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Medien 2021/01

Ein neuer Repertoire-Klassiker

Thomas Pigor u.a.: „Drei Männer im Schnee“

Thomas Pigor u.a.: „Drei Männer im Schnee“

Vor über zwei Jahren gab Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger dem Genre-erfahrenen Thomas Pigor den Auftrag zu einer Revue-Operette im Stil der 1920-30er Jahre. Die Wahl fiel auf ein durch zahlreiche Hörspiele und Verfilmungen populäres Werk von Erich Kästner. Endlich – denn Kästners Texte sind „Musik-affin“: Chansons mit seinen Gedichten zeugen davon, auch viele luftig leichte und kess-freche Passagen in den Romanen „schreien“ nach Vertonung. Kästners 1934 in Zürich – als Beispiel für die umstrittene „Innere Emigration“ – erschienener Roman „Drei Männer im Schnee“ mit seinen gesellschaftlichen Verkleidungen und Verwechslungen von „Oben“ und „Unten“ funkelt vor Situations- und Wortwitz samt kleinen politischen Seitenhieben. Thomas Pigors oft pointierte, auf CD leider verknappte Dialoge verbinden insgesamt 26 Musiknummern, für die Pigor selbst sowie sein langjähriger Kabarett-Partner Benedikt Eichhorn, Christoph Israel und Konrad Koselleck Texte und schmissig eingängige Musik geschrieben haben. Weills Song-Stil, Walzer, Schlager, Tango, grässlich ironische Jodl- und Zither-Einlagen, Foxtrott und Charleston – all das serviert Dirigent Andreas Kowalewitz mit dem um eine Jazz-Band erweiterten Gärtnerplatzorchester: im Mitschnitt anfangs etwas trocken, dann vibrierend und animierend. Der quirlige Galopp „Drei Männer im Schnee“, die Ensemble-Nummer über den Berg „Fragen wir doch einfach mal den Wolkenstein“, schließlich das nach vielen Kratzbürstereien doch mögliche Liebesduett „Komm unter die Laterne, süße, kleine Subalterne“ zwischen Habenichts Hagedorn und Industriellen-Tochter Hilde. Diese Nummern haben Hit-Qualitäten.

Regisseur-Intendant Josef E. Köpplinger beherrscht das temporeiche Spiel und fordert seine auch hörbar typgerechten Solisten in Mini-Dialogen entsprechend. Alle überragt Erwin Windeggers Tycoon Tobler, der durch alle Schikanen der Hotelleitung hindurch als verkleideter „armer Schlucker“ hübsch entlarvende Alltagserfahrungen macht und in Hagedorn einen Freund findet.

Doch speziell die von Adam Cooper stupend choreographierte Stepp-Nummer „Skifahr’n im Schnee“ auf Holzskiern (!) macht klar: Kästners „Ausflucht-Roman“ trifft als Musiktheater stilistisch die pulsierend witzige Revue-Operette jener kulturell überbordenden Weimarer Jahre und verdient in Köpplingers temporeich pfiffiger Inszenierung eigentlich eine DVD-Aufzeichnung. Jetzt ist nur zu hören, dass das Staatstheater am Gärtnerplatz dabei ist, einen neuen Repertoire-Klassiker zu etablieren.   

Wolf-Dieter Peter

INFOS ZUR CD

Thomas Pigor u.a.: „Drei Männer im Schnee“ (2019)
Revueoperette nach Erich Kästner
Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz – Andreas Kowalewitz
1 CD, con anima

Hörenswerte Frühwerk-Neuentdeckung mit Elsa Dreisig

Jules Massenet: „Don César de Bazan“

Jules Massenet: „Don César de Bazan“

Jules Massenets erste abendfüllende Oper „Don César de Bazan“ beruht auf dem gleichnamigen Lustspiel des französischen Dramatikers Dumanoir. Im Zentrum des Geschehens: Straßensängerin Maritana, die dem König von Spanien den Kopf verdreht. Um seine Mätresse zu werden, soll sie standesgemäß mit dem Edelmann Don César verheiratet werden. Klar, dass beide sich verlieben und die höfischen Intrigen überwinden.  

Das Stück war die Basis für zwei musikalische Publikumsrenner des 19. Jahrhunderts: die Oper „Maritana“ von William Vincent Wallace und Rudolf Dellingers Operette „Don Cesar“ mit fast 1.500 Aufführungen. Solch großer Erfolg war Massenets 1872 entstandener Vertonung leider nicht beschieden. Es gab lediglich dreizehn Vorstellungen und auch die Neufassung, die der Komponist vornahm, weil das Original verbrannte, erlebte nur vereinzelte Wiederaufnahmen. Erst 2016 erinnerte sich die französische Operntruppe Les Frivolités Parisienne an das Frühwerk, rekonstruierte die Partitur für eine Tournee-Produktion und bannte sie auf CD. Mathieu Romano ist der musikalische Leiter, der die mit viel spanischem Flair und Sentiment ausgestattete Oper geschmack- und temperamentvoll dirigiert. Elsa Dreisig singt die Maritana mit Charme, leuchtendem Sopran und filigranen Verzierungen in der „Ballade aragonaise“. Kein Wunder, dass sie den König, dem Thomas Bettinger tenorale Eleganz gibt, bezaubert. Doch hat dieser gegen die stimmliche Noblesse und Ausdruckskunst von Don César – alias Bariton Laurent Naouri – keine Chance bei ihr. Trefflich besetzt ist auch der Bursche Lazarille, den Massenet mit zwei innigen Romanzen bedacht hat. Marion Lebègue singt sie mit warmem Mezzosopran, der zudem im Nocturne-Duo aufs Schönste mit Elsa Dreisig harmoniert.

Karin Coper

INFOS ZUR CD

Jules Massenet: „Don César de Bazan“ (1872)
Naouri, Dreisig, Lebègue, Bettinger, Helmer, Moungoungou
Ensemble Aedes, Les Frivolités – Mathieu Romano
2 CDs, Naxos

Ein Feuerwerk!

Jean-Baptiste Lully / Louis-Joseph Francœur: „Armide 1778“ & André-Ernest-Modeste Grétry: „Richard Cœur de Lion“

Jean-Baptiste Lully / Louis-Joseph Francœur: „Armide 1778“ & André-Ernest-Modeste Grétry: „Richard Cœur de Lion“

Hervé Niquet ist ein musikalischer Tausendsassa, der als Cembalist, Organist, Pianist, Sänger, Chorleiter und Dirigent reüssiert hat. 1987 gründete er sein eigenes Orchester Le Concert Spirituel, anfangs vor allem für Barock-Projekte. Inzwischen wirkt es aber auch regelmäßig bei Niquets Erkundungen auch späterer Epochen mit, insbesondere der französischen Oper. Jüngste Ausbeute dieser inspirierenden Kooperation sind die CD-Aufnahmen der Bühnenwerke „Armide 1778“ und „Richard Cœur de Lion“, die beide vor instrumentaler Vitalität und klangfarblicher Fantasie nur so sprühen.

„Armide 1778“ basiert auf Jean-Baptiste Lullys Antikentragödie, die für eine geplante Reprise an der Pariser Oper zeitgemäß bearbeitet werden sollte. Den Auftrag übernahm der Komponist Louis-Joseph Francœur, fügte neue Musiknummern ein und verstärkte die Orchesterbegleitung. Eine Premiere – gedacht als Konkurrenz zu Glucks kurz vorher entstandener Version – kam allerdings nie zustande und „Armide“ schlummerte im Archiv, bis sich Hervé Niquet ihrer annahm und mit einer illustren Besetzung einspielte. Véronique Gens singt die Titelrolle in blendender stimmlicher Verfassung, ihr passionierter Gesang, die Intensität der Gestaltung und die Palette an Ausdrucksnuancen für die wechselnden Affekte machen sie zur idealen Interpretin der zwischen Liebe und Hass schwankenden Zauberin. Mit Bariton Tassis Christoyannis und Tenor Reinoud van Mechelen sind weitere Könner am Werk, die für Stimmqualität und stilistisches Einfühlungsvermögen stehen.

Hervé Niquets zweiter Streich gilt André-Ernest-Modeste Grétrys 1784 in Paris herausgekommener Oper „Richard Cœur de Lion“, die 2019 auf Initiative des Dirigenten im Schlosstheater Versailles erfolgreich wiederaufgeführt wurde. Die stimmige, charmant historisierende und zudem humorvolle Inszenierung von Marshall Pynkowski liegt nun auf DVD vor, ergänzt um eine CD in fast identischer Besetzung. Der knapp neunzigminütige Dreiakter, eine der ersten Rettungsopern, erzählt die fiktive Befreiung des englischen Königs Richard Löwenherz durch den Minnesänger Blondel und verknüpft sie mit heiteren Volksszenen und verklärter Mittelalterromantik. Die Musik Grétrys, in der sich schlichte Romanzen, spritzige Ensembles und höfische Tänze die Hand reichen, funkelt in jedem Moment durch Niquets unbedingte Energie. Dabei kann er auf ein junges Gesangsensemble mit stimmlicher Flexibilität bauen, das zudem herzerfrischend agiert. Besondere Wandlungsfähigkeit beweist Marie Perbost in der Doppelrolle des Burschen Antonio und der Gräfin. Melody Louledjian ist eine reizende Laurette – ihre Arie „Je crains de lui parler la“ kennt man aus Tschaikowskis Oper „Pique Dame“, wo sie von der alten Gräfin zur Erinnerung an alte Zeiten gesungen wird. Der tenorale Wohlklang von Rémy Mathieu als Blondel (auf der CD ist es Enguerrand de Hys) und Reinoud van Mechelen als Richard macht das vokale Glück perfekt. Ob szenisch oder rein akustisch: dieser „Richard Cœur de Lion“ bietet Vergnügen im Doppelpack.

Karin Coper

INFOS ZU DEN PRODUKTIONEN

Jean-Baptiste Lully / Louis-Joseph Francœur: „Armide 1778“
Gens, van Mechelen, Christoyannis, Jeffery, Watson, Martin, Wilder
Le Concert Spirituel – Hervé Niquet
2 CDs, Alpha Classics


André-Ernest-Modeste Grétry: „Richard Cœur de Lion“ (1784)
Hervé Niquet (Dirigat), Marshall Pynkowski (Inszenierung)
Le Concert Spirituel
1 DVD und 1 CD, Chateau de Versailles

Im Portrait: Livine Mertens

„Livine Mertens, Mezzo-soprano. Airs et mélodies“

„Livine Mertens, Mezzo-soprano. Airs et mélodies“

Das Belgische Label Musique en Wallonie wurde 1971 gegründet, um das musikalische Erbe der wallonischen Region zu pflegen. Im Fokus stehen daher Aufnahmen von Werken nationaler Komponisten, darunter viele unbekannte. Ein weiterer Schwerpunkt des Interesses sind Arienporträts historischer einheimischer Gesangspersönlichkeiten, Opernstars wie Lucienne Delvaux oder Pierre d’Assy. Die jüngste Veröffentlichung gilt der 1898 geborenen Mezzosopranistin Livine Mertens. Sie debütierte 1923 an der Brüsseler Oper, eroberte sich schnell große Rollen wie Carmen, Mignon, Octavian oder Charlotte, sang aber auch viel Zeitgenössisches und Operetten. Während der Besetzung Belgiens durch die Nationalsozialisten engagierte sie sich im Widerstand, wurde zweimal inhaftiert und zog sich deshalb aus Sicherheitsgründen weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Nach der Befreiung trat sie wieder in Brüssel auf, verkündete aber 1945 – vermutlich wegen interner Intrigen – ihren Rückzug.

Das mit schönen Fotos ausgestattete Album versammelt Aufnahmen vom Anfang der dreißiger Jahre wechselweise mit Orchester- oder Klavierbegleitung. Mertens besitzt eine schlanke, kultiviert geführte Stimme von heller Farbe und leichter Höhe. Sie bringt Stilbewusstsein für das französische Repertoire mit, überzeugt aber auch als freche Operetteninterpretin in Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ und Suppés „Boccaccio“. Besonderen Reiz erhält das Album durch einige Raritäten wie den Gesangswalzer von Louis Hillier, dazu kommen Ballett-Intermezzi, temperamentvoll dirigiert vom Ehemann der Mertens, Maurice Bastin.

Karin Coper

INFOS ZUR CD

„Livine Mertens, Mezzo-soprano. Airs et mélodies“
1 CD, Musique en Wallonie

Tenor ohne Attitüden

Matthias Herrmann (Hrsg.): Begegnungen mit Peter Schreier

Matthias Herrmann (Hrsg.): Begegnungen mit Peter Schreier

Statt ein Leben von A nach Z zu durchschreiten, hat Herausgeber Herrmann die Form des Mosaiks gewählt: Neben Herbert Blomstedts Geleitwort, vier Preisreden, drei „Aspekte“-Texten von Dirigenten und Musikwissenschaftlern und zwei Gedenkreden aus dem Abschiedsgottesdienst in Dresdens Kreuzkirche schildern 30 Sanges-Kolleginnen und -Kollegen, Begleiter und andere Instrumentalisten sowie Komponist Siegfried Matthus ihre Begegnungen mit Peter Schreier. Er erscheint als „Kruzianer“ des berühmten Chores – also Knaben-Altist – und dann auch weltweiter Oratorien-Solist, Opernsänger, Liedinterpret, Dirigent sowie als sein eigener, kritischer „Gegenhörer“ im Aufnahmestudio. Klar wird dem Leser die verinnerlichte Disziplin aus dem Chor über alle Bühnen der Musikwelt bis hin zur Intimität des Liedpodiums – über rund 70 Karrierejahre hinweg! Hinzu kommen Schreiers fundierte Stilkenntnisse, seine glasklare Diktion und sichere Intonation – was die hübsche Anekdote ermöglicht: Edda Moser versingt sich im Konstanze-Belmonte-Duett – und Schreier singt ihre „Improvisation“ souverän mit und nach, um nachher ruhig zu behaupten, das sei eine „andere Fassung“ gewesen…

Parallel zu derartigem begleitet ihn lebenslang der Witz über seinen völlig unzutreffenden Familiennamen. Freund und Organist Hansjörg Albrecht bemängelt immerhin Schreiers Schweigen in und um „1989“ und führt seine Behauptung an, „unpolitisch“ zu sein. Sein internationaler Durchbruch durch die freundschaftliche Empfehlung Fritz Wunderlichs und die „Übernahme“ nach dessen Tod 1966 werden deutlich. Schreiers Stimme selbst wird nur mit seiner „zuchtvollen Art“ beschrieben sowie die generelle Distanz des Künstlers zum „Theaterspielen“ hervorgehoben. Von Opernkennern oft als „anima candida“-Singen ohne Opern-Blut und -Leidenschaft bezeichnet, ist er der weltweit geschätzte, aber eben nur berichtende Evangelist im Oratorium. Doch überraschte Schreier speziell im späten Teil seiner Karriere etwa in Schuberts „Winterreise“ nicht nur durch das vokale Gestalten des Todes des Wandergesellen, sondern vor allem durch die Beschwörung eisiger Vereinsamung, von existentiellem Verlöschen in fahlen Tönen. Eine unvergessliche Erinnerung an einen großen Künstler auf dem Münchner Podium – fern heutiger Selbstinszenierung und Selbstüberschätzung.

Wolf-Dieter Peter

INFOS ZUM BUCH

Matthias Herrmann (Hrsg.): Begegnungen mit Peter Schreier
256 Seiten, Sax-Verlag

Ein Filmkomponist macht Oper – und wie!

Malcolm Arnold: „The Dancing Master“

Malcolm Arnold: „The Dancing Master“

Der Brite Malcolm Arnold (1921-2006) war ein Vielschreiber, wurde aber hauptsächlich durch seine über 100 Kino-Soundtracks bekannt, zu denen der mit einem Oscar gekrönte Streifen „Die Brücke am Kwai“ gehört. Sein Werk wird von Sinfonischem, Balletten und Konzerten für diverse Blasinstrumente dominiert, die zwei vollendeten Opern gehen darin fast unter. Zu Unrecht, was den gerade veröffentlichten Einakter „The Dancing Master“ betrifft, der auf einem Lustspiel aus dem 17. Jahrhundert basiert. Titelfigur ist Schürzenjäger Gerard, der die reiche Erbin Miranda erobert hat, obwohl diese nach dem Willen von Vater und Tante einen eitlen Dandy heiraten soll. Mit Hilfe ihrer pfiffigen Zofe gibt Miranda den Geliebten daher als Tanzlehrer aus, um dessen Anwesenheit zu rechtfertigen. Das ist der zentrale Ausgangspunkt für eine Typenkomödie, die Arnold zu einer modernen Opera buffa inspirierte: musikalisch frisch, delikat instrumentiert und kurzweilig durch den Wechsel von Gesangsromantik und Ensemblewitz. Das Werk entstand 1952 in nur zwei Wochen für das BBC-Fernsehen, doch wurde es wegen des für damalige Verhältnisse anzüglichen Librettos abgelehnt und erst 1962 semiprofessionell aufgeführt. Dem Dirigenten John Andrews ist die Ausgrabung und ihre sachkundige musikalische Einstudierung zu verdanken. Das Resultat: eine funkelnde Wiedergabe durch das BBC Concert Orchestra und das vorzügliche, pointiert gestaltende Vokalquintett um Eleanor Dennis als sopransüße Miranda.

Karin Coper

INFOS ZUR CD

Malcolm Arnold: „The Dancing Master“ (1952)
Dennis, Carby, Kimm, Lyon, Wilde, Broadbent
BBC Concert Orchestra – John Andrews
1 CD, resonus

Opulent entlarvtes Star-Gehabe

Adolphe Adam: „Le postillon de Lonjumeau“

Adolphe Adam: „Le postillon de Lonjumeau“

Da gibt es diesen feschen Zusteller mit der tollen Stimme im armen Liverpool: Manager Epstein taucht auf und organisiert eine Hollywoodeske Karriere bei Mogul Weinstein, die verlassene Braut macht derweil Karriere als Top-Model, nach Jahren begegnen sich Pop-Star und Model wieder – und fertig ist die ewig moderne Rock-Oper! Halt, jetzt beweist die „Provinzoper“ Rouen in Zusammenarbeit mit der Pariser Opéra Comique: Obige Story gibt es auch im Gewand des 18. Jahrhunderts. Damals war der Postillon der „newsman“ schlechthin – und hatte auch ein Liebchen allenthalben. All das hat Adolphe Adam 1836 – die Eisenbahn verdrängte langsam den Postillon – als Liebesdrama zu Zeiten Ludwigs XV. komponiert. Adams Postillon will in Lonjumeau gerade Madeleine heiraten, singt ein tolles Lied bis zum hohen D – und wird vom durchreisenden Königlichen „Directeur de l’amusement musicale“ sofort an die Pariser Oper verlockt. Nach zehn Jahren ist er zum Startenor Saint-Phar avanciert, Madeleine hat reich geerbt und wird in Paris als Madame de Latour umschwärmt. Ein Traumpaar … doch die beiderseits unerfüllte Liebe … mehr sei nicht verraten.

Adam hat eine mal frech-fröhliche, mal anspruchsvoll lyrische Musik für allerlei Turbulenzen bis zur Bigamie komponiert. Es ist viel, viel mehr als die berühmte Tenorarie, was Dirigent Sébastien Rouland mit Orchester und Chor aus Rouen als perlenden „Crémant“ servieren! Dazu: Frankreichs Multitalent Michel Fau, Schauspiel-Star und Regisseur, der die Komödien-Ingredienzien „Tempo“, „Ironie“ und fein dosierte „Groteske“ perfekt beherrscht – prompt sind seine Auftritte als ältliche Zofe „Rose“ kleine Knallbonbons. Und: Christian Lacroixs Kostümträume, die Kupferstichen des Ancien Régime entstiegen zu sein scheinen und die hybride Opulenz des Pariser Adels beschwören. Noch einmal gesteigert wird das Ganze durch die prunkvoll stilisierten Prospekte, die Emanuel Charles dem Theater des 18. Jahrhunderts nachempfunden hat. Vor herrlich typgenauen Nebenfiguren brillieren Michael Spyres als Hoher-D-Postillon und Florie Valiquette als Madeleine, die Sopran-Liebreiz und alle weibliche Lebensschlauheit vereint. Ach, wir mit unseren rund 150 unsterblichen Repertoireklassikern – was gibt es jenseits dessen nicht alles zu entdecken!

Wolf-Dieter Peter     

INFOS ZUR DVD/BLU-RAY

Adolphe Adam: „Le postillon de Lonjumeau“ (1836)
Spyres, Valiquette, Leguérinel, Kubla, Fau u.a.
Sébastien Rouland (Dirigat), Michel Fau (Inszenierung)
Chor und Orchester der Opéra de Rouen Normandie
1 DVD/Bluray, Naxos