolyte und Aricie“ auf die Bühne gebracht. Der Vorlage von Racine folgend, könnte sie ebenso gut „Phèdre“ heißen. Denn die mächtige Frau, die ihren Stiefsohn aktiv begehrt, steht im Zentrum der Geschichte. Dessen Geliebte Aricie ist ebenso eine Nebenfigur wie der zeitweise totgeglaubte Gatte Phèdres, Thésée. Der Rest des Personals ist staatstragende Umrahmung. Mit Göttern und Nebenfiguren, die auf die Spitze der Machtpyramide zulaufen. Es macht Sinn, dass Patrick Zielke, als Göttervater Jupiter unschwer als ein den XIV., XV. und XVI. zusammenfassender, gealterter Ludwig zu erkennen ist. Der fährt in goldener Kutsche vor, ruft das berühmte „Der Staat bin ich“ und setzt das folgende französische Welttheater in Gang, überstrahlt es aber längst nicht mehr. Hier liegt ein atmosphärisch melancholisches Abendlicht über der Szene.

Regisseur Lorenzo Fioroni und Barockspezialist Bernhard Forck am Pult haben ihre gekürzte Fassung der fünfaktigen Tragédie lyrique zu einer Melange aus großer Show, entfesselter Theateropulenz und hintersinniger Haupt- und Staatsaktion gemacht. Es wird stringent erzählt, die Entstehungszeit reflektiert und dabei das Wissen der Nachwelt um den Untergang des Ancien Régime dezent in die entfesselte Bilderflut integriert. Die barocke Contenance wird bei all den kleinen Störversuchen von auftauchenden Hippie-Demonstranten oder den (immer dosiert bleibenden) Video-Einblendungen, die sozusagen in die damalige Zukunft blicken, immer gewahrt, denn das Publikum im Saal (der famose Chor) ist barock ausstaffiert und macht so den Zuschauerraum zum Teil der Bühne von Paul Zoller.

Sophie Rennert ist eine mit Aplomb und Intensität zupackende Phèdre, die den begehrten Stiefsohn unmissverständlich in Dessous empfängt. Charles Sy gerät dabei als Hippolyte sichtbar in die Bredouille, bleibt aber mit seinem tenoralen Schmelz immer in der Spur. Er und seine Geliebte Aricie (Amelia Scicolone) sind in ihrer Aufmachung aus unserer Gegenwart in die Zeit der Intrigen von Göttern und Konventionen gefallen (Kostüme: Katharina Gault). Und entfliehen am Ende mit gepackten Koffern auch dorthin. Die Bühne ist eine Mischung aus Bühne, Garderobe und Requisiten, bietet aber dennoch Platz bietet für perfekt sitzende, verfremdende Balletteinlagen (Choreografie: Pascale-Sabine Chevroton). Wie ein Revuegirl aufgeputzt, treibt Marie-Belle Sandis als Oenone und Amor das Verhängnis voran. Bei seinem Ausflug in die militärisch beherrschte Unterwelt handelt Thésée (Nikola Diskić) eine Rückkehr zu den Lebenden ab. Dass er die Hölle, die er zu verlassen glaubt, dann bei sich daheim vorfindet, weil sich seine Frau gerade seinen Sohn gefügig machen will, ist der dramatische Clou des Stückes. An den Bildschirmen freilich war man eindeutig im Opernhimmel.

Joachim Lange

„Hippolyte et Aricie“ (1733) // Tragédie lyrique von Jean-Philippe Rameau

Die Inszenierung ist als Stream bis 31. Juli 2021 kostenfrei über die Plattform OperaVision abrufbar.

Schwachstelle Nachwuchs?

Interview mit der dänisch-französischen Sopranistin Elsa Dreisig

Interview mit der dänisch-französischen Sopranistin Elsa Dreisig

Junge Sängerinnen und Sänger sehen sich nicht erst seit Corona mit großen Startschwierigkeiten konfrontiert. Insbesondere deutsche Musikhochschulen kämpfen mit dem Ruf, keine internationalen Karrieren mehr hervorzubringen, während große Nachwuchswettbewerbe überwiegend von Talenten aus Ost­europa und den USA gewonnen werden. Sind unsere Studierenden technisch zu schlecht gerüstet, wie der Gesangspädagoge Robert Kreutzer meint? Und wie hilfreich gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Dirigenten und Regisseuren? Kirsten Liese wagt den Versuch einer Annäherung an ein sensibles Thema und sprach darüber mit der 30-jährigen, dänisch-französischen Sopranistin Elsa Dreisig, die „es geschafft hat“ und seit der Spielzeit 2017/18 u.a. ­Ensemblemitglied der Berliner Staatsoper ist.

Sie konnten sich bereits in jungen Jahren international etablieren. Wenn Sie an ihre Anfänge zurückdenken: Was war besonders schwer?
Ich bin sehr selbstkritisch. Jedes Mal, wenn ich eine neue Partie einstudiere, bilde ich mir ein, ich könne nicht singen und würde das nie schaffen. Lust und Sicherheit stellen sich erst peu à peu ein. Große Ambitionen hatte ich allerdings schon immer und auch heute sage ich mir noch bisweilen, dass gerade einmal ein Prozent von dem geschafft ist, was ich mir vorstelle.

Hohe Selbstansprüche sind das eine – das andere Umstände und Bedingungen, unter denen junge Sängerinnen und Sänger ins Berufsleben starten: Ausbildung, erste Erfahrungen, die Betreuung durch Agenturen und Beschäftigungsmöglichkeiten an Opernhäusern. Wo hatten Sie persönlich Schwierigkeiten?
Manchmal regt sich bei mir Widerspruch, wenn Dirigenten oder Regisseure mir vorgeben, wie ich singen oder auf der Bühne agieren soll. Aber man sollte natürlich immer offen sein für die Ideen und Vorschläge seiner Mitstreiter. Obwohl es gar nicht so leicht ist, die richtige Balance zwischen Respekt vor sich selbst und den Vorstellungen anderer zu finden. Aktuell singe ich an der Berliner Staatsoper unter Daniel Barenboim die Gräfin in Mozarts „Le nozze di Figaro“. Und auch hier kommt es manchmal vor, dass ich diesen oder jenen Satz anders empfinde als Barenboim und ihn deshalb auch anders singen möchte.

Wie nimmt Herr Barenboim das auf? Oft ist von Sängerinnen und Sängern zu hören, dass Dirigenten für Wünsche von Sängerseite gar nicht aufgeschlossen seien.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eher unsichere Dirigenten es persönlich nehmen, wenn Sänger über die musikalische Gestaltung einer Partie diskutieren möchten. Barenboim ist kein unsicherer Künstler. Und ich würde sagen, wenn man überzeugend ist und etwas Kluges einzuwenden hat, können gerade große Kollegen damit umgehen. Der Einwand muss natürlich gut begründet sein.

Was tun Sie, wenn Ihnen Anweisungen von Regisseuren total widerstreben?
Der Extremfall, dass jemand von mir eine mir völlig fremde Rollengestaltung verlangt hätte, ist mir bislang zum Glück erspart geblieben. Aber es kommt schon vor, dass mir ein Regisseur an einer Stelle ein Gefühl verordnen will, das mir nicht passend erscheint. Konkretes Beispiel: meine Fiordiligi im Salzburg-Debüt vergangenes Jahr. Es gibt die Auffassung, die Person sei sehr vorsichtig und ängstlich. Ich wollte diese Facette nicht so sehr hervorkehren, da ich denke, dass es die Figur klein macht. Ich möchte generell keine solchen Gefühle in meine Figuren einbringen. Also habe ich fünf Minuten darüber mit Christof Loy gesprochen, um ihm meine Sicht zu erklären. Auf keinen Fall zulassen sollte man etwas, was der Stimme schaden kann. Wenn Sänger merken, dass sie mit der Sicht eines Regisseurs nicht klarkommen, sollten sie – auch im Sinne des Ganzen – immer das Gespräch suchen. Leider trauen sich viele nicht und unterwerfen sich den Weisungen.

„In Amerika wird viel mehr Wert auf die Größe einer Stimme gelegt und konkreter an der Muskulatur gearbeitet“

Frankfurts Intendant Bernd Loebe beklagte in einer Dokumentation über die Startschwierigkeiten von jungen Sängern, dass er im Gegensatz zu deutschen Musikhochschulen in den USA auf der Suche nach talentiertem Sängernachwuchs problemlos fündig wird. Ähnliches war auch von Startenor Piotr Beczała in seiner Funktion als Juror internationaler Wettbewerbe zu hören. Sie selbst haben in Paris und als Erasmus-Studentin ein Jahr in Leipzig studiert. Wie waren Ihre Erfahrungen in Leipzig, woran hapert es?
Ich hatte seit meinem 17. Lebensjahr einen Privatlehrer, den ich heute noch jederzeit konsultieren kann. Die Ausbildung an hiesigen Musikhochschulen reicht meines Erachtens nicht aus, in Russland, Italien und Amerika ist sie viel intensiver. Nadine Sierra, mit der ich gerade im „Figaro“ zusammen singe – sie ist die Susanna – kommt aus Amerika. Wir haben uns über dieses Thema ausgetauscht. An Frankreichs Hochschulen – und ich denke, in Deutschland ist es ähnlich – werden viele unterschiedliche Techniken unterrichtet. Nadine war darüber ganz schockiert, weil in den USA alle Lehrer anscheinend ähnliche Methoden vermitteln. Möglicherweise sind zu viele unterschiedliche Schulen im Ergebnis nicht förderlich. Und ich meine auch, dass es nicht ganz unproblematisch ist, dass wir in sehr kleinen Räumen unterrichtet und damit nicht auf große Opernhäuser vorbereitet werden. In Amerika wird viel mehr Wert auf die Größe einer Stimme gelegt und konkreter an der Muskulatur gearbeitet.

Es gibt Gesangspädagogen, die sagen, viele junge Sängerinnen und Sänger hätten keine gute Atemtechnik und Stütze.
Interessant, dass Sie das anschneiden: Aktuell habe ich das Gefühl, dass sich meine Atemtechnik noch verbessern ließe – während meiner Ausbildung wurde die überhaupt nicht gut geschult. Nadine Sierra kann viel längere Phrasen auf einem Atem singen als ich. Aber es ist auch sehr, sehr wichtig, die Stimme zu schützen und viele Jahre zu singen, ohne seine Stimmbänder kaputt zu machen. Man muss immer auch die Muskulatur trainieren. Frappierend, wenn man auf YouTube Videos ansieht, mit welch riesiger Stimme sich früher ein Mario Del Monaco oder ein Enrico Caruso eingesungen haben.

Erinnern Sie sich doch noch einmal an Ihre Leipziger Zeit …
Ich habe dort nur ein Jahr studiert – bei Regina Werner und in sehr guter Ergänzung zu allem, was ich von meinem Lehrer mit auf den Weg bekommen habe. Heute kann ich sagen, dass ich fertig bin mit der Ausbildung und weiß, wie ich singen kann und muss. Singen ist mehr als eine handwerkliche Technik, es ist eine sinnliche, seelische Angelegenheit. Wenn ich spüre, dass ich noch an meiner Atmung arbeiten muss, dann, weil es jetzt der richtige Moment ist – vor fünf Jahren wäre ich dazu nicht bereit gewesen. Ich finde, Gesangspädagogen sollten individueller auf ihre Studierenden eingehen. Manche machen die Leidenschaft eines jungen Sängers schlichtweg kaputt, weil sie stur daran festhalten, minutiös an einem einzigen technischen Detail zu arbeiten.

(Foto Simon Fowler)

Wann wird es Zeit, sich unter Umständen nach einem anderen Lehrer umzuschauen?
Wenn etwas verlangt wird, was zu Schmerzen führt. Ich habe Kollegen erlebt, die hatten keine Stimme mehr. Um das richtig einzuordnen, muss man ein bisschen Intuition haben, denn natürlich kann es sein, dass die Stimme nach vielem Singen mal müde oder angestrengt ist, so wie der Körper nach dem Sport. Aber gar keine Stimme mehr – das darf nicht sein! Ich habe als Mezzosopranistin angefangen, obwohl mir damals alle gesagt haben, dass meine Stimme hell und ein Sopran wäre. Ich hatte aber Schmerzen beim Singen hoher Töne und habe deshalb darauf verzichtet. In dieser Beziehung war Regina Werner in Leipzig sehr hilfreich. „Du machst genau, was Du denkst! Ich bin für dich da, nicht Du für mich.“

Dass Sie heute offenbar kein Problem mehr in dieser Hinsicht haben, ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass Sie in den Spitzen Ihre Kopfstimme einsetzen. Die große Mozart- und Richard-Strauss-Interpretin Elisabeth Schwarzkopf wurde nicht müde, ihren Elevinnen diese Technik immer wieder zu vermitteln, da das offenbar an den Hochschulen nicht mehr unterrichtet oder sogar regelrecht ausgetrieben wurde. In früheren Jahrzehnten sangen alle großen Lyrischen himmlische Pianotöne in der Kopfstimme. Sie erwähnten vorhin Mario Del Monaco und Enrico Caruso, interessieren sich offenbar also auch für historische Aufnahmen. Haben Sie von den großen Lyrischen der sechziger Jahre gelernt?
Ich bin ein Fan von Maria Callas und Rosa Ponselle und lasse mich auch gerne von Lisa della Casa mit ihrer reinen, klaren Stimme inspirieren – insbesondere von ihrer Contessa im „Figaro“ und ihrer Fiordiligi. Ich persönlich mag diesen hellen Kopfstimmenklang sehr und habe dazu explizit auch meinen Lehrer befragt. Meines Erachtens ist es aber nur eine Methode, man könnte auch ein bisschen mehr Spinto in die Stimme bringen wie Birgit Nilsson. Sie singt oft Staccato in den hohen Tönen …

Birgit Nilsson sang nun aber ein ganz anderes Fach, sie war keine Lyrische …
Ich durfte die Erfahrung machen, dass man durchaus Methoden aus anderen Fächern übernehmen kann. Im Studio habe ich probehalber Passagen aus der ­„Turandot“ gesungen – um das Fach zu verstehen, die Muskulatur auszuprägen und herauszufinden, ob ich es mag, wie meine Stimme dann klingt. Bestimmte Dinge sind von der Natur vorgegeben, ich kann heute keine Brünnhilde sein, auch wenn ich jetzt jeden Tag daran arbeiten würde. Aber ich könnte durchaus schon einige Partien in meinem lyrischen Stil singen, die von größeren Stimmen gesungen werden wie zum Beispiel die ­Salome, die ich in mein erstes Album aufgenommen habe, inspiriert von Birgit Nilsson.

Viele Sängerinnen und Sänger überfordern ihre Stimme mit ungeeigneten Partien. Vielleicht ein Grund, dass es heute kaum noch Langzeitkarrieren gibt. Wie bewahren Sie sich davor, das Falsche zu singen und verheizt zu werden?
Ich habe drei Personen, auf deren Urteil und Rat ich etwas gebe: mein Gesanglehrer, ein Coach und mein Freund, der auch Musiker ist. Gefährlich für mich wäre es, wenn meine Stimme anfangen würde, schwer zu werden. Aber selbst wenn eine Partie eigentlich von Kolleginnen gesungen wird, die ein ganz anderes Fach bedienen als ich, bleibt es eine Sache von Intelligenz, Intuition und Interpretation. Man selbst muss ein Gefühl dafür haben, welche Rolle zur eigenen Persönlichkeit passt. Im „Figaro“ steht mir zum Beispiel die Contessa emotional viel näher als die Hauptpartie der Susanna, die ich technisch durchaus singen könnte.

Welche Bedeutung hat Daniel Barenboim für Sie?
Er ist durchaus eine Art Mentor für mich. Beispielsweise nahm er sich Zeit für mich, als ich ihn gebeten habe, die Arien im „Figaro“ mit mir einzustudieren, und gab mir gute Ratschläge. Ich weiß, dass ich auf ihn zählen kann. Er mag junge Künstler und ich denke, er achtet es sehr, wenn man auf seinem Karriereweg die gegebenen Möglichkeiten auch nutzt.

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Mai/Juni 2021

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Vielseitig und flexibel

75 Jahre BR-Chor

75 Jahre BR-Chor

Der BR-Chor sucht und findet zu seinem 75. Geburtstag neue Wege, um die „Macht der Musik“ auch in Pandemiezeiten zu feiern

von Tobias Hell

Die Initialzündung kam am 1. Mai 1946, Punkt 8.15 Uhr morgens, als die erste Sendung mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks ausgestrahlt wurde. Auf dem Programm „Lieder und Chöre zum Tag der Arbeit“. Und tatsächlich waren die Sängerinnen und Sänger die Pioniere, die hier als erster neu gegründeter Klangkörper des Hauses die Ärmel hochkrempelten und ihre Stimmen ertönen ließen. Von Volksliedern und geistlicher Musik bis hin zu eigens produzierten Opernaufnahmen war das Repertoire des Ensembles von Anfang an breit gefächert.

Diese Vielseitigkeit wurde über die letzten 75 Jahre hin gewissenhaft gepflegt und zählt auch für den aktuellen künstlerischen Leiter Howard Arman zu den wichtigsten Qualitäten seines Ensembles. „Es ist ein sehr intuitiver Chor, der sich gern auf Neues einlässt und dabei nicht nur auf die Dinge reagiert, die ich auf der Probe sage, sondern auch im Konzert jede noch so kleine Geste wahrnimmt und sofort darauf reagiert. Mit anderen Worten, er verkörpert all das, worauf es beim Musizieren eigentlich ankommt.“ Eine Meinung, mit welcher der englische Dirigent keineswegs allein dasteht. Kaum ein Pultstar der Nachkriegszeit, der nicht mit dem BR-Chor gearbeitet hätte. Rafael Kubelík, Leonard Bernstein, Claudio Abbado oder Sir Simon Rattle. Aber auch ausgewiesene Originalklang-Experten wie Ton Koopman oder Nikolaus Harnoncourt. Umso mehr bedauert man, dass die zum Jubiläum angedachte Zusammenarbeit mit der Akademie für Alte Musik Berlin aus bekannten Gründen vorerst aussetzen musste. Gerade weil die beiden Ensembles auf eine ebenso lange wie fruchtbare künstlerische Freundschaft zurückblicken. Und mit seinem Untertitel „Die Macht der Musik“ wäre Händels „Alexanderfest“ tatsächlich das ideale Werk für diesen Anlass gewesen. Howard Arman ist jedoch kein Mensch, der lange über das klagt, was derzeit nun einmal nicht geht, sondern pragmatisch genug, um gemeinsam mit seinem Chor nach kreativen Alternativen zu suchen. „Beim ‚Alexanderfest‘ wäre vor allem die Orchesterbesetzung einfach zu groß gewesen. Aber wir bleiben trotzdem bei Händel und machen eine Geburtstagsode, kombiniert mit Kompositionen von Henry Purcell und Daniel Purcell. Bei diesem Programm haben wir die Möglichkeit, für die beiden Hauptwerke zwei separate Besetzungen aufzustellen und so trotzdem alle Mitglieder des Chores zum Geburtstag zu Wort kommen zu lassen. Das war mir sehr wichtig.“

Schöpferisch durch die Krise

Fünf Jahre nach seinem Amtsantritt hat Arman dem BR-Chor seinen eigenen Stempel aufgedrückt und neue Schwerpunkte gesetzt, daneben aber auch die von Vorgängern wie Michael Gläser oder Peter Dijsktra angestoßenen Linien weitergeführt. Der Blick geht zwar nach vorne, ohne dabei jedoch etablierte Traditionen zu vergessen. Eine Mischung, die so gut angenommen wird, dass Aboplätze für die eigene Konzertreihe schon lange als Mangelware gelten. Die enge Verbindung zu seinem Publikum wollen das Ensemble und sein künstlerischer Leiter daher auch unter den aktuell erschwerten Bedingungen nicht abreißen lassen. „Ein Chor ist immer Teil seines Umfeldes. Wir alle sind gezwungen, kurzfristiger zu planen und zu leben. Und wir müssen eben nicht nur mit der Situation zurechtzukommen, sondern auch darauf reagieren. Das haben Komponisten und Musiker zu allen Zeiten getan. Ich bin kein Fan davon, Programme nur zu verkleinern oder zu verkürzen. Deshalb haben wir im letzten Jahr auch Kompositionen in Auftrag gegeben und versucht, neue Verbreitungswege zu entwickeln. Das sehe ich durchaus als etwas sehr Schöpferisches. Damit wir mal nicht immer nur über die Nachteile der Pandemie reden.“

Ob das Jubiläum im Mai zumindest vor teilweise gefülltem Saal gefeiert werden kann oder wieder nur als Stream über die Bühne geht, steht zum Redaktionsschluss wie so vieles andere noch in den Sternen. Den Optimismus, dass irgendwann wieder eine Art von Normalität einkehren wird, will man sich aber auch beim BR nicht nehmen lassen, wo der Probenbetrieb unter strengen Auflagen in kleinen Gruppen weitergeführt wird und einiges von dem, was aus dem ersten Lockdown geschoben werden musste, nun eben in adaptierter Form kommen soll. So unter anderem ein groß angelegtes Mahler-Projekt mit dem österreichischen Kollektiv Franui oder auch eine „Schubertiade“ in kleinen Besetzungen.

Probenarbeit zu Arvo Pärts „Miserere“ anlässlich der Salzburger Festspiele 2019 unter Mitwirkung des Komponisten: Howard Arman (links) und Arvo Pärt im Gespräch mit Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler (Foto Salzburger Festspiele / Marco Borrelli)

Estnische Spiritualität und bayerische Stubenmusi

Frisch im Handel erhältlich ist dazu eine CD, mit der gleich noch an ein weiteres Jubiläum erinnert wird. Gilt es neben dem 75-jährigen Bestehen des BR-Chores doch ebenfalls den 85. Geburtstag von Arvo Pärt zu feiern, dessen Werke im Repertoire des Ensembles seit langem einen wichtigen Platz einnehmen. „Wir haben das als eine sehr angenehme Pflicht empfunden, weil wir eine sehr starke Verbindung mit ihm und seiner Musik haben. Er war sehr enttäuscht, dass er nicht nach München kommen konnte, um mit uns zu feiern.“ Hauptwerk auf der CD, die man gemeinsam mit dem œnm (œsterreichisches ensemble fuer neue musik) und dem Münchner Rundfunkorchester realisierte, ist Pärts „Miserere“ als Live-Mitschnitt von den Salzburger Festspielen 2019. Ein Konzert, an das sich Arman ebenso gern erinnert wie an die vom Komponisten selbst intensiv begleitete Probenzeit.  „Es ist schön, zu unserem gemeinsamen Jubiläum eine Live-Aufnahme zu haben, die so viel Kraft vermittelt. So ein heikles Stück 1:1 ohne Korrekturen auf CD übernehmen zu können, sagt schon einiges aus. Über die gute Zusammenarbeit mit dem œnm, aber auch über unsere Sängerinnen und Sänger, weil wir mit Ausnahme des Countertenors alle Soli aus den eigenen Reihen besetzen konnten.“

Von der weltlichen Seite erlebt man den Chor dagegen auf der ebenfalls vor Kurzem erschienenen CD mit Edward Elgars „From the Bavarian Highlands“. Einem Zyklus, zu dem der englische Komponist bei einem Ferienaufenthalt in den Alpen beeinflusst wurde. Hier trafen sich Heimat und Wahlheimat von Howard Arman, beim Livekonzert im Münchner Herkulessaal ergänzt durch eine original bayerische Stubenmusi. Wobei es besonders schön war, dass man für dieses Crossover im besten Sinne des Wortes „nur geringfügig außerhalb der eigenen Familie“ schauen musste. Kamen die Volksmusik-Beiträge doch ebenfalls von Mitgliedern des Chores oder aus deren direktem Umfeld. „Es zeigt, aus welchem Hintergrund das Singen manchmal entspringt. In der Kindheit ist das erste, das man singt, ja eher selten Mendelssohns ‚Elias‘, sondern eben Volkslieder. Und da gibt es eine sehr lebendige Kultur, die wir zeigen wollten. Davon waren auch die Mitglieder der Elgar Society in London sehr begeistert, mit denen ich im Vorfeld über unsere Idee gesprochen habe.“

Experimente und neue Begegnungen ist man beim BR-Chor also gewohnt. Und auch, wenn sich das gemeinsame Singen auf absehbare Zeit wohl eher in übersichtlichem Rahmen abspielen wird, steht Qualität bei Howard Arman und seiner Truppe weiterhin an erster Stelle. „Natürlich planen wir auch größere Werke in der Hoffnung, dass diese bald wieder möglich sein werden. Aber es gibt auch eine ganze Reihe von kleineren Stücken, auf die ich mich sehr freue. Die Größe der Besetzung sagt ja nichts über die Gedankengröße dahinter aus. Nehmen wir zum Beispiel Händel, der in seinen Opern oder Oratorien gern in wichtigen Momenten das Orchester reduziert. Wenn da eine Arie nur von einer Violine begleitet wird, dann heißt es aufpassen!“ Egal ob im kleinen oder großen Format, der BR-Chor ist für alles gerüstet.

CD-EMPFEHLUNGEN

Arvo Pärt: „Miserere“ (Chor- und Instrumentalwerke)
Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner ­Rundfunkorchester, œnm – Howard Arman
1 CD, BR-Klassik

Edward Elgar: „From the Bavarian Highlands / Partsongs“
Chor des Bayerischen Rundfunks – Howard Arman
1 CD, BR-Klassik

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Mai/Juni 2021

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Zersplittert

Hannover / Staatsoper Hannover (April 2021)
Brittens „The Turn of the Screw“ in dichter Filmkunst

Hannover / Staatsoper Hannover (April 2021)
Brittens „The Turn of the Screw“ in dichter Filmkunst

Kann man die Spaltung einer Persönlichkeit, also eine schizophrene Symptomatik zum Thema eines Bühnenstückes machen? Benjamin Britten ist das mit seiner faszinierenden Oper „The Turn of the Screw“ gelungen. Seit der Uraufführung 1954 in Venedig fordert dieses finstere Psychodrama die Opernhäuser der Welt heraus. Jetzt hat sich die Staatsoper Hannover dieser Aufgabe gestellt. Und auf breiter Front gewonnen. Die aktuellen Corona-Bedingungen forderten eine Streaming-Version. Klug die Entscheidung, mit den erfahrenen Video-Machern der Firmen BFMI und OTB zusammen zu arbeiten. Das garantiert eine überzeugende, fernsehgerechte Umsetzung der Opernproduktion. Und die geht unter die Haut.

Dafür sind zuerst die gesanglichen und darstellerischen Meisterleistungen des Gesangsensembles verantwortlich. Allen voran Sarah Brady in der Hauptrolle der immer mehr von psychotischen Obsessionen befallenen Gouvernante. Stimme und Schauspiel lässt sie von wunderbar durchsichtigem Piano bis hin zur großen dramatischen Geste zur Einheit verschmelzen. Erschreckend glaubwürdig gestaltet sie die Entwicklung der anfänglich zugewandt agierenden Erzieherin zur immer mehr vom Wahnsinn heimgesuchten Psychopatin, inklusive sexueller Obsession. Diese Gouvernante möchte man am Ende direkt bei der psychiatrischen Notaufnahme abliefern. Monika Walerowicz als Hausdame und Barno Ismatullaeva als herumgeisternde Miss Jessel sind ebenfalls herrlich singende Darstellerinnen auf Augenhöhe. Weronika Rabek wirkt in der Rolle des Mädchens Flora zwar zu erwachsen. Gleichwohl ist es für die junge Sängerin eine gut absolvierte Bewährungsprobe. Zu den stimmlichen Highlights werden die geisterhaften Erscheinungen des ehemaligen Hausdieners Quint, meistens aus dem Off gesungen. Dafür engagierte Hannover den hinreißend singenden südafrikanischen Tenor Sunnyboy Dladla. Schwingen in seiner Darstellung nicht Erinnerungen an Brittens Lebensgefährten Peter Pears mit, für dessen einzigartige Stimme Britten die Rolle des Mr. Quint einst entworfen hatte? Beklemmend überzeugend auch, wie Jakob Geppert den von der Gouvernante immer mehr in die Enge getriebenen Knaben Miles gestaltet.

Die ganze Inszenierung spiegelt wider, dass Britten seine 16 Szenenfolgen ursprünglich für eine filmische Umsetzung gedacht hatte. Das passt natürlich bestens zu den Anforderungen einer Streaming-Produktion. Das Kreativteam mit Immo Karaman (Regie), Thilo Ullrich (Bühne), Fabian Posca (Kostüme und Bewegungscoaching), Susanne Reinhardt (Licht) und Philipp Contag-Lada (Video) stellt das Geschehen in ein komplett schwarz-weiß gehaltenes Ambiente. Das minimalistisch gehaltene Bühnenbild verändert sich ständig szenengerecht per Videoprojektionen. Die so entstehenden, an Bauhaus-Ästhetik erinnernden Formen geben Rahmen und Hintergrund für die dicht konzentrierte Personenführung.

Die kleine Besetzung des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover schafft unter der sensibel mit der Bühne kommunizierenden Leitung seines Chefs Stephan Zilias mit durchsichtigem Klang kammermusikalische Höhepunkte, kann dabei aber auch zu rauschend-leidenschaftlichem Großklang hochfahren. Am Schluss anhaltenden Beifall und viele Vorhänge. Studiofake oder doch etwas Publikum im Saal? Egal. Verdient war das auf jeden Fall.

Claus-Ulrich Heinke

„The Turn of the Screw“ (1954) // Oper von Benjamin Britten

Die Inszenierung ist als Stream wieder am 15. Mai 2021 um 19.30 Uhr über die Website des Theaters verfügbar.

Mediales Allerlei um Nichts

München / Bayerische Staatsoper (April 2021)
Wolf-Ferraris „Il segreto di Susanna“ kehrt an seinen Uraufführungsort zurück

München / Bayerische Staatsoper (April 2021)
Wolf-Ferraris „Il segreto di Susanna“ kehrt an seinen Uraufführungsort zurück

Zehn Jahre nach der Uraufführung am 4. Dezember 1909 im damaligen Noch-Hof-, dem heutigen Nationaltheater war es letztlich inhaltlich, weil gesellschaftlich vorbei: Der neue Frauen-Typ des „Flappers“ durchtanzte die „Roaring Twenties“ – und rauchte natürlich, privat wie öffentlich. Dennoch war das fast in eine Ehekatastrophe mündende „Geheimnis“, das heimliche Rauchen Susannas, erfolgreiche Opernnostalgie noch bis in die siebziger Jahre.

Grundsätzlich ist es erfreulich, wenn die Bayerische Staatsoper ihre Geschichte reflektiert. Denn über die Uraufführung hinaus pflegte Ermanno Wolf-Ferrari enge Beziehungen zu München und Bayern – und außerdem passt der 45-minütige Einakter für zwei Sänger und einen stummen Diener perfekt in den Pandemie-Spielplan der „Montagsstücke“ als Lebenszeichen: Wir produzieren und spielen dennoch für unser Publikum!

Ebenso „dennoch“ wird Regisseur Axel Ranisch klar gewesen sein, dass das Werk inhaltlich „total out“ ist. Also hat er es multimedial aufgeblasen. Der Diener Sante führt die Zuschauerkamera zum offenen Spielpodest mit etlichen Möbeln auf der großen Bühne des Nationaltheaters (Ausstattung: Katarina Ravlic und Christian Blank). Dort ist auch das relativ große Bayerische Staatsorchester postiert: mit dem Rücken zum schwach erleuchteten leeren Zuschauerraum. Sante beginnt das nur noch albern wirkende Spiel zu inszenieren: Misstrauen von Graf Gil; Gräfin Susannas Verschleierung ihrer Tabak-Einkaufsgänge; Nebenbuhler-Eifersucht und Rauch-Schnuppern des neurotischen Hausherrn; Rauchen Susannas mit Sante; Ertapptwerden; Versöhnung und Bekehrung des Grafen zum Rauchen; das alles in heutigen Kostümen … Da hilft nur „Aufwand“: Regisseur Ranisch „doubelt“ die Handlung durch visuelle Film-Verlegung in eine Edelvilla in München-Nymphenburg, wo die Sänger stumm agieren mussten, während Gesang und Orchester von der Live-Aufführung im Theater kommen. Szenenwechsel hin und her und dann auch noch Überblendungen. Doch für überzeugendes Stumm-Film-Agieren in Nahaufnahme hätte Ranisch über ein paar Probenwochen und die Sensibilität eines Christof Loy für Personenregie verfügen müssen. Das war beides nicht gegeben, also: Aufwand und Aktionismus.

Dem Nachlesen nach hat 1958 Peter Ebert in Glyndebourne die stumme Dienerrolle zu einem umjubelten Kabinettstück geformt. Ranisch macht aus dem beleibten Heiko Pinkowski nicht nur einen wenig überzeugenden Regisseur, sondern auch noch den wenig „gustiösen“ Lover von Graf wie Gräfin mit einem Ende als „Ménage à trois“ – ach, wie zeitgemäß chic! Oder: ein nettes Nichts verschlimmbessert!

Ein wenig Trost aus der Musik: Dirigent Yoel Gamzou macht etliches der kleinen Preziosen und Raffinessen von Wolff-Ferraris Partitur hörbar, anderes geht in der Bilderflut einfach als Soundtrack unter. Selene Zanetti und Michael Nagy singen sehr gut, trotz Produktion dauernder E-Zigaretten-Rauchwolken. Insgesamt passt Shakespeares „Much Ado … um Nichts“.

Wolf-Dieter Peter

„Il segreto di Susanna“ („Susannens Geheimnis“) (1909) // Intermezzo von Ermanno Wolf-Ferrari

Die Inszenierung ist als Video-on-Demand ab 28. April 2021, 19 Uhr für 30 Tage auf Staatsoper.TV abrufbar, ein 24-Stunden-Ticket kostet 9,90 Euro.

Grenzüberschreitung

Antwerpen / Opera Ballet Vlaanderen (April 2021)
Purcells und Kalimas „Dido and Aeneas“ auf Entdeckungsfahrt

Antwerpen / Opera Ballet Vlaanderen (April 2021)
Purcells und Kalimas „Dido and Aeneas“ auf Entdeckungsfahrt

Die Produktion ist ein Meilenstein. Es geht von ihr eine völlig neue, Opernbühne und Filmstudio verschmelzende Ästhetik aus. Zwar wurde das Amalgam aus Purcells Oper und den Ergänzungen des finnischen Jazzkomponisten Kalle Kalima im Jahr 2019 bereits in Lyon und bei der Ruhrtriennale gezeigt. Doch erst Regisseur David Martons Entschluss, sich den Herausforderungen durch die Pandemie offensiv zu stellen, bereitete den Boden für das richtungweisende Ergebnis.

Der Reihe nach: Chefgott Jupiter und Gemahlin Juno betätigen sich in einem Ruinenfeld als sorgsame Archäologen, wobei sie kommunikations- und informationstechnische Artefakte aus der Zukunft wie Mobiltelefon, Computermaus und Kabelsalat zutage fördern. Relikte, die jene immer virulente Geschichte der Königin von Karthago mit dem trojanischen Flüchtling aufrufen. Final sollen die Bodenfunde verscharrt werden, doch bleibt die Story zu präsent, um neuerlich unter die Erde zu geraten. Für all dies münzt David Marton die Zwänge der Covid-19-Lage zur Tugend um. Die Theatralität des Werks bleibt erhalten, genuin cineastische Elemente kommen durch Nahaufnahmen sowie mehr oder minder steile Draufsichten bis zur Vogelperspektive hinzu. Auch hat Marton mit den Sängern eine für Close-ups taugliche Mimik erarbeitet. Christian Friedländers Szenografie changiert bruchlos zwischen Filmsequenzen, wie der in einem fahrenden Auto, und Bühnenbildhaftem, so bei manchem Horizont und einem demonstrativ künstlichen Baum. Pola Kardum kleidet die Personage im Fall von Göttern und Aeneas antikisierend, Dido und Belinda kommen heutig daher.

Trotz Crossover zwischen Alter Musik und Jazz ist die Produktion musikalisch aus einem Guss. Das B’Rock Orchestra bewährt sich gleichermaßen auf der Barockschiene und beim Jazz. Am Pult sorgt Bart Naessens für fließende Übergänge vom Einst zur Gegenwart. Alix Le Saux ist eine ebenso anmutige wie rührende Dido. Guillaume Andrieux gibt einen rollenbedingt etwas eindimensionalen Aeneas. Claron McFadden versieht Belinda mit vokal reich facettierten Farben. Umwerfend präsent bietet Erika Stucky ihre Jazzröhre für die Zauberin und Zwischenspiele auf. Schauspielerin Marie Goyette stattet Juno mit performancehafter Groteske und Bizarrerie aus. Eher unauffällig agiert der Jupiter von Thorbjörn Björnsson.  Zu hoffen steht, dass das mit dieser Produktion betretene Neuland künftig weiter erschlossen wird.

Michael Kaminski

„Dido and Aeneas“ (1689/2019) // Henry Purcell / Kalle Kalima

Die Inszenierung ist bis 8. Mai 2021 als kostenpflichtiger Stream über die Website des Theaters verfügbar.

Über sich hinaus tönen …

Mezzosopranistin Christa Ludwig mit 93 Jahren verstorben

Mezzosopranistin Christa Ludwig mit 93 Jahren verstorben

von Wolf-Dieter Peter

Eine kleine Szene charakterisiert die Grande Dame aller Mezzosopranistinnen perfekt: 1966 jagte Karl Böhm im Bayreuther Festspielhaus in der DG-Aufnahme des zweiten Aufzugs des „Tristan“ die Leidenschaften tönend-tosend hoch. Isolde Birgit Nilsson wollte jauchzend dem Geliebten das Zeichen geben; Brangäne Christa Ludwig warnte eindringlich, hob plötzlich die Hand und bat in Bayreuths „mystischen Abgrund“ hinunter um Unterbrechung. Sie winkte aus der Kulisse den Assistenten heran, blätterte eine Seite zurück, trat an den Rand zum Graben und flüsterte in schönem Wienerisch „Ich hab’ eb’m ‚weil du erblödet, wähnst du den Blick der Welt erblindet‘ g’sungen. Es muss umgekehrt …“ Böhm raunzte im allgemeinen Gelächter etwas Unverständliches zurück, biesterte noch hörbar „Birgit, schrei’ ned’ a’so!“ – dann tobten die Liebeswogen erneut und später erklangen die schönsten „Habet acht!“-Rufe Brangänes, die die damalige Musikwelt kannte …

Wache Selbstkontrolle und grandioses Tönen über alle Noten hinaus: Das machte einen Abend mit „der Ludwig als …“ zum unvergesslichen und Maßstäbe setzenden Erlebnis. Und das „als …“ umfasste Novitäten bei den Donaueschinger Musiktagen, über Dürrenmatt-von Einems „Alte Dame“, Bernstein, Strauss, Bartók, Berg, Orff, Puccini, Mahler, Berlioz, Bizet, Saint-Saëns, Verdi, Bellini, Rossini, Mozart, Gluck, Händel bis zu Monteverdi nahezu „alles“ – neben vielen, vielen anrührenden oder auch expressiv überwältigenden Liederabenden auch eine der ersten weiblichen „Winterreisen“.

Stufe für Stufe an die Spitze

Begonnen hatte das 1928 in einem enorm, ja außerhalb der Norm prägenden Elternhaus: der Vater Sänger-Intendant, die Mutter Sängerin, lebenslang beratende („Du bist zum Talent verdammt“) und kontrollierende „Wächterin“ über ein hochbegabtes Mädchen, das alles zum Theater und Singen von Anfang an mitbekam, imitierte und studierte. Das half nach dem Ausgebombt-Sein, speziell 1946 am Anfang der Besatzungszeit: im Berliner GI-Club Songs für Zigaretten, die sie dann tauschen konnte. Im Gegensatz zu den meisten heutigen „Starkarrieren“ oder PR-Hypes arbeitete sich Christa Ludwig Stufe für Stufe an die Spitze – Gießen, Frankfurt, Darmstadt, Hannover. Bis 1955 Karl Böhm die hochgewachsene junge Frau mit der enormen Bühnenpräsenz an die Wiener Staatsoper holte. Nach den frühen Azucenas und Lady Macbeths in den kleineren Häusern – prompt mit den kleinen Gefährdungen fürs Feine und Piano – in Wien nun also Cherubino, Dorabella und weiterer organischer Repertoireaufbau. Mit Grenzen: Angesichts des herrlich strömenden, zu weicher Tiefe fähigen Mezzosoprans, dem auch ein strahlendes C zu Gebote stand, kam über „Fidelio“ hinaus natürlich das mehrfache Angebot zu Brünnhilde – und von Böhm, Karajan und Bernstein das Drängen zu Isolde. Doch so wie Christa Ludwig selbst in ihren konstitutionell kräftigsten Jahren klug genug war, die „Fidelio“-Leonore nur einmal in der Woche zu singen, so schmerzlich einsichtig erkannte sie, dass sie ihrer Stimme mit der Isolde Gewalt antun würde – so wie sie Verdis Eboli nach einem missglückten Spitzenton nie mehr sang. Nach 46 Jahren Weltkarriere – neben allen anderen ersten Namen der Opernwelt – in Wien dann ein rundum bedauerter, strahlender Karriereabschied mit 66 Jahren und einem besonderen Ende draußen vor der Bühnentür: „Ich wollte mich mal in Ruhe erkälten. So lange musste ich aufpassen auf diese blöden Stimmbänder! Ich hab’ den Mantel auf- und den Hals freigemacht und ging in den Schnee.“

„Mehr als …“

Vieles ist in Lexika, Biografien und gehaltvollen Interviews in Wort, Ton und Bild nachseh- und nachlesbar, mehr als in anderen Sängerbüchern auch nachlesenswert. Für alle die, die „La Ludwig“ nicht mehr live erlebt haben, gibt die Fülle ihrer Aufnahmen und Mitschnitte betörenden Trost. Für den Stimmfreund sein müssen: als Einstieg die pure vokale Verführung der Dalila in der Patané-Einspielung; Maßstab-setzend unerreicht die Judith neben Damals-Ehemann Walter Berry in Bartóks „Blaubart“ unter István Kertész; antiquarisch die CD zum 70. Geburtstag mit Elektra und Brünnhilde-Ausschnitten von 1964; neben etlichen akustischen Mitschnitten die Fernseh-Aufzeichnung ihrer in Bann schlagenden „Fidelio“-Leonore aus der Deutschen Oper Berlin 1963; der Bootleg-Mitschnitt der 1966 als die „wahre künstlerische Eröffnung der neuen Metropolitan Opera“ gefeierten „Frau ohne Schatten“ mit dem „Dream-Team“ Böhm-Rysanek-King-Ludwig-Berry; die offiziellen „Tristan“- und „Parsifal“-Einspielungen. Und dann gibt es eine Aufnahme, die jeden Musikfreund anrühren und überwältigen wird: 1966 nahm der schon schwer kranke Otto Klemperer in London Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ auf; Fritz Wunderlich sang wie von Todesahnungen durchdrungen ein bislang unübertroffenes „Trinklied vom Jammer der Erde“ (es war seine letzte Aufnahme); und wenn dann Christa Ludwig im „Abschied“ nach dem kleinen Orchesterteil mit „Die liebe Erde …“ wieder einsetzt, muss man schon hartgesotten sein, um nicht feuchte Augen zu bekommen, weil da Töne über sich hinausweisen ins finale „Ewig … Ewig …“. Da ist Danke zu sagen – für dieses „mehr als …“, das der singende Mensch vermitteln kann. Was einen durchs Leben begleitet und bleibt …