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Beiträge 02/2023

Gott erhalt’s!

Wie braut man eine Operette? Zur Uraufführung von Daniel Behles „Hopfen und Malz“ am Eduard-von-Winterstein-Theater

Wie braut man eine Operette? Zur Uraufführung von Daniel Behles „Hopfen und Malz“ am Eduard-von-Winterstein-Theater

von Stefan Frey

„Ich finde den Begriff Operette eigentlich sehr gut, weil er kontrovers ist. Sie ist satirisch, aber belehrt nicht, sondern verbirgt durch Oberflächlichkeit eine tiefere Schicht. Für mich hat das eine Subversivität, die es in der Oper nicht gibt. Es ist eine Form, Humor auf die Bühne zu bringen, auch blöden Humor. In der Oper gibt es keine richtige Lustigkeit, niemand hat den Mut, auch einen Kalauer zu vertonen. Aber in der Operette muss der Text griffig sein. Simple Reime, die aber einen Schmäh haben. Und wenn man dann noch eine turbulente Geschichte hat, mit vielen Verwirrungen, dann folgt die Musik von alleine.“

Tenor Daniel Behle weiß, was er will. Für ihn ist Operette nicht – wie bei den wenigen „Operetten-Uraufführungen“ der letzten Jahre – nur ein Etikett für mehr oder minder neutönerisches, komisches Musiktheater, für ihn ist es ein eigenes Genre mit eigenen Regeln. Und die nimmt er ernst, es soll schließlich auch nach Operette klingen.

Behle ist ein musikalischer Grenzgänger, hat nicht nur Gesang und Komposition studiert, sondern auch Posaune und Schulmusik. So vielseitig wie seine Ausbildung ist auch sein Schaffen. Er schreibt spätromantische Orchesterstücke, Hamburger Shanties und fiktive Richard-Strauss-Lieder. Und jetzt auch noch eine Operette. Sie heißt „Hopfen und Malz“, dreht sich ums Bierbrauen und wurde am 21. Januar 2023 in Annaberg-Buchholz uraufgeführt.

Ölsum oder Meersum: Wer braut das bessere Bier? (Foto Dirk Rückschloß/Pixore Photography)

Die Idee dazu kam Behle während einer „Arabella“-Vorstellung unter Christian Thielemann in Dresden. Der Gedanke, dass diese Musik eigentlich auch gut in eine Operette hineinpassen würde, ließ ihn nicht los und brachte ihn schließlich dazu, selbst eine zu schreiben. Und tatsächlich geistert Richard Strauss hörbar durch die Partitur von „Hopfen und Malz“, zumindest im Orchester – so, als habe Behle endlich die Operette geschrieben, die Richard Strauss immer schreiben wollte: Vergebens hatte er seinen Librettisten Hugo von Hofmannsthal davon zu überzeugen versucht, dass er „großes Talent zur Operette habe“ und „zum Offenbach des 20. Jahrhunderts berufen“ sei. Hofmannsthal schrieb stattdessen „Arabella“ – wahrscheinlich nur, um wiederum 100 Jahre später Daniel Behle auf die Idee zu bringen, selbst eine Operette zu schaffen. Dieser wiederum fand seinen Hofmannsthal im Schweizer Romancier Alain Claude Sulzer, der sich aber auf das Operetten­projekt des Komponisten einließ.

Unsinn mit Methode nach Wiener Art

Das Genre hat es Behle seit seinem Engagement an der Wiener Volksoper besonders angetan. Seinen Einstieg dort hatte er als Alfred in einer alten, schon etwas angestaubten „Fledermaus“-Inszenierung von Robert Herzl: „Das hat einfach Spaß gemacht, singen und nicht groß über das Warum nachdenken. Das war für mich sehr prägend. Ich finde, dass Operette, wie der Jazz ja auch, eine Wurzel hat. Und die ist für mich in Wien. Damals habe ich viel gelernt. Operette ist Musiktheater: Sprechen, singen und das Sujet sollte lustig sein oder wenigstens verwirrend – wie in der ‚Fledermaus‘. Warum funktioniert das? Klar, die Musik ist gigantisch, aber andererseits ist da auch die Thematik: Du hast einen Polizisten beleidigt, gehst dafür in den Knast, willst aber nicht – das ist so blöd, aber lustig und zeitlos. Ich finde auch Biertrinken zeitlos und deshalb sind wir darauf gekommen, das ist immer witzig.“

Denn darum geht es in „Hopfen und Malz“, ums Biertrinken und Bierbrauen. Und die Handlung ist tatsächlich lustig und verwirrend und spielt in den beiden norddeutschen Dörfern Meersum und Ölsum. Die wetteifern alljährlich um den ersten Preis beim regionalen Bierbrauwettbewerb. Seit Jahren gewinnt Horst Flens aus Ölsum. Und seit Jahren scheitert Max Fisch aus ­Meersum. Doch diesmal sind seiner Frau Letty vier ­Bayern im Traum erschienen. Sie verkünden ihr, der Mönch Theophil könne mit seinem Voodoo-Freibier ihrem Mann helfen, den Wettbewerb zu gewinnen. Und tatsächlich gibt der Mönch sein Geheimrezept preis: „Das Bier aus dem Kloster St. Demenz, jeder mag’s, keiner kennt’s.“

Richard Glöckner als Pilger Klaus (Foto Dirk Rückschloß/Pixore Photography)

Absurde Geschichten und simple Reime mit Schmäh als wesentliche Ingredienzen des Librettos entsprechen also durchaus ­Daniel Behles Reinheits-Gebot für Operetten. Und dieser Unsinn hat Methode, das verraten schon die Namen der Figuren. Da gibt es eine Senta und einen segelnden ­Holländer namens Bernd. Doch zusammen können sie nicht kommen, denn sie liebt die Berge (Senta ­Berger!), er die See. Als sie ihm einen Korb gibt, besingt er die „Wunde von Bernd“. Einer der vielen Lacher bei der Uraufführung in Annaberg-Buchholz. Bei Behle bekommt Senta also nicht den Holländer, sondern den ­Pilger Klaus: Senta Klaus! Und wo braut Max sein Freibier? In der Wolfsbucht.

In Daniel Behles Werk wimmelt es von Kalauern und Opern-Anspielungen, sowohl in den Gesangstexten als auch in der Musik. Ein Einfall jagt den nächsten, die Witze zünden, die Schlager auch, und doch wird letztlich keine Operette daraus. Dafür ist es zu überladen, dafür mischt Behle zu viele Opern-Anklänge in seinen wilden Stilmix. Dabei gibt es durchaus echte, wunderbar tänzerische Operetten-Nummern, sogar Musical-­Schmachtfetzen, aber eben auch Richard Strauss. Und ihm huldigt Behles Orchester allzu hingebungsvoll. Das macht es den Sängern schwer und deckt vor allem den Text zu, der ­Behle sonst so wichtig ist. Weniger wäre hier mehr. Das Publikum verstünde besser, was gesungen wird, und hätte auch mal Luft zum Nachsummen der durchaus vorhandenen Ohrwürmer. Denn Behle hat tatsächlich Talent für die Operette. Und er hat den in der seriösen Musik so seltenen Mut zum Gassenhauer.

Seine blühende Phantasie treibt auch im Libretto die buntesten Blüten, nur eine Geschichte erzählt sie nicht. Nicht einmal die Liebesgeschichte von Senta Klaus ist nach vielversprechendem Beginn von Bedeutung. Weder ­Familie noch Gesellschaft verhalten sich dazu. Überhaupt scheinen die Bewohner der beiden Dörfer Ölsum und Meersum keine anderen Probleme zu haben als ihren Bierbrauwettbewerb. Es bleibt aber sogar unklar, warum der so wichtig ist und wofür er überhaupt steht. Stattdessen gibt es ein Überangebot an skurrilen Nebenfiguren – angefangen beim Mönch Theophil, dem Sündensucher im Norden, bis hin zu Letty, der Lady Macbeth der Wolfsbucht. Schöne Episoden, die aber bei weitem keine dramatischen Situationen ergeben. Erst im großen Finale werden die vielen Handlungsstränge verdichtet – gekrönt vom Auftritt von Mama Cervisia, gesungen von Renate Behle, der Mutter des Komponisten.

Komponist Daniel Behle mit Librettist Alain Claude Sulzer (Foto Kostas Maros/LLH Productions)

Phantasie und der alte Zauber des Theaters

Die Aufführung in Annaberg-Buchholz macht das Beste aus dem Handlungs-Wirrwarr, bedient sowohl den Klamauk als auch die Poesie. Regisseurin ­Jasmin Solfaghari beherrscht ihr Handwerk und hat viele Ideen: Sie lässt ­Schafe singen, Bayern platteln und findet für jede Figur eine passende Haltung. Die bis ins kleinste Detail fantasievolle Ausstattung von Walter Schütze verleiht der Inszenierung zusätzlichen Reiz und manchmal sogar einen altmodischen Theaterzauber. Da vergisst man gern, dass das Ensemble des Eduard-von-­Winterstein-Theaters sängerisch bisweilen an seine Grenzen stößt und auch die Erzgebirgische Philharmonie Aue der Fülle des Wohlklangs à la Richard Strauss nicht immer gerecht wird. Das Publikum jedenfalls ist begeistert.

Am Morgen danach schreibt Daniel Behle auf seiner Facebook-Seite: „‚­Hopfen und Malz‘ entpuppt sich für mich nach dieser vom Publikum gefeierten Uraufführung als Zwitter zwischen Oper und Operette. Eine Erfahrung, die man am Schreibtisch nicht vorhersehen konnte.“ Für die geplanten Folgeproduktionen besteht also noch Hoffnung, dass Behle sich für die ­Operette entscheidet. Vor allem aber sollte er mit seinem Librettisten Alain Claude Sulzer beherzt den Rotstift zücken und die Lehren aus dieser Feuerprobe in Annaberg-­Buchholz ziehen. Es lohnt sich, denn „Hopfen und Malz“ ist noch lange nicht ausgegoren.

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe März/April 2023

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Die Diplomatie der Menschlichkeit

Das Israelische Staatsorchester zu Gast in Abu Dhabi

Das Israelische Staatsorchester zu Gast in Abu Dhabi

von Iris Steiner

Noch vor sieben Jahren hätte der Dirigent mit israelischem Pass nicht einmal einreisen dürfen nach Abu Dhabi – im vergangenen Dezember kam Lahav Shani zum ersten Mal und brachte gleich das ganze Staatsorchester mit. Der Nachfolger von Zubin Mehta in dieser Funktion und designierter Chef der Münchner Philharmoniker dirigierte an diesem Abend des 20. Dezember 2022 – der neue Fußball-Weltmeister Argentinien verlässt gerade Katar – 600 km weiter und weitaus weniger beachtet von der Weltöffentlichkeit ein politisch höchst bedeutendes Konzert. Während israelische Fußballfans nach Katar nur mit Ausnahmegenehmigung einreisen durften, spielte das 100-köpfige Israel Philharmonic Orchestra (IPO) vor illustrem Publikum im Konzertsaal des Emirates Palace. Einträchtig nebeneinander in der ersten Reihe: Staatschef Scheich Abdullah bin Zayid Al Nahyan mit mehreren Ministern seines Kabinetts, Israels First Lady Michal Herzog und der erste jüdische Rabbi in den Vereinigten Abarischen Emiraten, Levi Duchman. „Ich muss Ihnen nicht sagen, was es für uns Israelis bedeutet, die Möglichkeit zu haben, einer arabischen Nation näher zu kommen“, schwärmt Shani. „Es fühlt sich nicht an wie ein 100-jähriger schwelender Konflikt, sondern nur wie ein Schritt dorthin, worauf wir alle seit vielen, vielen Jahren hoffen.“

Links Scheich Abdullah bin Zayid Al Nahyan und Rabbi Levi Duchman im angeregten Pausengespräch. Rechts feierlicher Konzertbeginn mit den National­hymnen ­Israels und der VAE: Regierungschef Scheich Abdullah und Israels First Lady ­Michal ­Herzog umgeben von zahlreichen Würdenträgern (Fotos Nina Berger)

Jede Zeit ist eine gute Zeit für den Frieden

84 Jahre nach dem letzten Auftritt in ­Kairo – der israelische Staat existierte 1938 noch gar nicht – fand damit wieder ein Konzert des IPO auf arabischem Boden statt, zustande gekommen auf der Basis des 2020 unterzeichneten „Abraham-­Abkommens“ zwischen dem damaligen und aktuellen israelischen Ministerpräsidenten ­Benjamin ­Netanjahu, Scheich ­Abdullah und – Donald Trump. Im Mittelpunkt des Vertrags: der erklärte Wille zur Verbesserung der Beziehungen auf diplomatischer, wirtschaftlicher, ­militär- und kulturpolitischer Ebene. In ­Europa noch weitgehend unbeachtet, hatte dieses Abkommen nicht zuletzt die ­erste offizielle jüdische Gemeinde der ­Emirate sowie eine israelische Botschaft in Abu Dhabi zur Folge.

„Wir machen das auch für unsere Jugend“

Der deutsche Literaturwissenschaftler Dr. Ronald Perlwitz, Leiter des Musikprogramms im Kultur- und Tourismusministerium des Landes, sieht das historische Konzert der Israelis – abgesehen von ein paar diplomatischen Hürden im Vorfeld – als „gelebtes und gelungenes Ergebnis“ der Abraham-Vereinbarung. „Im Mittelpunkt unseres Interesses steht die generelle Weltoffenheit. Klassische Musik ist universelle Kunst, wir möchten sie unseren Einwohnern näherbringen und holen dafür die besten Solisten und Orchester ins Land.“ Ebenfalls Teil der ­Vereinbarung sind ­Arbeitsproben des einheimischen Jugendorchesters mit den Musikern des IPO, da „ein ganz wichtiger Grund, warum wir das machen, auch die kulturelle und musikalischer Bildung unserer Jugend ist“, so Perlwitz. Man übernehme damit die Rolle europäischer Familientraditionen, Kinder in die klassische Musik einzuführen. Etwas, das in der arabischen Welt nicht unbedingt der Fall und in Europa ebenfalls rückläufig ist. „Wir finden es wichtig, den Musikkonsum von Jugendlichen über die reine Unterhaltungsfunktion hinauszuführen und ihnen zu zeigen, dass Musik auch Kunst sein kann.“

Ein in den Emiraten ­ungewohntes Bild: der Perkussionist des ­Orchesters mit der traditionellen ­jüdischen Kopfbedeckung Kippa (Foto Department of Culture and Tourism – Abu Dhabi / Abu Dhabi Culture)

2021 wurde Abu Dhabi von der ­UNECSO zur „City of Music“ ernannt. Ein Titel mit Verpflichtung. Perlwitz weiß um die vielen formellen Hürden schon bei der Bewerbung. „Unser wichtigstes Argument war wahrscheinlich, dass wir eine sehr tolerante Stadt mit vielen Nationalitäten sind, die hier gut zusammenleben. Wir möchten den Kontakt untereinander verstärkt auch durch unterschiedlichste Musik auf höchstem Niveau verbessern.“ Eine „arabische Version der Völkerverständigung“ nennt er das – mit für Europäer ungewohntem Blick auf die eigene Tradition. „Unsere Gesellschaft ist geprägt von der Universalität der Aufklärung, von der Dominanz der Vernunft: Alle müssen irgendwann vernünftig werden. Hier im arabischen Raum ist das anders. Es gibt starke Traditionen und eine tiefe Verankerung in der eigenen Identität. Aber auch den Wunsch, andere Lebensweisen kennenzulernen, in Dialog zu treten, sich auszutauschen – und beispielsweise zusammen zu musizieren.“

Dass die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar seitens der westlichen Welt so stark in der Kritik stand, sieht der Deutsche, der seit 2006 in Abu Dhabi lebt und arbeitet, recht distanziert. „Wir kommen mit unseren Werten und erwarten, dass andere sie teilen – ein jahrhundertealtes europäisches Problem. So geht es aber nicht. In einer globalisierten Welt muss man lernen, andersdenkende Gesellschaften zu respektieren, auch wenn es das eigene Wertesystem infrage stellt. Und solange große westliche Modeketten in Bangladesch oder Indien zu Dumpinglöhnen produzieren lassen, wäre ich auch sehr vorsichtig mit Kritik an ausbeuterischen Arbeitsbedingungen. Wer sind wir, dass wir die Menschen hier so arrogant belehren?“

Normalität ist möglich

Dass der Dialog gerade auf kultureller Ebene tiefgreifende Ergebnisse erzielt, ist für Perlwitz einer der Gründe für den Erfolg von „Abu Dhabi Classics“. „Wir hatten vor einigen Wochen das Concertgebouw Orchestra ­Amsterdam hier, dann das Trio Joubran aus Palästina, einen Tag später das ägyptische Jazz-Trio Abozekrys, kurz darauf den größten indischen Sitar-Spieler, ­Shujaat Khan – und jetzt das IPO.“ Ohne die vorhandenen Spannungen zwischen Israel und der arabischen Welt zu leugnen, setzt er auf die verbindende Kraft der Musik: „Solche Konzerte wie dieses sind für mich ein starkes Zeichen für den Frieden und dass es eine Normalität ­geben kann.“

Lahav Shani (Foto Department of Culture and Tourism – Abu Dhabi / Abu Dhabi Culture)

Auf dem Programm steht Mahlers „Titan“-Sinfonie, benannt nach Jean Pauls gleichnamigem Roman und stark beeinflusst vom Zeitgeist der deutschen Romantik. Ein Werk, das besonders gut zum Orchester passt, wie ­Lahav Shani betont. „Mahler entstammte ja einer jüdischen Familie und zumindest in dieser Ersten Sinfonie hat ihn die jüdische Musik bis zu einem gewissen Grad beeinflusst. Wir wollten etwas mitbringen, von dem wir glauben, dass es die Geschichte des Orchesters in vielerlei Hinsicht erzählt.“ Literaturwissenschaftler Perlwitz sieht noch eine weitere Verbindung: „Mahlers Hommage an die deutsche Romantik zeigt, wie sehr dieses Gedankengut damals ein Universelles war: Du musst Deine Identität und Deine Wurzeln kennen und auf dieser Basis kannst Du mit anderen in Kontakt treten. Eine Denkweise, die der Kultur hier sehr nahe ist. Und wir Deutschen sollten uns gelegentlich mal daran erinnern.“

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe März/April 2023

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