Das Grafenegg Festival trotzt dem Virus
von Iris Steiner
Mehr zu sein als das „Land um Wien herum“, war vor 20 Jahren der Grund für das Bundesland Niederösterreich, die Kultur zu seinem Identitätsstifter zu machen. Ein Glücksfall für den 32 Hektar großen, im Stile englischer Landschaftsgärten gestalteten Park um das Schloss Grafenegg. Man erweiterte die Anlage um eine Open-Air-Bühne und einen Konzertsaal und realisierte in wenigen Jahren den heute weit über Österreich hinaus bekannten grandiosen Standort mit seinen traumhaften Bedingungen zur Darbietung klassischer Konzerte.
Bemerkenswert ist, dass es überhaupt stattgefunden hat, das 14. Grafenegg Festival. Zwar musste das ursprünglich geplante Programm den aktuellen Gegebenheiten angepasst und ein aufwendiges Sicherheitskonzept erarbeitet werden, aber „es war uns wichtig, die Kunst als Grundbedürfnis der Menschen gerade in Zeiten wie diesen zu behaupten“, betonte die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Die Idee des künstlerischen Leiters Rudolf Buchbinder, »alle österreichischen Kräfte zu bündeln“ und damit mögliche Reiseprobleme ausländischer Künstler von vornherein auszuschließen, war so clever wie offensichtlich. Wo, wenn nicht in Österreich, könnte man sonst Weltniveau erreichen, wenn man fast ausschließlich seine „eigenen“ Künstler und Orchester engagiert?
Trotzdem, ein wenig traurig ist der in Tübingen geborene Geschäftsführer Dr. Philipp Stein schon, wenn er daran denkt, dass in „normalen Jahren“ das Publikum einen ganzen Tag mit mehreren Konzerten an verschiedenen Orten auf dem weitläufigen Gelände von Grafenegg verbringen kann. Etwas, das in diesem Jahr aufgrund der Regeln leider auf ein Konzert am Abend reduziert werden musste. Um einen geordneten Einlass des Publikums in den Wolkenturm zu ermöglichen, wurden sämtliche Tickets in Farben eingeteilt. „Wir dürfen den großen Park nicht frei zugänglich machen, sondern nutzen ihn für Wartezonen. Darüber hinaus achten wir sehr darauf, dass sich die Bereiche vor und hinter der Bühne nicht vermischen“, so Stein. Das Konzept ging auf – alle Künstler wurden in über 1.100 PCR-Tests kontrolliert – und auch beim Wetter hatte man großteils Glück: Lediglich zwei der 15 geplanten Konzerte mussten abgebrochen werden, da das Auditorium als Schlechtwetter-Alternative in diesem Jahr nicht zur Verfügung stand.
Dass man mit 1.250 Besuchern je Abend in diesem Jahr zu einem der größeren Kulturveranstalter des Landes zählen darf, ist nur ein kleiner Trost, aber Optimist Buchbinder lässt sich nicht beirren: „Wir hatten im Hinblick auf die Pandemie von vornherein die bestmöglichen Voraussetzungen – keine szenischen Produktionen, alles Open Air und ein relativ später Festivalstart am 14. August. Dazu kommt ein phantastischer Rückhalt durch das Land Niederösterreich. Für uns war immer klar, dass wir stattfinden.“ Der Blick auf die Bilanz zeigt, dass er Recht behalten hat. Das Grafenegg Festival 2020 liest sich wie ein „who is who“ der Klassikbranche. Es debütierten die Wiener Symphoniker, das ORF Radiosymphonieorchester und Starsopranistin Anna Netrebko mit ihrem Mann Yusif Eyvazov. Orchesterkonzerte mit dem Residenzorchester, dem Tonkünstler-Orchester, den Wiener Philharmonikern unter Gustavo Dudamel und Franz Welser-Möst folgten, dazu virtuose Solistenkonzerte mit Alice Sara Ott und Arabella Steinbacher und ein Opernabend mit Piotr Beczała. Kammermusikalische Abende wie „Buchbinder & Friends“ sowie das Liedprogramm mit Jonas Kaufmann stellten zudem unter Beweis, dass die Atmosphäre des Wolkenturms auch für kleinere Besetzungen geeignet ist.
„Klang trifft Kulisse“ hielt auch den Corona-Bedingungen Stand: 80 Prozent der ursprünglich geplanten Künstler konnten auftreten, die Hauptherausforderung bestand im Umgestalten der Programme, die ohne Pause stattfinden mussten. Sämtliche ausländischen Orchester zu ersetzen, war die größte und schmerzlichste inhaltliche Veränderung, wie Geschäftsführer Philipp Stein bemerkte, „neben dem Umstand, dass bei der Umplanung nur wenig zeitgenössische Musik ins Programm genommen werden konnte“ – aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. „Regionalisierung als Antwort auf eine globale Krise ist immer schwierig. Aber das war der Wermutstropfen, mit dem wir in diesem Jahr eben leben mussten.“
Das Festival setzt auch zukünftig auf sein Alleinstellungsmerkmal als Tagesausflugsziel für Kultur- und Naturliebhaber in Großstadtnähe, auf das Gefühl, dass man statt über einen roten Teppich hier über den grünen Rasen läuft – und auf ein niederschwelliges Gesamtpaket auch für Besucher, die nicht nur ausschließlich kulturaffin sein müssen, um die Atmosphäre des großen Parks um das Schloss genießen zu können. „Mit Corona wird man zunächst leben müssen“, meint Intendant Buchbinder, dessen Vertrag vorerst bis 2024 fixiert ist, „das wird es immer geben. Aber wenn ein Impfstoff gefunden ist, kann man damit umgehen.“
Dass das Programm zum 15. Geburtstag 2021 schon fertig geplant ist, zeugt von Optimismus. Und dass man direkt mit der diesjährigen Bilanz einen neuen Hauptsponsor für die Zukunft verkünden konnte, ist auch kein schlechtes Zeichen.