Braunschweig / Staatstheater Braunschweig (März 2021) Dvořáks „Rusalka“ als Außenseiterin zweier Welten
Keine Frage, Dvořáks vorletzte Oper eignet sich schon der tief existentiellen Einsamkeit der Titelfigur halber für die Produktion unter Covid-19-Bedingungen. Wie Regisseur Dirk Schmeding am Staatstheater Braunschweig mit der Sehnsucht der Nixe nach menschlicher Empfindung und Liebe umgeht, das beglaubigt gerade unter Einhaltung der Distanz das Unerfüllte und für das Wasserwesen auch Unerfüllbare solchen Wünschens. Schmeding bietet besonders für Rusalka selbst berückende Intensität auf. Etwa, wenn Ježibaba ihr den Fischschwanz chirurgisch auftrennt und wie eine Haut abzieht, gleichsam des Wasserwesens Beine befreit, dieses aber erst lernen muss, mit ihnen – ganz wörtlich verstanden – umzugehen. Der Prinz begegnet der Nixe, als sie ihm unter die Räder seines Autos gerät. Bevor er sich ihr zuwendet, prüft er im Seitenspiegel, ob seine Frisur sitzt. Die fremde Fürstin tritt aus einem wie an einem amerikanischen Highway aufgestellten Filmplakat mit ihrem Konterfei, die ganze Erscheinung eine Projektion des Prinzen und wohl auch Rusalkas. Alles dies überzeugt, weil Schmeding das Märchenhafte des Sujets nicht antastet. Er darf sich daher getrost dessen Entromantisierung leisten. Kaum, dass sie den Prinzen final geküsst hat, erstickt die ins Reich der Untoten exilierte Wasserfrau ihn unter einer Plastikfolie. Märchen sind halt oft weniger romantisch als grausam. Ralf Käselau baut dafür eine Bühne am Rande der menschlichen Zivilisation. Melancholie beherrscht die Szene. Der Nixenteich droht auszutrocknen, während Ježibaba munter die keineswegs wassersparende Waschmaschine bedient. Der hilflos um den Zusammenhalt seiner Welt besorgte Wassermann haust im Abflussrohr. Poetisch geheimnisvoll liegt die Uferlandschaft und schimmert die Wasseroberfläche in nächtlichem Schein, wenn die Titelfigur als Irrlicht umherschweift und den Prinzen zu Tode küsst. Julia Rösler streicht die Figuren kostümlich prägnant heraus. Rusalka in farblosem Weiß, ein Wesen, dem immer etwas fehlt, ob nun die menschliche Seele oder die Fähigkeit zu sprechen. Die fremde Fürstin als Hollywood-Diva im fünfziger Jahre Badedress. Den Prinzen als Edelhippie. Den Wassermann im zerschlissenen Honoratiorenfrack, der nicht einmal mehr für die Altkleidersammlung taugt.
Ebenso gewinnend wie die szenische ist die musikalische Seite dieser Produktion. Georg Menskes lässt den aus dem Off eingespielten Chor des Staatstheaters das Bühnengeschehen effektsicher untermalen. Srba Dinić bedient sich mit dem Braunschweiger Staatsorchester Marián Lejavas Fassung für einen reduzierten Klangkörper. Anfänglich wagnert es nach Kräften, bald aber erlangt Dvořáks slawisches Musikidiom die Oberhand. Trefflich wissen Dinić und sein Orchester die Substanz und Fülle der Partitur trotz Covid-bedingter Einschränkungen zu wahren. Julie Adams geht die Titelpartie eher jugendlich-dramatisch als lyrisch an, entfaltet dabei aber außerordentliche Leucht- und Strahlkraft. Den Prinzen lässt Kwonsoo Jeon machtvoll und in seinen besten Augenblicken auch voller Schmelz auftrumpfen. Es ist ihm ein wenig mehr sängerische Ökonomie zu wünschen. Edna Prochnik verleiht Ježibaba vokale Durchtriebenheit. Die Fremde Fürstin stattet Ekaterina Kudryavtseva mit sinnlichem Flair aus. Beherzt stellt sich Jisang Ryu den stimmlichen Anforderungen des Wassermanns.
Michael Kaminski
„Rusalka“ (1901) // Lyrisches Märchen von Antonín Dvořák
Die Inszenierung ist als Stream bis zum 4. April 2021 über die Website des Theaters verfügbar.