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Romeo und Julia

Liebe auf Distanz

Duisburg / Deutsche Oper am Rhein (April 2021)
Boris Blachers „Romeo und Julia“

Duisburg / Deutsche Oper am Rhein (April 2021)
Boris Blachers „Romeo und Julia“

Ihre Hände berühren sich nur beinahe. Umrunden einander, formen einen Raum zwischen sich, den sie nicht überwinden können, und strecken sich bis ins letzte Fingerglied, an wiederum sehnsüchtig ausgerenkten Armen – aber nicht einmal die Fingerkuppen küssen sich. So gebärdet sich die Liebesgeste des Grenzen sprengen(-wollen)den Paares Romeo und Julia auf der Bühne der Deutschen Oper am Rhein. Distanz ist der prägende Gestus in dieser Inszenierung von Manuel Schmitt auf Boris Blachers Kammeroper der Shakespeare-Tragödie.

Es ist der Beinahe-Moment, der Zerrissenheitsraum, kreiert von visueller und musikalischer Distanz, der die Spannung erzeugt, um für eine Stunde an den Stream bei OperaVision gefesselt zu sein. Distanzierte Musik ist wohl jene, deren Emotionen einen nicht opern-italienisch überrollen, sondern diese mit ihren speziellen intellektuellen und strukturellen Mitteln zwar überzeugend ausformt, sie aber eher bei den Charakteren belässt. So ist es bei Blacher.

Während sich dessen Werk durch seine starke inhaltliche Reduktion vom Shakespeare’schen Original entfernt und sich dabei auf die Liebenden fokussiert, wendet sich Regisseur Manuel Schmitt wiederum eher von diesen ab und stattdessen hin zu den gesellschaftlichen Umständen der Handlung. Diesen Blickwinkel verdeutlicht er mit der Bühneneinteilung (Heike Scheele): Julia ist die ganze tragische Stunde in eine tiefergelegte, karge Ebene eingelassen. Der achtköpfige Chor steht erhöht, darf mit Requisiten und miteinander interagieren; auch die Handlung liegt maßgeblich bei ihm. Das Spiel mit den Ebenen und ihren einhergehenden Distanzen ist intellektuell und schmackhaft.

Damit auch die Unterhaltung in dieser Distanzqual nicht zu kurz kommt, schreibt Blacher die Figur der Chansonnier*e, die das Spiel immer wieder kommentierend unterbricht und die Szene zeitweise in die Theater-im-Theater-Idee schubst. Da rutschen einem die trauernden Stirnfalten schon mal in ein amüsiertes Schmunzeln, wenn Spieltenor Florian Simson in Frauenkostümen über die Bühne tänzelt. Er gestaltet seine Rolle absolut fabulös unterhaltsam aus. Ein Grad des Schauspiels, den man nicht bei allen Beteiligten beglückwünschen kann.

Musikalisch wurde gerade vom Chor ganze Arbeit geleistet. Die zahlreichen a-cappella-Akkord-Kumulationen, die nicht selten von unharmonischen Einwürfen erschüttert sind, stapeln sich ziemlich ordentlich auf- und nebeneinander. In dieses Lob kann man das kleine Orchester mit einreihen. Die Komposition bietet kaum lyrische Phrasen, an denen es sich entlanghangeln könnte; stattdessen zeugt sie von der Mathematik, die der Komponist vor seiner musikalischen Ausbildung studierte. Dirigent Christoph Stöcker bringt diese komplexe Musik mit seinen neun Musikerinnen und Musikern auf den Punkt. Obwohl der inszenatorische Fokus nicht auf Romeo und Julia liegt, sind sie musikalisch immer wieder ein Nähe-Moment. Lavinia Dames und Jussi Myllys haben schon bei Anno Schreiers „Schade, dass sie eine Hure war“ bewiesen, was für ein mitreißendes Liebespaar sie sein können und wie bereichernd sich ihre beiden ziemlich speziellen Klangfarben miteinander vermischen.

Insgesamt passiert nicht wirklich viel in dieser kurzen Stunde Kammeroper. Aber das was passiert, in minimal und eher monochrom, das bringt opernhafte Emotionen. Und die tun tragisch gut. 

Maike Graf

„Romeo und Julia“ (1943) // Kammeroper von Boris Blacher

Die Inszenierung ist als Stream bis 17. Oktober 2021 kostenfrei über die Plattform OperaVision abrufbar.

In Schönheit sterben

Linz / Landestheater Linz (April 2021)
Ein starkes Ensemble verleiht Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ Flügel

Linz / Landestheater Linz (April 2021)
Ein starkes Ensemble verleiht Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ Flügel

Es dauert nicht lange und Wehmut schleicht sich ein, während man im heimischen Wohnzimmer den Stream von Vincenzo Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ verfolgt und sich doch eigentlich ins Linzer Musiktheater sehnt. Aber in Zeiten wie diesen muss man genießen, was möglich ist – und Genuss gibt es an diesem Abend reichlich. Die tragische Liebesgeschichte von Romeo und Julia ist sattsam bekannt. Ihr Unglück ist die Folge eines erbitterten Streits zweier Familien in Verona, die neben persönlichen Befindlichkeiten auch noch unterschiedlichen politischen Lagern angehören, den Ghibellinen und Guelfen. Kriegerisch gebärden sich Cappelio, Clanchef der Capuleti, und seine Getreuen – insbesondere Tebaldo, der ein Auge auf die Tochter des Bosses geworfen hat. Dass Julia (bei Bellini Giulietta) ganz andere Pläne hat, weiß er noch nicht.

Regisseur Gregor Horres siedelt die auf Krawall gebürstete Familie vor einem anthrazitfarbenen, sich drehenden Betonquader an, der als Projektionsfläche für ein Video, eine Cocktailbar, ein Schlafzimmer und schließlich eine Grabkammer dient. Das Bühnenbild von Elisabeth Pedross unterstreicht die erstarrten Ansichten dieser Männergesellschaft, die, wenn gar nichts geht, nach Rache und Krieg schreit. Rache, weil Romeo, Sohn der feindlichen Montecchi, den männlichen Nachkommen der Capuleti in einer Schlacht erschlug. Tebaldo kämpft an vorderster Reihe als Rächer – vor allem, weil er als Preis seines Erfolgs die Heirat mit Giulietta erwarten darf. Tenor Joshua Whitener gibt den aalglatten Karrieremann, schafft es aber mit seiner Stimme, seiner Liebe zu Giulietta große Glaubhaftigkeit zu verleihen.

So startet die Oper ziemlich fulminant mit einem hochmotivierten Bruckner Orchester Linz unter der Leitung von Enrico Calesso. Richtig Fahrt nimmt der Abend mit dem Auftritt des Liebespaares auf. Bellinis Romeo ist eine Partie für einen Mezzosopran. Dadurch gestalten sich die gesanglichen Begegnungen der verzweifelt Liebenden nicht nur als eine Kette von Koloraturen, sondern auch als ein feinmelodisches Gewebe an Akzenten und Färbungen zwischen Sopran und Alt. Bellini hat sich mit seiner Komposition bereits vom reinen Schöngesang des Barocks entfernt, die traurigsten Botschaften kommen auf romantischen Wellen von lebhaften Dur-Tonarten daher und nehmen den Zuhörer völlig gefangen. Für dieses wohlige Gefühl sind in erster Linie die beiden Sängerinnen von Romeo und Giulietta verantwortlich. Anna Alàs i Jové gibt einen hingebungsvollen Liebhaber und lässt ihre weiche Stimme leuchten. Ilona Revolskaya füllt ihre Rolle nicht nur mit schwebenden, scheinbar leicht hingeworfenen Tönen aus, sondern zeigt auch glaubhaft, dass sie mehr von der Liebe begreift als ihr jugendlich stürmischer Angebeteter. Das unerfreuliche Ende der Oper ist nicht aufzuhalten, es wirken sowohl der von Lorenzo (Michael Wagner) vorbereitete Trank für den Scheintod als auch das Gift. Der finale Selbstmord erfolgt modern mit einer Pistole. Alle unglücklichen Protagonisten müssen ihr Leben lassen, nur der verbitterte Vater (Dominik Nekel) bleibt gebrochen zurück. Ein gelungener Abend, der in guter Erinnerung bleibt.

Susanne Dressler

„I Capuleti e i Montecchi“ (1830) // Tragedia lirica von Vincenzo Bellini

Die Inszenierung ist als Stream bis 8. Mai 2021 auf der Website des Theaters verfügbar („pay as you wish“)