Interview mit der bulgarischen Sopranistin Sonya Yoncheva
Redaktionskonferenz online, die gefühlt 352te. Wir planen unsere zweite Ausgabe 2021 – auch diese ausschließlich digital – und entscheiden uns für ein Interview mit Sonya Yoncheva, die mitten in der Pandemie ihre eigene Produktionsfirma gegründet hat. Wie schön, dass sich da jemand nicht anstecken lässt vom allgemeinen „Abgesang“ der Kultur! Und wie schwierig, so etwas gerade jetzt zu initiieren und darüber hinaus auch noch eine neue CD auf den Markt zu bringen. Reichlich Stoff für ein interessantes Gespräch, das wir unter normalen Umständen gerne persönlich geführt hätten. Doch was ist momentan schon normal? Und so erreicht Florian Maier Frau Yoncheva ausgerechnet am pandemischen Februar-Sehnsuchtsort der Deutschen: einem Friseursalon in ihrer Wahlheimat Schweiz.
Was macht eine vielbeschäftigte Sängerin wie Sie in diesen Zeiten ohne Bühne, ohne Publikum und ohne Applaus?
Es heißt ja immer wieder, dass diese Pandemie die richtige Zeit sei, um das Leben, seine Ziele und Wünsche zu hinterfragen und neu zu definieren. Genau das mache auch ich. Wobei meine Aktivitäten als Sängerin von der Krise ehrlich gesagt gar nicht so stark betroffen sind, da ich abgesagte Engagements durch einige neue Aufträge im letzten Sommer Gott sei dank relativ gut ausgleichen konnte.
Als Starsopranistin und zweifache Mutter hatten Sie vor Corona wahrscheinlich kaum eine ruhige Minute, allein weil Sie als Kultur-Globetrotterin ja durch die halbe Welt gehetzt sind. Können Sie dahingehend der aktuellen Situation auch positive Seiten abgewinnen?
Durchaus. Es ist wundervoll, mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen zu können. Meine Tochter ist jetzt eineinhalb Jahre alt und hat durch diese Umstände das Glück, fast nur zuhause aufwachsen zu können. Das ist ein Wunder – bei meinem Sohn war das in den ersten Jahren nicht immer der Fall, da meine Familie mich sehr oft auf Reisen begleitet. Und mein Mann und ich genießen auch als Paar diese wertvolle gemeinsame Zeit, in der wir uns noch einmal besser kennenlernen.
Gibt Ihnen Ihre Rolle als etablierte Künstlerin die Gelassenheit, die Dinge relativ entspannt auf sich zukommen zu lassen?
Auf jeden Fall! Ich befinde mich allerdings auch in einer sehr privilegierten Position, was leider nur für die wenigsten Künstlerinnen und Künstler gilt. Die meisten werden nicht so gut behandelt wie ich, ohne dass dies irgendetwas mit der Qualität ihrer Kunst zu tun hat. Sie sind eben oft rein zufällig nicht so bekannt. Ganz unabhängig von der momentanen Situation war das auch schon vor Corona sehr unfair und macht mich seit jeher wütend. Ich habe in der letzten Zeit herzzerreißende Geschichten gehört von Menschen, die ihren Beruf aufgeben, ihre Instrumente verkaufen oder sogar Selbstmord begehen. Ich weiß, was es bedeutet, Musikerin zu sein und wie viel wir in unseren Traum investieren, ohne zu wissen, ob wir jemals wirklich von unserer Kunst leben können. Die Grundlagen, die Ausbildung, die Karriere – es ist ein so harter Weg! Und dann jemanden zu sehen, der dem Ganzen den Rücken zukehren muss, ist einfach verrückt …
Zahllose junge Sängerinnen und Sänger stehen noch am Anfang ihrer Karriere. Gefährdet die Pandemie den künstlerischen Weg einer ganzen Generation?
Leider ja! Sie sind das neue Wir – genauso wie meine Sängergeneration das Schaffen anderer vor uns fortführt. Es ist so unglaublich wichtig, dass unser Nachwuchs nicht den Glauben daran verliert, wer wir sind. Dabei geht es nicht bloß um Karrieren, sondern um die Verteidigung eines menschlichen Erbes. Musik ist ein so wichtiger Teil unserer Geschichte und wir sind auf jeden einzelnen Botschafter der Künste angewiesen. Wer soll denn sonst unsere Arbeit in der Zukunft fortsetzen?
Im letzten Jahr haben Sie mitten in der Pandemie Ihre eigene Produktionsfirma SY11 gegründet, um selbst Konzerte zu veranstalten. Warum das und warum gerade jetzt? Lieben Sie das Spiel mit dem Feuer, das kalkulierte Risiko? Oder sind Sie unzufrieden mit dem aktuellen Konzertbetrieb?
Nicht mit dem ganzen Business (lacht). Die Idee dazu entstand, als ich plötzlich so viel freie Zeit hatte. Ich habe im Grunde in zwei Richtungen gearbeitet. Zum einen konnte ich als Markenbotschafterin eines „Rolex Perpetual Music Concerts“ gemeinsam mit einigen Kollegen mehr als 100 Künstlerinnen und Künstler unterstützen. Zum anderen habe ich meine eigene Produktionsfirma SY11 gegründet. Ursprünglich war nur ein Konzert in meiner Heimatstadt geplant, einfach weil ich den Menschen dort etwas von mir zurückgeben wollte. Zuerst hat mich jeder für verrückt erklärt: Wer verkauft in der Pandemie freiwillig Tickets? Wie soll das Ganze in zwei Monaten auf die Beine gestellt werden? Was soll ich sagen: Das Konzert wurde trotz aller Unkenrufe ein voller Erfolg, auch weil ich in Bulgarien ein tolles Team an meiner Seite habe, die wirklich alles möglich machen konnten. Auf diese Erfahrung hin habe ich mich entschieden weiterzumachen. Zuschauer und Mitwirkende waren so dankbar, dass es möglich war, in solchen Zeiten etwas derartig Eindrucksvolles auf die Beine zu stellen. Das hat mich sehr motiviert – die Vorstellung, in meiner Branche etwas zu bewegen, gefällt mir. Natürlich macht man sich immer auch Sorgen, ob alles klappt. Trotzdem überwiegt das schöne und starke Gefühl, aktiver Teil der Musikindustrie zu sein und nicht mehr nur eine passive Künstlerin, die auf neue Verträge hofft.
Welche Ziele haben Sie sich mit SY11 gesetzt? Und wofür steht eigentlich der Firmenname?
SY sind meine Initialen. Und 11 ist meine Lieblingszahl – eine Meisterzahl in der Numerologie, die auch für Führung steht. Als ich mich auf einen Namen festlegen musste, hatte ich eigentlich keine Zeit für solche Entscheidungen – das ist das einfache Ergebnis (lacht). Auch die nächsten Projekte von SY11 werden sehr spannend. Für den August plane ich in Sofia eine große Gala gemeinsam mit Plácido Domingo. Wir haben uns sicherheitshalber für ein Open-Air-Konzert vor der Alexander-Newski-Kathedrale entschieden, einem wunderbaren Ort. Auf diese Weise können wir die Restriktionen einhalten und trotzdem hoffentlich viele Menschen teilhaben lassen. Und es ist uns wichtig, die Botschaft zu senden, dass Kunst gerade auch heute einen würdigen Rahmen verdient. Daneben sind noch einige Konzerte rund um meine neue CD geplant, unter anderem in Genf und Barcelona.
Sie scheuen nicht vor neuen Wegen zurück. Sehr passend dazu ist Ihr neues Album konzipiert, das Sie gemeinsam mit Leonardo García Alarcón und seiner Cappella Mediterranea aufgenommen haben: „Rebirth“. Ist „Rebirth“ etwas, das Sie mit dieser Zeit verbinden?
Tatsächlich ja. Es handelt sich um ein Projekt, das schwerpunktmäßig um Alte Musik kreist. Ausgehend von diesen teils 500 Jahre alten Stücken bauen wir eine Brücke über die Jahrhunderte – bis hin zu einem Song von ABBA, der eng mit dieser Art Klangerfahrung verbunden ist. Ein Experiment, das zeigen soll, wie zeitlos und global Musik ist. „Rebirth“ ist also menschlich wie auch künstlerisch gemeint. Wir möchten die Musik verschiedener Länder – Spanien, England, Italien, meine Heimat Bulgarien – nebeneinanderstellen. Es ist erstaunlich, wie sie sich so sehr ähneln kann, obwohl die Menschen damals kaum Möglichkeiten zum Austausch hatten, geschweige denn die mediale Vernetzung des 21. Jahrhunderts. Und da sprechen wir wieder von etwas, das heute wichtiger scheint denn je: Musik verbindet – gestern wie heute!
EMPFEHLUNG
„Rebirth“
Sonya Yoncheva, Leonardo García Alarcón, Cappella Mediterranea
1 CD, Sony Classical