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Richard Wagner

Die Nachtigall 2020

Ehrenpreis für Brigitte Fassbaender

Ehrenpreis für Brigitte Fassbaender

von Iris Steiner

Am Rande der Premierenfeier ihrer „Rheingold“-Produktion für die Tiroler Festspiele Erl ehrte die Jury des Preises der deutschen Schallplattenkritik Kammersängerin Brigitte Fassbaender mit der „Nachtigall“ – dem Ehrenpreis für Künstlerinnen und Künstler, die über alle Grenzen hinweg unser Musikleben nachhaltig beeinflusst haben. Die Trophäe, eine Bronzeskulptur von Daniel Richter, konnte pandemiebedingt erst ein Jahr später überreicht werden. PdSK-Juryvorsitzende Eleonore Büning würdigte in ihrer Rede die vielschichtige, facettenreiche Karriere der unverwechselbaren Jahrhundertstimme, die nach ihrem Abschied von der Bühne 1985 eine zweite erfolgreiche Laufbahn als Regisseurin und Opernintendantin begann. In diesem und den Folgejahren wird Fassbaender den gesamten „Ring“ für die Tiroler Festspiele Erl neu inszenieren.

Vokaler „Karfreitagszauber“

Wien / Wiener Staatsoper (April 2021)
Wagners „Parsifal“ mit Traum-Ensemble

Wien / Wiener Staatsoper (April 2021)
Wagners „Parsifal“ mit Traum-Ensemble

Musikalisch kann man Richard Wagners Spätwerk „Parsifal“ (Uraufführung 1882) derzeit wohl nicht besser besetzen: Die lettische Mezzosopranistin Elīna Garanča entschied sich für die Wiener Staatsoper, um den seit Jahren angekündigten „Fachwechsel“ zu wagen. Das Ergebnis ist schlichtweg sensationell: Ihre Kundry ist je nach Bedarf lyrisch oder dramatisch, wechselt zwischen Belcanto-Samt und strahlenden Spitzentönen, agiert voller Spielfreude. Ein phantastisches Resultat – Amneris und Ortrud lassen grüßen! Auch Ludovic Tézier debütiert eindrucksvoll als Amfortas, Jonas Kaufmann sang zuvor erst einmal in Wien den „reinen Toren“ und ist in vokaler Höchstform – und Georg Zeppenfeld, Wolfgang Koch und Stefan Cerny komplettieren dieses „Traum-Ensemble“ als Gurnemanz, Klingsor und Titurel. Garanten für das hohe Niveau sind auch das Orchester und der Chor der Wiener Staatsoper unter dem ambitionierten Musikdirektor Philippe Jordan.

Pandemiebedingt findet „Parsifal“ zwar ohne Publikum statt. Regie und Ausstattung des russischen Dissidenten Kirill Serebrennikov, der trotz Ausreiseverbot vom Computer von Moskau aus agierte, werden jedoch hitzige Diskussionen auslösen. Der Allround-Künstler (Theater, Film, Oper) aktualisiert das „Bühnenweihfestspiel“ „auf Teufel komm raus“. Montsalvat ist ein südfranzösisches Gefängnis für „schwere Burschen“, Kundry fotografiert für ein Modemagazin (Blumen-Models), Amfortas kämpft erfolglos gegen die herrschenden Zustände. Und dann kommt es zu einem dramaturgischen Kniff, der das Pro und Contra zur Regie noch weiter anheizt: Parsifal wird doppelt dargeboten. Der Tenor (Jonas Kaufmann) wird durch sein um mindestens 20 Jahre jüngeres und stummes Double (Nikolay Sidorenko) ergänzt. Das wirkt so lange überflüssig, bis es zur Schlüsselszene – der misslungenen Verführung im zweiten Akt – kommt. Dann beginnt man das Konzept zu mögen – oder aber die Ablehnung wird noch größer! Der Rezensent gehört ersterer Gruppe an. Denn nach der vor Leidenschaft vibrierenden Kuss-Szene gibt es noch mehrere Episoden, die unter die Haut gehen: etwa die Herzeleide-Erzählung über Parsifals Mutter – da kommen auch noch die Großmütter hinzu und erinnern an die ewige Wiederkehr der Welt. Oder die Karfreitags-Szene, in der sich die Frauen der Gefangenen um Parsifal versammeln und Kerzen und Blumen bringen. Besonders eindrucksvoll: das Öffnen der Gefängnistüren und das einströmende Licht der Hoffnung. Alles in allem hätte man unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht mehr erreichen können.

Peter Dusek

„Parsifal“ (1882) // Bühnenweihfestspiel von Richard Wagner

Die Inszenierung ist als Stream bis 17. Juli 2021 kostenfrei über ARTE concert verfügbar.

„Im Anfang war der Klang“

Leopoldo Siano: „Musica Cosmogonica. Von der Barockzeit bis heute“

Leopoldo Siano: „Musica Cosmogonica. Von der Barockzeit bis heute“

Ausgehend vom tönenden Schweigen, der Antwort auf die müßige Frage nach dem Anfang der Welt in Charles Ives’ visionärem Stück „The Unanswered Question“ und vom Schweigen des Buddha, wagt der italienische Musikphilo­soph Leopoldo Siano (*1982), der seit 2012 am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln lehrt, die These „Im Anfang war der Klang“.

Der Klang spielt in zahlreichen Schöpfungsmythen unterschiedlicher Kulturen eine entscheidende Rolle. Dem Johannesevangelium zum Trotz, in dem es heißt „Im Anfang war das Wort“, haben sich seit jeher Dichter, Philo­sophen, Theologen, Wissenschaftler, Künstler aller Art, nicht zuletzt Musiker mit der Frage der Weltentstehung auseinandergesetzt, der „philosophischen Frage schlechthin“, wie der Autor zurecht schreibt: „Was ist die Welt? Und wie entstand sie? Und warum?“ Da der Verstand der Menschen da nicht weiter­hilft, haben philosophische und religiöse kosmogonische Mythen wie auch musikalische Schöpfungsmythen seit jeher Hochkonjunktur. Der Klang als „die erste wahrnehm­bare Manifestation des Unsichtbaren“ ist in vielen Kulturen Grundüberzeugung. Man mag das kosmischen Urklang nennen. Und denkt an Richard Wagners Es-Dur-Dreiklang im „Rheingold“, dem Vorabend seines „Rings des Nibelungen“, auch eine jener „Welterschaffungsmythen“, die Gegen­stand der Betrachtung sind. Jedenfalls sei die „Quelle, aus der die Welt ent­springt, … eine akustische“, so Leopoldo Siano nach Meinung vieler Autoren und Kulturen. „Das Wort als klingendes Ereignis wird als Ursprung aller Erscheinungen betrachtet.“ Der Klang sei „die erste Bewegung des Unbewegten, und das sei der Beginn der Schöpfung“. Die wichtigsten Philosophen werden als Kronzeugen bemüht.

Auf respekteinflößender philosophischer, literarischer, historischer und musi­kali­scher Grundlage widmet sich der Autor aus der Perspektive der Kom­ponisten der Frage: Wie klingt der Anfang der Welt? In zehn Kapiteln unter­nimmt das Buch eine „nicht-chronologische Reise durch die jüngere Musik­geschichte des Abendlandes“. Es ist eine Geschichte musikalischer Utopien als „Annäherung an das Unmögliche“, die Siano geschrieben hat.

Anhand von Werken, die zwischen dem 18. und dem 21. Jahrhundert entstanden sind, wird gezeigt, mit welchen musikalischen Mitteln die verschiedensten Komponisten (von Jean-Féry Rebel bis zu Joseph Haydn, von Gustav Mahler zu Charles Ives, von Richard Wagner zu Karlheinz Stockhausen und John Cage) es unternommen haben, die Weltschöpfung zu evozieren und auf welche Klangarchetypen sie zurückgriffen, um den Anfang aller Dinge akustisch darzustellen. Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ mit seiner „kosmogonischen Geste“ am Beginn des Werks steht gewissermaßen Pate, ist wohl bekanntestes Paradebeispiel. Es wird – wie bei allen ausgewählten Musiken – mit profunder musikwissenschaftlicher Werkkenntnis und Präzision der Analyse genau beschrieben: „Eine allmähliche und majestätische Exposition von zehn Tönen der D-Dur-Tonleiter, die verschiedenartig harmonisiert werden, … die sich in Terzen auflösen, mit jedem neuen Ton an Dichte und Lautstärke anwachsen“, markieren den Aufstieg der Sonne aus dem Chaos, sie münde schließlich „in eine strahlende D-Dur-Kadenz“. So ist es.

Mit der gleichen Akribie widmet sich der Autor den Urgewässern, musikali­schen Visionen der Weltentstehung aus dem Geist des alten Indien, aber auch den Komponisten als Schöpfern des Kosmos in der Sinfonie (Gustav Mahler steht am Anfang der nicht mehr an ein strenges Formschema gebundenen modernen Sinfonie, die „alles Mögliche“ sein will, nämlich „die ganze Welt“). Es geht aber auch um den Mythos des Urknalls, um Naturer­wachen (mit Klang und Opfer) – bestes Beispiel Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ – bis hin zu Kosmogonien aus Afrika und Amerika. Die „Ewige Wiederkehr des Gleichen“ (Friedrich Nietzsche) inspirierte den Autor zum vorletzten Kapitel „Weder Anfang noch Ende“. Das letzte „Im Anfang ist die Stille“ schlägt den Bogen zurück zum Anfang des Buches, der Kreis schließt sich. Präzise Werkanalysen, gewissenhafte Anmerkungen, viele Grafiken und Notenbeispiele sowie ein Literaturverzeichnis bereichern das interessante Buch, das an seine Leser zwar einige Bildungsansprüche stellt, dessen Lektüre sich aber lohnt. Es ist ein faszinierendes Panorama musikalischer Welterschaffungsmythen mit philosophischem Tiefgang.

Dieter David Scholz

INFOS ZUM BUCH

Leopoldo Siano: „Musica Cosmogonica. Von der Barockzeit bis heute“
430 Seiten, Königshausen & Neumann