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Beiträge 2021/06

Vor dem Singen kommt das Sprechen

Sprachpädagogik mit Spaß: Unser erstes Buchprojekt „Ypsilonix und der Fluch der Qualle“

Sprachpädagogik mit Spaß: Unser erstes Buchprojekt „Ypsilonix und der Fluch der Qualle“

Musikerziehung für Kinder ist wichtig. Deshalb hat der Orpheus Verlag nicht ganz zufällig sein erstes Buchprojekt diesem Thema gewidmet.

Autorin Elisabeth Haumann-Sommerer über die Kunst der Artikulation, „gefühlte“ Sprache und erlebtes Vertrauen …

Warum schreibt eine Sängerin und Gesangspädagogin ein Lesebuch für Kinder?
Ich möchte spielerisch in die Sprache einführen, sie sichtbar und fühlbar machen, ohne dass die Herausforderungen der Artikulation zu „Hürden“ werden. Lernen funktioniert am Effektivsten mit Spaß – das habe ich schon bei meiner eigenen Tochter erfahren dürfen, deren Stofftiere komplizierte Namen mit vielen Silben und Konsonanten bekamen. Dadurch hat sie Artikulation wie von selbst gelernt – und eine gewisse Emotionalität. Ich sehe, höre und spreche …

Sie haben sich für ein Märchen entschieden …
Ich halte generell das Tier- und Märchenreich für eine unerschöpfliche Quelle – besonders für Kinder, deren Vorstellungskraft, Theatralik und emotionale Entwicklung immer dann besonders angeregt wird, wenn eine Geschichte phantasievoll ist. Nehmen wir den Drachen, eigentlich der Stärkste in meiner Geschichte, aber durch sein Schicksal am Ende ausgerechnet auf die schwächsten Tiere angewiesen. Die Botschaft ist deutlich: Größe und Stärke sind nicht absolut, jeder hat die Gabe, etwas Großes zu bewirken, und jeder braucht manchmal die Hilfe anderer. Solche Erfahrungen halte ich für wichtige Bestandteile einer emotionalen Entwicklung im Kindesalter.

Warum orientieren sich Ihre Tiernamen am Alphabet – und welche Hintergründe haben die verwendeten Zauber-Reime?
Der jeweilige Anfangsbuchstabe dient als ­Eselsbrücke, um den Buchstaben zu erlernen und die mit ihm verbundene Tierfigur zu spüren. Das ist spielerisches Sprachtraining, das die Kinder ganz natürlich übernehmen und mit Spaß mitmachen. Ganz nebenbei kann man anhand von längeren, mehrsilbigen und komplizierteren Namen Sprachrythmus und Sprachmelodie trainieren. Dabei helfen auch die Reime der Zaubersprüche und deren bewusste Rythmisierung.

Wie sollte man das Buch zusammen mit dem Kind „entdecken“?
Während man die Geschichte vorliest und die Zeichnungen zusammen mit dem Kind betrachtet, spricht man wahrscheinlich ganz selbstverständlich über die einzelnen Tier-Charaktere. Alle haben eine mehr oder weniger tragende Funktion für die Handlung, es geht um das Erlernen bestimmter Lebenssituationen und damit verbundene Reaktionen. Die Kinder fühlen sich in die jeweiligen Situationen ein und entwickeln eine ganze Reihe von emotionalen Reaktionen. Was mir dabei besonders am Herzen liegt: Sie erfahren ein Vertrauen, dass für jedes Problem eine Lösung existiert – durch Kommunikation.


Elisabeth Haumann-Sommerer:
„Ypsilonix und der Fluch der Qualle“
22 x 26 cm, 40 Seiten, Hardcover
Orpheus Verlag, Augsburg
Preis: 17,95 Euro

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Ihre besten Jahre

Magdeburgs Generalintendantin Karen Stone geht in den Ruhestand. Oder doch nicht?

Magdeburgs Generalintendantin Karen Stone geht in den Ruhestand. Oder doch nicht?

von Claus-Ulrich Heinke

„Ich werde heulen bis zum Gehtnichtmehr“, prophezeit Karen Stone ihre Gefühle, die sie beim Abschied als Generalintendantin des Magdeburger Theaters erwartet. Zwar liegt noch fast die ganze aktuelle Spielzeit vor ihr. Aber der Weggang wirft bereits erste Schatten und macht neugierig auf persönliche Rück­blicke.

12 Jahre lang lenkte sie in der Hauptstadt Sachsen-­Anhalts die Geschicke eines Vier-Sparten-Hauses, verantwortlich für 440 Festangestellte in Oper, Ballett, Schauspiel und Konzert. „Ich liebe dieses Theater und diese Stadt“, schwärmt sie – immer mit einem Lächeln im Gesicht. Obwohl ihr Deutsch perfekt ist, verrät ein leichter englischer Sound in der Stimme auch nach vielen Jahren die Herkunft von der britischen Insel. „Als ich 2009 hierherkam, fühlte ich mich sofort willkommen. Vom Theater wie von der Verwaltung und Politik.“ Die vier vorangegangenen Jahre verbrachte Stone in Dallas, wo sie mit dem Stararchitekten Foster eine neue Spielstätte planen und die ertragreiche amerikanische Sponsorenmentalität kennenlernen konnte. „Spannend war dort auch, dass wir als Oper immer aktiv dabei waren, wenn die Stadt sich präsentierte, um neue bedeutende Unternehmen in die Region zu locken.“ Trotz aller künstlerischen Erfolge, einem Angebot zur Vertragsverlängerung und Unterstützung durch das Management litt sie zunehmend unter dem sehr kommerziell orientierten „Star-System“ in den USA. Und das subtropische Klima der Stadt machte ihr zu schaffen. „Irgendwann hatte ich Sehnsucht nach einem spürbaren Wechsel der Jahreszeiten und vor allem nach einem nachhaltigen Ensemble-Theater.“ Beides erhoffte sie sich von ­Magdeburg, bewarb sich und setzte sich gegen fünf Bewerber durch. Seitdem bringt sie nun jeden Tag, konzentriert und voller Begeisterung, die reichen Erfahrungen ihres bisherigen künstlerischen Lebens hier ein.

Schellack, Mrs. Lloyd Webber und das Royal Opera House

Und das begann in England. 1952 wurde Karen Stone in Horsforth (Yorkshire) geboren, in London Chelsea wuchs sie gemeinsam mit ihrer Schwester in einem an Kultur interessierten englischen Elternhaus mit – wie sie es nennt – kosmopolitischer Weite auf. „Chelsea war eine Ecke, in die damals die gesamte Welt wollte, ein Pilgerort für junge Menschen“, erzählte sie vor einigen Jahren auf die Frage nach Ihrer Jugendzeit. „Dort zu leben war ein großer Luxus, den ich sehr genoss. Wir waren am Anfang einer Bewegung, in der junge Menschen erstmals Geld in ihren Taschen hatten. Wir konnten rausgehen in eine fantastische, vibrierende Clubszene mit toller Musik und Open-Air-Konzerten. Damals in London gewesen zu sein, war herrlich.“ Zu Hause hatten die Familie eine umfangreiche Schallplattensammlung, noch mit 78er-Schellackscheiben. „Da habe ich mit elf Jahren Wagners ganzen ‚Ring‘ angehört. Das war ein riesiger Stapel von Platten. Und ich war begeistert.“

Später kam der Wechsel auf eine französische Schule. „Da wuchs mein Interesse an Inszenierungen und ich leitete bei Schulaufführungen meine ersten Produktionen.“ Bald danach absolvierte die junge Künstlerin ein solides Musikstudium mit den Schwerpunkten Klavier und Gesang. „Theorie hatte ich übrigens bei Mrs. Lloyd Webber, der Mutter des berühmten Musical-Komponisten. Daneben war Praxis in Chor, Orchester, Schauspiel und Oper Pflicht. Das brachte einen breiten Fundus an frühen Erfahrungen.“ Folgerichtig landete sie mit ihrem ersten Engagement dann auch beim Stadttheater Hagen im Opernchor – mit Soloverpflichtungen. „Aber bald saß ich als Regieassistentin mehr im Saal neben der Regie als aktiv auf der Bühne zu spielen“, erzählt sie lachend. Eine Weichenstellung für ihren weiteren Karriereweg könnte man das nennen: Es folgten Regieassistenzen in Freiburg und London, Engagements als Spielleiterin an der Royal Opera London und der Staatsoper München, die Operndirektion in Köln und die Generalintendanz in Graz. Und immer ist sie auch weltweit freiberuflich als Regisseurin unterwegs.

„Das Royal Opera House Covent Garden in London war meine wichtigste Station. Ich erlebte zum ersten Mal Spitzensänger, die mit den weltbesten Dirigenten Werke in höchster Qualität verwirklichten. Ich musste Wiederaufnahmen mit Sängern wie Plácido Domingo einrichten. So etwas war eine große Freude und gab mir Maßstäbe für mein ganzes weiteres Theaterleben.“

Mit der Inszenierung von Samuel Barbers „Vanessa“ widmete sich Karen Stone 2019 einem prägenden Werk ihrer Jugend (Foto Andreas Lander)

Starkes Ensemble, starkes Programm

All diese Erfahrungen kommen bis heute nicht zuletzt dem Theater Magdeburg zugute. Ihre Opernspielpläne entwickelt sie dabei immer ausgehend von den Stimmen der Sängerinnen und Sänger des Hauses. „Ich baue erst ein Ensemble auf und sehe dann, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben. Das hat sich bewährt, vor allem bei den jüngeren Mitgliedern. Wie oft wird es umgekehrt gemacht und junge Stimmen ohne Rücksicht auf ihre Entwicklung eingesetzt. Da werden Künstlerinnen und Künstler zerstört, bevor sie sich überhaupt entfalten konnten. Schrecklich.“

Hier bewährt sich, dass die Intendantin aus eigener Erfahrung weiß, was Singen bedeutet. Kritisch sieht sie, wenn junge Stimmen oft ohne ausreichend praktisches Training in ihr erstes Engagement kommen. Etwas, das in ihren Augen vor allem für deutsche Hochschulen gilt. „Singen ist wie Leistungssport und erfordert auch intensives körperliches Training. Täglich. Da ist die sängerische Ausbildung in anderen Ländern weiter als hier bei uns.“ Trotzdem: Sie schwärmt von den vielen begabten jungen Sängerinnen und Sängern, mit denen sie zusammenarbeiten durfte. „Es war wunderbar mit ihnen. Und viele singen heute an den ganz großen Häusern Europas und der Welt. Gerade für diese Art von Ensembletheater blutet mein Herz. Ich liebe es.“

Die Qualität ihres Ensembles ist sicher einer der Bausteine, aus denen Karen Stone den Erfolg des Theaters Magdeburg baute. Mit einem geschickten Aufbau der Spielpläne zwischen Tradition und Moderne erreichte sie dazu eine Auslastung des Hauses von 85% – das Theater schrieb sogar schwarze Zahlen. Mit Freude blickt sie auf Werke wie von Einems „Dantons Tod“, die deutsche Erstaufführung der Philip-Glass-Oper „Der Prozess“ oder „Vanessa“ von Samuel Barber zurück. „‚Vanessa‘ ist ein wunderbares Werk. Ich liebe es. Ich kenne diese Musik seit meiner Jugend und habe mich sehr gefreut, dieses selten gespielte Stück selbst auf die Bühne zu bringen.“

Der Intendantin ist es wichtig, bei zwei oder drei Produktionen pro Spielzeit auch selbst Regie zu führen – von jedem dieser Werke kann sie mit Begeisterung erzählen. „Ich liebe einfach die Oper.“ Und es gibt doch ein paar ganz besondere „Lieblinge“ in der langen Reihe ihrer Inszenierungen: die Da-Ponte-Opern Mozarts („Le nozze di Figaro“, „Così fan tutte“ und „Don Giovanni“). „Herrliche Melodien, rasante Rezitative und musikalische Durchdringung der Beziehungs-Psychologie in der Partitur – all das macht diese Opern zu Höhepunkten meiner Regie-Arbeiten.“ „Figaro“ und „Così fan tutte“ sind bereits Geschichte, die dritte Oper im Bunde, „Don Giovanni“, hat sich Karen Stone für den Abschied aus Magdeburg aufgehoben.

Solche Opern erfordern neben dem schönen Gesang auch darstellerische Fähigkeiten bei allen Beteiligten. Vor allem, wenn es von der Regie ausgeprägte Konzeptionen gibt. „In den letzten Jahren hat die schauspielerische Qualität der Sängerinnen und Sänger enorm zugenommen. Das ist toll, aber man darf nie die sängerischen Notwendigkeiten aus dem Blick verlieren. Dazu gehört der freie Atem und ein entspannter und zugleich konzentrierter Fokus auf den Stimmklang.“

Szene aus „Dantons Tod“, einer Regiearbeit zu Gottfried von Einems 100. Geburtstag im Jahr 2018 (Foto Kirsten Nijhof)

Strategin mit Herz, Verstand – und Excel

Neben den ästhetischen Fragestellungen einer Opernproduktion stellt sich Karen Stone auch immer die Frage nach der Relevanz eines Theaters für die Stadtgesellschaft. „Kunst und Kultur sind für die Entwicklung einer Stadt bedeutungsvoll. Sie tragen zur Identität der Stadt bei und sind auch noch in anderer Hinsicht zu 100% relevant: Wir Menschen sind soziale Wesen, für die Gemeinschaft lebensnotwendig ist. Das Theater bietet dafür elementare Erfahrungen an. Jetzt bei der allmählichen Öffnung nach dem Lockdown erlebten wir einen Run auf die Karten, als wäre ein Damm gebrochen.“ Mit Enthusiasmus erzählt sie von diversen Vermittlungsprogrammen, durch die Kinder und Jugendliche ans Theater herangeführt werden. Wie an vielen Häusern ist auch in Magdeburg die Theaterpädagogik fest im Stellenplan verankert.

Dass Verwaltung und Politik des Landes und der Stadt auf ihrer Seite stehen und den Fortbestand des Theaters nicht infrage stellen, hat auch mit der offenen, klaren und zugleich verbindlichen Art ihrer Kommunikation zu tun. Und sicher auch mit ihrem positiven Blick auf die Stadt: „Ich spüre eine spezielle Energie in Magdeburg, einen zukunftsorientierten Erfolgskurs.“ Aus diesem Geist heraus bat die Stadt Magdeburg die Intendantin, ihren Vertrag noch einmal zu verlängern – bis zu deren 70. Geburtstag. Man bewarb sich um den Titel der europäischen Kulturhauptstadt 2025. Dazu Oberbürgermeister Lutz Trümper: „Frau Stone ist sehr engagiert in die Vorbereitung der Bewerbung eingebunden. Wir wollen sie in der entscheidenden Phase weiter an unserer Seite wissen.“ Zwar erfüllten sich die Hoffnungen der Stadt letztendlich nicht, aber die Einbindung des Theaters in die Bewerbung vertiefte einmal mehr die Beziehungen zur Stadtgesellschaft.

In Zeiten, die für viele katastrophale Krisen auslösten, behielt Karen Stone einen kühlen Kopf und verlor nie die Kontrolle über die Abläufe an „ihrem“ Theater. Ein Charakterzug, der ihr nicht zuletzt in der Pandemie viel öffentliche Anerkennung einbrachte. „Ich hasse Krisen. Sie sind oft nur Ausdruck einer unpräzisen Planung. Ich möchte nicht, dass mir das passiert.“ Sie lächelt vielversprechend: „Im Übrigen bin ich Königin von Excel-­Tabellen.“

Mit der gleichen Klarsicht hat sie bereits jetzt die Zeit nach dem Abschied aus Magdeburg präzise geplant. Gemeinsam mit ihrer Schwester wird sie in Frankreich ein neues Haus mit großem Waldgrundstück beziehen. „Ich liebe die englische Literatur und Philosophie, die deutsche Musik und das französische Essen. Aber es wird in Frankreich nicht nur das Essen sein. Unser Haus liegt in der Nähe der Loire-Schlösser. Da gibt es ein kleines Festival, zu dem schon Verbindungen bestehen. Da möchte ich mehr einsteigen und es weiter voranbringen.“ Wer also geglaubt hat, dass Karen Stone ihrem geliebten Theaterberuf entsagt, wird eines Besseren belehrt. Und wer die Entwicklung des Magdeburger Theaters in der „Stone-Zeit“ betrachtet, weiß, dass man von diesem Loire-Fest sehr bald auch international hören wird. Jetzt schon ist sich die Generalintendantin aber sicher: „Am Ende des Tages – und das sage ich sehr bewusst – sind die Jahre in Magdeburg die besten für mich gewesen.“

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe November/Dezember 2021

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Bauen für die Kunst

Im Gespräch mit dem Theater-Architekten-Ehepaar Emanuela Hualla Achatz und Walter Achatz

Im Gespräch mit dem Theater-Architekten-Ehepaar Emanuela Hualla Achatz und Walter Achatz

Interview Iris Steiner und Dr. Wolf-Dieter Peter

Von „einstürzenden Neubauten“ muss nicht direkt die Rede sein, aber von der weltweit beneideten Infrastruktur: Eine steigende Zahl der über 80 derzeit bespielten Theaterbauten benötigt dringend eine grundlegende Sanierung und Renovierung, teils mit Umbau und Erweiterung – etwa von Berlin über Köln, Frankfurt und Darmstadt bis Stuttgart, von Coburg über Würzburg, Nürnberg bis Augsburg. Das Atelier Achatz in München ist dafür eine der renommierten Adressen: Das federführende Ehepaar kann auf die fertiggestellten Münchner Kammerspiele, das Cuvilliéstheater, das Gärtnerplatztheater und die derzeitigen Großbaustellen Augsburg und Darmstadt verweisen. Dabei ist das „Bauen“ nur ein Aspekt, der das Gespräch lohnt.

Müssen „Frau&Mann“ Oper und Theater lieben, um dafür und darin als Architekten tätig zu sein?
Walter Achatz: Kein „Muss“, aber wir sind beide profunde und langjährige Theaterliebhaber. Und es ist einfach schön, nicht an einem profitorientierten Projekt zu arbeiten, dafür aber meist mit den kreativen Menschen, die in diesen Bauten ja arbeiten, in Kontakt zu stehen. Und zum Endergebnis sage ich vielleicht am Schluss unseres Gespräches etwas …

Wir sprechen ja über aktuelle und kommende „Problem-Bauten“ und zunehmend gilt auch der Begriff „Nachhaltigkeit“.
Walter Achatz: Für unsere alten Theaterbauten, die nicht durch die beiden Kriege zerstört wurden, galt pauschal eine Nutzungsdauer von rund 100 Jahren. Das hat sich dann speziell auch durch die Entwicklung der Theatertechnik etwa auf 50 Jahre reduziert und derzeit geht man eher von höchstens 30 Jahren aus …
Emanuela Hualla Achatz: … dann erfordern hauptsächlich Brandschutz und Technik, aber auch die gesellschaftlichen Erwartungen und Ansprüche an so einen „kulturellen Fest-Raum“ eine weit- und dann oft weitergehende Überarbeitung.

Das Cuvilliés-Theater, Münchens ältestes Opernhaus, erhielt beim Umbau 2008 ein filigranes Glasdach über dem ursprünglich offenen Foyer (Foto Bayerische Schlösserverwaltung, Achim Bunz, München – www.schloesser.bayern.de)

In Architektur-Artikeln spukt dann neben der „Nachhaltigkeit“ der Begriff „Beton-Gold“, also die Nutzung der im Material vorhandenen Qualität.
Walter Achatz: Wir sprechen lieber von „grauer Energie“, die wir erneut nutzen können – bis zu einem bestimmten Maß. Denn allein der Brandschutz in diesen Gebäuden hat sich enorm ausgeweitet. Als Theaterfreund weiß man ja von diversen verheerenden historischen Bränden mit vielen Toten – bis hin zu den aktuellen Katastrophen in Clubs. Daher nur ein Satz: Für uns steht der bestmögliche Brandschutz ohne Diskussion an erster Stelle – also von Verhütung bis zur „Entfluchtung“. Viel öffentlichkeitswirksamer ist dann etwas zu lesen, wenn neue Licht-, Fahr- und Tontechnik in ein Theater eingebaut wird: Da ist meist einiges zu sehen und zu hören. Ein paar unsichtbare Fakten: Allein im Probengebäude der Münchner Kammerspiele mussten 640 km Elektro-Kabel verlegt werden, Vergleichbares im Gärtnerplatztheater. Dazu kommt die aufwendig gewordene Medientechnik, Ton und Video etc. Für die ­gesamte Haustechnik waren das im Gärtnerplatztheater vor der Sanierung rund 1.000 m2 Technik, jetzt mussten wir 4.000 m2 Platz schaffen.
Emanuela Hualla Achatz: Dazu kommen Anforderungen wie die „Betriebsoptimierung“ für den Theateralltag, von den Werkstätten bis zur Kantine; die Einlagerung der aktuellen Spielzeit sowie dann moderne Logistik zur eventuell unumgänglichen Auslagerung. Und das große Thema Barrierefreiheit: Das ist nicht nur eine schon länger formulierte Forderung der bayerischen Politik, es ist auch unter dem Gesichtspunkt „Inklusion“ zu sehen und dazu der Anspruch auf einen gewissen Komfort. Und schließlich der gesellschaftliche Aspekt: das Theater nicht nur abends, sondern auch tagsüber als Begegnungsstätte anzubieten, ohne den Probenalltag zu behindern.

Steht über allem nicht das Denkmalamt?
Walter Achatz: Ja, berechtigterweise, da vor allem die Werkstätten des Theaters im Alltagsbetrieb ohne größere Rücksprache und Rücksicht auf die vorhandene Substanz fleißig weitergebaut, oft gut gemeint zu optimieren und zu verbessern versucht haben – bis hin zu „Wildwuchs“ …

Grundsätzlich müssen doch Zuschauerraum, Lifte, Garderoben, Toiletten, Foyer, Orchestergraben, Bühnenraum, Probebühne, Technik, Werkstätten, Kantine, Chor- und Orchesterprobenräume, Fundus neu und erweitert „zusammengebaut“ werden.
Emanuela Hualla Achatz: Und speziell durch Corona sind die Anforderungen an den Komplex „Lüftung“ enorm gewachsen. Wenn im Theater Tänzer auftreten, müsste eigentlich aufgrund deren rein körperlicher Tätigkeit die Lüftung das Mehrfache leisten. Das ist oft baulich nicht umzusetzen und auch ein Kostenfaktor.

Fünf statt der geplanten drei Jahre dauerte die Sanierung des 1865 erbauten Münchner Gärtnerplatztheaters, das 2017 wiedereröffnet wurde. Gesamtkosten: 121,6 Millionen Euro – gut 50 Millionen Euro höher als kalkuliert (Foto Christian POGO Zach)

Einschub zum „Wir“: Wie fanden denn Architektin und Architekt zusammen?
Emanuela Hualla Achatz: Ich kam als Praktikantin in das Büro eines meiner damaligen Professoren, wo Walter als Werkstudent tätig war. Aber mit Figaro: „Il resto nol dico“ – „das Weit’re, das Weit’re verschweig’ ich“ … Zur Familie Achatz gehören mittlerweile zwei erwachsene Kinder.

Wie ist jetzt Ihr Arbeitsprozess? Der Herr für den ­Beton, die Dame für Innenausstattung, Farbe, Dekor – oder ist das zu banal rollentypisch?
Emanuela Hualla Achatz: Sehr gerne die Innenausstattung, auch mal das Intendantenzimmer, die Auswahl der Materialien und Farben – das alles in enger Abstimmung speziell mit der Denkmalpflege. So ist es uns etwa im Münchner Cuvilliéstheater gelungen, das historische Erscheinungsbild in den Foyers hochleben zu lassen, Neues einzufügen wie die Überkuppelung, die Theken und Garderoben – doch alles zu verbinden, sodass es ein Kontinuum gibt, das sichtbar und erlebbar wird. Einerseits ein „Da hat sich ja nichts geändert“, andererseits „Das ist aber neu und passt“. Und ansonsten bin ich hier die „Bodenstation“.
Walter Achatz: Zum weiteren Alltag unserer Arbeitsteilung: Ich mache überwiegend die Acquisition und die aktive Umsetzung der Projekte; meine Frau ist ein wichtiges Korrektiv im kreativen Prozess, weil sie den fachlichen Blick hat und ihre Nachfragen und Einwände eben fundiert sind. Eine tragende Säule sind heute rund 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über die Jahre zu Spezialisten geworden sind. Zusätzlich braucht man bei Projekten dieser Art auch eine Vielzahl an Fachplanern, die den Architekten mit ihrem Wissen unterstützen und begleiten – darum ist Theaterarchitektur neben dem Krankenhausbau eine der größten Herausforderungen.

Auch für die nächsten Jahre bleibt der Vorhang im Zuschauersaal des Staatstheaters Augsburg noch geschlossen. Die von der Stadt als „Jahrhundertprojekt“ bezeichnete Generalsanierung des denkmalgeschützen Gebäudes von 1877 steht wegen der hohen Baukosten vielfach in der Kritik (Foto Florian Waadt)

Dauert deswegen so eine Generalüberholung oft deutlich länger – und wird meist auch deutlich teurer?
Walter Achatz: Technisch haben wir ja jetzt dazu schon vieles genannt. Hinzu kommen meist nicht öffentlich kommunizierte Änderungswünsche – wir sind jetzt in Augsburg bei einer bemerkenswerten Vielzahl von Änderungsanträgen … Und damit ist ein Wort gefallen: Kommunikation. Am besten von Anfang an: Da gibt es eine Ausschreibung nach der VgV, der Vergabeverordnung, mit einer Zahl für die Kosten. Erstes Problem: Das ist keine wirklich realistische, sondern eine „politische Zahl“, eine „Bürgermeisterzahl“. Wenn Sie heute gleich zu Anfang die wahrscheinlichen Kosten öffentlich nennen, ist der ebenfalls öffentliche Protest so groß, dass das Vorhaben nicht zustande kommt. Dann folgt ein Wettbewerb. Wenn Sie da – aufgrund Ihrer Einschätzung der realen Bauanforderungen – zu weit über der „Bürgermeisterzahl“ liegen …
Emanuela Hualla Achatz: Nenn das Beispiel Coburg: Dort waren 68 Millionen Euro als Obergrenze angegeben …
Walter Achatz: … heute wird über 190 Millionen Euro diskutiert – und ich sehe eine deutlich höhere Endsumme. Wir sind in Coburg übrigens bei der Bewerbung ausgeschieden. Zurück zum Ablauf: Sie gewinnen den Wettbewerb; Auftraggeber ist der Staat, das Bundesland oder die Stadt, beispielsweise Augsburg. Bauherr ist dann das Stadtbauamt, der Bauamtsleiter. Und jetzt wieder das Stichwort „Kommunikation“: die Pressestelle der Stadt plus die Pressestelle des Bauamts plus die Pressestellen der zuvor genannten Ämter plus die Presse … Dann leben wir in einer lebendigen Demokratie: Im Verlauf des Bauvorhabens gibt es Wahlen – und plötzlich haben Sie andere, neue Amtsinhaber vom Bürgermeister abwärts bis zum Intendanten und dem Technischen Direktor des Theaters. So geschehen in Augsburg: eine fast komplette personelle Veränderung auf allen Posten. Da werden von den neuen Amtsinhabern gern eigene „Akzente“ gesetzt, öffentlich kommuniziert, diskutiert – und wir sollen sie bauen.
Emanuela Hualla Achatz: Dazu das Gegenbeispiel Cuvilliés­theater. Bauherr war der kunst- und theaterbegeisterte Finanzminister Faltlhauser. Der kam regelmäßig zu den Sitzungen, ließ sich die nächsten Schritte erklären, äußerte Wünsche, fragte nach – und entschied dann: „Das nicht, aber so und so machen wir das!“ Kein Durchsetzungsproblem, die Kosten liefen nicht aus dem Ruder – so geht das auch.
Walter Achatz: Noch ein kleiner Seitenblick: Wir bauen parallel auch „Theater des kleinen Mannes“ – Kinos zwischen Island und Wladiwostok. Im gleichen Zeitraum von den Kammerspielen bis jetzt Augsburg und Darmstadt haben wir weit über hundert ­Kinos gebaut.

Welcher andere Beruf käme für Sie infrage? Gibt es den überhaupt?
Walter Achatz: (zu seiner Frau) Darf ich für uns beide antworten? Architektur ist kein Job oder nur Profession, sondern unsere Berufung. Wir arbeiten einfach gerne mit und für diese kreativen, leidenschaftlichen Theatermenschen. Und was gibt es Schöneres, als anonym in einem von uns sanierten Theater zu sitzen und Sätze zu hören wie „Ah, das schaut ja aus wie immer!“ oder „Oh, das ist aber schön geworden!“. Das ist Erfüllung.

Dieses Interview ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe November/Dezember 2021

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