Die Produktion ist ein Meilenstein. Es geht von ihr eine völlig neue, Opernbühne und Filmstudio verschmelzende Ästhetik aus. Zwar wurde das Amalgam aus Purcells Oper und den Ergänzungen des finnischen Jazzkomponisten Kalle Kalima im Jahr 2019 bereits in Lyon und bei der Ruhrtriennale gezeigt. Doch erst Regisseur David Martons Entschluss, sich den Herausforderungen durch die Pandemie offensiv zu stellen, bereitete den Boden für das richtungweisende Ergebnis.

Der Reihe nach: Chefgott Jupiter und Gemahlin Juno betätigen sich in einem Ruinenfeld als sorgsame Archäologen, wobei sie kommunikations- und informationstechnische Artefakte aus der Zukunft wie Mobiltelefon, Computermaus und Kabelsalat zutage fördern. Relikte, die jene immer virulente Geschichte der Königin von Karthago mit dem trojanischen Flüchtling aufrufen. Final sollen die Bodenfunde verscharrt werden, doch bleibt die Story zu präsent, um neuerlich unter die Erde zu geraten. Für all dies münzt David Marton die Zwänge der Covid-19-Lage zur Tugend um. Die Theatralität des Werks bleibt erhalten, genuin cineastische Elemente kommen durch Nahaufnahmen sowie mehr oder minder steile Draufsichten bis zur Vogelperspektive hinzu. Auch hat Marton mit den Sängern eine für Close-ups taugliche Mimik erarbeitet. Christian Friedländers Szenografie changiert bruchlos zwischen Filmsequenzen, wie der in einem fahrenden Auto, und Bühnenbildhaftem, so bei manchem Horizont und einem demonstrativ künstlichen Baum. Pola Kardum kleidet die Personage im Fall von Göttern und Aeneas antikisierend, Dido und Belinda kommen heutig daher.

Trotz Crossover zwischen Alter Musik und Jazz ist die Produktion musikalisch aus einem Guss. Das B’Rock Orchestra bewährt sich gleichermaßen auf der Barockschiene und beim Jazz. Am Pult sorgt Bart Naessens für fließende Übergänge vom Einst zur Gegenwart. Alix Le Saux ist eine ebenso anmutige wie rührende Dido. Guillaume Andrieux gibt einen rollenbedingt etwas eindimensionalen Aeneas. Claron McFadden versieht Belinda mit vokal reich facettierten Farben. Umwerfend präsent bietet Erika Stucky ihre Jazzröhre für die Zauberin und Zwischenspiele auf. Schauspielerin Marie Goyette stattet Juno mit performancehafter Groteske und Bizarrerie aus. Eher unauffällig agiert der Jupiter von Thorbjörn Björnsson.  Zu hoffen steht, dass das mit dieser Produktion betretene Neuland künftig weiter erschlossen wird.

Michael Kaminski

„Dido and Aeneas“ (1689/2019) // Henry Purcell / Kalle Kalima

Die Inszenierung ist bis 8. Mai 2021 als kostenpflichtiger Stream über die Website des Theaters verfügbar.