Musikalischer Nachruf auf einen, der in keine Schublade passen wollte
Generell bieten die Sinfoniekonzerte der Meininger Hofkapelle viel Zeitgenössisches. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Werken, die hohen kompositorischen Standard mit Vorliebe für tonale und freitonale Strukturen vereinen. Zum Beispiel Kompositionen von Thomas Adès, Peter Ruzicka, Peter Leipold oder Detlev Glanert, dessen „Frenesia“ aus dem 2. Sinfoniekonzert „Leidenschaften“ zu Beginn dieser Spielzeit herausgenommen wurde. Denn am 20. August 2022 war der durch Opern wie „Gesualdo“ (Kaiserslautern 1996), „Der Richter und sein Henker“ (Erfurt 2008) oder „Zarathustra“ (Regensburg 2010) bekannte Komponist und Pianist Franz Hummel im Alter von 83 Jahren gestorben. Nun galt es, ihn mit einer Programmänderung zu würdigen.
Jens Neundorff von Enzberg, als Intendant 2021 vom Theater Regensburg an das Staatstheater Meiningen gekommen, schätzte in Hummel einen intelligenten und experimentierfreudigen Grenzgänger zwischen Stilen und Genres, dessen Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ er in Regensburg erstmals an ein Subventionstheater gebracht hatte. Auch den Kompositionsauftrag zum 2016 vom Philharmonischen Orchester Regensburg uraufgeführten Klavierkonzert Nr. 2 „Krieg und Frieden“ hatte Neundorff von Enzberg erteilt. Hummels Stiefsohn Yojo Christen spielte den Solopart nach Regensburg auch in Meiningen, die Witwe und künstlerische Nachlassverwalterin Susan Oswell besuchte das Konzert.
Hummels Opus, das im Titel mit der an den Beginn gesetzten Ouvertüre zu Sergej Prokofjews Tolstoj-Oper „Krieg und Frieden“ korrespondiert, stand zwischen zwei queeren Klangikonen des Konzertrepertoires: dem schon lange zum Kultstück gewordenen Adagio für Streicher op. 11 von Samuel Barber und Tschaikowskis sechster Sinfonie h-moll op. 74. Christen verbarg die beträchtlichen Schwierigkeiten von Hummels Partitur hinter spielerischer Leichtigkeit und artistischer Bravour. Den letzten Satz des halbstündigen Konzertstücks hatte Christen selbst komponiert und diesem so einen nur vermeintlich burlesken Abschluss gegeben, der Ernst mit Exaltation camoufliert. Hummels Einstieg in den Kopfsatz „Patriotischer Aufmarsch und Schlacht“ flirtet unverhohlen mit dem Beginn von Tschaikowskis b-Moll-Klavierkonzert, nimmt danach allerdings ganz andere Wendungen. Die Streicher eilen mit Fluten und Böen durch die fülligen und scherzo-artigen Attacken. Der Piano-Part durchmisst alle Affekte fast ohne Innehalten und wendet sich mit fintenreicher Hymnik an die Hörer. Die Meininger Hofkapelle unter GMD Philippe Bach nahm die gestenreiche wie dramatisch sprunghafte Partitur als leichtfertige Leistungsschau und lässig bewältigten Präzisionsnachweis. Das hätte auch Franz Hummel gefallen.
Roland H. Dippel
Ein ausführliches Porträt zu Franz Hummel erscheint in unserer Ausgabe Januar/Februar 2023.