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Giacomo Puccini

Weniger ist diesmal mehr

Halfing / Immling Festival (Juli 2021)
Puccinis „Madama Butterfly“ glänzt in puristischer Optik

Halfing / Immling Festival (Juli 2021)
Puccinis „Madama Butterfly“ glänzt in puristischer Optik

Wer bei der aktuellen Neuproduktion von Intendant Ludwig Baumann auf den gewohnten inszenatorischen Überraschungseffekt wartet, wird zunächst ein wenig enttäuscht: Betont traditionell in Bühnenbild und Erzählweise kommt diese „Madama Butterfly“ daher – eine japanisch anmutende Papier-Hausfront vor zartrosa Hintergrund, lediglich bewegliche Schiebetüren geben dem „drinnen“ und „draußen“ der Handlung etwas Struktur. Manchmal dienen Lichteffekte und Schattenspiele zur Darstellung dessen, was parallel zur Handlung im Vordergrund dahinter „im Haus“ passiert. Wären da nicht die ausnahmslos prächtigen Kostüme und Masken – sogar der Chor trägt echte japanische Kimonos – gäbe es auf dieser Bühne nicht sehr viel zu sehen. Aber halt: Das Ganze mündet keineswegs in einem langweiligen Opernabend. Ganz im Gegenteil wirkt sich die Reduktion des Optischen wie ein Brennglas auf die akustische Melodramatik von Puccinis Musik aus. Erstaunlicherweise taugt gerade diese Art der Inszenierung hervorragend zum Beweis des dramatischen „Overloads“, den Puccinis Oper zu bieten hat – für ein emotional ausgehungertes Post-Corona-Publikum fast schon zu viel des Guten.

Dass die Idee gar so gut aufgeht, liegt an der herausragenden musikalischen Qualität – unabdingbar für ein solch puristisches Konzept. Allen voran Yana Kleyn, die Interpretin der Cio-Cio-San, der man darstellerisch wirklich alles abnimmt. Vom 15-jährigen Mädchen zur amerikanisch gewandeten „Mrs. Pinkerton“ und einer gebrochenen Madama Butterfly am Ende des Stücks beherrscht die junge Russin die Darstellung der verschiedenen Facetten ihrer Figur meisterhaft. Dazu macht sie mit einer überragenden Gesangsleistung dem Anspruch der Titelprotagonistin alle Ehre – und die Aufführung fast zur „One-Woman-Show“. Jenish Ysmanov ist ihr als Pinkerton mit vor allem in den Höhen strahlendem Schmelz ein ebenbürtiger Partner (keine einfache Aufgabe in diesem Fall). Ksenia Leonidova singt und spielt ihre Suzuki ausdrucksstark und überzeugend, Sergeij Kostov ist ein wunderbar-schmieriger Heiratsvermittler Goro mit auffällig schönem Tenortimbre. Lediglich der Sharpless von Ian Burns kann stimmlich mit dem sehr hohen Niveau nicht ganz mithalten, sein schauspielerisches Talent macht die kleinen Abstriche aber wieder wett. Sämtliche kleinere Solopartien komplettieren das Solistenensemble zu einer runden Gesamtleistung. Wie immer eine „feste Bank“ ist auch hier der Festivalchor Immling (Einstudierung Cornelia von Kerssenbrock), traditionell vorwiegend ein Laienchor mit erstaunlichem Leistungsvermögen und trotz pandemiebedingter Probeneinschränkungen voll spürbarer Begeisterung für die Sache. Die zweite Krone dieses Abends gebührt neben der Sängerin der Titelpartie allerdings eindeutig dem mitreißend spielenden Festivalorchester Immling, das unter der Leitung von Cornelia von Kerssenbrock diesen Puccini zu dem macht, was er ist: zweieinhalb Stunden italienisch-dramatische Sommerfestival-Oper at its best!

Iris Steiner

„Madama Butterfly“ (1904) // Tragedia giapponese von Giacomo Puccini

Infos und Termine zur Produktion auf der Website des Festivals

Kompendium der neu(er)en Musik

Oswald Panagl: „Im Zeichen der Moderne. Musiktheater zwischen Fin de Siècle und Avantgarde“

Oswald Panagl: „Im Zeichen der Moderne. Musiktheater zwischen Fin de Siècle und Avantgarde“

Der Österreicher Oswald Panagl, Jahrgang 1939, großer Opernfreund mit abgeschlossener Gesangsausbildung und Linguist, ist seit Jahrzehnten eine sichere Adresse für ultimative Kenntnis und profunde Einsichten zum Thema Musiktheater. Als emeritierter Professor für allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität Salzburg ist er auch Essayist und Präsident der Internationalen Richard-Strauss-Gesellschaft. Er blickt auf einen umfangreichen Schatz von Monografien und Essays zurück.

Diejenigen, die sich mit der jüngeren Geschichte des Musiktheaters befassen, hat er zu einem hochinteressanten Kompendium zusammengestellt und in ebenso relevante wie aufhellende musikgeschichtliche Zusammenhänge gebracht. Er wollte sich mit einer „Epoche der neu(er)en Musik mit ihren Strömungen, nationalen Varietäten und wichtigen Repräsentanten der einzelnen Sektoren und Stilrichtungen“ befassen und geht dabei von einer „langen“ ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus, die von einem großzügig definierten Fin de Siècle bis zur Avantgarde der frühen 1950er Jahre reicht.

Zunächst geht Panagl auf die Definitionsproblematik dessen ein, was man unter „Moderne“ verstehen kann. Von einfachen Termini und Begriffen mit neuer Referenz und „moderner“ Konnotation stößt er schließlich auf die Erkenntnis, dass letzte Klarheit unmöglich ist. So möge man sich mit einem bekannten Spruch von Jürgen Habermas begnügen: „Die Moderne – ein unvollendetes Projekt.“

Zum Thema „Traum in der Oper“ stellt er mit Werken von Debussy, Korngold und Martinů ein kunstkritisches Szenario der Jahrhundertwende vor, das sich den Themen Symbolismus, Dekadenz, Nervenkunst, Traum und Wirklichkeit widmet – eine für jene Zeit bedeutsame Tendenz im „modernen“ Musiktheater. Auf der Suche nach einer griffigen Formel für diese disparaten Momente kommt er auf einen Dramentitel aus dem 19. Jahrhundert: „Der Traum ein Leben“. Genau mit diesem Titel hat Walter Braunfels 1937 eine Oper komponiert.

Vor dem zentralen Block mit Werken deutsch(sprachig)er Tondichter beginnt Panagl mit Giacomo Puccini wegen des innovativen Moments seiner Opern. „La bohème“ ist mittlerweile vom „Leitfossil des Nachmittagsabonnements“ zu einer Herausforderung für Regisseure geworden. „Tosca“ liegt im Spannungsfeld musikdramatischer Gattungen, und in „Turandot“ sieht er ein neues Verhältnis der zwei Säulen der „conditio humana“: Der emotionale Weg von erlittenem Tod führt zu neu erwachter Liebe! Für den ohnehin von Natur aus Getriebenen und Avantgardisten Ferruccio Busoni war das realistische Theater ein ästhetisches Ärgernis. Er gab in seinem „Doktor Faust“ entsprechende Antworten.

Natürlich ist bei Oswald Panagl der Richard-Strauss-Teil der größte. Das Geheimnis der Liebe und des Todes in „Salome“ ist ein weiteres Beispiel der „Décadence“ um die Jahrhundertwende. Die „Modernität“ der Musiksprache der „Elektra“ zeichnet sich durch „psychische Polyphonie“ aus. In „Ariadne auf Naxos“ erscheinen die so gegensätzlichen Ariadne und Zerbinetta als in Wahrheit unterschiedliche Facetten des weiblichen Wesens („Zerbiadne“ bzw. „Arietta“), damit in eine neue Wahrnehmungsrichtung weisend. Diese ungewöhnliche Oper ergibt auch quasi ein neues Genre! Bei der „Ägyptischen Helena“ fragt er, ob es sich um ein unterschätztes Meisterwerk oder ein missratenes Sorgenkind handelt. Im „Rosenkavalier“ stehen Beziehungsmuster und Sprachspiele im Gesamtkunstwerk im Vordergrund. Zu „Intermezzo“, bei dem die Liebe zur Autobiographie überwiegt, stellt Panagl die Frage, ob das Werk ein Nachfahre bürgerlicher Musikkultur oder Vorhut der Avantgarde sei. Bei „Arabella“ steht im Raum, ob es ein „Sklerosenkavalier“ oder szenische Realutopie ist …

In Hans Pfitzner sieht der Autor einen spätromantischen Grübler, einen Unzeitgemäßen an der Epochenschwelle, was auch in der Rolle des Palestrina zum Ausdruck kommt. Auch bei Pfitzner ist der Traum ein zentrales Element seines Œuvres. In einem großen „erratischen Block“ aus Mähren zu Leoš Janáček sieht der Autor besonders auf „Menschliches, Allzumenschliches“ und die großen Frauenrollen, die das Schaffen dieses Komponisten kennzeichnen, sowie auf den für ihn so typischen Sprachmelos.

Es folgt Interessantes zum modernen Musiktheater aus „Ost-Europa“ und zum literarischen Symbolismus sowie der impressionistischen Tonsprache von Claude Debussy. Kurt Weill und Benjamin Britten folgen mit einer Analyse zum „Lied der Straße und den Farben des Meeres“ als imaginäre Orte und zeitkritische Chiffre.

Das Buch ist ein kaum enden wollender Fundus an oft unbekannten und interessanten Fakten und Einsichten. Gleichzeitig ist es ein umfassendes Nachschlagewerk zu einer bis in die Praxis des heutigen Musiktheaters wirkenden Epoche.

Klaus Billand

INFOS ZUM BUCH

Oswald Panagl: „Im Zeichen der Moderne. Musiktheater zwischen Fin de Siècle und Avantgarde“
422 Seiten, Hollitzer

Neue Ära mit Mut zum Risiko

Wien / Wiener Staatsoper (September 2020)
Zur Eröffnung eine farbenprächtige und berührende „Madama Butterfly“

Wien / Wiener Staatsoper (September 2020)
Zur Eröffnung eine farbenprächtige und berührende „Madama Butterfly“

Mut und fehlende Risikobereitschaft kann man dem neuen Direktor Bogdan Roščić nicht absprechen, wenn er gleich mit der ersten von zehn Saison-Premieren das Haus vor Corona-bedingt 1200 Besuchern und damit einer etwa 50-prozentigen Auslastungsquote (wieder-)eröffnet und Puccinis „Tragedia giapponese“ ansetzt. Alles steht und fällt mit einer Sopranistin, die stimmlich und darstellerisch die Entwicklung von der 15-jährigen japanischen Geisha zur liebenden und wartenden Ehefrau durchmacht und zuletzt nicht nur stirbt, sondern sich auch noch entehrt fühlend durch Jigai, dem weiblichen, japanischen Selbstmord-Ritual, selbst richtet.

Asmik Grigorian gibt ihr Hausdebüt und begeistert nach einer fantastischen Salome bei den Salzburger Festspielen 2019 auch diesmal auf allen Ebenen. Ihre Cio-Cio-San gibt sich anfangs noch reserviert, stimmlich zurückhaltend und zeitweise recht herb klingend. Während dem Liebesduett lassen die Spitzentöne aber jugendlichen Klang und den Wunsch, geliebt zu werden, aufblühen. Im zweiten Akt gelingt der phänomenalen Singschauspielerin dann ein emotionales Gesamtkunstwerk, wo alle Gefühlsausbrüche mit zarten Pianissimi-Bögen ebenso zutiefst berühren können wie die dramatischen Passagen. Sie erzeugt Gänsehaut-Gefühl, als sie dem berührten Konsul über ihr Kind mitteilt, dass sie, die verlassene Mutter, wieder tanzend ihr Geld verdienen soll.

Als unsensiblen B.F. Pinkerton erleben wir den britisch-italienischen Tenor Freddie De Tommaso, ebenfalls ein Hausdebütant. Höhensicher, durchsetzungskräftig und mit müheloser Phrasierungskunst erregt ihn das puppenhafte Spiel der Braut vor der Hochzeit und er freut sich, diese schöne Blume gepflückt zu haben. Darstellerisch kann das neue Ensemblemitglied aber kaum Akzente setzen. Einen mitfühlenden, mahnenden Sharpless stellt Boris Pinkhasovich mit warmem Klang und voluminösem Bariton dar. Die junge Virginie Verrez besticht mit klangvoller Tiefe und bringt beim Blumenduett stimmlich den Frühling auf die Bühne. Patricia Nolz ist eine hübsche Kate Pinkerton, als Heiratsvermittler Goro könnte Andrea Giovannini noch etwas stimmkräftiger singen, Stefan Astakhov wirbt als Fürst Yamadori umsonst mit schönem Tenor und Evgeny Solodovnikov donnert als Onkel Bonze.  

Der neue Generalmusikdirektor Philippe Jordan atmet mit den Solisten förmlich vom Pult aus mit und leitet sowohl kraftvoll und spannungsgeladen als auch zart und mit Wohlklang in den intimen Momenten. Der feinfühlige Summchor ist perfekt mit dem flexiblen Orchester abgestimmt und wenn man erstmals seit der Zwangspause im März die Wiener Philharmoniker hören darf, kommen manchem ohnehin die Tränen.  

Die Inszenierung aus dem Jahr 2008 stammt vom verstorbenen Filmregisseur Anthony Minghella („The English Patient“). Seine Witwe Carolyn Choa (Regie) setzt auf eine kahle Bühne mit Spiegelflächen an Decke und Boden, wo sich die farbenfrohen Kostüme opulent in Szene setzen können. Besonders berührend ist der dreijährige Bub, der als Puppe dargestellt und zuletzt der Mutter entrissen wird. Wer den einhelligen Erfolg versäumt hat, darf sich im Januar auf eine weitere Vorstellungsserie mit fast gleichem Ensemble freuen. 

Susanne Lukas

„Madama Butterfly“ (1904) // Giacomo Puccini