Statt ein Leben von A nach Z zu durchschreiten, hat Herausgeber Herrmann die Form des Mosaiks gewählt: Neben Herbert Blomstedts Geleitwort, vier Preisreden, drei „Aspekte“-Texten von Dirigenten und Musikwissenschaftlern und zwei Gedenkreden aus dem Abschiedsgottesdienst in Dresdens Kreuzkirche schildern 30 Sanges-Kolleginnen und -Kollegen, Begleiter und andere Instrumentalisten sowie Komponist Siegfried Matthus ihre Begegnungen mit Peter Schreier. Er erscheint als „Kruzianer“ des berühmten Chores – also Knaben-Altist – und dann auch weltweiter Oratorien-Solist, Opernsänger, Liedinterpret, Dirigent sowie als sein eigener, kritischer „Gegenhörer“ im Aufnahmestudio. Klar wird dem Leser die verinnerlichte Disziplin aus dem Chor über alle Bühnen der Musikwelt bis hin zur Intimität des Liedpodiums – über rund 70 Karrierejahre hinweg! Hinzu kommen Schreiers fundierte Stilkenntnisse, seine glasklare Diktion und sichere Intonation – was die hübsche Anekdote ermöglicht: Edda Moser versingt sich im Konstanze-Belmonte-Duett – und Schreier singt ihre „Improvisation“ souverän mit und nach, um nachher ruhig zu behaupten, das sei eine „andere Fassung“ gewesen…

Parallel zu derartigem begleitet ihn lebenslang der Witz über seinen völlig unzutreffenden Familiennamen. Freund und Organist Hansjörg Albrecht bemängelt immerhin Schreiers Schweigen in und um „1989“ und führt seine Behauptung an, „unpolitisch“ zu sein. Sein internationaler Durchbruch durch die freundschaftliche Empfehlung Fritz Wunderlichs und die „Übernahme“ nach dessen Tod 1966 werden deutlich. Schreiers Stimme selbst wird nur mit seiner „zuchtvollen Art“ beschrieben sowie die generelle Distanz des Künstlers zum „Theaterspielen“ hervorgehoben. Von Opernkennern oft als „anima candida“-Singen ohne Opern-Blut und -Leidenschaft bezeichnet, ist er der weltweit geschätzte, aber eben nur berichtende Evangelist im Oratorium. Doch überraschte Schreier speziell im späten Teil seiner Karriere etwa in Schuberts „Winterreise“ nicht nur durch das vokale Gestalten des Todes des Wandergesellen, sondern vor allem durch die Beschwörung eisiger Vereinsamung, von existentiellem Verlöschen in fahlen Tönen. Eine unvergessliche Erinnerung an einen großen Künstler auf dem Münchner Podium – fern heutiger Selbstinszenierung und Selbstüberschätzung.

Wolf-Dieter Peter

INFOS ZUM BUCH

Matthias Herrmann (Hrsg.): Begegnungen mit Peter Schreier
256 Seiten, Sax-Verlag