München / Gärtnerplatztheater (März 2021) Die Primadonnen des Gärtnerplatztheaters becircen nicht nur mit Tönen
Vier traumschöne Frauen in meist schulterfreien oder dekolletierten Roben aus leuchtend rotem Satin lockten mit Gestik, Blicken und Kleid-Schlitz – gesteigert durch abwechselnd brillante, schmeichelnde und kecke Töne … all das auf der Bühne eines Staatstheaters! Beruhigend nur, dass der dafür zuständige Minister – der sich tagsüber in einem langen Verbal-Erguss seine durchgängige Nicht-Präsenz selbst weggeredet hatte – wie immer nicht anwesend war.
Was sich zunächst als „Naja-halt-Ersatz-für-Aufführungen“ ankündigte, wurde amüsante und künstlerisch erstklassige „Kunst-Promotion“. Tatsächlich hat das Staatstheater am Gärtnerplatz – im Unterschied zu Stück-Verträgen des Vokal-Jet-Sets der Staatsopern – in bester Tradition vier Sopran-Solistinnen im Ensemble. Zurecht wurden sie als „Die Diven vom Gärtnerplatz“ avisiert: Jede von ihnen hat hier und an vielen Opernhäusern große Hauptrollen verkörpert. Und genau das „füllte“ jetzt auch die ansonsten leere Bühne. Im hinteren Teil war das Orchester in verkleinerter Besetzung – Abstand! – postiert. Solorepetitor Darijan Ivezić zeigte beste Leitungsqualitäten, indem er die Damen auf „instrumentalen Tönen trug“ – dennoch kam auch er ins Schwitzen, da war ihm doch von Judith Spießer aus der Intendanten-Loge einer ihrer Handschuhe zugeworfen worden – nachdem sie zuvor strahlend aus Gounods Shakespeare-Vertonung Juliettes „Je veux vivre“ verkündet hatte. Als sie dann noch im Duett mit Mária Celeng „Geh’n wir ins Chambre séparée“ lockte, hob Ivezić den Handschuh auf …
Celeng hatte den Abend mit Mozarts „Ich bin die erste Sängerin“ eröffnet – pseudo-biestig bedrängt von zwei Kolleginnen. Dass sie neben Spaß auch ernste Töne beherrscht, bewies ihre tief-sehnsüchtige Interpretation des tschechischen Originals von Rusalkas „Lied an den Mond“. Anschließend an das von allen vier Damen mit Ironie servierte „Ach wir armen Primadonnen“ machte Camille Schnoor mit Butterflys „Un bel dì vedremo“ Liebes-Leid-Ernst. Schnoor hinterließ insgesamt fesselnde Eindrücke: Ihr Sopran hat an Fülle gewonnen, sie selbst an Präsenz und Expression – völlig zurecht sang sie die Phrase „I want to be a Primadonna“, denn „I want to shine upon a stage“ stimmt für sie wortwört- und klanglich. Komponierte und eingelegte Triller, Läufe, Sprünge und dann alles überstrahlende Spitzentöne in den Sopran-Stratosphären von B und C lieferte Jennifer O’Loughlin, die aber ebenso durch innige Zurücknahme ins Piano beeindruckte. Im Kontrast zu ihren tragisch hingerichteten Belcanto-Königinnen war sicht- und hörbar, dass sie wohl auch ein lustvoll-pfiffiger „Scherzkeks“ auf der Bühne sein kann – dazu öffneten alle vier Primadonnen eine Flasche Bühnen-Schampus, sangen „Sempre libera“ in Quartett-Verteilung und fügten „Auf offene Theater!“ als Toast in Richtung ministerieller Kultur-Bürokratie an. Der Wunsch der vier Schönheiten in Christiane Beckers animierend reizvollen Roben wirkte unwiderstehlich: Sie hatten aus einem Nummern-Abend einen flotten Spaß mit gelegentlichem Tiefgang gemacht – ein abermals begeisterndes Plädoyer für bespielte Bühnen aller Arten. Und Aufführungssehnsucht bei uns!
Wolf-Dieter Peter
„Primadonnen – Die Diven vom Gärtnerplatz“ // Konzertprogramm mit Melodien von Mozart und Puccini bis Gilbert und Sullivan