Wie tröstlich, dass es Schutzengel gibt! In der Oper „Leonore 40/45“ heißt er Monsieur Emile und nur ihm ist das Happy End zwischen der Französin Yvette und dem Deutschen Albert zu verdanken. Denn die beiden, die sich 1941 bei einem Konzert mit Neuer Musik in Paris näherkommen, dürfen während der deutschen Besatzung eigentlich keine Beziehung haben. Doch Yvette – eine Nachfolgerin von Beethovens „Fidelio“ – kämpft allen politischen Widrigkeiten zum Trotz für ihre Liebe. Nur gegen das Tribunal, das die Hochzeit der beiden 1945 verhindern will, kommt sie nicht an. Was besagten Engel auf den Plan ruft, der die Inhumanität verdammt und zur Versöhnung aufruft. Denn: „Alles wendet sich zum Guten in der besten aller Welten.“

Als Opera semiseria bezeichneten Komponist Rolf Liebermann und Librettist Heinrich Strobel, beide Pioniere im Einsatz für moderne Musik, ihr 1952 in Basel uraufgeführtes, im Kern biografisches Werk, dessen ernstes Thema mit heiteren Einschüben aufgelockert wird. Auch Liebermann spielt in seiner Partitur lässig mit avantgardistischen Strömungen und baut dabei passend zum Geschehen Zitate quer durch die Musikgeschichte ein, etwa das „Fidelio“-Quartett oder ein Schnipsel aus Leoncavallos „Pagliacci“-Prolog.

Dieser Vielschichtigkeit wird Jürgen R. Weber in seiner Bonner Inszenierung in hohem Maße gerecht. Er lässt die Handlung realistisch in einem historisierten Ambiente – phantasievoll entworfen von Hank Irwin Kittel – ablaufen und stellt ihr als Kontrast eine Zirkuswelt gegenüber, bestehend aus einem Panoptikum von schrägen Artisten. Wie er das Kriegsgrauen mit schwarzem Humor verknüpft, ohne es zu bagatellisieren, ist meisterlich: Die französische Nationalfigur „Marianne“ kämpft gegen Soldaten mit Beethoven-Masken und Hakenkreuz-Armbinden, ein Verweis auf die Vereinnahmung des Komponisten durch die Nationalsozialisten; die Antipoden Hitler und Churchill erscheinen als übergroße Schießbudenfiguren; ein Totenkopf mit Clownsnase guckt in den Zuschauerraum. Beherrschend aber ist ein vom Schnürboden hängender riesiger Gemälderahmen, auf dessen Leinwand knallbunte Trickfilme projiziert werden. Der erste heißt „Circus Hitler – Welttournee“, der letzte mit der Jahreszahl 1945 „Circus Hitler ist unbekannt verzogen“. Eingeblendet wird auch mitunter das Orchester, das wie der Chor unsichtbar hinter der Bühne platziert ist. Der Klang leidet nicht darunter, denn Dirigent Daniel Johannes Mayr sorgt für kristalline Durchsicht und klare Strukturen. Barbara Senator singt mit lichtem, klarem Sopran eine ganz fabelhafte Yvette. Einen sympathischen Albert verkörpert der junge Santiago Sánchez, nur erklimmt der Tenor die Höhe noch nicht ganz mühelos. Rollendeckend ist die ältere Generation mit Susanne Blattert und Pavel Kudinov besetzt. Eine tolle Figur macht Joachim Goltz: Als schwarzgewandeter Engel verbindet er vokale Prägnanz mit Entertainer-Qualitäten.

Die Aufführungen, die im Nachkriegsdeutschland bis 1959 stattfanden, stießen aufgrund der Thematik auf Ablehnung beim Publikum. Jetzt aber ist die Zeit reif für „Leonore 40/45“. In Bonn wird sie stürmisch gefeiert. Auch wegen des ungewöhnlich informativen Programmhefts bleibt sie nachhaltig in Erinnerung. Ein mehr als vielversprechender Auftakt für das mehrjährige szenische und wissenschaftliche Rechercheprojekt „Fokus ’33“, auf dessen weiteren Fortgang man sehr gespannt sein darf.

Karin Coper

„Leonore 40/45“ (1952) // Opera semiseria von Rolf Liebermann

Infos und Hintergründe zu „Fokus ’33“ auf der Website des Theaters