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Herbert von Karajan

Über sich hinaus tönen …

Mezzosopranistin Christa Ludwig mit 93 Jahren verstorben

Mezzosopranistin Christa Ludwig mit 93 Jahren verstorben

von Wolf-Dieter Peter

Eine kleine Szene charakterisiert die Grande Dame aller Mezzosopranistinnen perfekt: 1966 jagte Karl Böhm im Bayreuther Festspielhaus in der DG-Aufnahme des zweiten Aufzugs des „Tristan“ die Leidenschaften tönend-tosend hoch. Isolde Birgit Nilsson wollte jauchzend dem Geliebten das Zeichen geben; Brangäne Christa Ludwig warnte eindringlich, hob plötzlich die Hand und bat in Bayreuths „mystischen Abgrund“ hinunter um Unterbrechung. Sie winkte aus der Kulisse den Assistenten heran, blätterte eine Seite zurück, trat an den Rand zum Graben und flüsterte in schönem Wienerisch „Ich hab’ eb’m ‚weil du erblödet, wähnst du den Blick der Welt erblindet‘ g’sungen. Es muss umgekehrt …“ Böhm raunzte im allgemeinen Gelächter etwas Unverständliches zurück, biesterte noch hörbar „Birgit, schrei’ ned’ a’so!“ – dann tobten die Liebeswogen erneut und später erklangen die schönsten „Habet acht!“-Rufe Brangänes, die die damalige Musikwelt kannte …

Wache Selbstkontrolle und grandioses Tönen über alle Noten hinaus: Das machte einen Abend mit „der Ludwig als …“ zum unvergesslichen und Maßstäbe setzenden Erlebnis. Und das „als …“ umfasste Novitäten bei den Donaueschinger Musiktagen, über Dürrenmatt-von Einems „Alte Dame“, Bernstein, Strauss, Bartók, Berg, Orff, Puccini, Mahler, Berlioz, Bizet, Saint-Saëns, Verdi, Bellini, Rossini, Mozart, Gluck, Händel bis zu Monteverdi nahezu „alles“ – neben vielen, vielen anrührenden oder auch expressiv überwältigenden Liederabenden auch eine der ersten weiblichen „Winterreisen“.

Stufe für Stufe an die Spitze

Begonnen hatte das 1928 in einem enorm, ja außerhalb der Norm prägenden Elternhaus: der Vater Sänger-Intendant, die Mutter Sängerin, lebenslang beratende („Du bist zum Talent verdammt“) und kontrollierende „Wächterin“ über ein hochbegabtes Mädchen, das alles zum Theater und Singen von Anfang an mitbekam, imitierte und studierte. Das half nach dem Ausgebombt-Sein, speziell 1946 am Anfang der Besatzungszeit: im Berliner GI-Club Songs für Zigaretten, die sie dann tauschen konnte. Im Gegensatz zu den meisten heutigen „Starkarrieren“ oder PR-Hypes arbeitete sich Christa Ludwig Stufe für Stufe an die Spitze – Gießen, Frankfurt, Darmstadt, Hannover. Bis 1955 Karl Böhm die hochgewachsene junge Frau mit der enormen Bühnenpräsenz an die Wiener Staatsoper holte. Nach den frühen Azucenas und Lady Macbeths in den kleineren Häusern – prompt mit den kleinen Gefährdungen fürs Feine und Piano – in Wien nun also Cherubino, Dorabella und weiterer organischer Repertoireaufbau. Mit Grenzen: Angesichts des herrlich strömenden, zu weicher Tiefe fähigen Mezzosoprans, dem auch ein strahlendes C zu Gebote stand, kam über „Fidelio“ hinaus natürlich das mehrfache Angebot zu Brünnhilde – und von Böhm, Karajan und Bernstein das Drängen zu Isolde. Doch so wie Christa Ludwig selbst in ihren konstitutionell kräftigsten Jahren klug genug war, die „Fidelio“-Leonore nur einmal in der Woche zu singen, so schmerzlich einsichtig erkannte sie, dass sie ihrer Stimme mit der Isolde Gewalt antun würde – so wie sie Verdis Eboli nach einem missglückten Spitzenton nie mehr sang. Nach 46 Jahren Weltkarriere – neben allen anderen ersten Namen der Opernwelt – in Wien dann ein rundum bedauerter, strahlender Karriereabschied mit 66 Jahren und einem besonderen Ende draußen vor der Bühnentür: „Ich wollte mich mal in Ruhe erkälten. So lange musste ich aufpassen auf diese blöden Stimmbänder! Ich hab’ den Mantel auf- und den Hals freigemacht und ging in den Schnee.“

„Mehr als …“

Vieles ist in Lexika, Biografien und gehaltvollen Interviews in Wort, Ton und Bild nachseh- und nachlesbar, mehr als in anderen Sängerbüchern auch nachlesenswert. Für alle die, die „La Ludwig“ nicht mehr live erlebt haben, gibt die Fülle ihrer Aufnahmen und Mitschnitte betörenden Trost. Für den Stimmfreund sein müssen: als Einstieg die pure vokale Verführung der Dalila in der Patané-Einspielung; Maßstab-setzend unerreicht die Judith neben Damals-Ehemann Walter Berry in Bartóks „Blaubart“ unter István Kertész; antiquarisch die CD zum 70. Geburtstag mit Elektra und Brünnhilde-Ausschnitten von 1964; neben etlichen akustischen Mitschnitten die Fernseh-Aufzeichnung ihrer in Bann schlagenden „Fidelio“-Leonore aus der Deutschen Oper Berlin 1963; der Bootleg-Mitschnitt der 1966 als die „wahre künstlerische Eröffnung der neuen Metropolitan Opera“ gefeierten „Frau ohne Schatten“ mit dem „Dream-Team“ Böhm-Rysanek-King-Ludwig-Berry; die offiziellen „Tristan“- und „Parsifal“-Einspielungen. Und dann gibt es eine Aufnahme, die jeden Musikfreund anrühren und überwältigen wird: 1966 nahm der schon schwer kranke Otto Klemperer in London Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ auf; Fritz Wunderlich sang wie von Todesahnungen durchdrungen ein bislang unübertroffenes „Trinklied vom Jammer der Erde“ (es war seine letzte Aufnahme); und wenn dann Christa Ludwig im „Abschied“ nach dem kleinen Orchesterteil mit „Die liebe Erde …“ wieder einsetzt, muss man schon hartgesotten sein, um nicht feuchte Augen zu bekommen, weil da Töne über sich hinausweisen ins finale „Ewig … Ewig …“. Da ist Danke zu sagen – für dieses „mehr als …“, das der singende Mensch vermitteln kann. Was einen durchs Leben begleitet und bleibt …

Die letzte Primadonna

Eine Hommage an Leonie Rysanek

Eine Hommage an Leonie Rysanek

von Peter Sommeregger

Wenn man 23 Jahre nach ihrem Tod das Ehrengrab der Sopranistin Leonie Rysanek auf dem Wiener Zentralfriedhof besucht, wird man dort – Sommer wie Winter – frische Blumen, oft auch ein brennendes Grablicht sehen können. „Die Rysanek“ oder auch nur „Leonie“ genannte Künstlerin hat sich in ihrer Heimatstadt einen Ruhm und eine Beliebtheit erworben, an der auch ihr Tod im Jahr 1998 kaum etwas änderte.

Die am 14. November 1926 geborene Rysanek war Wienerin durch und durch – dass sie aus einer ursprünglich tschechischen Familie stammte, ist bekanntlich gute wienerische Tradition. Die Brüder fielen im Zweiten Weltkrieg, alle Hoffnungen der Eltern ruhten auf Leonie und ihrer älteren Schwester Lotte. Beide zeigten früh musikalisches Talent und begannen nach dem Krieg ein Gesangsstudium an der Wiener Musikakademie bei Bariton Rudolf Großmann, den die blutjunge Leonie trotz großen Altersunterschiedes auch heiratete. Er begleitete sie zu ersten Engagements an das Landestheater Innsbruck, wo sie 1949 als Agathe im „Freischütz“ debütierte, und an das Saarbrücker Opernhaus.

Der Beginn einer Weltkarriere

Ein entscheidender Karriereschritt gelang ihr 1951 als Sieglinde in Bayreuth, als Wieland Wagner sie für die ersten Festspiele nach dem Krieg engagierte und damit schlagartig berühmt machte. Der groß dimensionierte Sopran der Rysanek, im Timbre unverwechselbar, entfaltete in der Höhe eine Durchschlagskraft und ein Leuchten, das zu ihrem Markenzeichen werden sollte. Die Sieglinde blieb eine ihrer wichtigsten und erfolgreichsten Partien – und auch das darauffolgende Engagement an der Bayerischen Staatsoper wurde ein großer Erfolg. Die Rysanek glänzte im jugendlich dramatischen Repertoire zwischen Wagner, Richard Strauss, Verdi und Puccini. Herausragend: Ihre Helena in der „Ägyptischen Helena“ von Richard Strauss – eine Aufführung aus dem Münchner Prinzregententheater, die bis heute auf CD nachzuhören ist. Als die Wiener Staatsoper 1955 ihr wieder aufgebautes Haus an der Ringstraße eröffnete, war Leonie Rysanek bereits für das Ensemble engagiert. Mit der Kaiserin in Strauss’ „Frau ohne Schatten“ fand sie 1955 ihre Lieblingsrolle und eroberte sich bereits in den ersten Wiener Jahren die Gunst des anspruchsvollen Wiener Publikums im Sturm. Es sollte eine lebenslange Liebesbeziehung bleiben.

Die fünfziger Jahre kann man auch insgesamt als Beginn ihrer großen Karriere bezeichnen. Leonie Rysanek gastierte an großen europäischen Opernhäusern, Dirigenten vom Rang eines Herbert von Karajan und Karl Böhm hatten sie längst für sich entdeckt. Es schien sich abzuzeichnen, dass die Opernhäuser von Wien und München die Fixpunkte ihrer Tätigkeit bilden würden. Da öffnete sich mit einem Vertrag der Oper von San Francisco die lukrative US-amerikanische Schiene. Schnell avancierte sie auch dort zum Publikumsliebling, stand in San Francisco als Senta, Sieglinde und Aida auf der Bühne. Zur Spielzeiteröffnung 1957/58 sang sie eine der wenigen Male die Turandot und erhielt eine bedeutungsvolle Chance, als sie nach einer Absage von Maria Callas die Lady Macbeth übernahm. Diese Partie sagte die Callas dann auch an der New Yorker Met ab, und so wurde aus dem schon geplanten Met-Debüt der Rysanek eine Lady Macbeth anstelle einer Aida. Für nahezu drei Jahrzehnte war Leonie Rysanek ab diesem Zeitpunkt eine der beliebtesten Sängerinnen der New Yorker Metropolitan Opera – und Ende der fünfziger Jahre eine der gefragtesten Sängerinnen weltweit.

Erfolge und Rückschläge

Der Druck dieses Erfolgs kulminierte im Sommer 1959 nach einer „Ariadne“-Premiere in München in einem gesundheitlichen Zusammenbruch. Die Saison in San Francisco musste abgesagt werden, um eine notwendige Ruhepause einzuhalten. Am 7. Dezember 1959 war sie zurück und nun endgültig an der Weltspitze angekommen – zehn Jahre nach ihrem Innsbrucker Debüt zur Eröffnung der Mailänder Scala als Desdemona an der Seite Mario del Monacos.

Im Oktober 1960 fügte sie an der Met mit der gefürchteten Partie der Abigaille in Verdis „Nabucco“ ihrem Repertoire eine weitere Rolle hinzu, von der sie sich aber aus Sorge um ihre Stimme bald wieder verabschiedete. Erneut stellte sich eine Nervenkrise ein, die sie zu einer etwa sechsmonatigen Pause zwang. In den frühen sechziger Jahren pendelte sich die Zahl der jährlichen Auftritte bei knapp 50 ein, eine weise Beschränkung. Die Intensität ihrer Rollenporträts machten die Rysanek zu einer Ausnahmeerscheinung im internationalen Opernbetrieb. Die Leidenschaft ihrer Tosca etwa ließ ihre Partner als Scarpia um Leib und Leben fürchten, so sehr identifizierte sie sich mit der Rolle.

Hervorzuheben ist auch ihr Erfolg als Kaiserin in einer neuen „Frau ohne Schatten“, die Herbert von Karajan 1964 zum 100. Geburtstag von Richard Strauss in Wien dirigierte. Mitte der sechziger Jahre war sie darüber hinaus auch wieder regelmäßiger Gast in Bayreuth und konnte in Wieland Wagners letzter „Ring“-Inszenierung ihren Triumph als Sieglinde von 1951 wiederholen. Leider verhinderte sein plötzlicher Tod ein Rollendebüt als Isolde, außer dem „Liebestod“ in einigen Konzerten hat die Rysanek diese Rolle bedauerlicherweise nie gesungen.

Das Jahr 1968 markierte einen privaten Neubeginn. Nach der Scheidung von Rudolf Großmann heiratete sie den Journalisten und Musikwissenschaftler Ernst Ludwig „Elu“ Gausmann, der seine Ehefrau von da an managte. Sie erweiterte ihr Repertoire um die Milada in Smetanas „Dalibor“, ein weiteres Rollendebüt als Salome erfolgte in München. Später feierte sie auch in Wien und an der Metropolitan Opera Erfolge mit dieser Rolle. Mit Cherubinis „Medea“ in Wien und Ponchiellis „La Gioconda“ in Berlin nahm die Rysanek dazu zwei Glanzrollen von Maria Callas in ihr Repertoire auf.

Langsamer Abschied

Im Frühling 1981 sang sie zum ersten und einzigen Mal die Elektra – in einem Film von Götz Friedrich mit Karl Böhm am Pult – und reihte sich mit nur einer einzigen Produktion eindrucksvoll in die Reihe großer Interpretinnen dieser Partie ein. 1982 folgte die Kundry im „Parsifal“ unter James Levine in Bayreuth. Im Februar 1984 feierte die New Yorker Met ihren Star mit einer triumphalen Gala zum 25-jährigen Hausjubiläum. Ab 1985 erweiterte sie ihr Repertoire um die Charakterrolle der Küsterin in Janáčeks „Jenůfa“, später folgte noch die Kabanicha aus „Káťa Kabanová“.

Es war die Zeit des langsamen Abschieds von ihren Glanzrollen, die Rysanek wechselte von der Salome zur Herodias, von der Chrysothemis zur Klytämnestra. Sie sang die Gräfin in Tschaikowskis „Pique Dame“ und setzte ihre internationale Karriere nicht zuletzt durch eine kluge Auswahl ihrer Partien ungebrochen fort. Im Alter von 70 Jahren erst nahm sie von der Bühne Abschied – an der Met als Gräfin, in Salzburg letztmalig als Klytemnästra. Leider verstarb sie nur wenige Monate später, am 7. März 1998, in Wien an einem Krebsleiden.

Um Leonie Rysaneks Karriere zu würdigen und aus heutiger Sicht richtig einzuordnen, muss man bedenken, dass diese Laufbahn nicht annähernd so stark von den Medien unterstützt wurde wie heutige Karrieren. Ihre Wirkung, ihren Ruhm erwarb sie sich ausschließlich durch Auftritte, die durch ihr Charisma und ihre darstellerische Intensität zum Ereignis wurden. Sie war wohl die letzte Primadonna, die ohne Agentur, ohne medienwirksame TV-Auftritte und über weite Strecken auch ohne Schallplatten-Einspielungen ihren internationalen Ruhm über Jahrzehnte erhalten konnte.

Diskographie

Vor allem die frühen Jahre von Leonie Rysaneks Karriere sind auf Schallplatte dokumentiert. Unter Ferenc Fricsay sang sie die Leonore im „Fidelio“, Karl Böhm wählte sie als Kaiserin für die allererste Plattenaufnahme der „Frau ohne Schatten“. Furtwängler spielte mit ihr als Sieglinde die „Walküre“ ein, in dieser Rolle ist sie auch unter Karl Böhm in seinem Bayreuther „Ring“ von 1965 zu hören. Studioaufnahmen von „Ariadne auf Naxos“, dem „Fliegenden Holländer“, von Verdis „Macbeth“ und „Otello“ entstanden in Wien, New York, London und Rom. In späteren Jahren zeigte sie sich unzufrieden mit der Art und Weise, wie komplette Opern aufgenommen wurden, und lehnte weitere Plattenverträge ab.

Der Großteil der Diskographie der Sängerin besteht daher aus Live-Mitschnitten, die ihrem Temperament und ihrer Bühnenpräsenz ohnehin viel eher gerecht werden. Manche dieser Mitschnitte erschienen bei offiziellen Labels, wie ihre Salome, Medea und Küsterin. Daneben kursieren auf dem Graumarkt Dutzende von Auftritten an den verschiedensten Opernhäusern. Filmdokumente mit der Rysanek sind dagegen leider eher dünn gesät, außer dem „Elektra“-Film hat sich wenig erhalten. Für jeden, der sie auf der Bühne noch erleben durfte, bleibt sie zweifellos unvergesslich!