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Florian Götz

Schäferstündchen mit Happy End

Potsdam / Musikfestspiele Potsdam Sanssouci (Juni 2021)
Frauenpower in Telemanns „Pastorelle en musique“

Potsdam / Musikfestspiele Potsdam Sanssouci (Juni 2021)
Frauenpower in Telemanns „Pastorelle en musique“

Ein Festival wird dreißig und niemand darf persönlich gratulieren. So trist sah es noch vor Kurzem für die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci aus. Doch Anfang Juni war unverhoffte Bescherung mit dem wohl schönsten Geburtstagsgeschenk: der Erlaubnis, zu spielen und dies zumindest teilweise vor Publikum. Was das Hin und Her – erst die bereits zweite Absage des Programms, dann das Erarbeiten einer rein digitalen Version und letztendlich eine mit Live-Veranstaltungen – für das Team um Intendantin Dorothee Oberlinger an Fantasie, Organisationsgeschick und starken Nerven bedeutet hat, ist nur zu erahnen.

Bei der Opernpremiere ist von diesem Kraftakt nichts zu spüren. Sondern nur Freude und das auch noch aus einem weiteren Grund. Denn nach siebenjährigen Renovierungsarbeiten kann das Schlosstheater im Neuen Palais Sanssouci, ein Juwel unter historischen Spielstätten, wieder für das Musiktheater genutzt werden. Gegeben wird Georg Philipp Telemanns frühes, nach Texten von Molière komponiertes Bühnenwerk „Pastorelle en musique“, das von den Liebeständeleien zwischen zwei Schäferinnen und ihren männlichen Pendants handelt. 

Die erst Anfang 2000 in einem Archiv in Kiew aufgefundene Partitur ist eine musikalische Köstlichkeit mit französischem Einschlag und reizvoll instrumentierten Arien, die je nach Gefühlslage das idyllische Geschehen abbilden. Die bukolische Stimmung wird durch die von Johannes Ritter entworfenen Landschaftsprospekte und die in Naturtönen gehaltenen Kostüme perfekt illustriert. Auf Harmonie setzt auch Nils Niemann in seiner hübsch arrangierten Inszenierung, die historische Bewegungselemente miteinbezieht.

Das Festspiel-Motto heißt „Flower Power“. Doch bei „Pastorelle en musique“ passt die Überschrift „Frauenpower“ weit besser. Vor allem wird sie verkörpert von Dorothee Oberlinger, die am Pult des von ihr gegründeten Ensembles 1700 steht. Ihre Vitalität gepaart mit stilistischem Wissen befeuert die famosen Instrumentalisten zu farbreichem Musizieren – und dass sie es sich nicht nimmt, bei der Vogelarie zur Blockflöte zu greifen, versteht sich von selbst. Übrigens sitzen im Orchester noch mindestens zwei Mehrfachtalente. Yves Ytier zeigt sich als galanter Tänzer bei gleichzeitigem Geigenspiel und Max Volbers schwebt als flötender Cupido vom Kulissenhimmel herab.

Auch auf der Bühne haben die Damen das Sagen, das wird schon deutlich in Calistes Auftrittsarie „Freiheit soll die Losung sein“, die sich zum Duett mit Frauenchor erweitert. Lydia Teuscher singt sie mit überlegenen Koloraturen und lyrischem Leuchten, unterstützt durch die vokal ebenso gewandte, etwas dunkler timbrierte Sopranistin Marie Lys als Freundin Iris. Auf Wohlklang bedacht ist Bariton Florian Götz bei Damons Liebesschmachten, zurückhaltender, sanfter bemüht sich der Countertenor Alois Mühlbacher als Amyntas um seine Angebetete. Ein Happy End auf allen Ebenen. Nur der vorlaute Außenseiter Knirfix, den Virgil Hartinger mit tenoralem Witz ausstattet, bleibt alleine.

Karin Coper

„Pastorelle en musique oder Musicalisches Hirten-Spiel“ (1713/15) // Georg Philipp Telemann

Musiktheatralisches Kleinod

Johann Wolfgang von Goethe, Philipp Christoph Kayser: „Scherz, List und Rache“

Johann Wolfgang von Goethe, Philipp Christoph Kayser: „Scherz, List und Rache“

Johann Wolfgang von Goethe war nicht nur der geniale Sturm- und Drang-Dichter, sondern hatte – was weniger bekannt ist – auch ein Faible für gefällige Opernkunst. Diverse Singspiel-Libretti stammen aus seiner Feder, eines von ihnen das mehrfach vertonte „Scherz, List und Rache“. Entstanden um 1785 in Kooperation mit seinem Jugendfreund, dem heute vergessenen Komponisten Philipp Christoph Kayser, kam eine Aufführung des Stücks allerdings zunächst nicht zustande. Erst 1993 erblickte das Werk in Weimar „das Licht der Welt“ – gekürzt und in einer Fassung für Kammerorchester. Am ursprünglichen Original orientierte sich hingegen Dirigent Werner Ehrhardt, der die ursprünglich fast vierstündige Oper 2019 in einer kompatiblen Form in Leverkusen halbszenisch herausbrachte. Nun ist sie auch auf CD erhältlich und entpuppt sich als musiktheatralisches Vergnügen. Der Plot in Kürze: Das Ehepaar Scapine und Scapin wird von einem Doktor um das Erbe einer Tante gebracht und holt es sich mit drastischen Mitteln – ein vorgetäuschter Tod, Geisterspuk und Erpressung – wieder zurück. Diese Typenkomödie steckt nicht nur voller Witz, sie verblüfft auch durch die Qualität von Kaysers Musik. Sämtliche Arien und Ensembles – mal großformatig durchkomponiert, mal liedhaft schlicht – sind durch formal vielfältige Rezitative verbunden, die Instrumentation mit vielen solistischen Passagen besticht durch Originalität. Werner Ehrhardts spürbare Begeisterung für diese Oper überträgt sich auf das zupackend und dynamisch spielende Orchester „l’arte del mondo“. Hinzu gesellt sich ein Vokaltrio von singschauspielerischer Klasse: Annika Boos als Scapine, Cornel Frey als Scapin und Florian Götz als Doktor vereinen stimmliche Frische und gestalterische Lebendigkeit mit vorbildlicher Artikulation.

Karin Coper

INFOS ZUR CD

Johann Wolfgang von Goethe, Philipp Christoph Kayser: „Scherz, List und Rache“ (um 1785)
Boos, Frey, Götz
l’arte del mondo – Werner Ehrhardt
2 CDs, deutsche harmonia mundi