Die „Opéra Royal de Wallonie“ im belgischen Liège (Lüttich) feiert ihr zweihundertjähriges Jubiläum
von Michael Kaminski
Am 4. November 1820 – ein Jahrzehnt vor Gründung des belgischen Staates – hob sich nach zweijähriger Bauzeit zur Einweihung des Liégoiser Musentempels der Vorhang für André Grétrys einst populäre Ballettoper „Zemire et Azor“ – eine Reverenz vor dem großen Komponistensohn der Stadt. Das Baugrundstück hatte König Wilhelm I. der Niederlande geschenkt, zu dessen Reich die Maas-Metropole damals zählte.
1852 gelangte das Gebäude in kommunales Eigentum und von 1861 an nahmen die Kohle- und Stahlbarone der damals schwerreichen Industriestadt in den Logen des neu errichteten Auditoriums Platz. Seither erfreuen sich die Besucher des Hauses, das vom Liégoiser Stadtbaumeister Julien-Étienne Rémont errichtet wurde, an diesem auf die Pariser Garnier-Oper vorausweisenden Zuschauerraum im Stil des Zweiten Kaiserreichs. Seine finale Erscheinung erhielt der prachtvolle Saal schließlich durch das 1903 vollendete Deckengemälde von Émile Berchman, von dem herab Rossini, Wagner und Gounod samt einiger ihrer Opernfiguren wohlgefällig auf Bühne und Publikum hinabblicken. Zwischen 2009 und 2012 wurde das Haus nicht nur generalsaniert, sondern spektakulär aufgestockt. Hinter der Lamellenfassade des auf den Altbau gesetzten Kubus verbergen sich Proberäume, Werkstätten und Büros.
Eine prägende künstlerische Handschrift zeichnete zwischen 1967 und 1992 der streitbare Intendant Raymond Rossius vor allem durch französisches Repertoire. Seit 2007 pflegt sein dritter Nachfolger Stefano Mazzonis di Pralafera die ausgesprochene Italianità der „Königlich Wallonischen Oper“, französische Werke werden aber keineswegs vernachlässigt. Im späteren Verlauf der durch die Pandemie arg beschnittenen Jubiläumsspielzeit stehen etwa mit Verdis „I Lombardi“ und Donizettis „La fille du régiment“ nach aktueller Planung noch französische und italienische Operngeschichte unmittelbar verbindende Werke auf dem Spielplan.