Meiningen / Staatstheater Meiningen (September 2021) Händels „Amadigi di Gaula“ spielt gekonnt auf der barocken Emotionsskala
Eine Zauberoper eröffnet die Intendanz Jens Neundorff von Enzberg am Staatstheater Meiningen: Händels „Amadigi di Gaula“ von 1715. Im Mittelpunkt steht die – erfolglos – mit allen dämonischen Mitteln um die Liebe des Ritters Amadigi kämpfende Zauber-Hexe Melissa. Dabei bleiben letztlich sie und der Rivale des Amadigi, Dardano, auf der Strecke; der darf nach seinem Tod wenigstens aus der Hölle noch die Götter um Mitleid für die beiden Liebenden Oriana und Amadigi anflehen. Doch das erwartete glückliche Ende des Paares wird von Regisseur und Ausstatter Hinrich Horstkotte ironisch in Frage gestellt. Denn bei der Hochzeit verbirgt die Braut schon den Dolch hinter ihrem Gewand. Die äußere Handlung aber ist nur ein Vorwand, die widerstreitenden Gefühle zu zeigen als quasi überbordende Theater-Effekte ganz im Sinne der Barockzeit. Zu hören sind die menschlichen Gefühle bis in die sensibelsten Regungen in Händels Musik, konzentriert und prägnant betont durch Attilio Cremonesi am Cembalo und Pult der Meininger Hofkapelle. Das heutige Publikum kann das an der abwechslungsreichen Personenregie miterleben. Dass die äußere Handlung Illusion, Spiel ist, wird schon zur Ouvertüre deutlich: Die beiden „Helden“ sitzen hinter der eigentlichen Bühne in einem Zuschauerraum, Kulissen sind von hinten zu sehen. Danach beginnt die Aktion für das Publikum im Opernhaus: In immer neuen Verkleidungen, mal in barocker Prunkrobe, mal teuflisch schwarz, mal geheimnisvoll dunkelrot glitzernd, mal mit riesiger Rock-Schleppe über dem roten Kleid erscheint Melissa, mal assistiert von weißen Gespenster-Frauen, mal mit schwarzen Punk-Furien, und auch die Auftritts-Orte wechseln oft. Da gibt es Naturbilder für die Nacht, Wolkenkulissen für den Tag, Wellen oder Flammen künstlich in Bewegung, ein Feuertor, durch das Amadigi als wahrer Liebender schreiten kann, unechte Säulen, immer höhere Stufen, irritierende Spiegelwände, Raumfluchten, eine Drachenhöhle und zum Schluss ein Meer mit einem Papp-Schifflein obenauf, das das Paar in eine glückliche Zukunft führen soll – oder nicht?
Händels Musik, mit allen Facetten von Trauer, Dramatik, Empfindsamkeit, Freude, Jubel lässt dies offen in einem lieto fine in g-Moll. Ins Reich der Toten eingegangen sind durch Selbstmord die Zauberin Melissa, von Monika Reinhard äußerst agil verkörpert und mit viel innerer Wut, Leidenschaft, ergreifender Klage und furiosen Ausbrüchen gesungen, und im Zweikampf der kriegerische Prinz Dardano, Almerija Delic, beeindruckend durch die kraftvolle, von Elan getragene Stimme, die auch die heikelsten Koloraturen meistert. Den Titelhelden Amadigi stellt Rafal Tomkiewicz mit fundiertem Countertenor und wehendem Blondhaar auf die Bühne, und so kriegt er „seine“ Oriana, eine weithin passive mädchenhafte Schönheit, Sara-Maria Saalmann, die eine einsame, hartnäckig Liebende mit fein nuanciertem, hellem Sopran zeichnet.
Renate Freyeisen
„Amadigi di Gaula“ (1715) // Opera seria von Georg Friedrich Händel