Führt man Emmerich Kálmáns „Csárdásfürstin“ am Ort ihrer „Geburt“ auf, liegt die Messlatte hoch. Fast unüberwindbar, wie der Standesunterschied zwischen Chansonette Sylva Varescu und ihrem geliebten Fürstensohn Edwin von und zu Lippert-Weylersheim: nämlich „so hoch wie ein ganzer Himalaya“, findet Graf Boni. In einer Villa im Bad Ischler Kurpark ging vor über 100 Jahren dieser Operettenstern auf. Und genau dort hat ihn Thomas Enzinger beim Lehár Festival einmal mehr zum Funkeln gebracht. Eine bittersüße Liebesgeschichte, am Rande der Katastrophe des Ersten Weltkrieges: der Tanz auf dem Vulkan, dem die leise Ahnung tiefer Verzweiflung innewohnt. Diese düsteren Schatten zeichnet Enzinger mittels Videoprojektionen mit originalen Dokumentarfilmen, die ein in die Inszenierung eingeführter Conférencier (Kurt Hexmann) mit dramatischer Geste zum Laufen bringt. Am Varieté-Theater „Orpheum“ ist von Weltkriegskrise jedoch nichts zu merken: Dort verliebt sich „von und zu“ Edwin in Chansonette Sylva. Eine Liebe, die nicht sein darf, finden die adelsstolzen Fürsteneltern. Für die ist Comtesse Stasi (Loes Cools) die Richtige. Damit der elterliche Wunsch in Erfüllung geht, wird ein kreativer Plan geschmiedet. Man wittert emotionales Chaos. Enzinger greift tief in die Operetten-Trickkiste, zieht souverän die richtigen Strippen, die das Publikum zum Schwärmen bringt, und entfacht damit inszenatorischen Rückenwind zur erfolgreichen Besteigung des Himalaya. Drei Stunden vergehen wie ein Wimpernschlag – verträumte Walzerseligkeit, heiße Liebesschwüre, turbulente Verwirrungen, zündende Dialoge, romantische Sehnsüchte und das Ganze im goldenen (Bühnen-)Rahmen eines in die Operetten-Ära passenden Bühnenbilds (Toto). Glanz und Glitter spiegeln auch die Kostüme wider. Sven Bindseil lässt kein Klischee aus: die Damen in edlen Kleidern, die Herren in Uniform und Frack. Was will Kálmán mehr?

Mit umwerfender Stimmbrillanz besticht Ursula Pfitzner als Sylva Varescu in schillernden Höhen. Warm und trotzdem kraftvoll gefällt Tenor Thomas Blondelle als Edwin – besonders das Schwalbenduett zum Abheben schön. Publikumsliebling aber ist Matthias Störmer als Graf Boni, der mit slapstickartigem Auftreten zum Lachen bringt und in jeder (Bühnen-)Lage, etwa tanzend, flüchtend oder liegend, bestens bei Stimme ist. Immer ein Gewinn ist auch das energievolle Spiel der Fürsteneltern (Josef Forstner und Uschi Plautz), wie auch Kurt Schreibmayer als Feri, ein äußerst sympathischer Kumpel Edwins. Laszlo Gyüker dirigiert Kálmáns dichtes Orchesterwerk mit sensiblem, aber flottem Taktstock und beflügelt das Franz Lehár-Orchester zur Bestleistung. Zwischen feurigem Csárdás und leidenschaftlichen Melodien in makellosem Gesang wachsen Glücksgefühle. Aufwertendes Sahnehäubchen im Operettenhimmel ist Evamaria Mayers Tanzchoreografie – grandiose Tänzerinnen und Tänzer begeistern csárdásierend, walzernd und schaffen im Grand jeté einen aufregenden Mix aus anderen Tanzstilen. Bravo – die „Csárdásfürstin“ lebt!

Kirsten Benekam

„Die Csárdásfürstin“ (1915) // Operette von Emmerich Kálmán

Infos und Termine zur Produktion auf der Website des Festivals