Das findige Stagione-Haus an der Linken Wienzeile agiert in der Programmdramaturgie und vor allem bei der Auswahl der Regiehandschriften in den Jahren unter Roland Geyer deutlich ambitioniert – einmal mehr zum Auftakt der neuen Spielzeit, der im Zeichen von Robert Carsen steht. Der kanadische Regiestar, dem an der Staatsoper (unter anderem bei seiner „Frau ohne Schatten“) auch schon mal eisiger Gegenwind entgegengeschlagen war, erweist sich jetzt als genau der Richtige, um die wahrscheinlich erste Oper überhaupt für die Gegenwart nicht nur genießbar, sondern zu einem Erfolg beim Publikum einer ganzen Aufführungsserie zu machen. Auf den ersten Blick ist „Rappresentatione di Anima et di Corpo“ von Emilio de’ Cavalieri (1550-1602) eine ziemlich durchsichtige Parteinahme für die römische Kurie, die mit dem Heiligen Jahr 1600 ein Zeichen gegen die Reformation setzten wollte. Das Tolle an Carsens szenischer Umsetzung ist, dass er das Subversive, das noch jeder wirklich überlebensfähigen Kunst innewohnt, freilegt. Was für einen Moment wie pure Propaganda der Gegenreformation wirkt, die zweifelnde Individuen in ein katholisches Moralkorsett zwingt, wird zum Triumph der Emanzipation von zwei jungen Leuten (Anett Fritsch und Daniel Schmutzhard als Anima und Corpo in Jeans wie von heute), die nach dem rechten Weg für ihr Leben suchen. Carsen spannt dabei einen Bogen von der nüchternen Probensituation, bei der sich die Mitwirkenden fragen, was das Ganze soll, über choreografierte Ensembleszenen bis hin zu spektakulären Bildern. Mit einer beweglichen riesigen Pforte, mit dem Einbruch der Verführung von Erotik, weltlichem Glamour und Vitalität des Lebens und deren Entlarvung als vergänglicher Schein. Der Clou ist die Illustration der Aussicht von Himmel oder Hölle durch an Seilen auffahrende und niederstürzende Seelen in Menschengestalt. Am Ende triumphieren menschliche Emanzipation und Selbstbestimmung in einem jubelnden Fest ausgelassener Freude. Wenn es nur so einfach wäre!

Giovanni Antonini und seine Alte-Musik-Spezialisten von Il Gardino Armonico, der Arnold Schoenberg Chor und alle Protagonisten (darunter Georg Nigl als Tempo und Counter Carlo Vistoli als Schutzengel) sorgen zudem für ein musikalisches Fest.

Roberto Becker

„Rappresentatione di Anima et di Corpo“ (1600) // Rappresentatione per recitar cantando von Emilio de’ Cavalieri