Umstrittener Führungsstil am Badischen Staatstheater Karlsruhe
von Manfred Kraft
Eigentlich begann die Führungskrise am Badischen Staatstheater Karlsruhe mit einem ganz alltäglichen Vorgang: Zwei Operndramaturgen bitten Ende Juni 2020 um vorzeitige Auflösung ihres Vertrags und geben auf Nachfrage eine Stellungnahme zu ihren Gründen ab. Doch mit den von Patric Seibert und Dr. Boris Kehrmann vorgebrachten Begründungen schienen sich Schleusen zu öffnen. Die geäußerte massive Kritik am Führungsstil von Generalintendant Peter Spuhler wurde zunächst von Deborah Maier, der dritten Dramaturgin, bestätigt. Ein sinnvolles Arbeiten sei unter dem krankhaften Kontrollzwang, dem verbreiteten Klima der Angst und dem Unterdrücken jeglicher Kreativität durch den Intendanten tatsächlich nicht möglich. Gerüchte über inhumane Arbeitsbedingungen durch den Generalintendanten gab es zwar schon früher (auch aus seinen vorherigen Arbeitsstätten in Reutlingen und Heidelberg), doch bis dato blieben sie stets anonym und wenig konkret, erst die klaren Worte von Seibert und Kehrmann durchbrachen scheinbar eine Mauer des Schweigens.
Viele befremdende Personalwechsel wurden plötzlich verständlicher: Schon Joscha Schaback, Spuhlers erster Operndirektor, verlängerte seinen Vertrag trotz fehlendem Anschlussengagement auf eigenen Wunsch nicht; die Leiter der Kommunikationsabteilung gaben sich gegenseitig die Klinke in die Hand – ein ehemaliger Mitarbeiter bekannte, dass er in eineinhalb Jahren unter drei verschiedenen Abteilungsleitern arbeitete; und auch Nicole Braunger, die derzeitige Operndirektorin des Hauses, bat bereits um vorzeitige Vertragsauflösung, was der Intendant zunächst allerdings ablehnte. Im Jahr 2015 griffen viele Medien die vorgesehene Abschiebung des kurz vor dem Ruhestand stehenden und von Spuhler wenig geschätzten Verwaltungsdirektors Michael Obermeier auf, der auf einen neu geschaffenen Posten im Stuttgarter Wissenschaftsministerium versetzt werden sollte. Viele Mitarbeiter des Staatstheaters solidarisierten sich mit dem beliebten Verwaltungsdirektor – das Motto „Je suis Obermeier“ machte am Haus die Runde – und der Fall endete schließlich in einer teuren und unergiebigen Mediation.
Gravierende Vorwürfe
Nach vielen immer offener werdenden Einzelstimmen bezog dann auch der Personalrat des Staatstheaters deutlich Stellung. In einem offenen Brief wurden die von Seibert, Kehrmann und Maier vorgebrachten Vorwürfe nicht nur vollumfänglich bestätigt, sondern sie wurden als noch weitaus gravierender dargestellt als zunächst geglaubt. Rüder Umgangston, cholerische Anfälle und gezieltes Mobbing von Einzelpersonen durch den Intendanten seien ebenso an der Tagesordnung wie eine Überstundenzahl, die weit über das an Theatern übliche Maß hinausgeht und zu mindestens acht registrierten Burn-Out-Erkrankungen führte. Vorwürfe wie eine großzügige Umgehung von Ausschreibungspflichten zugunsten persönlicher Favoriten waren dabei noch nicht einmal berücksichtigt.
Einen äußerst schwachen und desinteressierten Eindruck hinterließ in dieser Phase der Verwaltungsrat. Obwohl diesem bereits mehrfach Vorwürfe aus den Reihen der Belegschaft vorgetragen wurden, darunter eine Umfrage aus dem Jahr 2018, in der mehr als die Hälfte der Mitarbeiter die Atmosphäre im Haus als „eher schlecht“ bewertete, bemängelte der Verwaltungsrat nur einige „Formfehler“ an der Umfrage und verlängerte den Vertrag des Intendanten 2019 um weitere fünf Jahre bis 2026. Auch in der jetzt aufgetretenen Krise brauchte der Verwaltungsrat über eine Woche für eine erste Stellungnahme. Doch anstatt zunächst einmal Empathie mit den betroffenen Mitarbeitern erkennen zu lassen, wurde vor allem bedauert, dass die Vorwürfe öffentlich gemacht wurden. Man behauptete, keine Kenntnis von der Schwere der Anschuldigungen gehabt zu haben, und schlug einen Vertrauensanwalt vor, an den sich Betroffene wenden könnten. Da die zugesicherte Verschwiegenheit jedoch in einem ähnlichen Fall schon einmal gebrochen wurde, war diese Lösung weder vertrauensbildend noch hilfreich. Besonders die beiden Vorsitzenden des Verwaltungsrats, die Baden-Württembergische Wissenschafts- und Kunstministerin Theresia Bauer und Oberbürgermeister Frank Mentrup, hinterließen in dieser Situation den Eindruck, eher den Täter als die Opfer schützen zu wollen.
„Von Haltung und Verhalten“ …?
Glaubhaft wiesen sowohl der Personalrat wie auch die Sprecher von Orchester und Chor darauf hin, dass der Verwaltungsrat mehrmals auf die untragbare Situation aufmerksam gemacht wurde. Besonders der Kulturbürgermeister sei immer wieder auf die aufgetretenen Schwierigkeiten hingewiesen worden. Deutlich distanzierte sich auch die immerhin 1.400 Mitglieder zählende „Gesellschaft der Freunde des Badischen Staatstheaters“ von Spuhler. Neben dem Bedauern über die überdurchschnittliche Fluktuation im Ensemble beinhaltete die Stellungnahme auch eine deutliche Kritik an Spuhlers Spielplan-Politik. Detailliert wurde aufgeführt, dass nicht nur misslungene Inszenierungen, sondern auch überaus erfolgreiche Produktionen – u.a. „Die Meistersinger von Nürnberg“ und „Parsifal“ – nach wenigen Aufführungen wieder aus dem Spielplan verschwanden. Die wenigen regelmäßig wiederaufgenommenen Werke („Carmen“, „Hänsel und Gretel“, „Die Zauberflöte“, „Tosca“, „La traviata“) stammen alle noch aus den Amtszeiten früherer Intendanten. Aus den zehn Jahren unter Peter Spuhler rückte einzig „My Fair Lady“ in diesen Kreis. Von einem gelungenen Repertoire-Aufbau könne somit keine Rede sein. Der Rezensent und Chronist kann dieser Einschätzung nur voll zustimmen. Doch weder diese klaren Stellungnahmen noch dreihundert vor der entscheidenden Verwaltungsratssitzung gegen Generalintendant Spuhler demonstrierende Mitarbeiter des Staatstheaters – somit immerhin über ein Drittel der Belegschaft – vermochten den Verwaltungsrat von seiner Linie des „Weiter so“ abbringen.
Mit einer Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen wollte man der Krise Herr werden: Man berief nun zwei Mitglieder des Personalrats zu offiziellen Beratern des Verwaltungsrats, man wollte einen Vertrauensanwalt einsetzen und regelmäßige Personalbefragungen durchführen. Auch sollten die Kompetenzen und Rechte der einzelnen Spartendirektoren erweitert und detaillierter in Verträgen und Arbeitsbeschreibungen festgehalten werden. Doch mit Beginn der Spielzeit 2020/21 setzte sich endlich die Überzeugung durch, dass die vorgesehenen und bereits laufenden Maßnahmen keine Verbesserung der Situation bringen, woraufhin Bauer und Mentrup dem Verwaltungsrat im November vorschlugen, den Vertrag mit Peter Spuhler zum 31. August 2021 aufzuheben. Dem wurde am 30. November 2020 stattgegeben. Nun wird über die zukünftige Führungsstruktur des Hauses diskutiert (Generalintendant oder einzelne Spartenintendanten) sowie über die Form und Dauer einer Interimslösung.
Peter Spuhler stellte die laufende Spielzeit unter das Motto „Von Haltung und Verhalten“, doch die Haltung, von sich aus seinen Rücktritt anzubieten, brachte er nicht auf. Er hätte dem Badischen Staatstheater einen großen Imageschaden ersparen können.
Manfred Kraft verfolgt bereits seit 1970 die Entwicklungen am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Seit 1982 berichtet er vor Ort für den „orpheus“.