Da gibt es diesen feschen Zusteller mit der tollen Stimme im armen Liverpool: Manager Epstein taucht auf und organisiert eine Hollywoodeske Karriere bei Mogul Weinstein, die verlassene Braut macht derweil Karriere als Top-Model, nach Jahren begegnen sich Pop-Star und Model wieder – und fertig ist die ewig moderne Rock-Oper! Halt, jetzt beweist die „Provinzoper“ Rouen in Zusammenarbeit mit der Pariser Opéra Comique: Obige Story gibt es auch im Gewand des 18. Jahrhunderts. Damals war der Postillon der „newsman“ schlechthin – und hatte auch ein Liebchen allenthalben. All das hat Adolphe Adam 1836 – die Eisenbahn verdrängte langsam den Postillon – als Liebesdrama zu Zeiten Ludwigs XV. komponiert. Adams Postillon will in Lonjumeau gerade Madeleine heiraten, singt ein tolles Lied bis zum hohen D – und wird vom durchreisenden Königlichen „Directeur de l’amusement musicale“ sofort an die Pariser Oper verlockt. Nach zehn Jahren ist er zum Startenor Saint-Phar avanciert, Madeleine hat reich geerbt und wird in Paris als Madame de Latour umschwärmt. Ein Traumpaar … doch die beiderseits unerfüllte Liebe … mehr sei nicht verraten.

Adam hat eine mal frech-fröhliche, mal anspruchsvoll lyrische Musik für allerlei Turbulenzen bis zur Bigamie komponiert. Es ist viel, viel mehr als die berühmte Tenorarie, was Dirigent Sébastien Rouland mit Orchester und Chor aus Rouen als perlenden „Crémant“ servieren! Dazu: Frankreichs Multitalent Michel Fau, Schauspiel-Star und Regisseur, der die Komödien-Ingredienzien „Tempo“, „Ironie“ und fein dosierte „Groteske“ perfekt beherrscht – prompt sind seine Auftritte als ältliche Zofe „Rose“ kleine Knallbonbons. Und: Christian Lacroixs Kostümträume, die Kupferstichen des Ancien Régime entstiegen zu sein scheinen und die hybride Opulenz des Pariser Adels beschwören. Noch einmal gesteigert wird das Ganze durch die prunkvoll stilisierten Prospekte, die Emanuel Charles dem Theater des 18. Jahrhunderts nachempfunden hat. Vor herrlich typgenauen Nebenfiguren brillieren Michael Spyres als Hoher-D-Postillon und Florie Valiquette als Madeleine, die Sopran-Liebreiz und alle weibliche Lebensschlauheit vereint. Ach, wir mit unseren rund 150 unsterblichen Repertoireklassikern – was gibt es jenseits dessen nicht alles zu entdecken!

Wolf-Dieter Peter     

INFOS ZUR DVD/BLU-RAY

Adolphe Adam: „Le postillon de Lonjumeau“ (1836)
Spyres, Valiquette, Leguérinel, Kubla, Fau u.a.
Sébastien Rouland (Dirigat), Michel Fau (Inszenierung)
Chor und Orchester der Opéra de Rouen Normandie
1 DVD/Bluray, Naxos