Jane Eyre und Margaret Catchpole waren mutige Frauen mit ähnlichem Hintergrund, die sich aus Liebe über Konventionen hinwegsetzten. Wobei nur die zweite der Damen wirklich existierte. Aber Stoff für eine Oper bieten sie allemal beide, wie die Komponisten Stephen Dodgson und Louis Karchin in ihren sehr unterschiedlichen Vertonungen bewiesen haben.

Der Roman „Jane Eyre“, den die Schriftstellerin Charlotte Brontë 1847 unter männlichem Pseudonym veröffentlichte, trägt autobiographische Züge. Er erzählt von einer Gouvernante, die sich in den Hausherrn verliebt und ihn trotz gesellschaftlicher Konflikte heiratet. Fast zeitgleich erschien die Novelle „The History of Margaret Catchpole“ von Richard Cobbold. Auch sie handelt vom Schicksal eines Dienstmädchens, beruht aber auf deren historischen Wahrheiten – der Autor war der Sohn ihrer Arbeitgeberin. Die junge Frau stahl ein Pferd, wurde deshalb inhaftiert, floh aus dem Gefängnis, wurde aufgegriffen und nach Australien verbannt. Dort baute sie sich ein neues, geachtetes Leben auf. Beide Bücher waren im Viktorianischen Zeitalter ungemein populär. Doch während „Jane Eyre“ zum internationalen Klassiker wurde, erlangte Margaret Catchpole lediglich regionale Berühmtheit in ihrer Heimat Suffolk. Anlässlich ihres 200. Todestages 1979 kreierte der 2013 verstorbene Komponist Stephen Dodgson im Auftrag eines lokalen Kunstvereins die biographische Kammeroper „Margaret Catchpole: Two Worlds Apart“. Dodgson, dessen Musik sich generell durch ungewöhnliche Orchesterbesetzungen auszeichnet, benutzt diesmal elf Instrumente für aparte, filigrane Klangkombinationen, die den meist rezitativischen Gesang grundieren. Die Oper lebt vom Atmosphärischen, speziell durch die Integration von englischen Folksongs sowie von tonmalerischen Natur- und Landschaftsstimmungen. Nur: Mit drei Stunden ist sie deutlich zu lang geraten. Glücklicherweise kompensiert das große Ensemble um Kate Howden in der Titelpartie zusammen mit der von Julian Perkins geleiteten Instrumentalgruppe Perpetuo dieses Manko durch nicht nachlassende Intensität.

Im Gegensatz zu „Margaret Catchpole“ fand „Jane Eyre“ nicht nur mehrfach den Weg auf die Leinwand, sondern auch auf die Musiktheaterbühne. Die jüngste Vertonung – sie wurde 2016 in New York uraufgeführt – stammt vom amerikanischen Komponisten Louis Karchin, Jahrgang 1951. Seine Oper hält sich nahe an die Vorlage und transformiert sie geschickt in effektvolle Theatermusik. Die Tonsprache ist gemäßigt modern, es gibt traditionelle Arien und Duette, dazu Gesellschaftsbilder im Parlando. Höhepunkte sind die leidenschaftlichen Liebesszenen, insbesondere das Finale, das sich in üppigen Harmonien steigert, als seien Spätromantiker wie Korngold zurückgekehrt. Jennifer Zetlan singt die Jane Eyre anrührend und mit unerschöpflichen Sopranreserven, dabei vorbildlich artikulierend. Auch Ryan MacPherson ist ein Rochester von Format. Mit Inbrunst und ohne Forcieren setzt er seinen heldischen Tenor ein. Hinzu kommen sieben Solistinnen und Solisten, die sich in jeweils mehreren Partien bewähren. Am Pult des auf zeitgenössische Musik spezialisierten Orchestra of the League of Composers steht der Komponist selbst. Er ist naturgemäß der beste Anwalt für seine Partitur, deren Vorzüge er mit merklichem Engagement zur Geltung bringt.

Karin Coper

INFOS ZU DEN CDs

Stephen Dodgson: „Margaret Catchpole“ (1979)
Howden, Wallace, Morris, Ollerenshaw u.a.
Perpetuo – Julian Perkins
3 CDs, Naxos


Louis Karchin: „Jane Eyre“ (2016)
Zetlan, MacPherson, Meglioranza, Thompson u.a.
Orchestra of the League of Composers – Louis Karchin
2 CDs, Naxos