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Sterben auf der Bühne können alle

Diana Damrau zu Gast in der „orpheus“-Redaktion

Diana Damrau zu Gast in der „orpheus“-Redaktion

„Wo kann ich etwas bewegen, das bewegt werden muss?“ Diese Frage stellt sich Sopranistin Diana Damrau nicht erst seit der Pandemie. Wahrscheinlich hätte sie unter „normalen“ Bedingungen aber kaum Zeit gefunden, ausführlich mit ihrer Studienfreundin Elke Kottmair zu telefonieren.

Neben der gemeinsamen Zeit an der Musikhochschule Würzburg ging es natürlich um die Frage, die alle Kulturschaffenden umtreibt: Wie systemrelevant ist die Kunst, wenn alle Theater geschlossen werden? „Ich hatte überhaupt mal Luft, darüber nachzudenken, was ich will, was zu mir gehört und was nicht mehr“, beschreibt Damrau beim Gespräch in unserer Redaktion die damalige Situation. „Ich bin mit Operette aufgewachsen, es war schon länger mein Herzensprojekt, ein Album in diese Richtung zu machen. Und da war Elke natürlich meine erste Anlaufstelle.“ Dass man in der Operette durch Tanz- und Entertainerqualitäten zusätzlich gefordert ist, weiß Kollegin Elke Kottmair nämlich nur zu gut: 12 Jahre war sie Ensemblemitglied an der Staatsoperette Dresden, kennt Repertoire und „Tücken“ ganz genau.

Gemeinsam haben die beiden angeknüpft an ihre Würzburger Allround-Ausbildungszeiten und bedauern, dass heute in den Hochschulen ihre damalige Ausbildungsbandbreite leider oft zu kurz kommt. „Sängerisch sind das banal gesagt ein paar Koloraturen mehr als in der Oper und ein wenig flotter im Mundwerk, weil die Tempi schneller sind“, meint Damrau. „Die eigentliche Herausforderung besteht darin, die Leute gleichzeitig noch mit Tanz und Spiel auf ebenso hohem Niveau zu unterhalten.“ Kottmair hat noch einen anderen Blick auf das gemeinsame Projekt: „Durch Dianas weltweite Popularität profitiert auch das Genre von dieser Aufnahme. Wir haben mit ‚Wien, Berlin, Paris‘ bewusst ein ganz weites Feld gesteckt, da ist für jeden etwas dabei. Diana ist die perfekte Protagonistin, sie kann singen und spielen gleichermaßen und hat eine riesige Bühnenpräsenz.“

Und es gibt noch etwas anderes, das sie motiviert hat, wie die beiden verraten: Wenn man weiß, dass in Operetten – im Vergleich zu gängigen Opernstoffen mit ihren vielen sterbenden Diven – die Damenwelt am Ende meist die Oberhand behält, ist es vielleicht auch kein Wunder, dass sich für diese musikalische Hommage ausgerechnet zwei Frauen gefunden haben.

Iris Steiner

Das komplette Interview lesen Sie in unserer Ausgabe März/April 2024 (erhältlich ab 1.3.2024).

Zur gegenwärtigen Situation des Harztheaters

Ehemalige Intendanten wenden sich an die politischen Verantwortlichen

Ehemalige Intendanten wenden sich an die politischen Verantwortlichen

Liebe Leserinnen und Leser,

möglicherweise haben Sie bereits vom Existenzkampf des Nordharzer Städtebundtheaters (ab Beginn der neuen Spielzeit: Harztheater) aus den Medien erfahren. Gerne teilen wir den offenen Brandbrief der beiden ehemaligen Intendanten Kay Metzger (jetzt: Intendant Theater Ulm) und André Bücker (jetzt: Intendant Staatstheater Augsburg) vom 16. Juni 2023 an den Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt Dr. Reiner Haseloff, den Landrat des Landkreises Harz Thomas Balcerowski sowie die beiden Oberbürgermeister Frank Ruch (Quedlinburg) und Daniel Szarata (Halberstadt).

Eine Schließung des Theaters würde die kulturelle Grundversorgung in der Region gefährden, das Land Sachsen-Anhalt sowie die zuständigen Kommunen müssen das verhindern – im eigenen Interesse!  

-> zum offenen Brief

Orphea in love

Nachgefragt bei der estnischen Opernsängerin Mirjam Mesak, Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper und weibliche Hauptdarstellerin des Films „Orphea in love“

Nachgefragt bei der estnischen Opernsängerin Mirjam Mesak, Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper und weibliche Hauptdarstellerin des Films „Orphea in love“

Interview Iris Steiner

Am 1. Juni 2023 startete Axel Ranischs „Orphea in love“ in den Kinos. Wir berichteten bereits in unserer Ausgabe 06/2022 (November/Dezember) über diese zauberhafte Fusion von Oper und Filmkunst.

Sie singen UND spielen die weibliche Hauptrolle. War Ihnen – als geübter Opernsängerin – vor Beginn der Dreharbeiten bewusst, welche schauspielerischen Fähigkeiten Sie für so ein besonderes Format benötigen? Hatten Sie Unterricht darin, wie man vor einer Kamera agiert? Oder absolvierten Sie neben der Opernschule eine spezielle Schauspielausbildung?
Ich nähere mich einer Opernrolle immer aus der darstellerischen Perspektive, genauso wie ein Schauspieler die Rolle angehen würde. Insofern war es hier nicht anders. Ich habe mich in die Oper verliebt, weil sie meine beiden Leidenschaften – das Spielen und das Singen – vereint. Diese beiden Aspekte sollten niemals zu weit voneinander entfernt sein. Der größte Unterschied in diesem Fall war vielleicht die Freiheit bei der Schaffung meiner Figur. In der Oper spielen wir meistens Heldinnen, die seit Jahrhunderten existieren. Hier aber habe ich die Figur der Nele in engem Austausch mit Drehbuchautor Sönke Andresen und Regisseur Axel Ranisch entwickelt. Ich war begeistert, einige Details einzufügen, die mir sehr am Herzen liegen, wie etwa Neles Herkunft aus Estland. Sehr dankbar bin ich für die Schauspielausbildung, die ich in Tallinn (bei Gerda ­Kordemets) und an der Guildhall School of Music & Drama erhalten habe.

Wissen Sie, warum Axel Ranisch Sie für diese Rolle ausgewählt hat? Haben Sie zuvor schon einmal mit ihm gearbeitet?
Axel lernte ich 2019 kennen, als er an der Bayerischen Staatsoper Tschaikowskis „Iolanta“ inszenierte. Ich sang damals die Titelpartie und wir fanden bei unserer gemeinsamen Arbeit sehr schnell zu einem großartigen gegenseitigen Verständnis. Die Inszenierung wurde später für eine DVD-Veröffentlichung gefilmt und als Axel meine Darstellung durch die Kameralinse sah, sagte er mir, wie überrascht er über meine Detailarbeit sei. Als er für den Film „Orphea in love“ angefragt wurde, wusste er daher sofort, dass er mich für die Hauptrolle wollte. Und natürlich habe ich die Gelegenheit ergriffen, wieder mit ihm zu arbeiten.

Mirjam Mesak (Foto Wilfried Hösl)

Welche Erfahrungen haben Sie während der Dreharbeiten gemacht? Werden diese möglicherweise sogar Ihr künftiges Spiel auf der Opernbühne beeinflussen?
Ich will nicht lügen: Es war die schwerste Aufgabe, vor der ich jemals stand. Der Zeitplan der Dreharbeiten gestaltet sich völlig anders als der Probenplan eines Opernsängers. Wir hatten viele lange Tage und viele nächtliche Drehs. Ich habe auch gemerkt, mit wie viel man auf der Bühne durchkommen kann – ein wenig Räuspern, ein zusätzlicher Schritt nach links oder nach rechts, … Vor der Kamera dagegen muss man absolut genau sein und immer darauf achten, nicht das Blickfeld der Linse zu verlassen. Es ist eine komplett andere Welt! Für die meisten Szenen haben wir aus technischen Gründen den Gesang zuvor mit dem Orchester aufgenommen. Zwar ist der Operngesang aus der Nähe nicht immer schön anzusehen – die Konzentration im Gesicht, die Anspannung all der Gesichtsmuskeln und dann wieder deren Lockerung … Dennoch war es mir extrem wichtig, in meinem Handwerk wahrhaftig zu sein und nicht nur auf synchrone Lippenbewegungen zu achten, sondern tatsächlich zu singen. Am Ende durfte ich erfahren: je größer das Opfer, desto größer der Lohn. Als ich den Film sah, wusste ich, dass er all die harte Arbeit wert war und dass Axel, ich und das gesamte Team stolz auf ihn sein können.

Was, denken Sie, ist besonders an diesem „Opernfilm“, der nicht wirklich ein Opernfilm ist?
Vieles an dem Film ist besonders und nicht immer auf der Leinwand oder der Opernbühne zu erleben. Ich hoffe, dass wir dem Publikum verschiedene Seiten zeigen von dem, was Oper sein kann oder wie ein Opernsänger aussehen kann. Auch als jahrhundertealte Kunst muss Oper nicht immer von unrealistischen Figuren oder „Diven“ vermittelt werden. Es kann ein einfaches Mädchen aus Estland sein, das sich nichts mehr wünscht als zu singen. Ohne zu viel zu verraten, möchte ich sagen, dass nicht alles Schwarzmalerei ist, und Axel hat mit großartiger Raffinesse einige sehr komische Szenen in die Handlung eingestreut.

Was sind Ihre nächsten Pläne? Ein weiterer Film? Oder lieber eine „echte“ Operninszenierung?
Es gibt in der Opernwelt noch so viel für mich zu tun und zu entdecken, dass die Arbeit niemals aufhören wird. Falls jedoch ein weiteres Projekt wie dieser Film auftauchen sollte, würde ich es sicher wieder in Erwägung ziehen. Denn ich habe nur die besten Erinnerungen an diese Zeit!

Kunst als Mahnung

Oleksandr Rodins zeitgenössische Oper „Kateryna“ per Stream aus dem Opernhaus Odessa

Oleksandr Rodins zeitgenössische Oper „Kateryna“ per Stream aus dem Opernhaus Odessa

Wie soll man objektiv bleiben bei einer Opern-Uraufführung, deren reale Begleitumstände ähnlich ans Herz gehen wie das tragische Schicksal der Titelheldin? Ursprünglich geplant war die Premiere von Oleksandr Rodins „Kateryna“ in Odessa bereits für den 27. März 2022 – ein Unterfangen, das durch den russischen Angriffskrieg vereitelt wurde. Nicht zuletzt, weil zahlreiche Beschäftigte des Theaters sich freiwillig zum Militär meldeten. Andere Mitwirkende erzählen in den sozialen Medien Geschichten von Bombenangriffen, vor denen man in einem Bunker unterhalb des Theaters Schutz suchte. Drei Monate blieb es geschlossen, ehe man im Juni den Spielbetrieb allen Umständen zum Trotz wieder aufnahm. Die nachgeholte Uraufführung von „Kateryna“ am 17. September 2022 grenzte so fast schon an ein Wunder und war ein kleines Stück Normalität im Wahnsinn des Krieges. Vielmehr: Es wurde zum wichtigen Dokument ukrainischen Musiktheaters, von dem man sich nun auf digitalem Wege selbst ein Bild machen kann. Jetzt, zum Jahrestag des offiziellen Kriegsbeginns am 24. Februar, ging bei ARTE Concert die Aufzeichnung einer Folgevorstellung auf Sendung, abrufbar für drei Monate.

Die Geschichte hinter der Geschichte ist dabei natürlich nur schwer auszublenden. Schon die literarische Vorlage zu „Kateryna“ erzählt unterschwellig von der alles andere als unbelasteten Vergangenheit der beiden Länder. In seinem gleichnamigen Gedicht erzählt Taras Schewtschenko von einer jungen Ukrainerin, die sich in einen russischen Soldaten verliebt und später dessen Kind zur Welt bringt. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg ist er schwer gezeichnet und weist Kateryna schroff zurück, die seine Reaktion als Verrat empfindet, daran zerbricht und schließlich Selbstmord begeht.

Komponist Oleksandr Rodin (*1975) verarbeitet dieses ebenso packende wie berührende Schicksal mit viel folkloristisch anmutendem Lokalkolorit, großen polyphonen Chortableaus und urwüchsig tönenden Naturbildern. Passend zur idyllischen Mitsommernacht, deren unwirkliche Stimmung in der eingängigen Partitur ebenso eingefangen wird wie die damit verbundenen heidnischen Rituale – in der Tradition der großen slawischen Komponisten Seite an Seite mit christlichen Motiven. Eine mehr als dankbare Aufgabe für Dirigent Vyacheslav Chernukho-Volich, der mit seinen Musikerinnen und Musikern im Graben einen großen emotionalen Bogen spannt, dabei hin und wieder auch die Grenzen zum Kitsch überschreitet, mit diesen bewusst ins Überlebensgroße gesteigerten Momenten aber stets der Geschichte treu bleibt.

Die größte Produktion des Hauses seit der Ukrainischen Unabhängigkeitserklärung 1991 (Foto Odessa National Opera/Dmytro Skvortsov)
Die größte Produktion des Hauses seit der Ukrainischen Unabhängigkeitserklärung 1991 (Foto Odessa National Opera/Dmytro Skvortsov)

Nachdem sich der Vorhang öffnet, beschwören flirrende Streicher, begleitet von Glockenspiel und Harfenakzenten eine geradezu traumhafte Atmosphäre herauf. Ergänzt um einige vom Komponisten selbst gebaute Instrumente, mit denen er Klangphänomene wie das Schmelzen von Eis hörbar machen will. Zugewiesen sind diese überwiegend den klassischen Figurentypen des Wandertheaters, das in der Ukraine unter dem Namen „Vertep“ bekannt ist. Und so begegnet man in der ebenfalls heimatverbundenen Inszenierung von Oksana Taranenko zunächst einer fahrenden Truppe, die Katerynas Geschichte zur Aufführung bringt. Wobei sich neben dem tragischen Protagonisten-Paar auch Engel, Teufel, eine Hexe und die allegorische Figur des Todes gesellt, dem Christian Nikulytsya die notwendige Autorität verleiht. Dreh- und Angelpunkt des homogen besetzten Ensembles bleibt dabei immer Titelheldin Yulia Tereshchuk, die mit ihrem markant timbrierten Sopran ein anrührendes Rollenportrait zeichnet und Kateryna keineswegs nur als Opfer, sondern als ebenso vielschichtige wie selbstbewusste Frau auf die Bühne gestaltet.

Eine wichtige Produktion mit Signalwirkung, die eindrucksvoll beweist, über welches künstlerische Potenzial Odessa und die Ukraine verfügen. Gleichzeitig aber auch eine Ermahnung, dass der fast schon zum Alltag gewordene Krieg mit seinen Schreckensszenarien auf gar keinen Fall zur neuen Normalität werden darf. Mit den Worten von Taras Schewtschenko: Слава Україні!

Tobias Hell

kostenfreier Stream bis 26. Mai 2023 auf ARTE Concert

„orpheus“ in neuem Verlag

Unter dem verlegerischen Dach des Theaterverlags Friedrich Berlin machen wir uns auf zu neuen Zielgruppen

Unter dem verlegerischen Dach des Theaterverlags Friedrich Berlin machen wir uns auf zu neuen Zielgruppen

Anlässlich seines 50. Geburtstags macht sich der „orpheus“ ein besonderes Geschenk: Zum 1.1.2023 geht das traditionsreiche Magazin unter das Dach des renommierten Theaterverlags Friedrich Berlin und erscheint zukünftig mit der „Opernwelt“, „Theater heute“, „tanz“ und „Bühnentechnische Rundschau“ im Umfeld aufmerksamkeitsstarker Kulturmedien und Fachzeitschriften.

„Unsere Vision der vergangenen Jahre, ‚orpheus‘ als informatives Publikumsmedium rund um Oper und Musiktheater zu positionieren, ist aufgegangen“, freut sich Chefredakteurin Iris Steiner, zugleich Geschäftsführerin des Orpheus Verlags. „Jetzt erklimmen wir die nächste Stufe und erobern unter dem Stichwort ‚fachkundiges Infotainment‘ vom Augsburger Redaktionsstandort aus den breiten Markt begeisterter Musiktheaterfans im gesamten deutschsprachigen Raum.“ Auch unter neuem Herausgeber erscheint der „orpheus“ unverändert im Zwei-Monats-Rhythmus, das bewährte Team der Orpheus Verlags GmbH um Chefredakteurin Iris Steiner zeichnet auch zukünftig verantwortlich für redaktionelle Inhalte. Vor allem in den Bereichen Marketing und Kommunikation kann der Theaterverlag Friedrich Berlin mit vorhandenen strategischen Möglichkeiten und diversen Win-Win-Partnerschaften beim Ausbau des Magazins neue Akzente setzen. Zum zukunftsfähigen Erscheinungsbild des „orpheus“ setzt man dazu auch gemeinsam auf einen verstärkten, sanften Ausbau des digitalen Angebots.

„‚orpheus‘ ist eine wunderbare Ergänzung zu unseren bisherigen Titeln, insbesondere zur ‚Opernwelt‘“, so die Geschäftsführer des Theaterverlages Torsten Kutschke und Sönke Reimers. „Im Jahresblick gibt es kaum inhaltliche Überschneidungen bei Themen, beide Medien haben ihre eigene Handschrift, die sie auch beibehalten werden. Sie sind hoch anerkannt und haben über Jahre hinweg ihre jeweilige Leserschaft gefunden.“ 

Zum Tod von Franz Hummel

Musikalischer Nachruf auf einen, der in keine Schublade passen wollte

Musikalischer Nachruf auf einen, der in keine Schublade passen wollte

Generell bieten die Sinfoniekonzerte der Meininger Hofkapelle viel Zeitgenössisches. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Werken, die hohen kompositorischen Standard mit Vorliebe für tonale und freitonale Strukturen vereinen. Zum Beispiel Kompositionen von Thomas Adès, Peter Ruzicka, Peter Leipold oder Detlev Glanert, dessen „Frenesia“ aus dem 2. Sinfoniekonzert „Leidenschaften“ zu Beginn dieser Spielzeit herausgenommen wurde. Denn am 20. August 2022 war der durch Opern wie „Gesualdo“ (Kaiserslautern 1996), „Der Richter und sein Henker“ (Erfurt 2008) oder „Zarathustra“ (Regensburg 2010) bekannte Komponist und Pianist Franz Hummel im Alter von 83 Jahren gestorben. Nun galt es, ihn mit einer Programmänderung zu würdigen.

Jens Neundorff von Enzberg, als Intendant 2021 vom Theater Regensburg an das Staatstheater Meiningen gekommen, schätzte in Hummel einen intelligenten und experimentierfreudigen Grenzgänger zwischen Stilen und Genres, dessen Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ er in Regensburg erstmals an ein Subventionstheater gebracht hatte. Auch den Kompositionsauftrag zum 2016 vom Philharmonischen Orchester Regensburg uraufgeführten Klavierkonzert Nr. 2 „Krieg und Frieden“ hatte Neundorff von Enzberg erteilt. Hummels Stiefsohn Yojo Christen spielte den Solopart nach Regensburg auch in Meiningen, die Witwe und künstlerische Nachlassverwalterin Susan Oswell besuchte das Konzert.

Hummels Opus, das im Titel mit der an den Beginn gesetzten Ouvertüre zu Sergej Prokofjews Tolstoj-Oper „Krieg und Frieden“ korrespondiert, stand zwischen zwei queeren Klangikonen des Konzertrepertoires: dem schon lange zum Kultstück gewordenen Adagio für Streicher op. 11 von Samuel Barber und Tschaikowskis sechster Sinfonie h-moll op. 74. Christen verbarg die beträchtlichen Schwierigkeiten von Hummels Partitur hinter spielerischer Leichtigkeit und artistischer Bravour. Den letzten Satz des halbstündigen Konzertstücks hatte Christen selbst komponiert und diesem so einen nur vermeintlich burlesken Abschluss gegeben, der Ernst mit Exaltation camoufliert. Hummels Einstieg in den Kopfsatz „Patriotischer Aufmarsch und Schlacht“ flirtet unverhohlen mit dem Beginn von Tschaikowskis b-Moll-Klavierkonzert, nimmt danach allerdings ganz andere Wendungen. Die Streicher eilen mit Fluten und Böen durch die fülligen und scherzo-artigen Attacken. Der Piano-Part durchmisst alle Affekte fast ohne Innehalten und wendet sich mit fintenreicher Hymnik an die Hörer. Die Meininger Hofkapelle unter GMD Philippe Bach nahm die gestenreiche wie dramatisch sprunghafte Partitur als leichtfertige Leistungsschau und lässig bewältigten Präzisionsnachweis. Das hätte auch Franz Hummel gefallen.

Roland H. Dippel

Ein ausführliches Porträt zu Franz Hummel erscheint in unserer Ausgabe Januar/Februar 2023.

Für Gefühle war da keine Zeit

Nachgefragt bei Michael Kupfer-Radecky, dem sehr spontanen „Einspringer-Wotan“ der Bayreuther Premieren-„Walküre“

Nachgefragt bei Michael Kupfer-Radecky, dem sehr spontanen „Einspringer-Wotan“ der Bayreuther Premieren-„Walküre“

Interview Iris Steiner

Wie und wann haben Sie erfahren, dass Sie den dritten Akt der „Walküre“ von Tomasz Konieczny übernehmen sollen? Wie wir wissen, hatte dieser im zweiten Akt einen schweren Bühnenunfall mit einer Liege, die unter ihm zerbrochen ist.

Ich habe das ungefähr 20 Minuten nach Beginn des zweiten Akts erfahren – zuhause in meiner Wohnung außerhalb von Bayreuth. Das Festspiel-Betriebsbüro rief an und meinte: „Michael, könntest Du vielleicht kurz kommen? Wir wissen gerade nicht genau, was passiert – komm bitte sicherheitshalber mal.“ Ja, dann bin ich hin. Anderthalb Stunden vor Beginn des dritten Akts war ich im Festspielhaus und fünf Minuten nach Beginn der Pause nach dem zweiten Akt hieß es: „Michael, jetzt übernimm bitte den dritten.“

Waren Sie denn als Cover für die Partie vorgesehen?

Nein, aber ich hatte vor sechs, sieben Wochen eine sogenannte Stand-in-Probe. Der Kollege Konieczny konnte damals noch nicht vor Ort sein, aber das Regieteam brauchte jemanden, der bei den Bühnenproben da steht, damit die Kolleginnen und Kollegen einfach eine Bezugsperson haben. Deswegen habe ich zwei Tage quasi mitgeprobt, aber danach die Regie und das, was ich dort aufgenommen hatte, sofort wieder vergessen. Weil ich ja kein offizielles Cover war.

Es war Ihr erster und dann noch sehr spontaner Wotan-Einsatz in Bayreuth. Ihr Schluss als trauriger Gott war für uns einer der bewegendsten Momente des Abends. Was haben Sie in diesem Moment und kurz vorher gefühlt? Über was denkt man in einem solchen Augenblick nach?

Tja, die Gefühle vorher und nachher: privat gar keine, denn dafür hat man keine Zeit. Was ich noch sehr gut aus den Proben wusste, war die intensive Charaktersituation, die mir Valentin Schwarz geschildert hatte. Das konnte ich mir sehr gut zurückrufen. Und diese Emotion des Alleinseins, des Wegschickens des liebsten Menschen, was einen völlig zerbricht und dass die eigene Welt, das eigene Drumherum zusammenbricht und nicht mehr funktioniert, das kam in dem Moment in mir hoch, als ich dort auf der Bühne lag.

Kann eine solche Situation eine Karriere auch negativ beeinflussen? Hatten Sie Angst, vor den Ohren der Opern-Weltöffentlichkeit zu scheitern?

Ich habe wie gesagt nicht so viele Gedanken daran verschwendet in dem Moment oder davor. Danach, als der Vorhang zuging, dachte ich mir schon: Gott, was hast Du jetzt gemacht …! Da kam’s dann bei mir erst an. Es sind mir ja doch – da ich die Partie länger nicht gesungen, aber präsent hatte – ein, zwei Textfehler passiert. Und auch hier und da war ich nicht immer ganz mit Cornelius Meister zusammen … aufgrund der Situation des Einspringens. Da gab’s dann kurz schon den Moment, in dem man überlegt, ob das jetzt richtig war. Hätte ich es rein aus karrieretechnischen Gründen nicht lieber lassen sollen? Aber dann hat beim Vorhang-Rausgehen das wunderbare Entgegenkommen des Publikums und die schöne Presse danach bestätigt, dass es die richtige Entscheidung war. Und jetzt schauen wir mal.

Weil Sie das gerade eben erwähnt hatten: Wann und wo haben Sie den Wotan denn schon gesungen?

Das letzte Mal vor anderthalb Jahren am New National Theatre Tokyo, davor an der Staatsoper Budapest, am Staatstheater Oldenburg und ganz zu Beginn bei den Tiroler Festspielen Erl.

Vier Tage nach seinem Spontan-Einspringen das eigentliche Debüt: Als Gunther („Götterdämmerung“) war Michael Kupfer-Radecky nach Bayreuth engagiert worden (Foto Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath)

Wie waren generell die Reaktionen auf Ihren Einspringer-Einsatz? Die Kritik hat mit Lob ja nicht gespart, wie Sie selber sagen …

(lacht) Das ging auch so weiter im Privaten. Ich hatte so etwas noch nie erlebt. Als die Vorstellung vorbei und ich mit den Kolleginnen und Kollegen bei einem Aftershow-Bier war, ist mein Handy explodiert. Das kannte ich zwar von Kollegen schon, aber wie viele Nachrichten da auf einmal gekommen sind von Menschen, mit denen ich überhaupt nicht gerechnet hatte, war schon sehr erstaunlich. Die Reaktionen waren von professioneller wie von privater Seite unglaublich positiv und sehr, sehr erfreulich.

Möchten Sie den Wotan in Bayreuth denn generell einmal in Erstbesetzung singen?

Naja, diese Frage mit „Nein“ zu beantworten, wäre natürlich nicht richtig. (lacht)

Andersherum gefragt: Sind Ihre Chancen jetzt gestiegen, den Wotan in Bayreuth einmal in Erstbesetzung singen zu können?

Ach, das weiß ich gar nicht. Das hängt von so vielen Dingen ab, da bin ich realistisch. Ich glaube, ich habe eine gute Visitenkarte abgegeben – und werde einfach warten, was passiert. Ich habe einen sehr guten Kontakt zur Festspielleitung hier und werde den aktuellen „Ring“ als Gunther auf jeden Fall bis zum Ende begleiten, das steht schon fest. Was dann darüber hinaus passiert – jetzt speziell bei den Bayreuther Festspielen – das wird man sehen in den nächsten Monaten oder im nächsten Jahr. Klar, der Wunsch wäre da, das wäre sicher ein Traum. Aber ob die Chancen größer oder weniger groß dadurch geworden sind, kann ich nicht beurteilen.

Sie haben in Ihrer eigentlichen Rolle als Gunther ebenfalls durchweg positive Kritiken erlebt und sind auch positiv in Erscheinung getreten. Der Beifall des Bayreuther Publikums hat das auch bestätigt. Die Regie fiel dagegen weitgehend durch. Sie hätten jetzt die Chance, etwas zu Valentin Schwarz’ Konzept zu erzählen, was wir bisher noch nicht wussten und vielleicht wissen sollten.

Ehrlich gesagt, hat uns Valentin zumindest in der Arbeit an der „Götterdämmerung“ mit allem, was davor passiert, nicht so sehr „belästigt“, damit wir uns auf das Eigentliche konzentrieren. Ich habe erst mit den Generalproben einen großen Bogen bekommen und dann aber viele Sachen, die wir in der „Götterdämmerung“ gemacht haben, verstanden und nachvollziehen können. Ich bin aber natürlich auch sehr beteiligt und sehr „mit drin“ durch die ganze Probenarbeit und das intensive Miteinander-Arbeiten. Ich sehe da eine Linie. Ob die jetzt richtig ist oder nicht für den Einzelnen, möchte ich nicht beurteilen, das steht mir auch nicht zu. Ich verstehe sie, finde sie gut und habe Spaß daran gehabt. Valentin Schwarz hat es verstanden, uns als Sänger-Team mit seinen Ideen zu begeistern, es war ein sehr schönes, intensives Arbeiten mit ihm. Das ist heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich.

Unspektakuläre Meisterschaft

Zum Tod von Bernard Haitink

Zum Tod von Bernard Haitink

von Dr. Wolf-Dieter Peter

So geht es in unseren Zeiten des Spektakulären, Grellen, Sensationellen erfreulicherweise auch: einfach Können. Doch das auf höchstem Niveau. Und noch einmal erfreulich: einfach solide und „künstlerisch gesund“ gewachsen. Das prägt den Gesamteindruck der internationalen Dirigentenpersönlichkeit Bernard Haitink. Prompt sagte ihm der damals führende englische Musikkritiker: „Sie sind viel zu vernünftig für einen Dirigenten.“

Schritt für Schritt zur Weltkarriere

Der 1929 in Amsterdam geborene Haitink absolvierte erst nach dem Violin-Studium eine zweijährige Dirigier-Ausbildung. Als prägende Persönlichkeit nannte er später immer wieder Ferdinand Leitner. Der bot ihm eine Stelle in Stuttgart an und half dann bei Haitinks Entscheidung: Zweiter Dirigent beim Niederländischen Radioorchester. Laufbahn-typisch: 1956 ein Einspringen für Carlo Maria Giulini beim Royal Concertgebouw Orchestra, weitere Engagements über acht Jahre hinweg und dann 1964 Künstlerischer Direktor dieses Elite-Ensembles. Ihm blieb er lebenslang verbunden – mit kritischen, nie persönlichen, immer künstlerisch motivierten Bruchstellen: Einmal wendete seine Kündigungsdrohung drastische finanzielle Kürzungen ab, die 23 Instrumentalisten ihre Stellung gekostet hätte; Jahre später konnte ein Streit über schon gestrichene Assistenten-Stellen durch einen Sponsor beigelegt werden. Im Juni 2019 dirigierte er in Amsterdam das erste seiner weltweiten Abschiedskonzerte.

Dazwischen liegt viel musikdramatischer Lexikon-Stoff: immer mehrjährige Phasen, denn Haitink liebte es, im Team zu arbeiten, so mit dem London Philharmonic Orchestra, dem Boston Symphony Orchestra, der Staatskapelle Dresden, dem London Symphony Orchestra, dem Chicago Symphony Orchestra samt regelmäßiger Dirigate in Wien und Paris sowie als Ehrendirigent der Berliner Philharmoniker. 1987 folgen fünf Jahre als Musikdirektor der Royal Opera Covent Garden. Haitinks Sinn für dramatische Mahler-Interpretationen führte dazu, dass das hochrenommierte Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ihn zu einer Gesamtaufnahme von Wagners „Ring“ nach München holte, ergänzt durch viele andere Einspielungen. Insgesamt ist seine Weltkarriere durch eine wahre Fülle an Aufnahmen und Mitschnitten dokumentiert. Er selbst schätzte im Interview den Wechsel zwischen Podium und Graben: Oben reizte ihn, mit zweitausend Augenpaaren im Rücken, diese „einsam-gemeinsame“ Verantwortung von ihm und Orchester, im Moment des Musizierens die Komposition zu verwirklichen; unten liebte er im Zusammenwirken von ihm, Orchester, Solisten und Bühne das Entstehen von emotionaler Dramatik, die es sonst nirgendwo zu erleben gab.

60 Jahre Routine?

Um Haitink war kein Glitter & Glamour, dafür aber der Atem für den großen Bogen und frisch wirkende Authentizität: Er dirigierte nie aus seinen alten Partituren, sondern kaufte bei der Wiederbegegnung mit einem Werk eine neue Taschenbuch-Ausgabe und suchte mit jedem neuen Orchester im anderen Saal eine Interpretation abseits der Routine. So wurde er als stilsicherer Interpret des großen klassischen Repertoires geschätzt, das von Mozart und Beethoven bis zu Strauss reichte. Doch er griff auch zurück auf Haydn, dirigierte andererseits den Zeitgenossen Turnage und las ständig neue Partituren. Ihn freute, „Parsifal“ dirigiert – und er bedauerte, „Tristan“ „versäumt“ zu haben.

Einem nicht öffentlich breitgetretenen Privatleben – immerhin vier Ehen – entsprach eine skandalfreie Karriere von fast 60 Jahren. Mit feinem Lächeln sagte er einem Kritiker der New York Times „Auch Dirigenten haben ihr Verfallsdatum“ – und zog sich mit einer fast weltweit gespannten Kette von Abschiedskonzerten 2019 vom Podium zurück. Nun ist er von seinem Londoner Zuhause aus in den Musikolymp aufgestiegen.

Mit Spannung erwartet

„Fire Shut Up in My Bones“ an der Met

„Fire Shut Up in My Bones“ an der Met

Ganz besonders hinweisen möchten wir auf eine historische Premiere: Als erste Oper eines afroamerikanischen Komponisten geht „Fire Shut Up in My Bones“ in die 138-jährige Aufführungsgeschichte der Metropolitan Opera in New York ein. Der amerikanische Jazzkomponist und Trompeter sowie sechsfache Grammy-Gewinner Terence Blanchard beschert seinem Werk breite musikalische Monologe, Gospelchöre und unvorhersehbare Melodien. Berühmt wurde er mit kraftvollen Filmmusiken, die er für die Spielfilme von Spike Lee schrieb.

Das Libretto von Kasi Lemmons erzählt die anrührende und tiefgründige Geschichte eines jungen Mannes, der seine Stimme erst findet, nachdem er sich mit seiner schmerzhaften Vergangenheit auseinandergesetzt hat. Verkörpert wird die Hauptrolle des Charles von Bariton Will Liverman, einem aufregenden jungen Opernsänger der Gegenwart. Die Starsopranistinnen Angel Blue und Latonia Moore übernehmen die weiblichen Hauptrollen. Als Dirigent für die Adaption der bewegenden Memoiren von Charles M. Blow konnte der musikalische Direktor der Metropolitan Opera, Yannick Nézet-Séguin, gewonnen werden.

„Fire Shut Up in My Bones“ setzt aber noch einen weiteren Meilenstein: Camille A. Brown, die bei dieser Neuinszenierung gemeinsam mit James Robinson Regie führt und damit die erste schwarze Regisseurin ist, die jemals eine Bühnenproduktion an der Met inszeniert. Sie zeichnet auch für die Choreografie verantwortlich. Die umjubelte Uraufführung 2019 am Opera Theatre of Saint Louis wurde von der New York Times als „kühn und berührend“ und „subtil kraftvoll“ gewürdigt.

Unsere Autorin Gabriela Scolik wird die Übertragung der Produktion im Rahmen von „Met Opera live im Kino“ am 23. Oktober besuchen und anschließend im „orpheus“ ausführlich darüber berichten.

zur Website von „Met Opera live im Kino“