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Opernfestival

Kleine Oper ganz groß!

Heidenheim an der Brenz / Opernfestspiele Heidenheim (Juli 2021)
Höchst relevantes Musiktheater mit der Pop-up Opera „Nau bens hald I“ über Georg Elser

Heidenheim an der Brenz / Opernfestspiele Heidenheim (Juli 2021)
Höchst relevantes Musiktheater mit der Pop-up Opera „Nau bens hald I“ über Georg Elser

Vier Sängerdarstellerinnen und -darsteller, zwei Musiker und eine Schubkarre, ein Rathausvorplatz – kann das denn schon Oper sein? Wenn man sich die Pop-up Opera „Nau bens hald I“ – eine Auftragskomposition der Opernfestspiele Heidenheim aus dem letzten Jahr – anschaut, dann besteht daran kein Zweifel. Aufwändige Kostüme und Bühnenbilder, üppiges Orchester, ein großes Ensemble – all das braucht es für den Opern-Moment nicht (zwingend). Dem kleinen Stück Musiktheater über den ersten Hitler-Attentäter Georg „Schorsch“ Elser gelingt es, in gut zwanzig Minuten jeden Einzelnen im Publikum zu berühren, zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen, als wär’s im großen Opernhaus.

Das Stück erlebte bereits im letzten Sommer seine Uraufführung. An den damaligen Erfolg anknüpfend, aber auch durch die weiterhin anhaltende Pandemiesituation bedingt, sollte diese „Oper in drei Aufzügen“ erneut auf die Plätze und an die Menschen der Region herangetragen werden. „Pop-up“ lautet die Devise, die nicht nur in leerstehenden Gebäuden der Innenstädte zu finden ist, nein: Gerade in Zeiten „kultureller Leerstände“ ist die Idee der improvisierten Bühne, die an unterschiedliche Orte und sich stets zu den Leuten hinbewegt, eine gelungene Anwendung des „Berg und Prophet“-Prinzips in Ausnahmezeiten.

Librettist Hendrik Rupp führt uns in drei Szenen vom Attentatsjahr 1939 über die direkte Nachkriegszeit hin ins Heute und zeigt, wie unterschiedlich die gesellschaftliche Wahrnehmung und Bewertung Elsers war und wie aktuell Geschichte – zumal diese, die von Zivilcourage und gesellschaftlichen Gruppenzwängen handelt – noch heute ist. In ostschwäbischer Mundart geschrieben, wird die Elser-Geschichte präsentiert als Stück regionaler Identität.

Das kleine Werk will nicht nur eine genuine Oper sein – es schafft das auch. Vor allem überzeugt die Reduktion auf das Wesentliche, die „Nau bens hald I“ zur Elser-Oper „in a nutshell“ macht: zwei Instrumente (Akkordeon, Schlagzeug) und zwei Personengruppen (Georg Elser und ein kleiner Chor, oder besser: Korps), mehr braucht der Komponist Sebastian Schwab für die Charakterzeichnung und Handlungslenkung seiner Figuren nicht. Schlagzeug und Chor bilden unüberhörbar eine Einheit: Der militante Trommelwirbel gibt den drei Jugendlichen den (Marsch-)Takt an. Georg Elser hingegen – hervorragend vom eingesprungenen Gerrit Illenberger verkörpert und im Übrigen der einzige Darsteller, der im klassischen Sinne „singt“ – findet sein Pendant im harmoniesuchenden Akkordeon. Die klare Regie von Lisa-Marie Krauß führt Wort, Musik, Szene und Sinn zusammen und schafft so in jeder Szene aufs Neue veritable Opernbühnen-Momente.

Das simple Prinzip „Pop-up“ mit einem anspruchsvollen Thema zu verknüpfen, das ist den Opernfestspielen Heidenheim hier zweifellos gelungen. Die Entscheidung, keinen Unterhaltungsstoff für dieses Format zu wählen, sondern ein gewichtiges Kapitel regionaler Geschichte, zeugt einmal mehr davon, dass dieses Festival seinen gesellschaftlichen Auftrag wahrnimmt und aufs Beste umsetzt. Hoffentlich bleibt diese Art von Oper auch in Post-Corona-Zeiten erhalten – sie ist ein wahrer Gewinn!

Dr. Dimitra Will

„Nau bens hald I“ (2020) // Pop-up Opera von Sebastian Schwab (Komposition) und Hendrik Rupp (Libretto)

Weniger ist diesmal mehr

Halfing / Immling Festival (Juli 2021)
Puccinis „Madama Butterfly“ glänzt in puristischer Optik

Halfing / Immling Festival (Juli 2021)
Puccinis „Madama Butterfly“ glänzt in puristischer Optik

Wer bei der aktuellen Neuproduktion von Intendant Ludwig Baumann auf den gewohnten inszenatorischen Überraschungseffekt wartet, wird zunächst ein wenig enttäuscht: Betont traditionell in Bühnenbild und Erzählweise kommt diese „Madama Butterfly“ daher – eine japanisch anmutende Papier-Hausfront vor zartrosa Hintergrund, lediglich bewegliche Schiebetüren geben dem „drinnen“ und „draußen“ der Handlung etwas Struktur. Manchmal dienen Lichteffekte und Schattenspiele zur Darstellung dessen, was parallel zur Handlung im Vordergrund dahinter „im Haus“ passiert. Wären da nicht die ausnahmslos prächtigen Kostüme und Masken – sogar der Chor trägt echte japanische Kimonos – gäbe es auf dieser Bühne nicht sehr viel zu sehen. Aber halt: Das Ganze mündet keineswegs in einem langweiligen Opernabend. Ganz im Gegenteil wirkt sich die Reduktion des Optischen wie ein Brennglas auf die akustische Melodramatik von Puccinis Musik aus. Erstaunlicherweise taugt gerade diese Art der Inszenierung hervorragend zum Beweis des dramatischen „Overloads“, den Puccinis Oper zu bieten hat – für ein emotional ausgehungertes Post-Corona-Publikum fast schon zu viel des Guten.

Dass die Idee gar so gut aufgeht, liegt an der herausragenden musikalischen Qualität – unabdingbar für ein solch puristisches Konzept. Allen voran Yana Kleyn, die Interpretin der Cio-Cio-San, der man darstellerisch wirklich alles abnimmt. Vom 15-jährigen Mädchen zur amerikanisch gewandeten „Mrs. Pinkerton“ und einer gebrochenen Madama Butterfly am Ende des Stücks beherrscht die junge Russin die Darstellung der verschiedenen Facetten ihrer Figur meisterhaft. Dazu macht sie mit einer überragenden Gesangsleistung dem Anspruch der Titelprotagonistin alle Ehre – und die Aufführung fast zur „One-Woman-Show“. Jenish Ysmanov ist ihr als Pinkerton mit vor allem in den Höhen strahlendem Schmelz ein ebenbürtiger Partner (keine einfache Aufgabe in diesem Fall). Ksenia Leonidova singt und spielt ihre Suzuki ausdrucksstark und überzeugend, Sergeij Kostov ist ein wunderbar-schmieriger Heiratsvermittler Goro mit auffällig schönem Tenortimbre. Lediglich der Sharpless von Ian Burns kann stimmlich mit dem sehr hohen Niveau nicht ganz mithalten, sein schauspielerisches Talent macht die kleinen Abstriche aber wieder wett. Sämtliche kleinere Solopartien komplettieren das Solistenensemble zu einer runden Gesamtleistung. Wie immer eine „feste Bank“ ist auch hier der Festivalchor Immling (Einstudierung Cornelia von Kerssenbrock), traditionell vorwiegend ein Laienchor mit erstaunlichem Leistungsvermögen und trotz pandemiebedingter Probeneinschränkungen voll spürbarer Begeisterung für die Sache. Die zweite Krone dieses Abends gebührt neben der Sängerin der Titelpartie allerdings eindeutig dem mitreißend spielenden Festivalorchester Immling, das unter der Leitung von Cornelia von Kerssenbrock diesen Puccini zu dem macht, was er ist: zweieinhalb Stunden italienisch-dramatische Sommerfestival-Oper at its best!

Iris Steiner

„Madama Butterfly“ (1904) // Tragedia giapponese von Giacomo Puccini

Infos und Termine zur Produktion auf der Website des Festivals