Rund 80 Minuten dauert Zemlinskys Einakter „Der Zwerg“ – was spielt man zu diesem anspruchsvollen Werk als Abendergänzung? Und wie besetzt man die Titelrolle, die einen hochexpressiven Tenor verlangt, aber eben mit zwergenhafter Bühnenerscheinung? Noch vor seinem exzellentem Bayreuth-Debüt – mit dem glänzenden Kleinwüchsigen Manni Laudenbach als Oskar – präsentierte Regisseur Tobias Kratzer in der Deutschen Oper Berlin eine überzeugende Lösung für beide Probleme.

Die verbürgt hoffnungslos glühende, aber scheiternde Liebesschwärmerei des kleinen, abgestanden nach Zigarren riechenden „Kompositionslehrers“ Zemlinsky für die hoch gewachsene, schön-berechnende „Schülerin“ Alma Schindler, spätere Mahler-Gropius-Werfel: Das formte Kratzer zu einem quasi-expressionistischen Stummfilm-Melodram auf der Bühne, dem GMD Donald Runnicles Schönbergs „Lichtspielszenen“-Musik aus dem Orchestergraben unterlegte – ein ironisch bitteres Vorspiel, das Adelle Eslinger-Runnicles und Evgeny Nikiforov mit theatralischen Hochmuts- und Verzweiflungsgesten füllen. Eine überzeugende, ja bestechende Verlängerung des Abends auf 90 Minuten.

Als sich der Vorhang wieder öffnet, zeigt Kratzers Dauerausstatter Rainer Sellmaier einen schicken weißen Konzertsaal. Denn Kratzer greift Kerninhalte des Werkes szenisch auf: Der kleinwüchsige Mick Morris Mehnert tritt als Zwerg im Dirigentenfrack, also als Mini-Zemlinsky mit der Partitur unter dem Arm auf, über den ehrenhaften Empfang erfreut, aber künstlerisch durchaus selbstbewusst. Er dirigiert später ein auf dem Konzertpodium platziertes Teilorchester mit Zemlinsky-Musik vor dem Damenchor als eitlem „Lady-Club“, wird dann aufgefordert zu singen – und da fordert Kratzer einfach die Phantasie aller Zuschauer heraus: Der Zwerg sieht sich ja selbst als Held und Ritter – also tritt hinter ihm der hochgewachsene Tenor David Butt Philip im Frack als sein imaginiertes Alter Ego auf und singt strahlend – mehr noch: Der hochbegabte Mehnert singt nicht nur den ganzen Tenor-Text stumm mit, sondern agiert künstlerisches Selbstbewusstsein, vor allem aber die in hochlyrischen Phrasen aufschäumende Liebe zur Model-schönen Prinzessin von Elena Tsallagova darstellerisch so expressiv aus, dass sein Drama in Bann schlägt. Denn ein paar Momente lang ist Tsallagovas Prinzessin mal mit warmen Tönen angerührt, doch dominant eben kühl amüsiert-distanziert. All das gipfelt in der „Spiegel-Szene“, für die eine zunächst schwarze Glaswand den weißen Saal begrenzt; parallel zum Liebesscheitern wird sie durchsichtig und Tenor Butt davor, dahinter der „Zwerg“ Mehnert vollführen einen erschütternden Erkenntnistanz … Das Ende sei nicht verraten, jedenfalls aber: so anrührendes wie fesselndes Musiktheater und ein Plädoyer für ein unterschätztes Werk, das nur so dramaturgisch-inszenatorisch erstklassig geboten werden muss.

Wolf-Dieter Peter

INFOS ZUR DVD/BLU-RAY

Alexander von Zemlinsky / Arnold Schönberg: „Der Zwerg / Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene“
Eslinger-Runnicles, Nikiforov, Tsallagova, Magee, Philip, Mehnert, Jekal u.a.
Donald Runnicles (Dirigat), Tobias Kratzer (Inszenierung)
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
DVD/Blu-Ray, Naxos