von Wolf-Dieter Peter

Sir Simon Rattle
(Foto Oliver Helbig)

„Aber bitte mit Sahne …“ gilt so in etwa für das Münchner Kultur-Selbstverständnis. Auch wenn Berlin Bundeshauptstadt ist, die dortigen Philharmoniker schon Weltklasse sind und ein immer noch fabulöses Konzertgebäude bespielen: München kann sich mit Mozart-, Wagner-, Strauss-, etlichen anderen Uraufführungen und seinen Orchestern durchaus ebenfalls in die Weltliga der Musik einreihen. Deshalb ist traditionell das Beste gerade gut genug.

Reaktion eins: Wenn man einen Maazel, Celibidache, Levine oder Mehta in der Stadt hatte, wenn man die derzeit wohl herausragende Begabung – einen Kirill Petrenko – an Berlin abgegeben hat, dann muss nach dem Tod von Mariss Jansons etwas „Großkalibriges“ den seit einem Jahr verwaisten Chefsessel des BRSO einnehmen. Schließlich kam ein Weltstar wie Leonard Bernstein zu seiner „Tristan“-Einspielung eben hierhin – und deutlich weniger glamourös, aber von selten anzutreffender Tiefe und Herzenswärme war auch die Ära des unvergesslichen Rafael Kubelík als BRSO-Chef. Ein Konzert unter Kubelík mit Beethovens 9. Symphonie soll 1970 in Liverpool einen prägenden Eindruck hinterlassen haben: Der Teenager Simon wollte genau so ein Dirigent werden.

Sir Simon Rattle und das BR Symphonieorchester
Sir Simon Rattle und das BR-Symphonieorchester (Foto Astrid Ackermann)

Reaktion zwei: „Rattle-di-tattle“ … na, da kommt einer, der wird dem stets gediegenen, mitunter auch selbstgefälligen Münchner Musikleben mal so etwas wie das Tanzen beibringen! Der 1955 geborene Liverpooler Simon Rattle hat schon in seiner ersten Chefposition beim zunächst nur regional bekannten Birmingham Symphony Orchestra internationales Aufsehen erregt. Seine von 2002 bis 2018 – also ganze 16 Jahre – währende Chef-Periode bei den Berliner Philharmonikern führte das vor, was München jetzt guttun wird: Neugier über gängige Repertoirebereiche hinaus – siehe seine Videobox „Musik im 20. Jahrhundert“. Ein Musizieren, das nicht auf emotionale Überwältigung zielt, sondern auf feine Klangreize und Durchhörbarkeit, dazu die Freude an Monumenten der Klassik – das zeigen Rattles Einspielungen der ersten zwei Werke aus Wagners „Ring des Nibelungen“ mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Vor allem aber „Kommunikation über Grenzen hinaus“: Rattle spielte mehrfach Filmmusik ein, er dirigierte zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London, initiierte ab 2002 mit den Berliner Philharmonikern das Projekt „Zukunft@BPhil“, mit dem Kinder an Musik herangeführt wurden, gipfelnd in dem Tanzprojekt auf Strawinskys „Sacre du Printemps“ sowie mehrfach preisgekrönt verfilmt als „Rhythm is it“. Auf dieser kommunikativen Schiene – niederschwellig erstklassige Kunst zu vermitteln – sollte München also einiges erwarten. Außerdem kann das internationale Renommee, mit dem Rattle antreten wird, der problem- und jetzt auch finanziell belasteten Situation um einen neuen Münchner Konzertsaal-Bau nur zuträglich sein. Schon einmal hat der „british style“ um Sir Peter Jonas Münchens Musikleben in der Oper eine singuläre Blüte beschert. Das als Omen genommen: Welcome Sir Simon!