August Enna: „Kleopatra“
Diese Oper hat es nun wirklich nicht verdient, im Dunkel der Vergangenheit zu versinken. Fast hundert Jahre war die „Kleopatra“-Partitur des dänischen Komponisten August Enna (1859-1939) in den Archiven verschwunden. Jetzt hat sie Philipp Kochheim zu neuem Leben erweckt. Der deutsche Theatermann ist zurzeit Intendant der dänischen Tourneebühne „Den Jyske Opera“ mit Sitz in Aarhus. Mit seinem ambitionierten Projekt, unbekannte oder vergessene dänische Opernwerke wieder auf die Bühne zu bringen, erfuhr auch die hochromantische Oper „Kleopatra“ ihr Comeback. Das dänische Label DaCapo, hier vertreten durch Naxos, brachte nun ein Jahr nach der Bühnenpremiere eine CD als Welt-Ersteinspielung auf den Markt.
Schon nach den ersten Takten der Ouvertüre wird klar, dass hier ein Komponist von europäischem Rang am Werk ist. An den Klangbildern von Richard Wagner und Richard Strauss geschult, entfaltet Enna eine eigene Meisterschaft an Melodiefluss und Instrumentierung. In diesem Werk geht es nicht wie in vielen anderen Kleopatra-Opern um das Drama zwischen ihr und Antonius oder die Liebesgeschichte mit Caesar. Vorlage für das Libretto ist der 1889 erschienene Roman des Engländers Henry Rider Haggard. Darin ist Kleopatra einer lebensgefährlichen Intrige der von ihr unterdrückten Pharaonen-Dynastie ausgesetzt. Aber prompt verliebt sich der als Attentäter ausgewählte junge legitime Pharao Harmaki in die raffiniert verführerische Königin. Dies wiederum entzündet bei ihrer Lieblingsdienerin Charmion – der von den Verschwörern eingeschleusten Tochter des Hohepriesters Sepa – wilde Eifersuchtsanfälle, denn sie liebt Harmaki, was dieser nicht unerwidert lässt. Blind vor Wut verrät sie ihren Geliebten der Königin. Konfrontiert mit seinem Verrat, muss Harmaki erleben, wie seine Mitverschwörer einschließlich des Hohepriesters Sepa in Fesseln abgeführt werden. Mit dem Dolch, der für Kleopatras Mord gedacht war, ersticht er sich selbst. Das wiederum gibt Charmion, über der Leiche zusammensinkend, Gelegenheit für eine große Schlussarie, die leise und zart mit den Worten endet: „All das vollbrachte Liebe, eine zärtliche Liebe, die niemals Ruhe finden wird.“
Diese klassische Opernmischung aus Leidenschaft, Liebe, Intrige, Eifersucht und Verrat inspirierte August Enna zu einer dramaturgisch geschickt angeordneten Mischung aus großen lyrischen Melodiebögen, leidenschaftlichen Gefühlsausbrüchen und harmonisch kühnen Ensembles. Enna versteht viel von effektvollen Instrumentierungen und den Möglichkeiten der vokalen Register. Die klangliche Führung der Solopartien und ein oft dichter und kräftiger Orchestersatz erfordern für eine überzeugende Darstellung Belcanto-geschulte Stimmen. Das kann diese Produktion mit einem international renommierten Ensemble vorweisen. Elsebeth Dreisig gestaltet die Rolle der Kleopatra mit Kraft, dramatischem Zugriff und wo geboten auch mit lyrischen Bögen. Magnus Vigilius geht mit heldischer Stringenz zu Werk und stattet den inneren Konflikt des Verschwörers Harmaki mit den entsprechenden starken Affekten aus. Mit einer wunderbar gesund geführten und ausdrucksstarken Stimme erfüllt der Bariton Lars Møller die Darstellung des Hohepriesters Sepa mit Leben. Vokale Höhepunkte der Oper sind die Melodien der liebenden Charmion. Die Sopranistin Ruslana Koval ist dafür eine sehr glückliche Wahl. Sie kann ihre Stimme vom leisen, zart schwingenden Piano hochfahren zu großer leidenschaftlicher Ausdrucksstärke. Das berührt immer wieder in den leisen Tönen, bis zu den letzten Takten der Oper.
Eine Sonderklasse ist der Chor, dem Enna die Gestaltung gewaltiger Klangsäulen abverlangt, denen der Chor der Dänischen Nationaloper durchgängig gewachsen ist. Das Odense Symphonierchester begleitet unter dem Dirigat des Schweden Joachim Gustafsson souverän.
Das dänisch-englische Booklet informiert ausführlich über das Werk, seinen Komponisten, das Ensemble und bietet außerdem den gesamten Text. Nach ihrer Premiere im Jahr 1894 wurde die Oper immer wieder in ganz Europa gespielt. Allein in Amsterdam gab es 1897 über 50 Vorstellungen. Ab den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aber hatte sich Enna selbst überlebt. Seine Werke verschwanden von den Spielplänen. Vergessen, verbittert und verarmt starb der einst Gefeierte im Alter von 80 Jahren in Kopenhagen. Es ist an der Zeit, sich seiner wieder zu erinnern und dieser Oper auf den Spielplänen wieder einen gebührenden Platz zu geben. Und das gilt auch für seine symphonischen Werke. Die vorliegende CD ist dazu ein überzeugender Start. Sie wurde übrigens zum Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominiert. Die Jury entschied sich dann anders. Aber immerhin.
Claus-Ulrich Heinke
INFOS ZUR CD
August Enna: „Kleopatra“ (1893)
Dreisig, Vigilius, Møller, Koval u.a.
Odense Symphonierchester, Chor der Dänischen Nationaloper – Joachim Gustafsson
2 CDs, DaCapo