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Frankfurt am Main

Raffiniert gemixt

Frankfurt am Main / Oper Frankfurt (April 2021)
Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“ mit Loriot-Texten

Frankfurt am Main / Oper Frankfurt (April 2021)
Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“ mit Loriot-Texten

Das Stream-Bild zeigt den sich schließenden Eingang zum Bockenheimer Depot, diesem unbedingt erhaltenswerten „anderen Spielort“. Dann schweift der Blick durch die komplexe Dachkonstruktion, die altes Holzgebälk und modernen Stahl für die Theatertechnik vereint. Das Licht wirkt magisch bis exotisch – und da mischen sich auch Publikumsgeräusche und allerlei Tierlaute. Die Kamera führt in eine im dunklen Raum schwebende, opulente Loge à la Grand opéra: vergoldete Ornamente, roter Samt, Portalstützen aus antiken Nymphen. Da sitzt ein Herr im Frack und erzählt, dass niemand gekommen wäre, wenn es sich nicht „um ein kulturelles Ereignis von erregender Einmaligkeit“ handeln würde, den „Karneval der Tiere“. Er schaut durch sein goldenes Lorgnon – und wir mit ihm in zwei kreisrunde Blickausschnitte: auf eine wilde, bunte, aber „edel“ gekleidete Tiergesellschaft unten in der Sitztribüne. Da wird zu Tierkopf, -pfote, -pranke und -haut allerlei Talmi-Schmuck, Abendrobe, Pelz und sogar Kopfschmuck getragen – man ist ja schließlich wer! Eine gelungene Videomontage, mit der Ausstatter und Filmbildner Christoph Fischer und Regisseurin Katharina Kastening alle derzeitigen Besuchsverbote in einer Vorwegaufnahme gekonnt überbrücken. Da gibt es in regelmäßigen „Einblicken“ zwischen den Musiknummern was zu gucken und zu staunen, denn der Theater- und vor allem der Kostümfundus haben einfach „alles“ ausgegraben. So kunterbunt entlarvend, dass kurz philosophiert werden muss, ob nicht diese tierischen Exoten eher wir Menschen in allerlei Kostümen sind …

Nur kurz, denn dann setzt die Musik ein. Eine Krankamera hoch über dem Podium blickt senkrecht nach unten, auf die in Pandemie-Abständen sitzenden zwanzig Instrumentalisten des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters sowie zwei offene Konzertflügel; an denen sitzen In Sun Suh und Lukas Rommelspacher, der spielt und dirigiert. In guter Klangtechnik wirkt der Marsch der Löwen wirklich „maestoso“, beschwören die Klavierläufe den Einzug der Hühner-Pyramide, führt der Kontrabass „pompös“ die Elefanten ein und beschwören Xylophon, Streicher-Sirren sowie Klavier-Perlen das „Aquarium“. Dazwischen wechselt das Bild immer wieder hinauf in die Loge, wo Schauspieler Christoph Pütthoff als „Kenner“ von Musik und Menschen die Zwischentexte von Loriot spricht. Der gab 1975 noch nicht wie in seinen späteren Klassikauftritten eminent wortwitzige, Opern-karikierende und herrlich entlarvende, sondern fein ironische Kommentare zum exquisiten Esprit der Musik. Pütthoff verstärkt dies mit kleinen mimischen Kommentaren, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Das Schmunzeln gipfelt in der quälend wiederholten Frage der jungen Katzen „Kommt jetzt der Schwan?“ als „Running Gag“ Loriots – und stellvertretend für das Musizieren aller sei das dann „grazioso“ erklingende Schwan-Cello-Solo von Sabine Krams genannt. Der musikalische „Zirkus“ klingt schließlich Cancan-nahe und fetzig aus. Nicht zu vergessen der Schluss-Coup der Inszenierung: Der Logenbesucher geht durch die leeren Reihen davon – da sitzt doch tatsächlich ein edel-weiß-gefiedertes, echtes Huhn gackernd auf einem Stuhl! Ist ihm das Taxi davongefahren? Gelungene musiktheatralische Unterhaltung.

Wolf-Dieter Peter

„Le carnaval des animaux“ („Der Karneval der Tiere“) (1886) // Große zoologische Fantasie für Kammerorchester von Camille Saint-Saëns in der Textfassung von Loriot (1975)

Die Inszenierung ist als Stream bis 30. April 2021 über die Website des Theaters abrufbar.

Von Liebe, Leidenschaft und Verlust

Frankfurt am Main / Oper Frankfurt (März 2021)
Christof Loy inszeniert Tschaikowski-Lieder

Frankfurt am Main / Oper Frankfurt (März 2021)
Christof Loy inszeniert Tschaikowski-Lieder

Es gäbe vielerlei dramatische Aspekte: die nie frei gelebte Homosexualität Tschaikowskis; der frühe Tod der geliebten Schwester; das seltsam vielschichtige Verhältnis zum homosexuellen Bruder Modest; die befremdliche Distanzbeziehung zur Mäzenin Nadeschda von Meck; das Verhältnis zu Iosif Kotek; das obskure Todesurteil eines „Ehrengerichts“; der frühe Tod durch ein Glas Cholera-Wasser. Doch Christof Loy hat einen inneren Kern gefunden, von dem die vertonte und jetzt als Titel gewählte Goethe-Zeile „Nur wer die Sehnsucht kennt“ kündet – und den Tschaikowski selbst in einem Brief formuliert hat: „Ich kenne die Macht der Liebe schon, aber das Glück darin nicht.“ Das inspirierte Loy, 24 Lieder und drei kleine Instrumentaleinlagen zu einem intimen musikalischen Kammerdrama zusammenzubinden.

In einem edel blau tapezierten Salon sitzt Mariusz Kłubczuk am Flügel und intoniert zur Einstimmung einige Takte aus Tschaikowskis „Dumka“. An einem Tischchen sitzt versunken der männlich reife Vladislav Sulimsky, singt sich selbst mit bassbaritonaler Wucht „Schlaf ein, mein Herz … was vorbei ist, ist vorbei“ versöhnlich Ruhe zu. Der jugendlich agile Bariton Mikołaj Trąbka versinkt in seligem Überschwang und erster Pein – wozu der reife Mann wissend lächelt. Tenor Andrea Carè als „Mann im besten Alter“ besingt derweil das „schnelle Vergessen“. Wie die drei einander betrachten, sich abwenden, dann wieder zuhören: Da tut sich bereits eine Bandbreite von menschlicher Diversität und Ähnlichkeit auf, die in Bann schlägt. Das vertieft Mezzosopranistin Kelsey Lauritano im Hosenanzug, denn nicht das weibliche Element kommt hinzu, auch eine andere Art von Trauer. Zum kleinen Klaviertriller erscheint Sopranistin Olesya Golovneva im weißen Tüll-Glockenrock und singt mit ihrer dunklen Partnerin von schmerzlich erbetener Ruhe; als der junge Bariton (Mikołaj Trąbka) voller Emphase von der Nachtigall und ihrem Zauberwort „Liebe“ schwärmt, erhebt sie sich auf Spitzen und beschwört mit wenigen Tanzfiguren die träumerische Aura all jener Schwanenwesen. Es gehört zum Besonderen, dass sich zwischen allen fünf Menschen ein feingesponnenes Beziehungsgeflecht mal andeutet, mal auftut, mal zerfällt. Doch auch hochdramatische Züge fehlen in Tschaikowskis Romanzen nicht: die volltönende Erinnerung an „Trunkene Nächte“ oder auch der Kosak, der seiner Hanna eine Korallenkette aus dem Krieg bringen soll und als er endlich heimkehrt, ist sie schon verstorben …

Die knapp zwei Stunden breiten in Körperhaltungen, Blicken, im schmerzlich ringenden, aber auch dumpfen Brüten einen zunächst kostbar feinen Kosmos an Zwischenmenschlichem aus. Das wird so dicht, fesselnd und bedrängend, dass es wie eine entspannende Wohltat wirkt, als der eingerahmte Teil der Rückwand hochfährt, eine gemalte ländliche Ideallandschaft sichtbar wird, das Adagio cantabile aus „Souvenir de Florence“ von Mitgliedern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters erklingt – und wie eine Mahnung an derzeit nicht erlaubte Auftritte sechs Notenpulte und Streichinstrumente verlassen dastehen …

„Stumme Gespräche sind beredsamer als manches Wort“, singt Olesya Golovneva fast am Ende. In Herbert Murauers sonst leerem Salon, in Olaf Winters mal mildem, mal kaltem Licht war aller innenweltlicher Reichtum anwesend. Was Loy mit seinen fünf Solisten der Extraklasse entwickelt hat, ist tief berührend, erhebt sich wie ein hell blitzender Solitär über den dumpf-grellen Müll unserer Tage. Was Kunst doch kann!

Wolf-Dieter Peter

„Nur wer die Sehnsucht kennt“ // Tschaikowski-Lieder inszeniert von Christof Loy

Die Inszenierung ist als kostenfreier Stream bis 20. Juni 2021 über die Website des Theaters abrufbar.