Ein Festival wird dreißig und niemand darf persönlich gratulieren. So trist sah es noch vor Kurzem für die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci aus. Doch Anfang Juni war unverhoffte Bescherung mit dem wohl schönsten Geburtstagsgeschenk: der Erlaubnis, zu spielen und dies zumindest teilweise vor Publikum. Was das Hin und Her – erst die bereits zweite Absage des Programms, dann das Erarbeiten einer rein digitalen Version und letztendlich eine mit Live-Veranstaltungen – für das Team um Intendantin Dorothee Oberlinger an Fantasie, Organisationsgeschick und starken Nerven bedeutet hat, ist nur zu erahnen.

Bei der Opernpremiere ist von diesem Kraftakt nichts zu spüren. Sondern nur Freude und das auch noch aus einem weiteren Grund. Denn nach siebenjährigen Renovierungsarbeiten kann das Schlosstheater im Neuen Palais Sanssouci, ein Juwel unter historischen Spielstätten, wieder für das Musiktheater genutzt werden. Gegeben wird Georg Philipp Telemanns frühes, nach Texten von Molière komponiertes Bühnenwerk „Pastorelle en musique“, das von den Liebeständeleien zwischen zwei Schäferinnen und ihren männlichen Pendants handelt. 

Die erst Anfang 2000 in einem Archiv in Kiew aufgefundene Partitur ist eine musikalische Köstlichkeit mit französischem Einschlag und reizvoll instrumentierten Arien, die je nach Gefühlslage das idyllische Geschehen abbilden. Die bukolische Stimmung wird durch die von Johannes Ritter entworfenen Landschaftsprospekte und die in Naturtönen gehaltenen Kostüme perfekt illustriert. Auf Harmonie setzt auch Nils Niemann in seiner hübsch arrangierten Inszenierung, die historische Bewegungselemente miteinbezieht.

Das Festspiel-Motto heißt „Flower Power“. Doch bei „Pastorelle en musique“ passt die Überschrift „Frauenpower“ weit besser. Vor allem wird sie verkörpert von Dorothee Oberlinger, die am Pult des von ihr gegründeten Ensembles 1700 steht. Ihre Vitalität gepaart mit stilistischem Wissen befeuert die famosen Instrumentalisten zu farbreichem Musizieren – und dass sie es sich nicht nimmt, bei der Vogelarie zur Blockflöte zu greifen, versteht sich von selbst. Übrigens sitzen im Orchester noch mindestens zwei Mehrfachtalente. Yves Ytier zeigt sich als galanter Tänzer bei gleichzeitigem Geigenspiel und Max Volbers schwebt als flötender Cupido vom Kulissenhimmel herab.

Auch auf der Bühne haben die Damen das Sagen, das wird schon deutlich in Calistes Auftrittsarie „Freiheit soll die Losung sein“, die sich zum Duett mit Frauenchor erweitert. Lydia Teuscher singt sie mit überlegenen Koloraturen und lyrischem Leuchten, unterstützt durch die vokal ebenso gewandte, etwas dunkler timbrierte Sopranistin Marie Lys als Freundin Iris. Auf Wohlklang bedacht ist Bariton Florian Götz bei Damons Liebesschmachten, zurückhaltender, sanfter bemüht sich der Countertenor Alois Mühlbacher als Amyntas um seine Angebetete. Ein Happy End auf allen Ebenen. Nur der vorlaute Außenseiter Knirfix, den Virgil Hartinger mit tenoralem Witz ausstattet, bleibt alleine.

Karin Coper

„Pastorelle en musique oder Musicalisches Hirten-Spiel“ (1713/15) // Georg Philipp Telemann