Interview Iris Steiner

Wie und wann haben Sie erfahren, dass Sie den dritten Akt der „Walküre“ von Tomasz Konieczny übernehmen sollen? Wie wir wissen, hatte dieser im zweiten Akt einen schweren Bühnenunfall mit einer Liege, die unter ihm zerbrochen ist.

Ich habe das ungefähr 20 Minuten nach Beginn des zweiten Akts erfahren – zuhause in meiner Wohnung außerhalb von Bayreuth. Das Festspiel-Betriebsbüro rief an und meinte: „Michael, könntest Du vielleicht kurz kommen? Wir wissen gerade nicht genau, was passiert – komm bitte sicherheitshalber mal.“ Ja, dann bin ich hin. Anderthalb Stunden vor Beginn des dritten Akts war ich im Festspielhaus und fünf Minuten nach Beginn der Pause nach dem zweiten Akt hieß es: „Michael, jetzt übernimm bitte den dritten.“

Waren Sie denn als Cover für die Partie vorgesehen?

Nein, aber ich hatte vor sechs, sieben Wochen eine sogenannte Stand-in-Probe. Der Kollege Konieczny konnte damals noch nicht vor Ort sein, aber das Regieteam brauchte jemanden, der bei den Bühnenproben da steht, damit die Kolleginnen und Kollegen einfach eine Bezugsperson haben. Deswegen habe ich zwei Tage quasi mitgeprobt, aber danach die Regie und das, was ich dort aufgenommen hatte, sofort wieder vergessen. Weil ich ja kein offizielles Cover war.

Es war Ihr erster und dann noch sehr spontaner Wotan-Einsatz in Bayreuth. Ihr Schluss als trauriger Gott war für uns einer der bewegendsten Momente des Abends. Was haben Sie in diesem Moment und kurz vorher gefühlt? Über was denkt man in einem solchen Augenblick nach?

Tja, die Gefühle vorher und nachher: privat gar keine, denn dafür hat man keine Zeit. Was ich noch sehr gut aus den Proben wusste, war die intensive Charaktersituation, die mir Valentin Schwarz geschildert hatte. Das konnte ich mir sehr gut zurückrufen. Und diese Emotion des Alleinseins, des Wegschickens des liebsten Menschen, was einen völlig zerbricht und dass die eigene Welt, das eigene Drumherum zusammenbricht und nicht mehr funktioniert, das kam in dem Moment in mir hoch, als ich dort auf der Bühne lag.

Kann eine solche Situation eine Karriere auch negativ beeinflussen? Hatten Sie Angst, vor den Ohren der Opern-Weltöffentlichkeit zu scheitern?

Ich habe wie gesagt nicht so viele Gedanken daran verschwendet in dem Moment oder davor. Danach, als der Vorhang zuging, dachte ich mir schon: Gott, was hast Du jetzt gemacht …! Da kam’s dann bei mir erst an. Es sind mir ja doch – da ich die Partie länger nicht gesungen, aber präsent hatte – ein, zwei Textfehler passiert. Und auch hier und da war ich nicht immer ganz mit Cornelius Meister zusammen … aufgrund der Situation des Einspringens. Da gab’s dann kurz schon den Moment, in dem man überlegt, ob das jetzt richtig war. Hätte ich es rein aus karrieretechnischen Gründen nicht lieber lassen sollen? Aber dann hat beim Vorhang-Rausgehen das wunderbare Entgegenkommen des Publikums und die schöne Presse danach bestätigt, dass es die richtige Entscheidung war. Und jetzt schauen wir mal.

Weil Sie das gerade eben erwähnt hatten: Wann und wo haben Sie den Wotan denn schon gesungen?

Das letzte Mal vor anderthalb Jahren am New National Theatre Tokyo, davor an der Staatsoper Budapest, am Staatstheater Oldenburg und ganz zu Beginn bei den Tiroler Festspielen Erl.

Vier Tage nach seinem Spontan-Einspringen das eigentliche Debüt: Als Gunther („Götterdämmerung“) war Michael Kupfer-Radecky nach Bayreuth engagiert worden (Foto Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath)

Wie waren generell die Reaktionen auf Ihren Einspringer-Einsatz? Die Kritik hat mit Lob ja nicht gespart, wie Sie selber sagen …

(lacht) Das ging auch so weiter im Privaten. Ich hatte so etwas noch nie erlebt. Als die Vorstellung vorbei und ich mit den Kolleginnen und Kollegen bei einem Aftershow-Bier war, ist mein Handy explodiert. Das kannte ich zwar von Kollegen schon, aber wie viele Nachrichten da auf einmal gekommen sind von Menschen, mit denen ich überhaupt nicht gerechnet hatte, war schon sehr erstaunlich. Die Reaktionen waren von professioneller wie von privater Seite unglaublich positiv und sehr, sehr erfreulich.

Möchten Sie den Wotan in Bayreuth denn generell einmal in Erstbesetzung singen?

Naja, diese Frage mit „Nein“ zu beantworten, wäre natürlich nicht richtig. (lacht)

Andersherum gefragt: Sind Ihre Chancen jetzt gestiegen, den Wotan in Bayreuth einmal in Erstbesetzung singen zu können?

Ach, das weiß ich gar nicht. Das hängt von so vielen Dingen ab, da bin ich realistisch. Ich glaube, ich habe eine gute Visitenkarte abgegeben – und werde einfach warten, was passiert. Ich habe einen sehr guten Kontakt zur Festspielleitung hier und werde den aktuellen „Ring“ als Gunther auf jeden Fall bis zum Ende begleiten, das steht schon fest. Was dann darüber hinaus passiert – jetzt speziell bei den Bayreuther Festspielen – das wird man sehen in den nächsten Monaten oder im nächsten Jahr. Klar, der Wunsch wäre da, das wäre sicher ein Traum. Aber ob die Chancen größer oder weniger groß dadurch geworden sind, kann ich nicht beurteilen.

Sie haben in Ihrer eigentlichen Rolle als Gunther ebenfalls durchweg positive Kritiken erlebt und sind auch positiv in Erscheinung getreten. Der Beifall des Bayreuther Publikums hat das auch bestätigt. Die Regie fiel dagegen weitgehend durch. Sie hätten jetzt die Chance, etwas zu Valentin Schwarz’ Konzept zu erzählen, was wir bisher noch nicht wussten und vielleicht wissen sollten.

Ehrlich gesagt, hat uns Valentin zumindest in der Arbeit an der „Götterdämmerung“ mit allem, was davor passiert, nicht so sehr „belästigt“, damit wir uns auf das Eigentliche konzentrieren. Ich habe erst mit den Generalproben einen großen Bogen bekommen und dann aber viele Sachen, die wir in der „Götterdämmerung“ gemacht haben, verstanden und nachvollziehen können. Ich bin aber natürlich auch sehr beteiligt und sehr „mit drin“ durch die ganze Probenarbeit und das intensive Miteinander-Arbeiten. Ich sehe da eine Linie. Ob die jetzt richtig ist oder nicht für den Einzelnen, möchte ich nicht beurteilen, das steht mir auch nicht zu. Ich verstehe sie, finde sie gut und habe Spaß daran gehabt. Valentin Schwarz hat es verstanden, uns als Sänger-Team mit seinen Ideen zu begeistern, es war ein sehr schönes, intensives Arbeiten mit ihm. Das ist heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich.