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Naxos

(Zwei) Werkprobleme hochkünstlerisch gelöst

Alexander von Zemlinsky / Arnold Schönberg: „Der Zwerg / Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene“

Alexander von Zemlinsky / Arnold Schönberg: „Der Zwerg / Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene“

Rund 80 Minuten dauert Zemlinskys Einakter „Der Zwerg“ – was spielt man zu diesem anspruchsvollen Werk als Abendergänzung? Und wie besetzt man die Titelrolle, die einen hochexpressiven Tenor verlangt, aber eben mit zwergenhafter Bühnenerscheinung? Noch vor seinem exzellentem Bayreuth-Debüt – mit dem glänzenden Kleinwüchsigen Manni Laudenbach als Oskar – präsentierte Regisseur Tobias Kratzer in der Deutschen Oper Berlin eine überzeugende Lösung für beide Probleme.

Die verbürgt hoffnungslos glühende, aber scheiternde Liebesschwärmerei des kleinen, abgestanden nach Zigarren riechenden „Kompositionslehrers“ Zemlinsky für die hoch gewachsene, schön-berechnende „Schülerin“ Alma Schindler, spätere Mahler-Gropius-Werfel: Das formte Kratzer zu einem quasi-expressionistischen Stummfilm-Melodram auf der Bühne, dem GMD Donald Runnicles Schönbergs „Lichtspielszenen“-Musik aus dem Orchestergraben unterlegte – ein ironisch bitteres Vorspiel, das Adelle Eslinger-Runnicles und Evgeny Nikiforov mit theatralischen Hochmuts- und Verzweiflungsgesten füllen. Eine überzeugende, ja bestechende Verlängerung des Abends auf 90 Minuten.

Als sich der Vorhang wieder öffnet, zeigt Kratzers Dauerausstatter Rainer Sellmaier einen schicken weißen Konzertsaal. Denn Kratzer greift Kerninhalte des Werkes szenisch auf: Der kleinwüchsige Mick Morris Mehnert tritt als Zwerg im Dirigentenfrack, also als Mini-Zemlinsky mit der Partitur unter dem Arm auf, über den ehrenhaften Empfang erfreut, aber künstlerisch durchaus selbstbewusst. Er dirigiert später ein auf dem Konzertpodium platziertes Teilorchester mit Zemlinsky-Musik vor dem Damenchor als eitlem „Lady-Club“, wird dann aufgefordert zu singen – und da fordert Kratzer einfach die Phantasie aller Zuschauer heraus: Der Zwerg sieht sich ja selbst als Held und Ritter – also tritt hinter ihm der hochgewachsene Tenor David Butt Philip im Frack als sein imaginiertes Alter Ego auf und singt strahlend – mehr noch: Der hochbegabte Mehnert singt nicht nur den ganzen Tenor-Text stumm mit, sondern agiert künstlerisches Selbstbewusstsein, vor allem aber die in hochlyrischen Phrasen aufschäumende Liebe zur Model-schönen Prinzessin von Elena Tsallagova darstellerisch so expressiv aus, dass sein Drama in Bann schlägt. Denn ein paar Momente lang ist Tsallagovas Prinzessin mal mit warmen Tönen angerührt, doch dominant eben kühl amüsiert-distanziert. All das gipfelt in der „Spiegel-Szene“, für die eine zunächst schwarze Glaswand den weißen Saal begrenzt; parallel zum Liebesscheitern wird sie durchsichtig und Tenor Butt davor, dahinter der „Zwerg“ Mehnert vollführen einen erschütternden Erkenntnistanz … Das Ende sei nicht verraten, jedenfalls aber: so anrührendes wie fesselndes Musiktheater und ein Plädoyer für ein unterschätztes Werk, das nur so dramaturgisch-inszenatorisch erstklassig geboten werden muss.

Wolf-Dieter Peter

INFOS ZUR DVD/BLU-RAY

Alexander von Zemlinsky / Arnold Schönberg: „Der Zwerg / Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene“
Eslinger-Runnicles, Nikiforov, Tsallagova, Magee, Philip, Mehnert, Jekal u.a.
Donald Runnicles (Dirigat), Tobias Kratzer (Inszenierung)
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
DVD/Blu-Ray, Naxos

Vokale Hommage

Dmitry Shostakovich: „Songs and Romances“

Dmitry Shostakovich: „Songs and Romances“

Die Mezzosopranistin Margarita Gritskova und die Pianistin Maria Prinz haben ihre Affinität zum russischen Lied bereits in zwei Recitals bewiesen. Nach einem gemischten Programm und Vokalmusik von Sergey Prokofjiev setzt sich das Duo im dritten Album mit Dmitry Shostakovich auseinander. Eingespielt wurden zwanzig Sologesänge aus mehreren Zyklen, in denen er schwierige persönliche Lebensumstände und die repressiven politischen Verhältnisse in der ehemaligen Sowjetunion verarbeitete. Am Anfang der weitgehend chronologisch angeordneten Auswahl steht die Fabelvertonung „Libelle und Ameise“ des Sechzehnjährigen, am Ende das Finalstück der autobiographisch geprägten Michelangelo-Suite, die der Komponist erst kurz vor seinem Tod schrieb. Die Doppelbödigkeit, die dem Kosmos aus expressiven Romanzen, folkloristischen Weisen und grellen Satiren innewohnt, erschließt Margarita Gritskova mit ihrem ebenmäßigen, geschmeidigen Mezzo durch eine Palette an Zwischentönen und Variabilität im Ausdruck. So charakterisiert sie zum Beispiel die unterschiedlichen Erzählebenen der „Undine-Ballade“ durch jeweils andere Stimmfärbung. Am Klavier korrespondiert Maria Prinz mit der Sängerin auf kongeniale Weise. Im musikalischen Dialog schafft sie Atmosphäre, setzt eigene pianistische Akzente und hebt illustrative Elemente hervor. Das Booklet mit Einführungen zu jedem Stück samt abgedruckter Texte in drei Sprachen – die deutsche Übersetzung ist von Maria Prinz selbst – rundet die hörenswerte Shostakovich-Hommage ab.  

Karin Coper

INFOS ZUR CD

Dmitry Shostakovich: „Songs and Romances“
Margarita Gritskova und Maria Prinz
1 CD, Naxos

Hörenswerte Frühwerk-Neuentdeckung mit Elsa Dreisig

Jules Massenet: „Don César de Bazan“

Jules Massenet: „Don César de Bazan“

Jules Massenets erste abendfüllende Oper „Don César de Bazan“ beruht auf dem gleichnamigen Lustspiel des französischen Dramatikers Dumanoir. Im Zentrum des Geschehens: Straßensängerin Maritana, die dem König von Spanien den Kopf verdreht. Um seine Mätresse zu werden, soll sie standesgemäß mit dem Edelmann Don César verheiratet werden. Klar, dass beide sich verlieben und die höfischen Intrigen überwinden.  

Das Stück war die Basis für zwei musikalische Publikumsrenner des 19. Jahrhunderts: die Oper „Maritana“ von William Vincent Wallace und Rudolf Dellingers Operette „Don Cesar“ mit fast 1.500 Aufführungen. Solch großer Erfolg war Massenets 1872 entstandener Vertonung leider nicht beschieden. Es gab lediglich dreizehn Vorstellungen und auch die Neufassung, die der Komponist vornahm, weil das Original verbrannte, erlebte nur vereinzelte Wiederaufnahmen. Erst 2016 erinnerte sich die französische Operntruppe Les Frivolités Parisienne an das Frühwerk, rekonstruierte die Partitur für eine Tournee-Produktion und bannte sie auf CD. Mathieu Romano ist der musikalische Leiter, der die mit viel spanischem Flair und Sentiment ausgestattete Oper geschmack- und temperamentvoll dirigiert. Elsa Dreisig singt die Maritana mit Charme, leuchtendem Sopran und filigranen Verzierungen in der „Ballade aragonaise“. Kein Wunder, dass sie den König, dem Thomas Bettinger tenorale Eleganz gibt, bezaubert. Doch hat dieser gegen die stimmliche Noblesse und Ausdruckskunst von Don César – alias Bariton Laurent Naouri – keine Chance bei ihr. Trefflich besetzt ist auch der Bursche Lazarille, den Massenet mit zwei innigen Romanzen bedacht hat. Marion Lebègue singt sie mit warmem Mezzosopran, der zudem im Nocturne-Duo aufs Schönste mit Elsa Dreisig harmoniert.

Karin Coper

INFOS ZUR CD

Jules Massenet: „Don César de Bazan“ (1872)
Naouri, Dreisig, Lebègue, Bettinger, Helmer, Moungoungou
Ensemble Aedes, Les Frivolités – Mathieu Romano
2 CDs, Naxos