Das Israelische Staatsorchester zu Gast in Abu Dhabi
von Iris Steiner
Noch vor sieben Jahren hätte der Dirigent mit israelischem Pass nicht einmal einreisen dürfen nach Abu Dhabi – im vergangenen Dezember kam Lahav Shani zum ersten Mal und brachte gleich das ganze Staatsorchester mit. Der Nachfolger von Zubin Mehta in dieser Funktion und designierter Chef der Münchner Philharmoniker dirigierte an diesem Abend des 20. Dezember 2022 – der neue Fußball-Weltmeister Argentinien verlässt gerade Katar – 600 km weiter und weitaus weniger beachtet von der Weltöffentlichkeit ein politisch höchst bedeutendes Konzert. Während israelische Fußballfans nach Katar nur mit Ausnahmegenehmigung einreisen durften, spielte das 100-köpfige Israel Philharmonic Orchestra (IPO) vor illustrem Publikum im Konzertsaal des Emirates Palace. Einträchtig nebeneinander in der ersten Reihe: Staatschef Scheich Abdullah bin Zayid Al Nahyan mit mehreren Ministern seines Kabinetts, Israels First Lady Michal Herzog und der erste jüdische Rabbi in den Vereinigten Abarischen Emiraten, Levi Duchman. „Ich muss Ihnen nicht sagen, was es für uns Israelis bedeutet, die Möglichkeit zu haben, einer arabischen Nation näher zu kommen“, schwärmt Shani. „Es fühlt sich nicht an wie ein 100-jähriger schwelender Konflikt, sondern nur wie ein Schritt dorthin, worauf wir alle seit vielen, vielen Jahren hoffen.“
Jede Zeit ist eine gute Zeit für den Frieden
84 Jahre nach dem letzten Auftritt in Kairo – der israelische Staat existierte 1938 noch gar nicht – fand damit wieder ein Konzert des IPO auf arabischem Boden statt, zustande gekommen auf der Basis des 2020 unterzeichneten „Abraham-Abkommens“ zwischen dem damaligen und aktuellen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, Scheich Abdullah und – Donald Trump. Im Mittelpunkt des Vertrags: der erklärte Wille zur Verbesserung der Beziehungen auf diplomatischer, wirtschaftlicher, militär- und kulturpolitischer Ebene. In Europa noch weitgehend unbeachtet, hatte dieses Abkommen nicht zuletzt die erste offizielle jüdische Gemeinde der Emirate sowie eine israelische Botschaft in Abu Dhabi zur Folge.
„Wir machen das auch für unsere Jugend“
Der deutsche Literaturwissenschaftler Dr. Ronald Perlwitz, Leiter des Musikprogramms im Kultur- und Tourismusministerium des Landes, sieht das historische Konzert der Israelis – abgesehen von ein paar diplomatischen Hürden im Vorfeld – als „gelebtes und gelungenes Ergebnis“ der Abraham-Vereinbarung. „Im Mittelpunkt unseres Interesses steht die generelle Weltoffenheit. Klassische Musik ist universelle Kunst, wir möchten sie unseren Einwohnern näherbringen und holen dafür die besten Solisten und Orchester ins Land.“ Ebenfalls Teil der Vereinbarung sind Arbeitsproben des einheimischen Jugendorchesters mit den Musikern des IPO, da „ein ganz wichtiger Grund, warum wir das machen, auch die kulturelle und musikalischer Bildung unserer Jugend ist“, so Perlwitz. Man übernehme damit die Rolle europäischer Familientraditionen, Kinder in die klassische Musik einzuführen. Etwas, das in der arabischen Welt nicht unbedingt der Fall und in Europa ebenfalls rückläufig ist. „Wir finden es wichtig, den Musikkonsum von Jugendlichen über die reine Unterhaltungsfunktion hinauszuführen und ihnen zu zeigen, dass Musik auch Kunst sein kann.“
2021 wurde Abu Dhabi von der UNECSO zur „City of Music“ ernannt. Ein Titel mit Verpflichtung. Perlwitz weiß um die vielen formellen Hürden schon bei der Bewerbung. „Unser wichtigstes Argument war wahrscheinlich, dass wir eine sehr tolerante Stadt mit vielen Nationalitäten sind, die hier gut zusammenleben. Wir möchten den Kontakt untereinander verstärkt auch durch unterschiedlichste Musik auf höchstem Niveau verbessern.“ Eine „arabische Version der Völkerverständigung“ nennt er das – mit für Europäer ungewohntem Blick auf die eigene Tradition. „Unsere Gesellschaft ist geprägt von der Universalität der Aufklärung, von der Dominanz der Vernunft: Alle müssen irgendwann vernünftig werden. Hier im arabischen Raum ist das anders. Es gibt starke Traditionen und eine tiefe Verankerung in der eigenen Identität. Aber auch den Wunsch, andere Lebensweisen kennenzulernen, in Dialog zu treten, sich auszutauschen – und beispielsweise zusammen zu musizieren.“
Dass die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar seitens der westlichen Welt so stark in der Kritik stand, sieht der Deutsche, der seit 2006 in Abu Dhabi lebt und arbeitet, recht distanziert. „Wir kommen mit unseren Werten und erwarten, dass andere sie teilen – ein jahrhundertealtes europäisches Problem. So geht es aber nicht. In einer globalisierten Welt muss man lernen, andersdenkende Gesellschaften zu respektieren, auch wenn es das eigene Wertesystem infrage stellt. Und solange große westliche Modeketten in Bangladesch oder Indien zu Dumpinglöhnen produzieren lassen, wäre ich auch sehr vorsichtig mit Kritik an ausbeuterischen Arbeitsbedingungen. Wer sind wir, dass wir die Menschen hier so arrogant belehren?“
Normalität ist möglich
Dass der Dialog gerade auf kultureller Ebene tiefgreifende Ergebnisse erzielt, ist für Perlwitz einer der Gründe für den Erfolg von „Abu Dhabi Classics“. „Wir hatten vor einigen Wochen das Concertgebouw Orchestra Amsterdam hier, dann das Trio Joubran aus Palästina, einen Tag später das ägyptische Jazz-Trio Abozekrys, kurz darauf den größten indischen Sitar-Spieler, Shujaat Khan – und jetzt das IPO.“ Ohne die vorhandenen Spannungen zwischen Israel und der arabischen Welt zu leugnen, setzt er auf die verbindende Kraft der Musik: „Solche Konzerte wie dieses sind für mich ein starkes Zeichen für den Frieden und dass es eine Normalität geben kann.“
Auf dem Programm steht Mahlers „Titan“-Sinfonie, benannt nach Jean Pauls gleichnamigem Roman und stark beeinflusst vom Zeitgeist der deutschen Romantik. Ein Werk, das besonders gut zum Orchester passt, wie Lahav Shani betont. „Mahler entstammte ja einer jüdischen Familie und zumindest in dieser Ersten Sinfonie hat ihn die jüdische Musik bis zu einem gewissen Grad beeinflusst. Wir wollten etwas mitbringen, von dem wir glauben, dass es die Geschichte des Orchesters in vielerlei Hinsicht erzählt.“ Literaturwissenschaftler Perlwitz sieht noch eine weitere Verbindung: „Mahlers Hommage an die deutsche Romantik zeigt, wie sehr dieses Gedankengut damals ein Universelles war: Du musst Deine Identität und Deine Wurzeln kennen und auf dieser Basis kannst Du mit anderen in Kontakt treten. Eine Denkweise, die der Kultur hier sehr nahe ist. Und wir Deutschen sollten uns gelegentlich mal daran erinnern.“
Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe März/April 2023