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Beiträge 2023/03

„The hardest thing to govern is the heart“

Das Brüsseler Opernereignis „Bastarda“ gräbt tief in der Psyche der Tudor-Königin ­Elizabeth I – und bietet feinsten Belcanto für Herz und Hirn

Das Brüsseler Opernereignis „Bastarda“ gräbt tief in der Psyche der Tudor-Königin ­Elizabeth I – und bietet feinsten Belcanto für Herz und Hirn

von Florian Maier

„I’m a Bastard!“ – „You are the Queen.“ Zwei Sätze, und die ganze unauslöschliche, tragische Dualität im Leben der englischen Tudor-Königin Elizabeth I (1533-1603) ist skizziert.

„Vil bastarda!“ Zwei Worte, und Donizettis Maria ­Stuarda hat ihr Leben binnen Sekunden endgültig verwirkt. Ein Königinnenduell, das zensiert wird, dann doch Musikgeschichte schreibt – und jetzt für den Titel eines zweiteiligen Belcanto-Spektakels am Brüsseler Opernhaus La Monnaie/De Munt Pate steht.

Es ist ein ungewöhnliches Experiment, das Intendant ­Peter de Caluwe da auf den Spielplan seines Hauses gesetzt hat. Vier Tudor-Opern hat Gaetano ­Donizetti seinerzeit komponiert: „Anna Bolena“ (1830), „Maria ­Stuarda“ (1834/35), „Roberto Devereux“ (1837) und das selten gespielte „Elisabetta al castello di Kenilworth“ (1829). Alle handeln sie von der englischen „Virgin Queen“ oder deren Wurzeln, alle stehen sie für sich. So etwas wie einen Zyklus hatte der oft als „Fließband-Komponist“ abgetane Donizetti nie im Sinn. Und doch lässt sich der Reiz des in Brüssel realisierten Gedankens nicht von der Hand weisen: Vier Tudor-Opern, eine ­Königin – warum nicht ein Psychogramm der englischen Herrscherin daraus destillieren?

„An existential tale in two evenings“

Und was für eines! In Olivier Fredj (künstlerisches Konzept, Skript, Regie) und Francesco Lanzillotta (Dirigat, musikalische Arrangements) hat de Caluwe genau die richtigen kreativen Köpfe für „Bastarda“ gefunden. „Pasticcio“ wäre ein grundlegend falscher Begriff für das, was die beiden über zwei Abende und knapp fünfeinhalb Stunden reine Spielzeit im Brüsseler Opernhaus entfalten. Da werden Nummern aus den vier Ursprungswerken nicht nur nach dem Bastelprinzip zu einer Collage kombiniert – da entsteht ein Gesamtkunstwerk, dessen Einzelteile sich gar nicht mehr wie Einzelteile anfühlen, so, als sollte es immer schon so sein. Arien, Duette, Ensembles, Chöre gehen ineinander über, die eine Oper spiegelt sich in der anderen, Solisten singen Ausschnitte, die nie für ihre Partien gedacht waren. Neu geschaffene musikalische Brücken gliedern sich nahtlos ein, dezente zeitgenössische Zwischentöne spitzen emotional zu, die „heilige Trennung“ zwischen Musik und gesprochenem Wort spielt kaum eine Rolle, denn dramatische Stringenz geht vor Belcanto-Kult. Bei alledem ist Donizetti der Anker des Projekts, aber nicht der alleinige Navigator: Regisseur und Autor Fredj bettet die italienische Oper des frühen 19. Jahrhunderts in ein englisches „Drehbuch“ auf der Höhe der Zeit: elisabethanisch, zeitlos, modern.

„An existential tale in two evenings“ nennt sich das Ergebnis, „The Rise and Fall of Elizabeth I“. Ein musika­lisches Biopic, chronologisch erzählt von der Wiege bis zur Bahre und ganz nah dran am Menschen hinter der Krone. Britische Period Dramas von „Downton ­Abbey“ bis „The Crown“ haben in der TV- und Streaming-Landschaft immer Hochkonjunktur – warum sollte es im Theater anders sein? Und so bietet auch „Bastarda“ Eska­pismus erster Güte: weit genug entfernt vom persönlichen Erfahrungshorizont, um mit Glanz und Elend der High Society ein paar Stunden dem Alltag entfliehen zu können.

Elizabeth I mit ihrer so ureigenen Biografie bietet dafür mehr als genug Kreativfutter: Ihr triebgesteuerter Vater Henry VIII provoziert 1534 eine Abspaltung von der römisch-katholischen Kirche, um trotz bestehender Ehe eine offizielle Verbindung mit ihrer Mutter Anne Boleyn eingehen zu können, überlässt diese dann aber doch mehr als bereitwillig dem Schafott, als Elizabeth noch nicht einmal drei Jahre alt ist (Akt zwei von sechs seiner Ehedramen, die mit dem Merkspruch „­Divorced, ­Beheaded, Died, Divorced, Beheaded, Survived“ der Nachwelt noch heute präsent sind). Knapp zehn Jahre später stirbt der Vater, ihr Halbbruder ­Edward VI als dessen einziger legitimer Sohn lebt nicht viel länger, Halbschwester Mary I („Bloody Mary“) ebenso wenig. Plötzlich steht ein illegitimer „Bastard“ ganz oben in der Thronfolge und begründet eine neue Ära, das „­Elisabethanische Zeit­alter“. „Gloriana“ bewahrt ­England in fast 45 Regierungsjahren vor den Glaubenskriegen der Epoche, begründet den Aufstieg ihres Reichs zur Weltmacht und neuer künstlerischer Blüte, taktiert mit ihren weiblichen Reizen zur Sicherung des Friedens und bleibt letztendlich unverheiratet, um ihre Macht nicht mit einem Mann teilen zu müssen.

Schlammschlacht in Adelskreisen: das Königinnenduell ­zwischen Maria Stuarda (Lenneke Ruiten) und der englischen Queen ­(Francesca Sassu) (im Hintergrund Nehir Hasret als inneres Kind) (Foto Bernd Uhlig)

Prachtvoll, spritzig, intim

All das verpackt Olivier Fredj in Brüssel in zwei intime und doch bildmächtige, seelisch überragende ­Abende: „For better, for worse …“ erzählt von Herkunft und Aufstieg der jungen Königin bis zur finalen Konfrontation mit ihrer Cousine und Rivalin Mary Stuart, „… till ­death do us part“ von zunehmender Verbitterung und innerer Abkapslung in den späteren Lebensjahren. Regentschaft fordert ihren Tribut, und dieser besteht in ­Elizabeths Fall in Einsamkeit. Spannend, wie Fredj und sein Regieteam das im Galopp durch die Jahre und Jahrzehnte illustrieren. Unstillbare Sehnsucht nach ihren „Favoriten“ begehrt gegen das selbstauferlegte Dogma der „Virgin Queen“ auf und verkümmert daran letztlich jämmerlich, schneidender Ingrimm und Kälte brechen sich zunehmend Bahn, Paranoia hält Einzug in Musik, Mimik und Gestik, selbst die Kostümgestaltung. Handgemachte, pure Theaterkunst ist das, immer den roten Faden und die Formel „Psychologische Tiefenschärfe vor effektvollem Belcanto“ im Blick.

Das bedeutet nicht, dass Donizetti damit nicht zu seinem Recht käme. Aber seine Musik ordnet sich ein in ein gleichberechtigtes Kollektiv der Künste, die sich gegenseitig in die Hand spielen und einen in dieser Qualität selten zu erlebenden runden Gesamteindruck hinterlassen. Da ist etwa das von Avshalom Pollak choreografierte spritzige Ballett, in dem die Tänzer wie überdrehte Duracell-­Häschen als völlig überzeichnete Volksmenge durch die Szenen ruckeln und zuckeln, dass es eine wahre Freude ist – verkrustete Aristokratie einmal anders. Da sind Sarah Derendingers Video-Seelenmalereien, welche die Epoche bewusst brechen und den schönen Schein der königlichen Fassade sezieren (eindrucksvoll etwa Elizabeths kalt-poetischer „Totentanz“). Da sind Urs Schönebaums funktional-schlichte, die gesamte Bühnenhöhe füllende schwarze Säulen und Petra ­Reinhardts prachtvoller, historisch akkurater Kostümpomp, dessen Liebe zum Detail man nur bewundern kann. Und natürlich die Inszenierung von Olivier Fredj, der ­Elizabeths Lebensuhr unweigerlich Jahr um Jahr ticken lässt. Er bespielt nicht nur lustvoll Bühne und Königslogen, er durchbricht auch die vierte Wand und schlägt eine würdevoll-ergreifende Brücke, wenn die Zuschauer kurz nach Beginn des ersten Abends im Stehen der Krönungszeremonie der jungen Elizabeth beiwohnen und ganz am Ende von Teil zwei in derselben Haltung die sterbende Königin dem Tode überantworten.

„For better, for worse …“ wirkt vielleicht stellenweise etwas rastlos und erfordert mehr Durchhaltevermögen, besticht aber durch eine erzählerische Simultantechnik, welche Elizabeths Schicksal mit dem ihrer Mutter Anne Boleyn übereinanderlegt. Die Momente in „… till death do us part“ können sich dafür besser entfalten, finden zu einer eigenen inneren Ruhe und auch augenfälligeren Optik. Für beide Teile von „Bastarda“ gilt: In keinem Moment spielt sich hier fades Steh-Kostümtheater ab.

God Save the Queen!

Das ist zu einem ganz großen Teil auch einer erst 12-Jährigen (!) zu verdanken: Nehir Hasret in der Rolle des inneren, ewigen Kinds. Mit einer unwahrschein­lichen Grandezza behauptet sie die Bühne für sich, wie selbstverständlich zeigt sie mehr schauspielerische Facetten als 90 Prozent der heutigen Solisten-Landschaft. Eine getriebene, rastlose, einsame Elizabeth ist das, voller unerfüllbarer Träume, verzweifeltem Unverständnis, aggressiver Selbstbehauptung. Immer, wenn das sehr hohe Erregungslevel szenisch in die Monotonie zu kippen droht, weiß Hasret mit neuen emotionalen Farben zu überraschen, ergibt sich dem Wahnsinn, der kleinkindlichen Isolation, der naiven Lebensfreude.

Im Sterben bröckelt die Fassade: Elizabeth (Francesca Sassu) sucht Halt bei den omnipräsenten Schatten ihrer Eltern (Salome Jicia und Luca Tittoto) (Foto Bernd Uhlig)

Diesem personifizierten Innenleben steht eine äußere, erwachsene Elizabeth gegenüber. Aufgrund einer Erkrankung von Myrtò Papatanasiu übernimmt die alternierend eingeplante Francesca Sassu kurzfristig die beiden Premierenabende. Ihr Sopran braucht etwas Anlauf, schwingt sich mit zunehmender Dramatik aber zu einem kraftvoll-zarten Porträt der staatstragenden Repräsentationsfigur auf. Berührend-intim die Final­szene von „Bastarda II“, in der „Roberto Devereux“, „Anna Bolena“ und „Maria Stuarda“ kulminieren und ein fast utopisches Bild von Erlösung in Aussicht stellen.

Folgerichtig in der zweiten Reihe steht das übrige Ensemble, dessen Partien so zugeschnitten wurden, dass sie Elizabeths Charakterstudie perfekt in die Hände spielen. Salome Jicia erhält mit Anna Bolenas „Al dolce ­guidami“ das Leitmotiv der Produktion: das Wiegenlied einer Mutter, die ihr Kind mit nicht einmal drei Jahren für immer verlassen muss – eine Wunde, die niemals verheilt. Jicia verleiht dieser geisterhaften Wiedergängerin emotionales Gewicht, Luca Tittoto als ­blasiertes Scheusal Enrico (Henry VIII) führt die Königswürde im krassen Gegenentwurf ad absurdum. Über dem von Giulio Magnanini fabelhaft einstudierten Chor des Hauses schwebt mit ätherischem Schwermut die hochmütig strahlende ­Maria Stuarda von Lenneke Ruiten. ­Belcanto in Reinkultur liefert Enea ­Scalas Leicester: ein Proto­typ des schmachtend Leidenden, den auch Sergey ­Romanovskys Roberto Devereux in der „Favoriten“-­Erbfolge mit dunkel grundiertem Tenor aufzugreifen weiß. Raffaella ­Lupinacci (­Giovanna ­Seymour und Sara) und Valentina ­Mastrangelo (Amy ­Robsart) geraten lyrisch innig in die politischen Tretmühlen. Und die Partien von ­Smeton (David ­Hansen), ­Cecil (Gavan Ring) und ­Nottingham (­Bruno Taddia) führen als „Philosophy/Emotion“, „History/Reason“ und „Theatre/­Love“ in stilechtem Britisch als Erzähler durch die Geschichte, wenn Hansen seine Mezzoarie auch leider allzu schrill abfeuert.

Bleibt das Orchestre symphonique de la Monnaie, das unter Leitung von Francesco Lanzillotta eine majestätische Leistung erbringt: differenziert, ausbalanciert, mal pompös, dann wieder mit psychologischer Trennschärfe – und immer Donizettis feine Instrumentationskunst im Blick. Ein raumfüllender Klang, der diesen Höhepunkt der laufenden Spielzeit auch in musikalischer Hinsicht abrundet. Denn dass wundervoller Belcanto im kreativen Steinbruch durchaus das Zeug hat zu ganz großem Musiktheater, wird mit dieser ­Doppelpremiere in ­Brüssel mehr als deutlich. Es ist zu hoffen, dass „­Bastarda“ weiterlizensiert wird und nicht im Archiv verstaubt. Alles andere wäre eine Schande.

„Bastarda“ ist ab dem 28. Mai 2023 europaweit ein Jahr lang auf arte.tv/opera abrufbar.

EMPFEHLUNG

Thomas Kielinger:
„Die Königin – Elisabeth I. und der Kampf um England“
375 Seiten, C.H.Beck

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Mai/Juni 2023

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Backstage digital

Die Online Escape Games der Staatsoper Stuttgart und der Hamburger Elbphilharmonie

Die Online Escape Games der Staatsoper Stuttgart und der Hamburger Elbphilharmonie

von Lea Maria Unterseer

Einmal nachts durch die Staatsoper Stuttgart schleichen und die Geheimnisse der Notenbibliothek lüften? Oder doch lieber unter Zeitdruck alles für ein bevorstehendes Konzert in der Elbphilharmonie vorbereiten? Beides ist jetzt als Online Escape Game möglich. Wir wollen wissen: Kann die digitale Version mit der Realität mithalten?

Sonntagabend kurz vor Ostern an unserem Küchentisch: bereit, in diese neue Welt hinter den Kulissen einzutauchen. „Wir“ sind zwischen 17 und 26 Jahre alt, zu viert – darunter eine Opernsängerin und eine Dramaturgin – und gehören zu der Generation, die man „Digital Natives“ nennt: aufgewachsen mit den Neuen Medien und auch einigermaßen firm beim Online-Escape-Gaming.

„Nachts in der Oper“ – auf Entdeckungstour in der Staatsoper Stuttgart

Wir starten mit „Nachts in der Oper“, entwickelt vom Escape-Room-Anbieter LocQed.in in Kooperation mit der Staatsoper Stuttgart. Zu Beginn befinden wir uns samstagnachts am Ende einer Kneipentour vor der Oper und hören Musik. Die Tür zum Gebäude ist offen und so betreten wir den Eingangsbereich. Dort wartet auch schon das erste Rätsel: Wir müssen das Zahlenschloss des Kassenhäuschens öffnen und dafür in den verschiedenen Hinweisen den richtigen Zahlencode finden. Das ist im ersten Moment gar nicht so leicht: Welche Farbe hat welche Preiskategorie? Und wie viel kosten die Karten in der dunkelblauen Kategorie? Nach zwei falschen Versuchen sind wir drin. Übrigens stehen jederzeit Hinweise zur Verfügung. Im Zweifelsfall muss also niemand einfach aufgeben.

Die nächste Aufgabe beginnt auf der Bühne: Dort können wir mithilfe der Maus den ganzen Bühnen- und Zuschauerraum in einem 360-Grad-Bild erkunden. Und so führen uns die Aufgaben nach und nach einmal durch die Staatsoper: vom Orchestergraben bis zur Requi­site, vom Inspizientenpult bis hin zur Notenbibliothek. An jedem neuen Ort gibt es neue Rätsel, die Einblicke hinter die Kulissen freigeben. Charmant und authentisch erfährt man so von der Geburtstagsparty von Inspizient Jörg oder welche Lieblingsoper Cellist ­Andrej hat. Mit dem Zauber einer Theaterführung leiten die liebevoll gestalteten Aufgaben durch das Opernhaus, bis das Rätsel der geheimnisvollen Musik am Ende gelüftet wird. Das ganze Spiel ist auf 1,5 bis 2,5 Stunden angesetzt, wir schaffen es schon in knapp 50 Minuten.

Screenshots der Online Escape Games aus Hamburg (oben) und Stuttgart (unten) (Bilder Elbphilharmonie Hamburg & LocQed.in/Staatsoper Stuttgart)

„Rette das Konzert“ – ein musikalischer Lauf gegen die Zeit

Beflügelt von unserem ersten „Escape-­Erfolg“ starten wir sofort in das zweite Abenteuer: „Rette das Konzert“, das Escape Game der Elbphilharmonie, entstand in Zusammenarbeit mit der Hamburger Digitalagentur Pop Rocket Labs und ist auf 45 Minuten ausgelegt. Geiger Paganono soll heute Abend sein großes Konzert geben, doch sein Instrument ist beschädigt. Während Projektleiterin Nuria sich um die Reparatur der Geige kümmert, sind wir dafür verantwortlich, dass alle Konzertvorbereitungen getroffen werden. Doch die Probleme starten schon am Aufzug: Wir haben keine Schlüsselkarte! Glücklicherweise sind in den Schriftzügen im Aufzug Buchstaben versteckt, die uns den ­Sicherheitscode verraten.

Auch in diesem Escape Game führen uns die verschiedenen Aufgaben durch die Räume des Hauses. Die zu Beginn jeder Aufgabe eingebauten Videos zeigen die schönsten Ecken der Elbphilharmonie in fast schon Imagefilm-artigen Bildern. Zusammen mit Nurias Hilfe und Anleitung hängen wir Bilder in der Solistengarderobe auf, schalten die Beleuchtung für die Bühne ein und planen die Sitzordnung von Paganonos Ehrengästen. In sieben abwechslungsreichen Leveln retten wir den Abend und – so viel sei verraten – auch der Geiger selbst wird an diesem Abend noch rechtzeitig zu seinem Auftritt kommen.

Neben der guten Spieldramaturgie von „Rette das ­Konzert“ überzeugen vor allem die vielseitigen und abwechslungsreichen Aufgaben. Zu viert konnten wir die Rätsel ohne große Probleme lösen. Bei einer Herausforderung, in der man Bilder nach zugehörigem Musikstück und Veröffentlichungsdatum sortieren soll, hat unser Vorwissen die Lösung sehr erleichtert. Hier muss man ohne eine gewisse Musikkenntnis dann vielleicht doch Google und Co. um Hilfe bitten, was schon zu Beginn in der Spielanleitung angesprochen wird.

Familie Unterseer (Elisa, Lea Maria, Marie und Bastian) testet sich durch den kulturellen Gaming-Dschungel (Foto Lea Maria Unterseer)

Ein kleines Manko hat das kostenlose Angebot dann aber doch: Durch die hochauflösende Grafik, die verwendeten Videos der Elbphilharmonie und die Animationen von Bild und Text läuft die Anwendung nicht auf allen Geräten „ruckelfrei“. Auf unserem Laptop stocken so einige Male die zur Einstimmung dienenden Videos. Das stört nicht die tatsächliche Bearbeitung der Aufgaben, ist aber etwas schade.

Wer hat die Nase vorn?

Größter Vorzug von „Nachts in der Oper“ ist eindeutig die charmante und authentische Art, mit der die Spielenden durch das Opernhaus geführt werden. Hier wird man nicht wie bei „Rette das Konzert“ mit hochglänzender Stockfotografie konfrontiert, sondern bekommt sympathisch ehrliche Einblicke hinter die Kulissen. Während die Elbphilharmonie ihre schönsten Seiten inklusive Ausblick von der Plaza präsentiert, erhaschen wir in der Staatsoper Stuttgart beispielsweise einen Blick auf die mit Notizzetteln und Plänen übersäte Wand der Requisite. Zusätzlich werden hier Gewerke und Abteilungen ins Rampenlicht gerückt, die dem Publikum bei einer Vorstellung normalerweise verborgen bleiben, etwa die Inspizienz oder die Notenbibliothek. Im Vordergrund stehen eindeutig die Aufgaben und dieser besondere Einblick, die Handlung des Escape Games selbst stellt sich eher hinten an.

Natürlich kommt auch die Musik in beiden Spielen nicht zu kurz. So gibt es Aufgaben mit Hörbeispielen, die man den richtigen Komponisten oder Werken zuordnen muss. In Stuttgart wird man auch auf sein Repertoirewissen geprüft und darf die mit Emojis übersetzten Operntitel erraten. In Hamburg muss man die Orchesteraufstellung mithilfe von Tonaufnahmen überprüfen. Hier fällt positiv auf, dass auch das Thema Zugänglichkeit bei der Konzeption der Escape Games mitgedacht wurde: Eine Transkription der Hörbeispiele wird bei den entsprechenden Aufgaben jeweils mitgeliefert. Dadurch können diese Rätsel auch mit Hörbeeinträchtigung gelöst werden.

Sicherlich ist ein Escape Game nicht mit einem Konzert- oder Opernbesuch gleichzusetzen. Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine Erweiterung des Programms, ein digitales Angebot zusätzlich zum traditionellen Spielplan. Als Mischung zwischen Theaterführung und interaktiver Auseinandersetzung mit der Produktion von Konzerten und Vorstellungen bieten beide Spielvarianten aber einen unterhaltsamen Einblick hinter die Kulissen – und sind so auf jeden Fall empfehlenswert, finden wir. Ob man Opernfan oder Musiktheater-Neuling, Escape-­Game-Profi oder Rätsel-Enthusiast ist, ist nicht so wichtig – beim Unterhaltungswert kommen alle auf ihre Kosten.

AUF EINEN BLICK

„Nachts in der Oper“ Staatsoper Stuttgart

• 1 – 6 Spieler
• ca. 1,5 – 2,5 Stunden
• Sprache: Deutsch
• Preis: 15,99 €
• Schwierigkeitsgrad: 3,5 von 5
• Besonderheit: informativ, persönlich und ­authentisch
locqed.in


„Rette das Konzert“ – Elbphilharmonie Hamburg

• 1 – 4 Spieler
• ca. 45 Minuten
• Sprachen: Deutsch oder Englisch
• Preis: kostenlos
• Schwierigkeitsgrad: 3,5 von 5
• Besonderheit: spannende Handlung und tolle Grafik
escapegame.elbphilharmonie.de

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Mai/Juni 2023

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