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Sebastian Schwab

Kleine Oper ganz groß!

Heidenheim an der Brenz / Opernfestspiele Heidenheim (Juli 2021)
Höchst relevantes Musiktheater mit der Pop-up Opera „Nau bens hald I“ über Georg Elser

Heidenheim an der Brenz / Opernfestspiele Heidenheim (Juli 2021)
Höchst relevantes Musiktheater mit der Pop-up Opera „Nau bens hald I“ über Georg Elser

Vier Sängerdarstellerinnen und -darsteller, zwei Musiker und eine Schubkarre, ein Rathausvorplatz – kann das denn schon Oper sein? Wenn man sich die Pop-up Opera „Nau bens hald I“ – eine Auftragskomposition der Opernfestspiele Heidenheim aus dem letzten Jahr – anschaut, dann besteht daran kein Zweifel. Aufwändige Kostüme und Bühnenbilder, üppiges Orchester, ein großes Ensemble – all das braucht es für den Opern-Moment nicht (zwingend). Dem kleinen Stück Musiktheater über den ersten Hitler-Attentäter Georg „Schorsch“ Elser gelingt es, in gut zwanzig Minuten jeden Einzelnen im Publikum zu berühren, zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen, als wär’s im großen Opernhaus.

Das Stück erlebte bereits im letzten Sommer seine Uraufführung. An den damaligen Erfolg anknüpfend, aber auch durch die weiterhin anhaltende Pandemiesituation bedingt, sollte diese „Oper in drei Aufzügen“ erneut auf die Plätze und an die Menschen der Region herangetragen werden. „Pop-up“ lautet die Devise, die nicht nur in leerstehenden Gebäuden der Innenstädte zu finden ist, nein: Gerade in Zeiten „kultureller Leerstände“ ist die Idee der improvisierten Bühne, die an unterschiedliche Orte und sich stets zu den Leuten hinbewegt, eine gelungene Anwendung des „Berg und Prophet“-Prinzips in Ausnahmezeiten.

Librettist Hendrik Rupp führt uns in drei Szenen vom Attentatsjahr 1939 über die direkte Nachkriegszeit hin ins Heute und zeigt, wie unterschiedlich die gesellschaftliche Wahrnehmung und Bewertung Elsers war und wie aktuell Geschichte – zumal diese, die von Zivilcourage und gesellschaftlichen Gruppenzwängen handelt – noch heute ist. In ostschwäbischer Mundart geschrieben, wird die Elser-Geschichte präsentiert als Stück regionaler Identität.

Das kleine Werk will nicht nur eine genuine Oper sein – es schafft das auch. Vor allem überzeugt die Reduktion auf das Wesentliche, die „Nau bens hald I“ zur Elser-Oper „in a nutshell“ macht: zwei Instrumente (Akkordeon, Schlagzeug) und zwei Personengruppen (Georg Elser und ein kleiner Chor, oder besser: Korps), mehr braucht der Komponist Sebastian Schwab für die Charakterzeichnung und Handlungslenkung seiner Figuren nicht. Schlagzeug und Chor bilden unüberhörbar eine Einheit: Der militante Trommelwirbel gibt den drei Jugendlichen den (Marsch-)Takt an. Georg Elser hingegen – hervorragend vom eingesprungenen Gerrit Illenberger verkörpert und im Übrigen der einzige Darsteller, der im klassischen Sinne „singt“ – findet sein Pendant im harmoniesuchenden Akkordeon. Die klare Regie von Lisa-Marie Krauß führt Wort, Musik, Szene und Sinn zusammen und schafft so in jeder Szene aufs Neue veritable Opernbühnen-Momente.

Das simple Prinzip „Pop-up“ mit einem anspruchsvollen Thema zu verknüpfen, das ist den Opernfestspielen Heidenheim hier zweifellos gelungen. Die Entscheidung, keinen Unterhaltungsstoff für dieses Format zu wählen, sondern ein gewichtiges Kapitel regionaler Geschichte, zeugt einmal mehr davon, dass dieses Festival seinen gesellschaftlichen Auftrag wahrnimmt und aufs Beste umsetzt. Hoffentlich bleibt diese Art von Oper auch in Post-Corona-Zeiten erhalten – sie ist ein wahrer Gewinn!

Dr. Dimitra Will

„Nau bens hald I“ (2020) // Pop-up Opera von Sebastian Schwab (Komposition) und Hendrik Rupp (Libretto)

Revolte der Phantasie

Stuttgart / Staatsoper Stuttgart (Februar 2021)
Schorsch Kamerun zaubert mit zwei Stücken von Maurice Ravel – und spielt auch gleich selbst mit

Stuttgart / Staatsoper Stuttgart (Februar 2021)
Schorsch Kamerun zaubert mit zwei Stücken von Maurice Ravel – und spielt auch gleich selbst mit

Die Staatsoper Stuttgart stellt die Verbindung zur aktuellen Zeit gleich in der Klammer nach dem Titel her und bezeichnet diese Premiere als „Preview“. Die Online-Premiere „Verzauberte Welt“ mit Werken von Maurice Ravel ist also nur ein Vorgeschmack auf die Wiederaufnahme des Spielbetriebs in besseren Zeiten. Vorgesehen war die Haus-Premiere zuerst für Dezember 2020, dann für Februar dieses Jahres. Geworden ist aus beiden Terminen nichts.

In Stuttgart hat der renommierte Autor und Regisseur Schorsch Kamerun Maurice Ravels „Das Kind und die Zauberdinge“ („L’Enfant et les Sortilèges“) aus dem Jahre 1925 mit der Orchestersuite „Mutter Gans“ („Ma Mère l’Oye“) kombiniert. In die Umrahmung der Oper mit der Suite (in einer Fassung von Sebastian Schwab) hat der Regisseur eigene Songs und Texte integriert. Zusammen mit dem Opern-Hauptteil in der deutschen Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze bringt es der Abend auf kurzweilige und gut konsumierbare etwa 85 Minuten. In denen es nicht nur – wie in der Vorlage – um ein Kind mit Anpassungs- oder Vereinsamungsproblemen geht, sondern auch um den Zauber, zu dem das Theater in der Lage ist, wenn man es denn lässt. Heutzutage vom Homeschooling Betroffene werden wohl sofort einen Zugang zur kindlichen Revolte finden. Unversehens wird das Ganze zu einem Reflex der Grenzerfahrungen, die heutzutage Pandemie-bedingt gemacht werden. Neben Kamerun selbst sind 24 Stuttgarter Kinder dabei, wird die Revolte der Phantasie gegen die Zumutungen der Wirklichkeit zu einem generationsübergreifenden multiperspektivischen Kamera-Spektakel. Die Musik und die Bühne von Katja Eichbaum, die via Videos Foyer und den Bereich hinter der Bühne einbezieht, geben dabei die Atmosphäre vor.

Diana Haller fühlt sich vokal und im Habitus wunderbar präsent in das Kind hinein. Koloratursopranistin Maria Theresa Ullrich darf sich von der gestrengen Mutter über die chinesische Teetasse zur Libelle verwandeln. Hinreißend auch Charles Sy als altes Männchen, das die „Mathematik“ beschwört und sich damit nicht beliebt macht. Mit dem Kostüm, das Gloria Brillowska für Claudia Muschio kreiert hat, schießt diese als Prinzessin und Nachtigall mit ihrer lodernden Kostümpracht als Feuer den Vogel ab. Nach einem sozusagen systemsprengenden Wutausbruch rettet das Kind ein Eichhörnchen und kommt wieder zur Besinnung.

Der Spaß an der Verwandlung und die Freude am Spiel auf der Bühne und miteinander ist allen anzumerken. So wie dem ehemaligen Stuttgarter Generalmusikdirektor Dennis Russell Davies und seinen Musikern, die alle Darsteller auf Händen tragen und mit ihrem Ravel-Klang verzaubern.

Joachim Lange

„Verzauberte Welt“ // Maurice Ravels Oper „L’Enfant et les Sortilèges“ („Das Kind und die Zauberdinge“) (1925) und seine Orchestersuite „Ma Mère l’Oye“ („Mutter Gans“) (1910), ergänzt durch Songs und Texte von Schorsch Kamerun